Kategorie: Titien

  • Wie geht das Hier und Jetzt?

    Wie geht das Hier und Jetzt?

    Titien und ich haben ein Mantra, dem wir mindestens seit der Diagnose folgen: Lebe im Hier und Jetzt. Was sich wie eine abgedroschene Floskel der Ratgeberliteratur Bereich Lebenshilfe anhört, hat für uns tatsächlich Bedeutung. Wir haben erkannt, wie wertvoll die Zeit ist, die uns bleibt. 

    Wir haben bewusst Entscheidungen getroffen, die Zeit nicht damit zu verbringen über die Vergangenheit nachzudenken. Oder über den hypothetischen Fall, dass Titien nicht mit DIPG diagnostiziert worden wäre.

    Genauso wenig lohnt es sich, weit in die Zukunft zu denken, wenn die Prognose maximal zwei Jahre lautet. Wenn wir Ziele hatten, dann kurz- bis maximal mittelfristig.

    Noch einmal Weihnachten feiern. Den Besuch der Familie in Korea noch erleben. Die Freundinnen in Barcelona treffen. Israel noch sehen. Haben wir alles geschafft. Das letzte Ziel war, Titiens Geburtstag am 24. Juni. Jetzt setzen wir keine Ziele mehr. 

    Aber wie leben wir im Hier und Jetzt? Vor eineinhalb Jahren habe ich das so fomuliert:

    „Das eine Extrem ist, jeden Tag zu leben als wäre es der letzte. Das andere Extrem ist, die Krankheit zu ignorieren und so weiter zu machen, als wenn nichts wäre. Mein dritter Weg ist pragmatisch, reflektiert. Ich nehme unsere gemeinsame Zeit sehr viel bewusster war. Alles bekommt eine Bedeutung. Ihr dritter Weg ist spirituell. Sie liest in der Bibel und schreibt über ihren Glauben.“

    Jetzt, da ihr immer weniger Zeit bleibt, weiß ich nicht mehr genau, was das heißt, gemeinsam im Hier und Jetzt zu leben. Bin ich nicht genug für sie da, wenn ich tags Projektbesprechungen über Zoom habe und an Texten für kurze Filme über Wissenschaftskommunikation arbeite?

    Verschwende ich unsere gemeinsame Zeit, wenn ich mit meinem Handy am Frühstückstisch rumspiele? Oder wenn ich über Kopfhörer Podcasts höre? Oder ist das der Ausgleich, den ich brauche, um nicht depressiv oder irre zu werden?

    Wird die Zeit immer wertvoller, je weniger man davon hat, oder bleibt der Wert der Zeit gleich, und man erkennt ihn, wenn einem einmal die Endlichkeit bewusst wird?

    Als ich meine Mutter ihre letzten anderthalb Jahre mit Bauchspeicheldrüsenkrebs pflegte, hatte ich lange vor ihrem Tod ein rettendes Ufer vor Augen. Ich konnte mir ausmalen, was danach passieren würde, was wir Brüder mit dem Haus machen, dass ich nach Karlsruhe ziehen würde.

    Jetzt bei Titien sehe ich kein Land. Im Hier und Jetzt gibts nur Wasser. Ich merke, wie die Welle sich hinter mir aufbaut. Irgendwann bricht sie, und dann werde ich irgendwo an Land gespült. Ich bin ein guter Schwimmer.

  • Wie es Titien aktuell geht

    Wie es Titien aktuell geht

    Titiens Gesundheitszustand verschlechtert sich leider weiter. Sie schläft viel oder döst vor sich hin. Der Tumor in ihrem Hirnstamm lähmt alle ihre Muskeln. Sie kann den Kopf nicht mehr halten und wenn ich oder eine Armlehne sie nicht stützen, kippt sie auf dem Sofa um oder aus dem Rollstuhl. 

    Ihre Beine können ihren Körper nicht mehr halten. Jedesmal, wenn ich sie vom Bett auf den Toilettenstuhl, in die Dusche, aufs Sofa, in den Rollstuhl und zurück hebe, lastet ihr volles Gewicht auf mir. Ich achte darauf immer aus den Knien zu heben, der Hexenschuss ist zum Glück weg.

    Ihr linker Arm ist mehr oder weniger funktionslos und baumelt an ihrer Seite. Sie kann aktuell noch ihr Handy darin halten und mit der rechten Hand  mühsam tippen. Sie schreibt weiter Blogposts und Anweisungen und Wünsche für mich. 

    Das Handy ist noch ein Kommunikationskanal, den wir haben. Sie kann eigentlich nicht mehr sprechen. Ich errate aus ihren Lauten, was sie möchte (Wasser, Tee, aufs Klo, das Kopfkissen anders, …) Vieles erschließt sich aus dem Kontext und vieles folgt etablierten Routinen.

    Titien muss inzwischen gefüttert werden. Ich habe ihr mehrere Lätze gekauft, so dass der Teil der festen und flüssigen Nahrung, der nicht geschluckt wird, aufgefangen wird bevor er auf Kleidung und Fussboden landet. 

    Sie kann nur noch weiche Nahrung essen. Porridge geht, reife Früchte sehr klein geschnitten gehen. Passierte Suppen gehen. Brot ohne Kruste mit dick Frischkäse drauf geht. Scharfes Essen geht nicht mehr. Sie kaut sehr langsam.

    Sie verschluckt sich dennoch beim essen und trinken und kann dann nur mit Mühe die Luftröhre wieder frei husten. Ich fühle mich hilflos, wenn ich sie vornübergebeugt halte und auf den Rücken klopfe. 

    Titiens Atmung geht rasselnd. Vorgestern war deshalb ein Arzt hier, weil wir den Verdacht hatten, dass Titien Wasser in der Lunge hat. Es gab zum Glück Entwarnung. Aber eine Lungenentzündung durch aspiriertes Essen oder Trinken ist eine reelle Gefahr, mit der wir uns auseinander setzen müssen.

    Titien hat eine Magensonde durch die Bauchdecke liegen. Sie hat sowohl in ihrer Patientenverfügung als auch mehrfach mündlich erklärt, dass sie darüber zwar Flüssigkeit, aber kein Essen möchte.

  • Großer Nackenkissen und Halskrausentest

    Großer Nackenkissen und Halskrausentest

    Jeder Sportler weiß: Wer längere Zeit nicht trainiert, verliert nicht nur Kondition, sondern auch die Leistungsfähigkeit der nicht mehr beanspruchten Muskelgruppen. Eine Folge der Coronaviruspandemie ist daher sicher massenhafter Muskelkater bei Freizeitsportlern, die durch Covid-bedingte Einschränkungen wochenlang nicht trainieren konnten. 

    Muskelschwäche betrifft aber nicht nur Freizeitsportler. Eine weithin unterschätzte Folge des mit der Coronakrise zusammenhängenden Rückgangs der Reisetätigkeit, ist eine durch Trainingsmangel verursachte Schwächung der Hals- und Genickmuskeln der Fahrgäste und Passagiere in Bus, Bahn und Flugzeug. “Ich habe Genick” wird das neue “Ich habe Rücken”, sobald längeres unterwegs sein wieder Teil des Berufsalltags Vielreisender wird.

    Um nach langer Reisepause schmerzhaften Genickschmerzen und möglichen Langzeitschäden vorzubeugen, empfiehlt es sich, den nach monatelangem Ausharren im Home Office gänzlich untrainierten Nacken mit einem entsprechenden Kissen zu stützen. 

    Auch wer nur sporadisch verreist, erfährt hier im großen Nackenkissen und Halskrausentest, welche Produkte die Profis wählen, und welche Kissentrends zur unmittelbar bevorstehenden Urlaubszeit an zahllosen Koffern und Rucksäcken baumeln werden.

    Die Testerin

    Wir konnten für unseren großen Nackenkissentest eine hervorragend geeignete Testerin gewinnen. Titien Maier leidet in Folge eines Gehirntumors an zunehmender Muskelschwäche. Sie kann ohne Kissen den Kopf nicht mehr gerade halten. Ihr Ehemann und Pfleger Tobias verriet uns im Interview: “Wenn ich sie ohne Nackenkissen im Rollstuhl durch Karlsruhe fahre, wackelt ihr Kopf wie ein Kuhschwanz”.

    Die Testbedingungen

    Um trotz eingeschränkter Reisemöglichkeiten die Herausforderungen von Langstreckenreisen an die Nackenmuskulator möglichst realistisch zu simulieren, wurden zwei Testszenarien entworfen. Zum einen wurden Rollstuhlfahrten durch Karlsruhe, beispielsweise zum Enten füttern, durchgeführt und ausgewertet. Um die Belastungen von Langestreckenflügen zu simulieren wurden stundenlange Sitzungen auf dem Sofa im Wohnzimmer evaluiert.

    Das Testfeld 

    Getestet wurden fünf verschiedene Produkte. Drei der getesteten Produkte sind Nackenkissen, zwei der Produkte sind Halskrausen. Preislich lag das Testefeld zwischen knapp zwölf Euro und vierzig Euro. Die Produkte wurden in den Kategorien Stützleistung, Tragekomfort und Features/ Design bewertet.

    AmazonBasics Nackenkissen

    Das Nackenkissen von AmazonBasics war mit etwas über zwölf Euro mit das günstigste im Testfeld. Es ist durch den weichen Memoryschaumstoff und den blauen Plüschbezug angenehm zu tragen. Das Kissen ist relativ groß, dennoch ist die Stützleistung nur befriedigend. Für den mobilen Gebrauch ist das Kissen ungeeignet, da es über keine Schließe verfügt und relativ leicht zu Boden fällt. Der Bezug ist zum Glück abnehmbar und waschbar.

    Stützleistung: ***
    Tragekomfort ****
    Features/ Design: ***

    Herrenfeuer Nackenkissen

    Das Nackenkissen von Herrenfeuer hat sehr gute Stützeigenschaften. Es ist durch zwei magnetische Knöpfe verschließbar und passt sich dem Hals gut an. Das Schaumstoffkissen ist nicht zu voluminös bietet dennoch nach allen Seiten sehr guten Schutz. Der Bezug ist abnehmbar und waschbar. Das Nackenkissen kostet zwanzig Euro und liegt preislich im Mittelfeld. Es wird zusammen mit einem Transportbeutel und einer Augenmaske ausgeliefert. Der Transportbeutel eignet sich hervorragend als Wäscheklammerbeutel. Das Kissen wird von Titien gerne sowohl unterwegs als auch zu Hause getragen und ist somit der Testsieger.

    Stützleistung: ****
    Tragekomfort: *****
    Features/ Design: ****

    Cabeau Evolution S3

    Das Kissen von Cabeau war mit vierzig Euro mit Abstand das teuerste im Test (es wurde uns von Tita und Chris geschenkt, danke!). Das Kissen aus Memoryschaumstoff mit abnehmbarem und waschbarem Überzug ist sehr bequem und stützt den Kopf ausreichend nach allen Seiten. Es ist vorne mit einem Schnellverschluss zuknöpfbar. Wie eng das Kissen anliegen soll, kann hier mit Kordelzügen eingestellt werden. Das Kissen ist recht voluminös und wird in einer Tragetasche ausgeliefert. Es verfügt über ein kleines Seitenfach und über Klettverschlussbänder an der Rückseite, mit dem das Kissen an geeigneten Sitzen fixiert werden kann. Diese Funktion haben wir nicht getestet. Titien trägt das Kissen sehr gerne zu Hause auf dem Sofa.

    Stützleistung: ****
    Tragekomfort: *****
    Features/ Design: ****

    Armoline Halskrause

    Die Halskrause besteht aus zwei Teilen, die über Klettverschlussbänder miteinander verbunden werden, so dass der Hals quasi eingeschalt wird. Die Halskrause ist sehr leicht und besteht aus einem styroporartigen, festen Schaumstoff. Der Kopf wird durch die Halskrause starr fixiert. Leider ist die Halskrause sowohl für den häuslichen Gebrauch, als auch für die Nutzung unterwegs ungeeignet. Das Material ist nicht atmungsaktiv und fühlt sich nach kurzer Zeit unbequem auf der Haut an. Trotz starrer Fixierung des Halses, kippte Titiens Kopf im Rollstuhl nach hinten ab. Der Test wurde daraufhin abgebrochen. Die Halskrause kostet 24 Euro.

    Stützleistung: ***
    Tragekomfort: **
    Features/ Design: **

    Laerdal Stifneck Halskrause

    Die Laerdal Stifneck ist eine professionelle Halskrause, um Menschen nach Unfällen mit Wirbelsäulenverletzungen zu fixieren. Die Halskrause kann auf drei Höhen eingestellt werden und stützt hervorragend. Sie kostet inklusive Versand nur 13,50 Euro. Die Laerdal Stifneck ist aus Plastik und sehr leicht. Ein dünner Saum aus weichererem, styroporartigem Schaumstoff soll das Tragen etwas angenehmer machen. Titiens Kopf wurde mit der Halskrause sehr gut fixiert. Allerdings hat ihr das Bruststück an der Kontaktstelle zu ihrem Brustbein Schmerzen bereitet. Für den Gebrauch zu Hause ist die Halskrause zu unbequem.

    Stützleistung: *****
    Tragekomfort: **
    Features/ Design: ****

    Fazit

    Moderne Nackenkissen sind aus Memoryschaumstoff und nicht mehr mit Styroporkügelchen gefüllt. Das Herrenfeuer-Kissen stützt gut und sieht noch am erträglichsten aus. Mitschleppen muss man es trotzdem, wenn man reist. Wer gerade einen Motorradunfall hat und möglicherweise sich die Wirbelsäule gebrochen hat, sollte sich die Laerdal Halskrause bestellen. Die Links zu den Produkten sind Amazon Affiliate Links.

  • Wie funktioniert die Pflege zu Hause?

    Wie funktioniert die Pflege zu Hause?

    Titien und ich schreiben ja beide, wie wir mit ihrer Krankheit umgehen. Vor allem jetzt, da es ihr zunehmend schlechter geht, bekommen wir sehr viel Zuspruch, gute Wünsche, Hilfsangebote und Vorschläge, wie wir ihre Pflege besser organisieren könnten.

    Zunächst das Wichtigste: Sowohl Titien als auch ich freuen uns über Likes und wenn unsere Artikel über Soziale Medien kommentiert und weiter geteilt werden, und wir freuen uns sehr über Kommentare und Nachrichten unter den Artikeln in unseren jeweiligen Blogs. Vielen Dank dafür und bitte so weiter machen!

    Wir bekommen jede Woche Besuch von den “Brückenschwestern”. Das ist ein onkologischer Palliativdienst in Karlsruhe, der von den großen Krankenhäusern der Stadt getragen wird. Wir hätten außerdem die Möglichkeit, einen privaten Pflegedienst in Anspruch zu nehmen. Bei Bedarf kommt unsere Hausärztin hier vorbei und schaut nach Titien. Selbstverständlich gibt es auch in Karlsruhe für die Palliativpflege ausgestattete Heime und Hospize.

    Ich bin jedoch in der privilegierten Lage, Titien hier zu Hause pflegen zu können. Zum einen haben wir hier eine passende Infrastruktur: Unsere Wohnung ist behindertengerecht mit breitem Flur, ausreichend großen Zimmern, ohne Treppen und mit niedrigen Türschwellen. Wir haben einen Aufzug und können ebenerdig das Haus verlassen, mein Auto ist ebenfalls direkt mit dem Lift in der Tiefgarage erreichbar. Wir sind außerdem ausgestattet mit einem Pflegebett mit elektrisch verstellbarem Kopf und Fußteil, mit einem Rollstuhl, einem Toilettenstuhl, einem Rollator und einem Duschlift.

    Weiter sind die körperlichen Voraussetzungen für die Pflege zu Hause gegeben: Ich bin groß und kräftig. Titien ist klein und zierlich. Selbst bei durch das Kortison bedingten starken Wassereinlagerungen wiegt sie noch unter sechzig Kilogramm. Das will sie oft selbst nicht glauben und bestellt dann Jogginghosen in Größe XL, die ich dann in Größe M umtauschen muss – und selbst die sitzen noch bequem. Ich kann Titien alleine vom Bett auf den Toilettenstuhl, in die Dusche, aufs Sofa, in den Rollstuhl, und zurück befördern. Selbst wenn es sie mal auf den Boden setzt, wie gestern morgen im Bad geschehen, kann ich sie einfach aufheben und wieder in den Rollstuhl setzen.

    Drittens sind die weiteren Rahmenbedingungen optimal: Ich habe einen verständnisvollen Arbeitgeber, der mir erlaubt in dieser Zeit von zu Hause aus flexibel zu arbeiten. Wir haben einen fürsorglichen Freundeskreis, der bei Bedarf jederzeit für Einkäufe und Gespräche zur Verfügung steht. Ich habe außerdem bereits Erfahrung mit der Pflege Angehöriger. Ich habe meine Mutter ihre letzten 15 Monate begleitet, bevor sie 2016 an Bauchspeicheldrüsenkrebs starb.

    Der letzte Punkt ist aber der Wichtigste: Es ist der ausgesprochene Wunsch von uns beiden, dass ich sie pflege und dass sie so lange wie möglich hier zu Hause gepflegt wird. Titien hat das sogar schriftlich in ihrer Patientenverfügung festgehalten. 

    Titien hat oft noch einen weiteren Wunsch: Sie möchte niemand anderen sehen. Das führt dazu, dass wir der Musiktherapeutin direkt wieder absagen, die Titien mit auf eine “Klangreise” nehmen wollte. Oder dazu, dass wir keine Physiotherapeuten hier nach Hause bestellen, um an meinem Rücken rum zu massieren. 

    Das bedeutet auch, dass wir nur sehr selten Freunde zu uns nach Hause einladen. Titien will oft einfach nur ihre Ruhe. Danke, dass ihr das alle respektiert.

  • Muskelschwäche durch Kortison oder Hirntumor

    Muskelschwäche durch Kortison oder Hirntumor

    Titiens Symptome verändern sich weiter. Leider nicht zum Guten. Sie hat inzwischen fast keine Kraft mehr in ihren Muskeln. Ich vermute, ursächlich dafür ist sowohl der Progress ihres Hirntumors, als auch das hochdosierte Kortison, sowie die Tatsache, dass ihre Muskeln aus Bewegungsmangel abbauen. 

    Deshalb hängt ihr Kopf immer zur Seite wenn sie sitzt. Deshalb ist es inzwischen wirklich ein Kraftakt für mich, Titien in der Wohnung hin und her zu bewegen.

    Um ihren Kopf zu stabilisieren habe ich ihr eines dieser hufeisenförmigen Reisekopfkissen gekauft, an denen man an Flughäfen immer jene Passagiere erkennt, die sonst nie fliegen. Aus Memoryschaum mit waschbarem Bezug. Titien liebt ihr Kissen, die Dinger sind also offenbar tatsächlich für irgendwas gut.

    Ihre funktionslose Halsmuskulatur war auch der Grund, warum wir in den letzten Tagen nicht mehr mit dem Rollstuhl die Enten füttern waren. Es ist ihr sehr unangenehm, wenn ihr Kopf unkontrolliert nach rechts, links, vorne oder hinten ausschlägt, wenn ich sie mit dem Rollstuhl über eine Bürgertsteigkante schiebe, oder wenn wir auf nicht komplett plan geteerten Wegen fahren. 

    Ich habe ihr hierfür eine professionelle Halsmanschette gekauft, die ihren Kopf so fixiert, dass wir wieder guten Gewissens mit dem Rollstuhl raus können. Wir gewinnen Lebensqualität zurück und die Tiere in der Günther-Klotz-Anlage werden weiter gemästet. Das war gestern ihr glücklichster Moment.

    Meine Muskelschwäche

    Ich pflege Titien ja alleine, bin also den ganzen Tag bei ihr und sorge dafür, dass sie vom Bett ins Bad, in die Dusche, auf die Toilette, ins Wohnzimmer aufs Sofa und an den Esstisch kommt. Jeder Gang bedeutet, dass ich sie anheben muss (ihren Kopf dabei stützen), auf den durch ein Sitzkissen zum Rollstuhl umfunktionierten Toilettenstuhl umsetzen muss (Bremsen vorher feststellen), und sie dann damit durch die Wohnung fahre, um sie dann wieder anzuheben und umzusetzen.

    Sie kann mich beim aufstehen und umsetzen aus eigener Kraft nicht mehr unterstützen. Titien ist schwer wie ein Sack Kartoffeln (oder ein Sack Reis?) und das hin und her hieven geht leider auch an mir nicht spurlos vorbei. Seit dem Wochenende habe ich einen veritablen Hexenschuss – obwohl ich immer darauf achte, sie lehrbuchhaft aus den Knien anzugeben und den Rücken gerade zu lassen. 

    Diesen Artikel schreibe ich zum Beispiel gerade am Laptop im Liegen auf meiner Yogamatte. So ist der Rücken halbwegs schmerzfrei. Aber ich will ja Titien auch beim Tabletten nehmen nicht alleine lassen, und so futtere ich morgens und mittags je eine halbe Ibuprofen 600, während sie ihr Kortison nimmt. 

  • Noch einmal Nussschnecken?

    Noch einmal Nussschnecken?

    Liebe Bäckerei Meier,

    bei meiner Frau wurde im Frühjahr 2017 ein Hirntumor diagnostiziert. Eine Nebenwirkung der dafür notwendigen Biopsie war, dass sie zwischenzeitlich nicht mehr schlucken konnte und wochenlang über eine Magensonde ernährt werden musste.

    Sie lernte mühsam wieder essen und ein Ziel trieb sie dabei an: Sie wollte zu ihrem Geburtstag am 24. Juni mit mir Tee trinken und eine der von ihr geliebten Nussschnecken von Ihnen essen können.

    Tatsächlich war sie zu ihrem 36. Geburtstag wieder soweit hergestellt, dass wir bei Sonnenschein auf unserem Balkon in der Lessingstraße sitzen konnten und Nussschnecken essen. Ich habe Ihnen zwei Fotos von damals hier an die Mail angehängt.

    Dieses Jahr fing ihr Tumor erneut an zu wachsen und ihr Zustand hat sich leider rapide verschlechtert. Aktuell kann sie noch sehr langsam und mit sehr viel Mühe essen, wir wissen nicht, wie lange das noch geht. Am 24. Juni wird meine Frau 39 Jahre alt und sie wünscht sich wieder eine Nussschnecke.

    Wir kaufen jeden Samstag in Ihrer Filiale in der Sophienstraße ein. Inzwischen schiebe ich sie im Rollstuhl. Leider gibt es seit ein paar Monaten keine Nussschnecken mehr bei Ihnen. Wir haben es es mit Rosinenschnecken probiert, mit Nusshörnchen, Walnuss-Hefeschnecken oder Johannisbeer-Hefeschnecken. Nichts kann eine Nussschnecke von Ihnen ersetzen.

    Wäre es möglich, dass Sie auf den 24. Juni noch einmal Nussschnecken backen?

    Vielen Dank und mit herzlichen Grüßen

    ––––––––––––––––––––––––––––––

    Hallo Herr Maier,

    vielen Dank für ihre E-Mail.

    Hierzu fehlen uns die Worte.

    Gerne erfüllen wir Ihren Wunsch und sie können am 24.Juni in der Sophienstrasse unsere Nussschnecken abholen.

    Wir wünschen Ihnen weiterhin ALLLES Gute.

  • Neue Routinen

    Neue Routinen

    Zum Aufstehen muss ich Titien im Bett so drehen, dass ihre Beine über die Bettkante baumeln. Dann stütze ich ihren Kopf mit einer Hand, während sie sich an meinen anderen Arm klammert. So kann ich sie langsam in Sitzposition hoch ziehen.

    Sie kann dann noch selbstständig aufstehen und mit dem Rollator langsam ins Bad schlurfen. Ich gehe voraus und bereite ihre Kontaktlinsen vor, die ich ihr einsetze, sobald sie im Bad ankommt. Ich drücke Zahnpasta auf ihre elektrische Zahnbürste. Putzen kann sie noch alleine. Wenn sie die Haare nicht waschen möchte, binde ihr die Haare mit einem Haarband zusammen.

    Gestützt auf den Rollator und mit meiner Hilfe schafft sie es, sich auf den Duschlift zu setzen. Ich hebe ihre Beine in die Badewanne und entferne das Pflaster mit der ihre Magensonde am Bauch fixiert ist. Ich stelle die Temperatur des Wassers ein, reiche ihr den Duschkopf und ziehe den Vorhang hinter ihr zu. Noch duscht sie alleine. Beim Haare waschen braucht sie schon Hilfe.

    Ich trockne sie ab, hebe die Beine wieder aus der Wanne und helfe ihr dabei aufzustehen und wieder Halt am Rollator zu finden. Ich entferne ihr Haarband und käme sie. Ich streife ihr die Haare aus dem Gesicht und fixiere die Strähne mit einer Haarklammer am Kopf und verteile drei Spritzer Guerlain Super Aqua-Lotion in ihrem Gesicht.

    Titien schleicht dann wieder ins Schlafzimmer und lässt sich aufs Bett fallen. Ich hebe ihre Beine auf die Matratze. Ich creme erst ihre Beine ein, ihren Po, und dann ihre Arme. Sie hält die Augen geschlossen.

    Ich ziehe etwa 50 ml Wasser mit einer Spritze auf, schließe die Spritze an ihre Magensonde an und spüle die Sonde. Ich desinfiziere meine Hände und sprühe ihr Desinfektionsmittel auf den Bauch, auf die Stelle an der ihre Magensonde austritt. Die Stelle ist entzündet, seit sie wieder hochdosiert Kortison nehmen muss. Sie verzieht ihr Gesicht vor Schmerzen.

    Ich reinige die Austrittsstelle mit einer Kompresse, sprühe erneut etwas Desinfektionsmittel auf die Stelle und verbinde ihre Magensonde mit drei Kompressen und drei Streifen Heftpflaster. Seit drei Jahren jeden Tag.

    Ich suche ihr eine Unterhose aus, klebe eine Slipeinlage ein und ziehe ihr den Slip an. Ich stelle dafür ihre Beine auf, so dass sie ihre Hüfte leichter anheben kann. Ich finde eine weite Jogginghose für sie. Erst muss ich die Beine einfädeln, dann wieder aufstellen um ihr die Hose bei angehobener Hüfte anzuziehen.

    Ich stütze wieder ihren Nacken und ziehe sie in Sitzposition. Sie atmet tief und rasselnd ein, als wäre sie lange unter Wasser gewesen und kann endlich wieder Luft holen. Ich ziehe ihr ein T-Shirt an. Titien stützt sich auf den Rollator, steht auf und geht langsam ins Wohnzimmer.

    Ich muss noch duschen, Zähne putzen, was anziehen, Tee kochen, Müsli vorbereiten, und eine Stunde nach dem aufstehen sitzen wir am Frühstückstisch.

  • Austherapiert

    Austherapiert

    Gestern lag dann auch der Arztbrief im Briefkasten. Die Auswertung des PET-Scans mit Tracer hat ergeben, dass ihr Tumor im Stammhirn weiter wächst. Alle sonstigen Stellen, die im MRT verdächtig aussahen, sind offenbar nicht aktiv, also wahrscheinlich Artefakte der vergangenen Bestrahlungen.

    Was das bedeutet haben wir schon am Freitag Nachmittag erfahren. Ich verpasste den Anruf unserer Onkologin um halb zwei und rief sie zurück, als ich zurück von meiner kurzen Rennrad-Tour war.

    Ihr lägen inzwischen die Bilder des PET-Scans vor und demnach sei ein Rezidiv im Pons aufgetreten. Das sei die Stelle, an der schon zwei Mal bestrahlt wurde und eine weitere Bestrahlung hätten die Radiologen ausgeschlossen.

    Wir sollten noch einmal kommende Woche zur Avastin-Therapie kommen, aber sie denkt, dass auch nach Rücksprache mit dem Tumorboard, keine weitere Therapiemöglichkeiten bestünden.

    Schaut euch die unscharfen, farbigen Bilder gut an. Sie sind sechzehnhundert Euro wert. Die Kasse zahlt den FET-PET-Scan nämlich nicht.

    Titien geht es nicht gut. Sie ist weitestgehend auf meine Hilfe angewiesen. Sie braucht Hilfe beim Anziehen. Zum Duschen braucht sie einen Duschlift. Spazieren gehen wir nur noch mit Rollstuhl, in der Wohnung braucht sie den Rollator und kann damit auch nur mit Mühe gehen.

    Am schlimmsten ist, dass die Kommunikation mit ihr nur noch eingeschränkt möglich Kommunikation ist. Der Tumor beeinträchtigt ihre Aussprache. Je nach Tageszeit und -form ist sie schwer bist fast gar nicht zu verstehen. Das erfordert von mir Geduld und ist für sie frustrierend.

    Hier eine Liste mit schönen Momenten, ohne bestimme Reihenfolge:

    Ich habe inzwischen das Kochen übernommen. Sie sitzt dazu auf ihrem Rollator bei mir in der Küche und überwacht, dass ich für die asiatischen Rezepte auch die richtigen Zutaten in der richtigen Menge nehme.

    Wir haben 5 kg Sonneblumenkerne, 2,5 kg Erdnussbruch und 3 l getrocknete Mehlwürmer gekauft. Jeden Tag kommen Kohlmeisen, Blaumeisen, Spatzen und Amseln zu uns auf den Balkon.

    Ich kann dankenswerterweise auch weiter von zu Hause aus arbeiten und muss nicht ins Büro oder verreisen. Meine Seminare gebe ich online – und das funktioniert sehr gut. Ich habe mir einen Greenscreen gekauft. So kann ich einen Hintergrund meiner Wahl einstellen, während ich meine Seminare gebe, während Titien hinter mir auf dem Sofa liegen kann.

    Titien hat die Krankenschwestern der onkologischen Ambulanz ins Herz geschlossen. Nachdem sie letztes Jahr jeder schon ein Plüschtier geschenkt hat, folgte letzte Woche je ein T-Shirt mit dem jeweiligen Lieblingstier. Sie waren außer sich vor Freude. Meet Schwester Eule, Schwester Lama, Schwester Hund und Schwester Faultier. Nicht auf dem Bild: Schwester Panda und Schwester Papagei.

    Titien hat sehr viele Leser und bekommt sehr schöne Kommentare auf die Artikel in ihrem Blog und auf ihren Posts auf Facebook. Dort zu schreiben und mit den Leserinnen und Lesern aus aller Welt zu interagieren bedeutet ihr unheimlich viel.

    Wir sind immer sehr früh wach und haben jeden Morgen Zeit, ausgiebig zusammen zu frühstücken. Jeden Tag trinken wir Kaffee zusammen nach dem Mittagessen – oft mit Kuchen oder süßen Teilchen vom Bäcker.

    Titien hat sich ein Worteratespiel auf ihr Handy geladen. Jeden Abend bevor wir einschlafen spielen wir zusammen ein paar Runden und versuchen aus zusammenhangslosen Buchstaben die gewünschten Wörter zu bilden.Titien ist sehr viel begabter darin als ich, in etwas sinnlosem Sinn zu finden.

  • Es geht abwärts mit Titien

    Es geht abwärts mit Titien

    Titien geht es zunehmend schlechter. Ihr Zustand ändert sich fast täglich. Erste Schwierigkeiten beim Gehen und Sprechen konnten mit Dexamethason erfolgreich bekämpft werden. Jetzt hilft auch eine Erhöhung der Kortisonmenge nicht mehr, um die Symptome wirksam einzudämmen. 

    Heute Morgen waren wir noch mal in der Klinik zu unserem ambulanten Avastin-Termin. Wir haben gehofft, mit unserer Ärztin zu sprechen und das weitere therapeutische Vorgehen zu besprechen. Wir hoffen, dass noch mal eine Runde Strahlentherapie in Frage kommt. Wir hoffen, dass wir schnellstmöglich ein Termin für einen FET-PET Scan bekommen. Damit können metabolisch aktive Zellen von nekrotischen Zellen in ihrem Hirn unterschieden werden und die Strahlentherapie kann so besser geplant werden. Wir wissen noch nicht, wie und wann es weiter geht.

    Letzten Samstag waren wir noch mit dem Rollator beim Bäcker. 300 m mit Pausen dazwischen – aber machbar. Inzwischen gehen auch kurze Strecken nur noch im Rollstuhl. Vor ein paar Tagen ist Titien in der Küche gestürzt beim Versuch, den Trittmülleimer zu bedienen. Seither ist sie auch in der Wohnung nur noch mit Rollator unterwegs. Vorhin habe ich den Duschlift wieder installiert, so kann Titien beim Duschen sitzen. 

    Der Tumor in Titiens Stammhirn beeinträchtig stark ihre Aussprache. Ich muss oft nachfragen, was sie gerade gesagt und gemeint hat. Es macht uns beiden Angst zu sehen, wie unsere Kommunikation durch ihre Krankheit beeinträchtigt wird. Noch geht es und noch kann sie schreiben und tippen.

    Gerade zum Beispiel sitzt sie hinter mir auf dem Sofa mit Stift und Papier und schreibt ihren Eltern, ihrer Tante und ihrem Bruder. Abschiedsbriefe.

  • Wie viele Menschen sind tatsächlich mit Corona infiziert?

    Wie viele Menschen sind tatsächlich mit Corona infiziert?

    Titien nimmt seit drei Wochen wieder Kortison, um die Symptome ihres Hirntumors in Schach zu halten. Kortison schwächt das Immunsystem, Titien ist also Teil der Risikogruppe; wir isolieren uns zu Hause so gut es geht während der Coronavirus-Pandemie.

    Doch nicht nur deshalb legen wir Wert auf Social Distancing. Wir wissen auch, dass die gemeldeten Fallzahlen die Zahl der tatsächlich infizierten Menschen weit unterschätzt. Das liegt vor allem an zwei Gründen: Es wird bei weitem nicht flächendeckend getestet, auch nicht bei Menschen die klare Symptome zeigen. Und es gibt viele Fälle, bei denen die Infektion zum Glück sehr mild verläuft. 

    Hier der Versuch einer Näherung, wie viele Menschen tatsächlich mit dem SARS-CoV-2 Virus infiziert sind oder waren. Ich gehe bei der Schätzung von der “Infection Fatality Ratio” (IFR) aus, also dem Anteil der Infizierten, die sterben.

    Die IFR beträgt etwa 1%, eine Person von 100 infizierten Personen stirbt an COVID-19. Die Zahl basiert auf einer noch nicht peer-reviewten Studie, die anhand von über 3000 PCR-Tests der 3700 Passagiere des Kreuzfahrtschiffs Diamond Princess die Infection Fatality Rate mit 1,2% (0,38-2,7%) bestimmt hat.

    In Deutschland sind aktuell 560 COVID-19 Todesfälle dokumentiert. Vom Zeitpunkt der Infektion bis zum Tod vergehen geschätzt zwei Wochen. Das heißt bei heute 560 Toten war die Gesamtzahl der Infizierten vor zwei Wochen in Deutschland bei:

    560/0,01=56.000

    Die Zahl der Toten verdoppelt sich etwa alle zwei bis drei Tage, also auch die Zahl der Infizierten. Konservativ geschätzt sind also in den letzten zwei Wochen vielleicht fünf Verdopplungen passiert. Also:

    56.000 x 2^5 = 1.792.000

    Menschen, die in Deutschland infiziert waren oder sind. Gut 2% der Bevölkerung. Laut Worldometer sind aktuell 63.929 Fälle gemeldet, 28 Fach weniger als meine Schätzung es vorschlägt.

    Italien ist trauriger Spitzenreiter mit aktuell 10.799 Corona-Toten. Laut meinem Modell müssten also 34,5 Millionen Menschen in Italien mit dem Virus infiziert sein. Das wären 57% der Gesamtbevölkerung.

    Die Zahl der Corona-Toten wird tragischerweise auch in Deutschland noch ansteigen. Nach meinem Modell müssten wir Mitte April 18.000 Todesfälle in Deutschland haben.