Ich schreibe nicht nur hin und wieder Artikel bei ScienceBlogs, sondern publiziere auch meine Forschungsergebnisse in Wissenschaftsmagazinen. Hier die Vorstellung meines jüngsten, recht ausführlichen Papers: Quantification of mRNA and protein and integration with protein turnover in a bacterium.
Die Art wie molekularbiologische Forschung betrieben wird unterliegt einem ständigen Wandel. Vor allem die Entwicklung neuer Analysemethoden zur Identifizierung und Quantifizierung von RNA und von Proteinen im großen Maßstab, deren kluge Anwendung auf biologische Fragestellungen und die bioinformatische Datenanalyse prägte in den letzten Jahren eine recht junge, sich dynamisch entwickelnde Wissenschaftsdisziplin – die Systembiologie.
Es ist schwierig eine allgemeingültige Definition der Systembiologie aufzustellen. Der Hinweis, dass diese sich mit der Analyse komplexer biologischer Systeme beschäftigt (und nicht etwa mit der systematischen Katalogisierung von Tieren und Pflanzen) soll hier reichen, da dieser kurze Exkurs letztlich nur einem Zweck dient: Der Einleitung zur Vorstellung meiner neuesten Publikation.
Das komplexe biologische System der Studie ist ein kompletter Organismus: Das Bakterium Mycoplasma pneumoniae mit minimalistischen 690 Genen. Es geht um grundsätzliche biologische Fragen: Welche Proteine sind wie oft in dem Bakterium vorhanden? Wie ist das sogenannte Proteom (also das gesamte Protein-Inventar) organisiert und wie ändert sich dessen Zusammensetzung unter unterschiedlichen Wachstums- und Stressbedingungen? Wie korrelieren die zellulären Proteinabundanzen mit der Menge der korrespondierenden mRNAs? Wie schnell werden unterschiedliche Proteine abgebaut? Wie können die gesammelten Daten genutzt werden, um die Regulation der Genexpression global in Bakterien zu verstehen?
Ganz grundsätzlich geht es darum, ein bislang relativ verschwommenes Bild von der genauen Zusammensetzung des inneren eines Modelorganismus sehr viel feiner zu zeichnen. Es ist das bislang detaillierteste Paper seiner Art.
Um eine (unvollständige) Analogie zu bemühen: Wenn Mycoplasma pneumoniae eine Kiste voller Legosteine wäre, wusste man bislang welche Legosteine in der Kiste sein könnten (die DNA Sequenz ist bekannt). Jetzt weiß man wie viele der jeweiligen Bausteine in der Kiste tatsächlich sind und kann daraus ableiten, wie die Steine zusammengesetzt gehören, um etwas größeres, ganzes zu formen. Außerdem weiß man jetzt, wie effizient neue Legosteine hergestellt werden und wie schnell diese kaputt gehen.
Die im Tetris-Stil gehaltene und hier eingebundene Abbildung (Abbildung 4a im Paper) zeigt zum Beispiel dass das Proteom von Mycoplasma pneumoniae zu einem großen Teil in Form von Proteinkomplexen organisiert ist. Die bekanntesten Proteinkomplexe sind durch die farbigen Klötze dargestellt. Fast sieben Prozent der Gesamtproteinmasse sind ribosomale Proteine. Die Menge variiert je nach dem, ob sich das Bakterium aktiv teilt oder das Wachsen bereits eingestellt hat.
Zehn Prozent der zellulären Proteinmasse ist in Form zweier Proteinkomplexe organisiert, die an der Glycolyse beteiligt sind. Fast fünf Prozent entfallen zusätzlich auf die Pyruvat-Dehydrogenase, die aus Pyruvat Acetyl-CoA herstellt. Insgesamt sind rund 20% der Proteinmasse an der Energiegewinnung der Zelle beteiligt. Diese Zahl ist erstaunlich hoch, ist aber durch die niedrige Effizienz der Energiegewinnung des Bakteriums erklärbar (M. pneumoniae hat keinen Zitronensäurezyklus und keine Atmungskette, generiert also ATP nur durch einfache Gärung mit Milchsäure und Essigsäure als Produkte, die in das umgebende Wachstumsmedium abgegeben werden).
Der rote und der orangene Klotz links unten stehen für zwei zelluläre Chaperone, die bei der Faltung neuer Proteine und bei deren Proteinreparatur eine Rolle spielen. Fast neun Prozent der Proteinmasse wird also dafür verwendet, dass die anderen 91 Prozent richtig funktionieren.
In der Zusammenfassung des Papers schmilzt dieser Teil auf den Satz “Protein abundances are regulated in functional units, such as complexes or pathways, and reflect cellular lifestyles” zusammen. Es ist also ein recht aufwändiges Manuskript geworden, das vor zwei Wochen in Molecular Systems Biology veröffentlicht wurde.
Das Paper ist open access publiziert, es kann also kostenlos gelesen und heruntergeladen werden. Derzeit ist es das am zweithäufigsten aufgerufene Paper bei Molecular Systems Biology, vielleicht kommen ja durch diesen Artikel noch ein paar Klicks dazu, und wir schaffen es auf Platz 1! Hier ist der Link zum Volltext und hier direkt zum pdf.
Maier, T., Schmidt, A., Güell, M., Kühner, S., Gavin, A., Aebersold, R., & Serrano, L. (2011). Quantification of mRNA and protein and integration with protein turnover in a bacterium Molecular Systems Biology, 7 DOI: 10.1038/msb.2011.38
fatmike182: Molecular Systems Biology ist auch Nature publishing group. Wir haben länger mit Nature selbst gekämpft, beim MSB passt es aber super rein. Die ganze Ausgabe des Journals enthält Artikel mit ähnlichen Schwerpunkten.
Christian A: Wir haben unsere exerimentellen Proteinturnover-Daten mit exponentiellem Decay gefitted und das half-life einzelner Proteine bestimmt. Durchschnitt: rund 29 Stunden.
rka001 Viele Gene sind natürlich weit konserviert, Mycoplasma pneumoniae hat aber auch spezifische Gene, deren Produkte beispielsweise bei der Anheftung an Wirtszellen beteiligt sind.
Herzlichen Glückwunsch zur Publikation! Meinen Klick zur Nummer Eins hast du übrigens jetzt, habs mir runtergeladen und kurz mal angeschaut, auch wenn ich davon fast nix verstehe 😉
Kurz noch ne ganz doofe Frage, und zwar Box 1, “Protein half-life determination”. Der rote Beispielgraph, ist das ein exponentieller Zerfall oder eher ~ 1/t? Trifft der Beispielgraph das Decay-Verhalten von Proteinen?
Was mich bei den Minimalisten ja wirklich interessiert: Sind die 690 Gene Deines Lieblingsbakterium eigentlich komplett konserviert in anderen Phyla, oder gibt es Platz für mycoplasmen-spezifische Gene?
Gratuliere! Nature… Hut ab! Leider noch nicht zum lesen gekommen, aber den Klick beigesteuert!
Gratulation zur erfolgreichen Publikation. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Jahre Arbeit dahinter stecken.
Mein lieber Scholli, das ist aber viel. Nach dem Motto: Gib dem Affen oops dem Bakterium Zucker
Sebastian,
tja, das weiß keiner, ob das außergewöhnlich hoch ist. Es gibt bislang nur eine vergleichbare quantitative Protemics Studie in Bakterien. Es ist aber bekannt, dass Chaperone zu den abundanteren zellulären Proteinen gehören.
Meinen Klick hast du natürlich auch sicher und Respekt für die Publikation in der npg! Das ist interessante Grundlagenforschung! Was mich auf Anhieb gewundert hat, sind die 9% Proteinanteil an Chaperonen. Das ist doch für ein Bakterium außergewöhnlich hoch oder irre ich mich da?
ZielWasserVermeider, Engywuck:
Es gibt ein paar Studien (Glass et al, Hutchison et al. und Venter), die diese Frage anhand von Transposonmutationsstudien untersuchen. Dabei werden nicht zielgerichtet Gene ausgeschaltet und geschaut, welche sich ausschalten lassen, also nicht essentiell sind. Ein nicht geringen Teil des Genoms kann man so ausknocken, das heisst, obwohl die Mycoplasmen zu den kleinsten, im Labor kultivierbaren Bakterien zählen, geht es noch kleiner.
Es gibt andere Bakterien (Buchnera), die kleinere Genome haben, diese sind aber obligat auf Insekten als Wirtszellen angewiesen und können nicht in Reinkultur im Labor kultiviert werden. Die Suche nach dem Satz absolut essentieller Gene ist also noch voll im Gange.
Meine Arbeit dient weniger als Vorlage zum Masschneidern eines Organismus als vielmehr dem Verständnis, wie das Proteom quantitativ zusammengesetzt ist, und wie die bakterielle Genexpression reguliert ist (ein Ergebnis der Studie ist, dass es komplexe post-transkriptionelle Regulationsmechanismen geben muss, da die Diskrepanz der mRNA und Protein Abundanzen alleine durch unterschiedliche Proteinturnoverraten nicht zu erkären sind. Weiter dient das Paper als Datenbasis für mathematische Modelle, in silico könnte also schon, basierend auf meinen gemessenen Proteinabundanzen, ein “massgeschneiderter” Organismus modelliert werden.
Engywuck,
im Review Process File (rechte Spalte auf der Seite des Artikels) steht: “This manuscript was transferred from another NPG (Nature Publishing Group) journal to Molecular Systems Biology, and therefore reviewed outside of Molecular Systems Biology’s transparent review policy.”
Vom Einreichen des Manuskripts beim ersten Journal bis zur Publikation in MSB hat rund neun Monate gedauert. Das wäre fast ein Thema für einen weiteren Blogpost.
klick done…
Kurze (Laien)Frage…
Könnte man deine Arbeit als eine Vorarbeit für die Erzeugung beliebiger massgeschneideter Organsimen nehmen.
Gruß
Oli
Kann man abschätzen, wieviel der hier noch vorhandenen Moleküle man für ein weiter “funktionsfähiges” Bakterium entfernen könnte, also wie nahe am absoluten Minimum man sich befindet?
Mit “funktionsfähig” meine ich hier: im isolierten System unter idealen Bedingungen zur Vermehrung fähig, ohne Notwendigkeit der Abwehr von Feinden und Konkurrenten und ohne jetzt auf exotische Nahrung ausweichen zu müssen (also weiter Glucose o.ä. verstoffwechselnd). Sollte es andere Definitionen geben natürlich auch gerne nach diesen.
was mir noch auffällt: ist es normal, dass ein paper nach gut zwei Wochen schon akzeptiert ist oder seid ihr so gut? 😀
Sehr ausführliche und gute Publikation!! Weiter so!
Mal eine Noobfrage:
Wie schafft man es quantitativ die genauen Mengen von eigentlich einzelnen Molekülen zu erfassen. Hinschauen und zählen ist vermutlich nicht die Antwort 🙂
Ronny,
die Antwort ist quantitative Massenspetrometrie. Dabei wird nicht eine einzelne Zelle untersucht, sondern der Inhalt von Millionen Zellen. Wir haben diese Daten dann auf eine einzelne Zelle zurück gerechnet. Hier habe ich schon mal was zur Analysemethodik geschrieben, die zum Teil auch in diesem Paper zum Einsatz kam:
http://www.scienceblogs.de/weitergen/2008/09/summer-school-spetses-proteomics.php
http://www.scienceblogs.de/weitergen/2008/09/quantitative-proteomics.php
roel, hier ist eine hoffentlich etwas allgemeinverständlichere Zusammenfassung des Papers: http://www.nature.com/msb/journal/v7/n1/synopsis/msb201138.html
Der Prozess der Publikation wissenschaftlicher Ergebnisse läuft schematisch so ab, unterscheidet sich aber doch von Paper zu Paper:
1. Manuskript schreiben, Abbildungen herstellen, Feedback von Coautoren einholen.
2. Das Manuskript anhand der formalen Anforderungen des ausgesuchten Journals formatieren (Wortzahl, Anzahl Abbildungen, Gliederung, Stil, ….)
3. Entweder mit Editorin des Journals Kontakt aufnehmen oder Manuskript direkt über online-upload-System einreichen. Hoffen, dass das Manuskript zur Begutachtung (peer-review) geschickt wird. Diese Hürde ist hoch, bei Top Journals scheitern hier 90%.
4. Falls Manusript auf editorieller Ebene abgelehnt wurde, zurück zu Punkt 2. Falls Manuskript zum peer-review geschickt wurde: Wochenlang warten und hoffen.
5. Falls die Reviewer das Manuskript ablehnen: Zurück zu Punkt 2. Falls die Reviewer Vorschläge zur Verbesserung des Manuskripts haben: Wochen bis Monatelang daran arbeiten.
6. Das verbesserte Paper erneut einreichen, auf Nachricht warten, dass das Paper in der verbesserten Form akzeptiert wird (selten) oder erneut an die Reviewer geschickt wurde.
7. Wochenlang auf Nachricht des Journals warten. Falls das Paper trotz Verbesserungen abgelehnt wird, zurück zu Punkt 2. Falls das Paper immer noch nicht den Ansprüchen der Reviewer genügt, zurück zu Punkt 5 und Wochen- Montate an den gewünschten Verbesserungen arbeiten.
8. Wenn die Reviewer zufrieden sind und die Editorin des Journals auch, kommt die Nachricht, dass das Paper akzeptiert ist (möglicherweise unter bestimmten Bedingungen, die erneut viel Arbeit erfordern).
9. Das Paper kommt in den Produktionsprozess, wird von den Editoren und von den Autoren auf Fehler und Konsistenz überprüft.
10. Das Journal entscheidet, wann das Paper erscheinen wird.
Ich glaube, das hat irgendwann wirklich noch einen eigenen Blogeintrag verdient. Das dient dann vor allem mir, um meine traumatisierenden Erlebnisse mit dem Peer-review Prozess zu verarbeiten.
@WeiterGen Für mich als Laie, ist das Paper etwas schwierig zu verstehen. Macht aber nichts, da das Thema für mich sehr interessant ist, sind schon mal die Bruchteile die ich verstehe sehr wertvoll, am Rest arbeite ich dann weiter.
Was mich natürlich, wenn ich es schon hier (“Vom Einreichen des Manuskripts beim ersten Journal bis zur Publikation in MSB hat rund neun Monate gedauert”) lese, auch interessiert ist der ganze Entstehungsprozess eines solchen Papers bishin zur Veröffentlichung.
@WeiterGen Vielen Dank für Link und Erklärung.
Der erste Weg zurück nach D für Postdocs wie mich ist über das Emmy Noether Programm der DFG.
Bewerben können sich Postdocs mit in der Regel zwei bis vier Jahren Forschungserfahrung nach der Promotion. Ich habe viereinhalb Jahre und kann mich deshalb nicht bewerben, dieser Weg zurück nach D ist also zu.
hi weitergen,
es gibt wieder einen artikel zur situation der wissenschaftler in D:
http://www.spiegel.de/karriere/ausland/0,1518,777380,00.html
können Sie die Gründe so nachvollziehen bzw. wollen Sie zurück nach D?
Die Ausnahmen gelten für Forscherinnen mit Kindern, die Mutterschutzzeiten
anrechenen können.
Es besteht vor allem der Wunsch, das eigene Labor aufzubauen. Wichtiger als das Wo ist wie die wissenschaftliche Infrastruktur vor Ort aussieht und wie die Finanzierungsmöglichkeiten sind. Selbstverständlich ziehe ich auch Deutschland in Betracht.
@WeiterGen besteht den der Wunsch zurück nach D zu ziehen? Wenn es heißt in der Regel 2 – 4 Jahre, gibt es dann sicher auch Ausnahmen von der Regel.
@WeiterGen Ok, verstehe. Aber schon mal viel Erfolg bei der Standortsuche!!!!
bakteriologe,
das zweibändige Buch “Escherichia coli and Salmonella” editiert von Frederick Neidhardt kommt einem Kompendium über E. coli wohl am nächsten. Das gibt es meines Wissens nach allerdings nicht online und eine überarbeitete Edition wäre fällig. Vielleicht ist die nächste Version ja so, wie du dir das vorstellst.
Lieber Autor,
es gibt einen riesigen Wissensschatz um E. coli – warum aber gibt es kein Seiten wie Wormbase oder Wormbook welche für C. elegans existieren?
Also z.B. einfach ein Online-Lehrbuch, in dem die einzelnen Kapitel von Choriphäen auf dem Gebiet zum aktuellen Forschungsstand aktualisiert werden?
…ich finde das wäre ein äußerst interessantes Projekt!
hm… eigentlich unfassbar komisch 🙂 Ich werd mal die Hoffnung nicht aufgeben..
Gratulation! Es handelt sich hierbei um eine exszellente Arbeit.
Ich hoffe wir haben weiterhin die Ehre grandiose Berichte von dir zu lesen.
Hut ab!