Kategorie: Medien

  • Die wichtigsten wissenschaftlichen Ereignisse 2013 in einer Illustration

    Die wichtigsten wissenschaftlichen Ereignisse 2013 in einer Illustration

    Hier ist meine persönliche Definition des Paradoxon von Zeit: Einerseits verfliegt sie und es ist erschreckend, wie schnell ein Jahr vorbei geht. Andererseits scheinen Ereignisse, die erst vor ein paar Wochen oder Monaten stattfanden, deutlich weiter in der Vergangenheit zu liegen. Dies würde nahe legen, dass Zeit doch langsam vergeht. Oder zumindest, dass in der schnell verfliegenden Zeit viel passiert.
    Deutlich wird das Paradoxon zum Beispiel gegen Ende eines Jahres, wenn ein Rückblick zeigt, was in den vergangenen Monaten passiert ist. Der Meteoriteneinschlag von Chelyabinsk? War im Februar. Genauso wie der Rücktritt Schavans. Die Nachricht, dass das Neandertalergenom sequenziert wurde? Im März. Die Enthüllung des Abhörskandals durch Edward Snowden? Gerade mal ein halbes Jahr her.
    Besonders schön hat Mario Zucca die Highlights von 2013 illustriert, mit Schwerpunkten auf neue Technik und Unterhaltung (Hier geht es zu einer vergrößerten Version der Abbildung oben). Der Tod von Nelson Madele und Lou Reed wird ebenso dargestellt, wie die Einführung von Playstation4 und Xbox1. Die von mir geschätzten US-Serien Breaking Bad und House of Cards werden genauso wie die Familie Bluth aus Arrested Development gewürdigt.
    Die Illustration ist thematisch leider relativ einseitig. Politik fehlt fast ganz, und bis auf die Referenz zum Periodensystem im Logo von Breaking Bad und der reichlich unrealistischen Szene von den völlig losgelösten Sandra Bullock und George Clooney aus „Gravity“ ist von Wissenschaft ebenfalls kaum etwas zu sehen. Vom Meteoriten von Chelyabinsk und dem Neanderthalergenom keine Spur.
    Das bringt mich auf die Idee: Könnte man nicht analog eine Illustration nicht für die wissenschaftliche Ereignisse des Jahres anfertigen? Passiert ist ja so einiges.
    Mein zeichnerisches Talent tendiert leider gegen Null. Selbst Strichmännchen, die ich mühsam zu Papier bringe, sind nur schwer als solche zu erkennen. Zum Glück hat Lena Weitz schon Interesse geäussert, illustratorisch tätig zu werden. Vielleicht finden sich ja noch mehr grafisch begabte Leser, die Lust haben, das Werk mit zu gestalten?


    Natürlich bauchen wir auch noch mehr Motivideen für die Illustration. Wie kann zum Beispiel der Rückzug von Saatgutkonzernen aus dem Geschäft mit gentechnisch veränderten Organismen in Europa dargestellt werden? Oder die Diskussion um Open Access und Glamor-Journals?
    Welche wichtigen wissenschaftlichen Ereignisse gab es sonst noch in 2013?

  • Geklonte Bilder – Hintergründe zum manipulierten Stammzellpaper

    Geklonte Bilder – Hintergründe zum manipulierten Stammzellpaper

    Wenn Teile von Abbildungen in wissenschaftlichen Publikationen kopiert sind, dann ist das verdächtig. Wenn diese auch noch unterschiedliche Beschriftungen tragen und in unterschiedlichem Kontext gezeigt werden, dann ist das wissenschaftliches Fehlverhalten und Vorsatz kann unterstellt werden – ganz egal ob dies für die Kernaussage der Veröffentlichung relevant ist oder nicht.
    In einem in der letzten Woche in Cell publizierten Paper aus dem Labor von Shoukhrat Mitalipov fielen einer anonymen Wissenschaftlerin mehrere Unstimmigkeiten auf. Sie hat dies auf der Plattform Pubpeer dokumentiert, einer Seite auf der nach dem offiziellen Peer-Review wissenschaftliche Veröffentlichungen diskutiert und kritisiert werden können. Am auffälligsten dabei sind die Duplikationen von Bildausschnitten. Zusätzlich sind der anonymen Wissenschaftlerin noch weitere Unstimmigkeit in einer Abbildung aufgefallen, in der Genepxressionsdaten von vermeintlich unterschiedlichen biologischen Repliken verglichen werden.
    Besonderere Brisanz wird diesem Fall dadurch verliehen, dass das Paper über die Herstellung embryonaler Stammzellen aus Körperzell-DNA und Eizellehülle in den Medien starke Resonanz fand. Und vor dem Hintergrund, dass ähnliche Versuche embryonale Stammzellen herzustellen, 2006 als Fälschung entlarvt wurden. Dementsprechend hoch ist auch aktuell die mediale Berichterstattung über die Unstimmigkeiten, zum Beispiel  hier, hier oder hier.
    Ich möchte hier versuchen, auf ein paar Fragen einzugehen, die vielleicht nicht detailliert genug in den großen Online-Blättern zur Sprache kommen.

    Versehen oder Vergehen?

    Mitalipov beschwichtigt in einem Interview in Nature und erklärt, es habe sich um ein Versehen gehandelt, das möglicherweise durch einen zu hastigen Begutachtungsprozess nicht entdeckt wurde. Meiner Meinung nach wurden die Bilder in Abbildung 6D und S5 vorsätzlich vertauscht und unterschiedlich beschriftet (siehe Abbildung hier oben). Wer Bilder am Mikroskop erstellt und speichert, sorgt dafür, dass diese eindeutig benannt und geordnet abgelegt werden. Wer eine veröffentlichungsreife Abbildung anfertigt, vergewissert sich mehrfach, dass das was man da sieht, das ist, was gezeigt werden soll. Wieso der Maßstab auf dem selben Bild einmal fehlt und einmal vorhanden ist, verstehe ich ebenfalls nicht.

    Sind die Fehler relevant für die Kernaussage der Veröffentlichung?

    Bei den vertauschten und zurechtgeschnittenen mikroskopischen Aufnahmen kann ich das nicht beurteilen. Die Fehler in Abbildung S6 hingegen sind jedoch sehr nahe dran. Ein Kernaspekt der Studie betrifft die Ähnlichkeit der hergestellten Stammzellen zu natürlichen embryonalen Stammzellen. Um das zu beurteilen, werden Genexpressionsmuster verglichen. Je besser diese korrelieren, desto mehr ähneln sich die Zellen. Man sieht das gut in Abbildung 7A. Generell werden solche Experimente in technischen sowie biologischen Replikaten durchgeführt (meistens drei), um die Stärke der Korrelation der Genexpressionsmuster besser beurteilen zu können. Das sind die Autoren in Abbildung S6 schuldig geblieben (hier unten).
    Abbildung S6 aus dem Paper. Die Grafiken oben mitte und rechts sind identisch. Die Grafiken in der Mitte links und unten rechts sehen laut anonymem Gutachter bei PubPeer zu gut aus, um von biologischen Replikaten zu stammen.

    Hat der Peer-Review Prozess versagt?

    Nein. Versagt hat die Redaktion von Cell. Ich gehe eigentlich davon aus, dass die meisten Wissenschaftsmagazine – mit Sicherheit aber Cell – inzwischen Software besitzen um Fälschung in Abbildungen zu detektieren. Warum eine solche Software in diesem Fall nicht eingesetzt wurde, ist rätselhaft. Deutlich kritikwürdiger als der Reviewprozess ist also die mangelhafte redaktionelle Arbeit beim Elsevier – Flaggschiff.

    War der Peer-Reveiw Prozess zu schnell?

    Laut Angaben von Cell wurde das Paper am 30. April eingereicht, am 3. Mai überarbeitet und am selben Tag akzeptiert. Meiner Erfahrung nach spiegeln diese Daten nicht den Ablauf des tatsächlichen Begutachtungsprozesses wider. Normalerweise wird ein eingereichtes Manuskript als erstes redaktionell bewertet und entschieden, ob die Veröffentlichung überhaupt zu Gutachtern geschickt wird. Diese werden dann mit der Bitte kontaktiert, das Manuskript innerhalb von drei Wochen zurück zu schicken (nachzulesen auch hier). Danach kann eine Publikation entweder abgelehnt werden (sehr häufig) oder nach Bearbeitung der Anmerkungen der Gutachter durch die Autoren akzeptiert werden.
    Um die offiziellen Begutachtungszeiten für Manuskripte niedrig zu halten (und die Ablehnungsraten hoch), greifen Journals zu einem Kniff: Papers, die stark überarbeitet werden müssen, werden abgelehnt. Allerdings wird den Autoren ermöglicht, das verbesserte Manuskript beim gleichen Magazin erneut einzureichen. Bei etwaiger Veröffentlichung gilt dann das zweite Einreichdatum, und das kann sehr nahe beim Datum liegen, an dem das Paper zur Veröffentlichung akzeptiert wurde.
    Seltsam mutet daher die Antwort von Mitalipov auf die Frage an, warum solche Eile bei der Publikation der Daten bestand. Der Hauptautor der Studie nimmt Cell in Schutz und sagte dazu zu Nature, er wollte die Veröffentlichung beschleunigen, um die Ergebnisse bei einem Meeting im Juni zu präsentieren.
    Seit wann müssen Daten publiziert sein, um bei einem Meeting präsentiert werden zu können? Und seit wann hat ein Autor einen solch großen Einfluss auf die Publikationspolitik eines Journals?
    Autoren müssen bei der Veröffentlichung eines Papers immer etwaige Interessenkonflikte angeben. Wie werden wohl bei Cell Interessenkonflikte von Editoren behandelt?

  • Wenn Sprache durch den Magen geht

    Wenn Sprache durch den Magen geht

    Die hoch gelobte Website Medien-Doktor hat sich die Beurteilung der Qualität wissenschaftsjournalistischer Artikel in der Presse zur Aufgabe gemacht. Anhand definierter Kriterien werden die Artikel dort mit Null bis fünf Sternen ausgezeichnet. Marcus Anhäuser, leitender Redakteur bei Mediendoktor und ebenfalls Blogger hier auf ScienceBlogs, kann das alles besser und ausführlicher erklären.

    Der Mediendoktor ist auf Themen aus der Medizin fokussiert und selbst dort kann das Gutachterteam niemals alle Artikel untersuchen, bei denen es sich lohnen würde, eine Beurteilung zu erstellen. Zudem sind durch die jüngsten und begrüßenswerten Entwicklungen der Seite – hin zu einer Art deutschem Science Media Center – womöglich weitere Kapazitäten gebunden, so dass dort leider nur unregelmäßig neue Beurteilungen von Artikeln erscheinen.

    Ich habe mir vorgenommen, hier im Blog auch hin und wieder auf das einzugehen, was online über Wissenschaft publiziert wird. Im Unterschied zu einer möglichst unvoreingenommenen Beurteilung der Artikel nach festen Regeln, wie es der Mediendoktor vormacht, greife ich hier einfach subjektiv Teilaspekte heraus, und versuche zu klären was missverständlich ist und weiterführende Informationen zu liefern, wo ich diese gerade parat habe.

    Doch genug der Vorberichterstattung. Der Artikel meiner Wahl erschien vorgestern im SpiegelOnline, es ging um die Frage, ob Fleischkonsum ernährungswissenschaftlich geboten ist oder nicht. Diese Frage soll gar nicht der zentrale Gegenstand des Blogposts hier werden, sondern eher ein kleiner Randaspekt des SpOn-Artikels, der so aber in vielen populärwissenschaftlichen Artikeln falsch gemacht wird. Der Autor schreibt, Fleisch böte eine Eiweißquelle, die das Gehirnwachstum positiv beeinflusste.

    Fleisch ist keine Eiweißquelle, Fleisch enthält gar kein Eiweiß.

    Was der Autor meint, sind Proteine. Fleisch besteht zu einem guten Teil aus Proteinen. Eiweiß kommt in Eiern vor, es umgibt den Dotter und es enthält ebenfalls Proteine, zu rund 10%. Etwa 90% sind Wasser. Das Hauptprotein von Eiweiß heißt Ovalbumin, die Hauptproteine in Muskelfasern (Fleisch) heißen Aktin (Bild Mitte) und Myosin (Bild oben).

    Die Nutzung von Eiweiß als Proteinersatzwort ist weit verbreitet. Nicht nur in Artikeln auf Spiegel Online, auch auf Lebensmitteletiketten mit Nährwertinformationen ist von Kohlenyhdraten (richtig), Fetten (richtig) und Eiweiß die Rede, wo Proteine gemeint sind. Warum schrecken Journalisten davor zurück das Wort „Protein“ in die Feder zu nehmen? Selbst in Realschullehrplänen der Mittelstufe ist von Proteinen die Rede.

    Der Grund für meine Wortklauberei ist, dass der Eiweiß-Euphemismus die Zusammenhänge vernebelt. Proteine sind an allen Funktionen der Zelle beteilig, sie sind auf der DNA codiert. Proteine regulieren die Zellteilung, geben Stabilität, sind für Transportvorgänge verantwortlich, bilden Muskeln (Aktin und Myosin), Haare sind aus Proteinen (Keratine) und manche Proteine sind sogar damit beschäftigt andere Proteine in ihre Bestandteile, also in Peptide oder gleich in einzelne Aminosäuren, zu zerlegen. Diese sogenannten Proteasen sind unter anderem im menschlichen Magen und Verdauungstrakt aktiv. Womit wir wieder beim Artikel in Spiegel Online wären. Der Autor schreibt:

    Zwar kann unser Verdauungstrakt tierische Eiweiße besonders leicht verwerten, weil ihre Aminosäurenstrukturen den unsrigen ähneln. Doch durch eine Kombination von Eiern, Molkereiprodukten und pflanzlichen Lebensmitteln – wie etwa Kartoffeln und Quark oder Ei und Soja – werden wir mit Eiweißen versorgt, die in ihrer Verwertbarkeit nicht nur dem Fleisch ähnlich, sondern ihm sogar überlegen sind. Unser Stoffwechsel kann sie noch leichter verarbeiten.

    Den Proteasen ist herzlich egal, ob es sich um pflanzliche oder tierische Proteine handelt, die sie da proteolytisch spalten. Im sauren Milleu des Magens werden (fast) alle Proteine gleich denaturiert und anschließend abgebaut. Eine überlegene Verwertbarkeit pflanzlicher Proteine gibt es dabei mit Sicherheit nicht.

    Abbildungen aus der Protein data bank: Myosin oben, Aktin-Filament in der Mitte
  • Harmonie ist eine Strategie – Die Folgen der digitalen Personalisierung

    Harmonie ist eine Strategie – Die Folgen der digitalen Personalisierung

    Eli Pariser hat ein Buch über eine der größten Veränderungen des Internets geschrieben seit der Erfindung der Suchmaschinen. Er nennt es die Filter Bubble. Es geht um die digitale Personalisierung, um die auf einen persönlich zugeschnittenen Suchergebnisse in Google, die passenden Buchvorschläge in Amazon und die gefilterte Facebook-Timeline, die längst nicht mehr alle Updates aller Freunde gleich bewertet. Pariser warnt vor einer Relevanz-Monokultur, vor ewig gleichen, durch Algorithmen bestimmten Loops aus wiederkehrenden Inhalten und Meinungen, vor der gefilterten Blase, in der sich jeder Internetnutzer befindet und aus der es immer schwieriger sei auszubrechen.

    Der Mann mit dem klangvollen Namen ist kein Unbekannter im Web. Internetaktivist trifft es vielleicht am besten. Pariser war Chef von MoveOn.org und ist einer der Gründer von Avaaz, zwei online-Bürgerrechtsbewegungen mit recht klarer politischer Linie. Dieses Jahr hat er Upworthy gegründet. Upworthy möchte die Seite werden, auf der man awesome, meaningful and visual things to share findet. Upworthy füllt also die von Eli Pariser beschworene Filter Bubble mit Inhalten, die Eli Parisers Agenda entsprechen.

    Sascha Lobo, ein weiterer -wenn man so will – Internetaktivist, hat die digitale Personalisierung in seiner aktuellen Kolumne in SPIEGEL Online von einer anderen Seite beleuchtet. Es geht um das Sammeln persönlicher Daten und ob diese von Versicherungen genutzt werden können, um personalisierte Policen anzubieten. Lobo illustriert das in seinem Artikel am Beispiel einer Autoversicherung in Großbritannien, die einen neuen Tarif anbietet: Daten über das Fahrverhalten werden elektronisch gesammelt und Verstöße gegen die Verkehrsordnung mit einem Punktesystem geahndet. Bei wiederholten Verstößen erlischt der Versicherungsschutz.

    Lobo selbst denkt weiter und fragt, was wäre, wenn nicht die Autoversicherung, sondern die Krankenversicherung sehr persönliche Daten sammeln würde und danach den Versicherungstarif  anpasste. Er führt Joggen gehen als eine Tätigkeit an, die zu günstigeren Versicherungskonditionen führen kann. Der Gedanke, dass Krankenversicherungen persönliche Daten Nutzen, um Ihre Policen anzupassen war hier im Blog auch schon mal Thema: Was wäre, wenn Versicherungen spezielle Tarife anbieten würden für Kunden, die den Unternehmen ihre DNA Sequenzen überlassen?

    Es dürfte rechtlich nicht einfach sein, diesen gläsernen Kunden direkt günstigere Tarife einzuräumen. Aber die Versicherer könnten beispielsweise häufiger Kosten für bestimmte Vorsorgeuntersuchungen übernehmen, falls eine genetische Prädisposition, beispielsweise für Dickdarmkrebs oder Brustkrebs bestünde. Andere Untersuchungen wären im Ausgleich nicht durch die Policen gedeckt und schon wäre die Krankenversicherung personalisiert.

    Ah, bevor ich es vergesse: Der eigentliche Anlass dieses Artikels: Mein Blog hat jetzt auch eine eigene Facebookseite. Wer etwas für die Aufwertung der eigenen Filterblase tun will: Folgen, teilen und liken!

    Foto oben von stopsign (CC BY-NC-SA 2.0)
  • Empört sein reicht nicht aus – Gründe für Genmaisgate

    Empört sein reicht nicht aus – Gründe für Genmaisgate

    Die erste Welle der Empörung über die Studie „Long term toxicity of a Roundup herbicide and a Roundup-tolerant genetically modified maize“ von Gilles-Eric Séralinie und Kollegen ist abgeebbt. Empört waren kritische Verbraucher und Anti-GMO Aktivisten ob der vermeintlich verheimlichten kanzerogenen Wirkung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln und ob der kollektiven Verantwortungslosigkeit eines suspekten, von Monopolisten dominierten Industriezweigs, deren Profitstreben auf dem Rücken von Konsumenten, Produzenten und der Umwelt ausgetragen zu werden scheint.

    Empört waren auch viele Wissenschaftler, allerdings aus anderen Gründen: Die Séralini-Studie war schlecht designt und mangelhaft statistisch ausgewertet. Weiter werden von den Autoren Rohdaten zurück gehalten und vorab wurden nur ausgewählte Journalisten informiert, um damit die öffentliche Meinung selektiv zu beeinflussen. Thematisiert wurde die Studie und die Reaktionen schon in meinem Artikel Ende September

    Nature News hat Ende letzter Woche einen Ausschnitt aus dem Non-Disclosure-Agreement publiziert, das die ausgewählten Journalisten unterschreiben sollten:

    A refund of the cost of the study of several million euros would be considered damages if the premature disclosure questioned the release of the study.

    Das ist, um es milde zu sagen und um bei den Worten von Nature zu bleiben, höchst ungewöhnlich. Im dem Artikel wird weiter bestätigt, dass die Zahl der Ratten (10 pro Gruppe) nicht ausreichend waren. Um belastbare Aussagen bei Karzinogenizitätstests dieser Dauer zu gewinnen, würden mindestens 50 Ratten pro Gruppe empfohlen.

    Das Single Study Syndrom

    Hier retrospektiv noch ein paar weitere Gedanken und Beobachtungen zu Genmaisgate. Joachim Müller-Jung beschreibt in der FAZ ein Phänomen, dass in der New York Times „Single Study Syndrome“ getauft wurde: Einzelne Veröffentlichungen, die vermeintlich den wissenschaftlichen Status Quo eines Forschungsgebiets in Frage stellen, werden in der öffentlichen Berichterstattung über Gebühr gehypt. Ob die publizierten Daten tatsächlich die revolutionären Rückschlüsse erlauben wird zur Nebensache – zumindest wenn es der eigenen Agenda dient.

    Das Seralini Paper passt in dieses Raster, ebenso wie die Veröffentlichung von Felisa „Iron Lisa“ Wolfe-Simon letztes Jahr in Science, in der ein Bakterium präsentiert wurde, dass anstatt Phosphor, mutmaßlich Arsen in die DNA verbaut. Oder die Debatte um Squalen als Adjuvans in Grippeimpfstoffen (Golfkriegssyndrom).

    Müller-Jung schlägt vor, Publikationen, die von unabhängiger Seite noch nicht verifizierte Daten enthalten, als solche zu kennzeichnen. Eine Folge könnte ihm zu Folge sein, dass weniger sensationalistisch über Wissenschaft berichtet würde. Sein Vorschlag ist wenig praktikabel, denn alle neuen Publikationen enthalten Daten, die noch nicht von unabhängiger Seite reproduziert wurden. Oder würde die mediale Berichterstattung über Wissenschaft in Deutschland auf Papers beschränkt, deren Daten zwar unabhängig bestätigt wurden, die aber schon Jahre alt sind? Wohl kaum.

    Die Ursachen von Genmaisgate

    Es sind in erster Linie zwei Faktoren, die allgemein für das Single Study Syndrome und im besonderen für Genmaisgate verantwortlich sind. Zum einen ist es ein punktuelles Versagen des Gutachtersystems. Wäre bereits von den Reviewern angemerkt worden, dass die Séralini-Studie eklatante Mängel aufweist, wäre sie nie in dieser Form publiziert worden. Hätten die Gutachter die passenden Kontrollexperimente zu den Arsenbakterien gefordert, hätte sich schon vor der Veröffentlichung herausgestellt, dass die Autoren Artefakte gemessen haben.

    In zweiter Linie ist es schlechter Journalismus. Zugegeben, der hohe Pulsschlag des Internet verleiten zu schnellen, knackigen Statements. Gehört es nicht dennoch zum journalistischen Handwerkszeug zu recherchieren und – gerade bei vermeintlich sensationellen Nachrichten – auch kritische Expertenmeinungen einzuholen und zu bewerten? Das werden sicher alle bestätigen, nur in der Praxis sieht es offenbar manchmal anders aus, sei es aus Zeitdruck oder weil eine bestimmte Aussage der eigenen Agenda dient.

    Letztlich kommt noch ein dritter Faktor hinzu, den ich in meinem Artikel gestern bereits angesprochen habe: Die wissenschaftliche Alphabetisierung. Hier zwei Zitate aus der Kommentarspalte zu Müller-Jungs Artikel in der FAZ:

    Mit Viren wird Erbgut in pflanzliche Zellkerne verpflanzt. Die Carrier können aber auch wieder aus den Zellkernen mit Ihren DNA-Gebilden wieder austreten und Magenzelle und/oder Darmzellen von Schweinen und Kühen und Vegetariern befallen.
    Das hat der Mann nun anhand von Ratten bewiesen.

    Wer meint dass Gene durchs Kochen deaktiviert werden hat Recht. Die Genfragmente, die dabei freigesetzt werden, können aber von Körperzellen aufgenommen und reaktiviert werden.

    So lange solche Sätze auftauchen, ist noch nicht genug zum Thema gesagt, geschrieben und gezeigt worden. Oder, um es in den Worten von Kommentator nuckythompson zu meinem Artikel Ende September zu sagen:

    Es ist aber so, dass grüne Biotechnologie ihren Schrecken verliert, wenn man sich mehr als oberflächlich damit auseinandersetzt.

    Foto oben: Sprague-Dawley Ratten mit großen Tumoren. Teil einer Abbildung aus dem Séralini-Paper.
  • Und morgen interessiert es keinen mehr. Nobelpreise und die Berichterstattung darüber.

    Und morgen interessiert es keinen mehr. Nobelpreise und die Berichterstattung darüber.

    Wissenschaftskommunikation hat häufig ein Wahrnehmungsproblem, denn oft interessiert keine Sau, was da wieder publiziert wurde. Versteht ja sowieso keiner. Nur einmal im Jahr, bei der Vergabe der Nobelpreise sind sich alle einig: Da ist ja wirklich mal was Tolles erforscht worden! Muss ja, sonst gäbe es keinen Preis dafür. Wissenschaftsredaktionen mühen sich – geleitet von den knappen Pressemitteilung der schwedischen Akademie der Wissenschaften (Physik, Chemie) oder dem Nobelgremium des Karolinskainstituts (Physiologie und Medizin) – den Nutzen für die Medizin oder die Technik aus jahrzehntelanger und zum Teil jahrzehntealter Forschung heraus zu destillieren und möglichst schnell die frohe Kunde weiter zu verbreiten: Wieder sind zwei Forscher ausgezeichnet worden. Und einer war tatsächlich im Labor als der Anruf aus Stockholm kam (Gurdon am Montag).

    Bemerkenswerter als die heutige Auszeichnung der beiden US-amerikanischen Forscher Robert Lefkowitz und Brian Kobilka für die Entdeckung und Erforschung der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCR) ist, dass bis gestern kaum jemand von deren wissenschaftlichen Errungenschaften gehört hat, oder deren Bedeutung einordnen konnte. Ist aber auch egal, denn spätestens zwei Wochen nach der Vergabe der Nobelpreise ist auch schon wieder vergessen, wer da warum in Stockholm ausgezeichet wurde. Oder kann sich noch jemand hier ad hoc daran erinnern, wer letztes Jahr die Nobelpreise für Medizin, Physik und Chemie erhielt?

    Wie zwölf mal in den letzen 15 Jahren gingen auch dieses Jahr beide Preise, für Medizin/ Physiologie und für Chemie, an Forscher, die sich mit molekularbiologischen Themen auseinandersetzen. Grundbegriffe aus der Molekularbiologie sollten also bekannt sein, vor allem wenn man über die Nobelpreise schreibt. Muss der diese Woche neu auf Deutsch (aber in altbackenem Design und ohne RSS feed) gestartete New Scientist dann tatsächlich noch von „Signal-Eiweißen“ sprechen? Es sind Proteine! Spiegel Online erklärt GPCRs so: „Die beiden Forscher erhalten den Preis für die Entdeckung von Rezeptoren in der Zellwand, die wichtige Signale von außen in die Zelle leiten„. Zellwand? Die Proteine sitzen in der Zellmembran.

    Reiner Korbmann greift in seinem Blog „Wissenschaft kommuniziert“ die Frage auf, ob die Wissenschaft am Rande der Informationsgesellschaft stehen bleibe, da die Kommunikation nicht funktioniert. Er fasst das Ergebnis einer Tagung zu diesem Thema so zusammen: „Wir [die Kommunikatoren] müssen die Wissenschaftler dazu bringen, über die Wissenschaftskommunikation zu diskutieren und nachzudenken.

    Und dann?

    Ich habe eine andere Theorie: Wissenschaftskommunikation muss das Erklärbär- und Babysprechalter endlich hinter sich lassen und anfangen sich damit zu beschäftigen, was Wissenschaftler tatsächlich erforschen – um dann in Masse und Klasse darüber berichten. Wissenschaft im Dialog listet Studienangebote für Wissenschaftsjournalismus in Deutschland. Wie viele der dort Eingeschriebenen haben ein Blog? Wie viele Doktoranden sitzen in den Laboren und wissen nicht, was sie nach der Promotion wirklich machen möchten? Schon mal daran gedacht über Wissenschaft zu schreiben? Es ist wirklich einfach anzufangen. Es gibt Anleitungen für gute Blogposts. Und es gibt hier gesammelt 150 persönliche Statements wie man dazu kommt „Science Writer“ zu werden. Ein Beruf, den es so im Deutschen übrigens gar nicht gibt. Brauchen wir wirklich Crowdfunding für Wissenschaftsprojekte, oder vielleicht einfach einen Fonds, aus dem guter Wissenschaftsjournalismus bezahlt wird?

    Für eine wissenschaftliche Alphabetisierung der Gesellschaft!

    Bild via I fucking love science
  • Wann verlassen mit Genmais gefütterte Ratten das sinkende Schiff?

    Wann verlassen mit Genmais gefütterte Ratten das sinkende Schiff?

    Im Englischen gibt es einen schönen Ausdruck, für den ich kein deutsches Äquivalent kenne: Preaching to the choir. Vielleicht trifft es offene Türen einrennen am besten. Oder Eulen nach Athen tragen? Jedenfalls habe ich das Gefühl, wenn ich hier über das Séralini-Paper (hier das .pdf) von letzter Woche schreibe, sowieso schon jeder weiß worum es geht und wo die Probleme bei der Studie liegen (hier noch ein paar Expertenmeinungen): Schlechtes Studiendesign, eine seltsame oder fehlende statistische Auswertung und das Vorenthalten von Daten. Ich würde mich nicht wundern, wenn Séralini das Paper demnächst zurück ziehen müsste. Aber der Medien-Coup, das Bewerben seines Buches, ist ihm mit Sicherheit gelungen. Gentechnisch veränderte Pflanzen waren ja auch hier im Blog schon manchmal das Thema und dieser Artikel mit Gründen für Grüne Gentechnik wird gerade wieder häufiger aufgerufen, wenn ich den Statistiken on Google Analytics glauben kann.

    Insgesamt hatte ich trotzdem den Eindruck, dass die Presse dieses Mal relativ schnell den Braten gerochen hat, und daher weniger sensationslüstern über die Fütterungsstudie an Ratten berichtet hat. Die Achse des Guten hat dennoch ein paar Genmais is böse und macht Krebs-Links gesammelt. Eine Übersichtsseite mit Links zu Artikeln hat auch Marcus Anhäuser vom Mediendoktor angelegt. Ein aktueller Artikel in Slate vergleicht die Gegner genetisch veränderter Organismen mit Klimaskeptikern. Nur das die einen eher rechts und die anderen eher links im politischen Spektrum anzusiedeln seien. Eine interessante Parallele, wie ich finde.

    Wer hat noch interessante Links gefunden? Oder unkritische Artikel?

    Und – was völlig anderes – vor drei Wochen sind wir ja mit ScienceBlogs auf WordPress umgestiegen. Was nervt? Was fehlt? Was ist besser?

    Schönes Wochenende.

  • Veröffentlichungsverbot – Angst vor der Grippe aus dem Labor

    Übereinstimmenden Meldungen mehrerer Medien zur Folge haben zwei Labore aus Holland und den USA das Grippevirus vom Typ A/H5N1 so genetisch verändert, dass es zwischen Frettchen per Tröpfcheninfektion übertragen werden kann. Die Forschungsgruppen haben ihre Ergebnisse bei Science und Nature zur Publikation eingereicht. Wird mit der Veröffentlichung der Daten die Büchse der Pandora geöffnet? Werden die Gründe für die Studie und die entstehenden Möglichkeiten für Diagnostik, Prävention und Therapie in den Medien adäquat kommuniziert?
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  • Freethoughtblogs – PZ Myers und Ed Brayton ziehen um

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    Berichte über Umwälzungen in der Wissenschaftsblogosphäre und Ankündigungen neuer Blognetzwerke haben auf WeiterGen fast schon Tradition. Hier also der Hinweis auf ein weiteres Blognetzwerk: Freethoughtblogs.com. Die beiden Blogs mit den höchsten Leserzahlen bei ScienceBlogs.com, PZ Myers Pharyngula und Ed Braytons Dispatches from the Culture Wars, starten zusammen mit drei weiteren Blogs ein Netzwerk für Atheisten:
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  • Meinungsfreiheit und der Gute Ton. National Geographic kauft ScienceBlogs

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    Wer die US-amerikanische Schwesterseite der ScienceBlogs verfolgt hat es vielleicht schon gelesen. Nachdem National Geographic 2009 bereits mit einer Minderheitsbeteiligung bei ScienceBlogs eingestiegen war, wird dieser Anteil nun offenbar ausgebaut. Laut RetractionWatch bleibt die Seed-Media Group Besitzer von ScienceBlogs, National Geographic übernimmt jedoch weite Teile des operativen Geschäfts:
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