Monat: Februar 2019

  • Momente ohne Hoffnung nach dem MRT

    Momente ohne Hoffnung nach dem MRT

    Das MRT bestätigt was Titien spürt. Der Tumor in ihrem Kopf wächst wieder. Sie ist unsicherer auf den Beinen, als wir den Termin in der Klinik haben.

    Wir füllen, wie jedes Mal, den Aufklärungsbogen aus. Ihr wird ein Kontrastmittel gespritzt, sie legt sich in das Gerät, und eine halbe Stunde später sind wir auf dem Weg nach Hause. Der Termin für die Besprechung der Ergebnisse ist in der Folgewoche.

    Wir sitzen bei unserer Onkologin im Arztzimmer und berichten von den veränderten Symptomen. Neben der Unsicherheit beim Gehen hat Titien das Gefühl undeutlicher zu sprechen und zunehmend weniger Kraft im rechten Arm. Außerdem berichtet sie von Druck im Kopf und von gelegentlichen Lachanfällen.

    Titien wird untersucht und wir bekommen das Ergebnis des MRTs mitgeteilt. Man sieht einen Unterschied zum letzten MRT auf den Bildern. Sowohl in der Größe des Tumors als auch in der Intensität des aufgenommen Kontrastmittels.

    Obwohl wir das geahnt haben trifft uns das Ergebnis. Titien weint, mir bricht die Stimme und ich glaube, auch unsere Onkologin hat gerötete Augen.

    Wir besprechen weitere Therpiemöglichkeiten. Erneute Bestrahlung, Avastin, oder vielleicht an einer klinischen Studie teilnehmen? Vielleicht wissen die am NCT in Heidelberg noch weiter? Wirkliche Hoffnung haben wir in diesem Moment keine.

  • Leben in vollen Zügen (und Flugzeugen) so lange es geht

    Leben in vollen Zügen (und Flugzeugen) so lange es geht

    2018 hinterlassen wir einen CO2-Abdruck, der jeder Klimaaktivistin die Zornesröte ins Gesicht steigen lassen müsste. Titien geht es so gut, dass wir viel verreisen können. Anfangs ist unsere Onkologin skeptisch, als wir ihr von geplanten Fahrten nach Dänemark, Spanien und in die Schweiz erzählen.

    Sie gewöhnt sich aber daran, dass wir unsere Termine in der Klinik mit unseren Reisen abstimmen müssen. Wir fliegen nach Rom zum Hochzeitstag. Fliegen zwei, drei Mal nach Barcelona, fahren nach Florenz und besuchen Freunde in Köln, Berlin, München und Stuttgart.

    Wir fahren Tretboot auf dem Titisee. Wir gehen in Kunstmuseen und auf Konzerte von Tocotronic und Calexico. Ich laufe im Sommer meinen ersten Halbmarathon – den NCT-Lauf gegen Krebs.

    Beim NCT-Lauf gegen Krebs (vor dem Lauf) mit #teamschnipsflausch

    Unsere Onkologin muss trotzdem schlucken, als wir ihr von unseren Sommerreiseplänen erzählen. Von Karlsruhe nach Frankfurt. Von Frankfurt nach Hongkong, von dort nach Shenzen. Nach ein paar Tagen weiter nach Macau, zurück nach Shenzhen, und dann nach Beijing. Von dort wieder zurück nach Hause.

    Wir packen die Chemotabletten und das Kortison für Notfälle ein und begeben uns auf Titiens spuren. Sie hat ja in Shenzhen studiert und lange in Beijing gelebt. Wir verbringen Zeit mit ihrer Familie, die aus Jakarta anreist und lernen Yuna kennen, ihre zweijährige Nichte.

    Wir treffen Freunde und Bekannte und haben ein volles Besichtigungsprogramm, inklusive Chinesischer Mauer. Wer gerne die Urlaubsbilder sehen möchte, sei auf die Artikel in Titiens Blog verwiesen (Teil I, Teil II).

    Titiens Symptome sind stabil. Sie sieht Doppelbilder und spürt ständig linksseitig ein Kribbeln, als wäre ihr Arm eingeschlafen. Erst im November merkt sie Veränderungen. Sie spricht etwas undeutlicher und sie hat den Eindruck, dass ihr im rechten Arm Kraft fehlen würde.

    Wir haben Anfang Dezember einen Termin für ein MRT.

  • Die guten Seiten von Artikel 11 und 13 der EU-Urheberrechtsreform

    Die guten Seiten von Artikel 11 und 13 der EU-Urheberrechtsreform

    Ich finde es immer etwas verdächtig, wenn sich alle in meiner Twitter-Timeline einig sind. In diesem Fall ist die Einigkeit überwältigend. Es geht es um die EU-Urheberrechtsreform, insbesondere um Artikel 11 und 13. Alle sind dagegen.

    Ich gestehe, ich habe den ganzen Reformentwurf nicht gelesen. Ich verstehe, dass der Hintergedanke ist, aktuell geltendes Recht an gesellschaftliche Gegebenheiten anzupassen und Urheber besser zu schützen. Das finde ich, ist eine gute Idee. Die Medienwelt verändert sich und ich bin ja auch Urheber. Von den Texten hier zum Beispiel, und ich möchte zum Beispiel nicht, dass jemand anderes – womöglich ohne Gegenleistung – mit meinen Inhalten Geld verdient. Oder die Inhalte als die Seinen ausgibt.

    Ganz gegen Urheberrechtsschutz kann also nur jemand sein, der selbst noch nie etwas eigenes geschaffen hat und somit den Wert geistigen Eigentums nicht begreift.

    Die aktuelle Rechtslage und das Geschäftsmodell von Verlagen

    Rein rechtlich verhält es sich etwa so: Jeder Urheber und jede Urheberin hat die Rechte an den Werken, die er oder sie erschafft. Für Lebzeiten, und für 70 Jahre nach dem Tod. Zusammen mit den Urheberrechten hat ein Urheber auch die Verwertungsrechte für die Werke.

    Was ein Urheber abgeben kann, sind Nutzungsrechte. Darauf baut das Geschäftsmodell von Verlagen auf. Sie lassen sich Nutzungsrechte geben, gegen eine angemessene Vergütung. 

    Nach Erhalt der Nutzungsrechte publizieren Verlage dann und versuchen mit den Inhalten Geld zu verdienen. Das machen wissenschaftliche Fachverlage mit einem Abomodell zum Teil sehr erfolgreich. Elsevier hat zum Beispiel eine Gewinnspanne von 37%.

    Nützt Artikel 11 privaten Blogs?

    In Artikel 11 der Urheberrechtsreform wird geregelt, dass die Nutzungsrechte auch für sehr kurze Textauszüge gelten sollen. Wenn also jemand auf Facebook oder Twitter einen Link zu einem Artikel teilt und beim Link neben einem Foto in ein, zwei Sätzen steht, worum es in dem Artikel geht, ist nach der geplanten Gesetzgebung eine Vergütung fällig. Für den Verlag, wohlgemerkt, nicht für den Urheber.

    Es ist fraglich, ob von der Vergütung je etwas bei den Urhebern ankommt. Ich jedenfalls habe keine Diskussion darüber gesehen, wie mögliche Mehreinnahmen der Verlage an die Urheber weiter gegeben werden können. Ich würde die Diskussion gerne führen. Sehr viel lieber als über Uploadfilter zu debattieren. Dazu unten mehr.

    Falls Plattformen wie Facebook und Twitter keine Lizenzgebühren an die Verlage bezahlen wollen, ist es mindestens so fraglich, ob dann überhaupt noch jemand auf geteilte, nackte Links ohne Bild und ohne kurze Zusammenfassung klickt. Die Verlage schießen sich also selbst ins Knie, wenn dadurch die Reichweite sinkt.

    Nach langem Nachdenken habe ich für diesen Fall für mich mit meinem kleinen, privaten Blog tatsächlich einen Vorteil von Artikel 11 entdeckt. Ich habe nichts dagegen, dass Teaserbilder und Texte meiner Artikel auf Sozialen Medien erscheinen. Die Vergütung wären dann vielleicht ein paar Leser mehr. Das würde mir schon reichen.

    Für wissenschaftliche Fachliteratur könnte Artikel 11 bedeuten, dass die Verlage vom NIH, dem Träger der Literaturdatenbank Pubmed, Lizenzgebühren für eingebundene Abstracts der Artikel verlangen. Oder dass Pubmed nur noch die Abstracts von Open Access Artikeln anzeigt.

    Artikel 13 verschiebt die Haftung von Nutzern zu den Plattformen

    Artikel 13 wird der Uploadfilter-Artikel genannt. Es geht zusammengefasst darum: Wenn ein Nutzer urheberrechtlich geschütztes Material verbreitet, dann haftet aktuell der Nutzer. Nach Artikel 13 haften dann zuerst die Plattform, auf der die Inhalte verbreitet werden.

    Prinzipiell ist das eine gute Sache für die Nutzer. Aber Foren, Soziale Medien und andere Plattformen wollen natürlich nicht für Urheberrechtsverletzungen Ihrer Nutzer gerade stehen. Andererseits nehmen sie es aber offenbar aktuell billigend in Kauf, dass auf ihren Seiten Urheberrechtsverletzungen stattfinden. Sie haften ja nicht dafür.

    Kein Betreiber einer Seite oder Plattform möchte mögliche Urheberrechtsverletzungen seiner Nutzer manuell prüfen. Es würden also wahrscheinlich sogenannte Uploadfilter zum Einsatz kommen, die automatisch entscheiden, welche Inhalte dann verfügbar sein dürfen und welche nicht.

    Die Gegner der Urheberrechtsreform befürchten hier Zensur und merken an, wie denn die Filter wohl nutzungsrechtlich geschützte Inhalte von erlauben Inhalten unterschieden werden können. Weiter befürchten die Gegner der Reform, dass beispielsweise Memes, also Parodien, die häufig auf geschützen Fotos aufbauen, nicht als Inhalte erkannt werden, die unter die künstlerische Freiheit fallen, sondern von den Filtern aussortiert würden.

    Filter von Inhalten aktuell schon im Einsatz

    Ich bin überzeugt, dass sich da sehr schnell technische Lösungen finden und man als Nutzer von Uploadfiltern nichts davon merkt. Automatische Filter sind außerdem nichts neues. Der Mailverkehr wird gefiltert und Spam zuverlässig aussortiert. Die Kommentare hier im Blog – wie auf den allermeisten anderen Websites auch – werden von einem Plugin automatisch gefiltert. Die echten kommen durch, Spam nicht. In Echtzeit (probiert es aus! Ich freue mich immer über Kommentare).

    Ein Uploadfilter für nutzungsrechtlich geschützte Inhalte ist auf dem Sozialen Netz für Forschende, ResearchGate, schon im Einsatz. Noch ist der Filter manuell: WissenschaftlerInnen, die dort ihre publizierten Artikel hochladen wollen, müssen vorher entscheiden, ob sie den Artikel privat speichern oder allen zugänglich machen wollen – sofern sie es nutzungsrechtlich dürfen. Unter dem neuen Recht müsste ResearchGate selbst für jedes hochgeladene Paper prüfen, ob es öffentlich zugänglich sein darf. Technisch sicher machbar.

    Bild oben via pxhere cc0
  • Wer ist Titien – ein Steckbrief

    Wer ist Titien – ein Steckbrief

    Titien wird 1981 in Jakarta geboren. Sie ist Indonesierin, gehört aber der chinesischen Minderheit im Land an, die gut ein Prozent der Gesamtbevölkerung Indonesiens ausmacht.

    Während der Asienkrise 1997-1998 brechen in Indonesien die Mai-Unruhen aus, die sich gegen die Chinesische Minderheit richten. Ihr Vater verschifft Titien mit 16 Jahren zusammen mit ihrem jüngeren Bruder nach Shenzhen, China.

    Titien soll nach einem Chinesisch-Intensivkurs anfangen zu studieren, vermasselt aber den Eingangstest zur Uni. Sie besteht darauf, ihr Studium trotzdem anfangen zu dürfen. Sie verhandelt mit dem Dekan ihrer Fakultät, dass sie zur Probe studieren darf und falls sie die Prüfungen am Ende des ersten Semesters schafft, darf sie bleiben.

    Sie gehört nach dem Semester mit zu den besten des Jahrgangs und schließt nach vier Jahren ihr Studium der Internationalen Ökonomie ab. Es bleibt ihr Geheimnis, dass sie durch den Umzug mit 16 nie die Schule abgeschlossen hat.

    Titien arbeitet für ein chinesisches Handelsunternehmen für anderthalb Jahre, bevor sie entscheidet, dass sie gerne in die Hauptstadt Beijing ziehen möchte.

    Die indonesische Vertretung dort wird 2006 mit einem neuen Botschafter besetzt und Titien bewirbt sich auf eine Stelle als Übersetzerin. Sie wird ein paar Tage später zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen.

    Titien reist nach Beijing mit leichtem Handgepäck, hat ihr Bewerbungsgespräch und ihr wird auf der Stelle ein Arbeitsvertrag angeboten. Sie soll schon am nächsten Tag mit dem Botschafter auf erste Termine fahren. Titien ruft in Shenzhen an, ihr Vater schickt ihr die wichtigsten Unterlagen und Kleidung.

    Titien bereist während ihrer Zeit in der Botschaft alle chinesischen Provinzen, von der Inneren Mongolei bis Tibet, von Guangdon nach Xinjiang. Sie wird als Übersetzerin für gr0ße Anlässe eingesetzt. Sie betreut die First Ladies während internationaler Konferenzen.

    Titien zwischen Xi Jinping und Susilo Bambang Yudhoyono. Jakarta Post, 2013.

    Sie übersetzt als letzte Person im Raum bei Verhandlungen zwischen dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping und dem ehemaligen indonesischen Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono.

    Sie dient auch unter dem aktuellen Präsidenten Jokowi. Einer ihrer größten Erfolge ist ihre Beteiligung am Handelsabkommen zwischen Indonesien und China über den Import von Vogelnestern. Einer wertvollen Suppenzutat in China.

    2015 hat sie genug von Beijing und entscheidet sich nach Deutschland zu ziehen. Wegen der guten Luft, wie sie mir sagt, als wir uns ins Stuttgart kennen lernen.

  • Titiens Therapie: Die erste Verteidigungslinie bricht

    Titiens Therapie: Die erste Verteidigungslinie bricht

    Titiens Tumor kann nicht operiert werden und ihre Krankheit ist nicht heilbar. Dennoch gibt es therapeutische Möglichkeiten, ihr Leben zu verlängern.

    Direkt nachdem die Biopsie unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigt hatte, ging es in Karlsruhe mit Strahlentherapie los. Sobald Titien wieder schlucken konnte, kam die Chemotherapie mit Temozolomid hinzu.

    Auch nachdem sie die Strahlenbehandlung abgebrochen hatte und aus dem Krankenhaus entlassen wurde, geht die Behandlung mit Temozolomid weiter. Fünf Tage lang jeden morgen eine Tablette, dann drei Wochen Ruhe. Dann wieder fünf Tage lang Temodal. Morgens vor Einnahme der Temodal-Tabletten nimmt sie Granisetron, um eventuelle Übelkeit zu unterdrücken. Sie hat fast keine Nebenwirkungen der Medikamente.

    Fast jede Woche gehe ich mit ihr zum Hautarzt zum Blut abnehmen. Ich kann nicht hinsehen, wenn ihr die Kanüle in eine Armvene gestochen wird. Sie schlägt sich tapfer, auch wenn es manchmal eines zweiten Versuchs bedarf, bis die Vene gefunden ist.

    Ihr Blutbild wird immer auch an unsere Onkologin ins Klinikum gefaxt. Vor allem die Leukozyten, ihre weißen Blutkörperchen, die Zellen des Immunsystems, bewegen sich am unteren Rand des Referenzbereichs. Vier bis zehn Zellen pro Nanoliter Blut sind normal, ihre Leukozyten sind bei kurz über drei.

    Im November, vier Monate nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, wird kontrolliert, was ihr Tumor im Hirnstamm macht. Ihr wird dazu ein Kontrastmittel gespritzt und von ihrem Kopf werden MRT-Schnittbilder erstellt.

    Ein Vergleich der Intensität des aufgenommenen Kontrastmittels mit Aufnahmen vom Sommer legt leider nahe, dass der Tumor weiter wächst.

    MRT Aufnahme mit Kontrastmittel. Querschnitt von Titiens Kopf. Rot umrandet das diffuse Gliom in der Pons. Rechts daneben das Kleinhirn. Darunter beginnt das Rückenmark.

    Wir wechseln die Therapie. Titien bekommt CCNU (Lomustin) als Kapsel zum schlucken. CCNU, beziehungsweise dessen reaktive Metabolite, passieren gut die Blut-Hirn-Schranke. CCNU alkyliert die DNA und wirkt so zytostatisch, verhindert also, dass die Zellen sich weiter teilen. Die DNA der Tumorzellen wird verändert und kann nicht mehr abgelesen werden.

    Titien schluckt einmal alle vier Wochen CCNU. In den ersten zwei Monaten bekommt sie zur Mitte des Zyklus noch Procarbazin, ebenfalls ein Alkylans.

    Wir lassen weiter wöchentlich ihre Blutwerte kontrollieren und sind alle vier bis sechs Wochen bei unserer Onkologin in der Klinik. Die Leukozyten sind weiter sehr niedrig. Zwei mal müssen wir deshalb den Start der CCNU-Therapie verschieben. Sie wird dann mit Neulasta geboostet und wir fangen eine oder zwei Wochen später an.

    Anfangs erhält Titien noch drei Tabletten CCNU. Im Laufe der Therapie wir aus Sorge um ihre Leukozyten die Dosis reduziert.

    Der Tumor bleibt fast ein Jahr lang stabil, auch wenn sie nur noch eine Tablette mit 40 mg CCNU pro Zyklus Chemotherapie bekommt.

  • Psychische Folgen einer Abtreibung – die Daten

    Psychische Folgen einer Abtreibung – die Daten

    Jens Spahn hat 5 Millionen Euro Haushaltsmittel erstritten, um die psychischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen zu untersuchen. Die Debattenbeiträge reichen dabei von gut investiertes Geld (WELT) bis unnötig und politisch motiviert (FAZ). Ein SPD-Bundestagsabgeordneter erklärt laut SPON sogar es sei „ein Skandal, für solchen Unsinn Millionen auszugeben“.

    Es ist selbstverständlich sinnvoll zu untersuchen, welche psychischen Folgen Schwangerschaftsabbrüche auf Frauen haben. Nur ist Spahn nicht der erste, der auf diese Idee kommt.

    Eine Suche in Pubmed, der Datenbank für biomedizinische Fachpublikationen mit „abortion AND psychological“ findet gut 3000 Papers zum Thema. Hier die Ergebnisse von drei Studien, die innerhalb der letzten zwei Jahre publiziert wurden:

    Fünf Jahre danach – mit oder ohne Abtreibung

    Biggs et al. haben untersucht, wie es Frauen fünf Jahre nach einer ungewollten Schwangerschaft geht. Sie haben dabei Frauen verglichen, die eine Abtreibung hatten mit Frauen, denen die Abtreibung versagt blieb.

    Die Autoren zeigen, dass es Frauen, die entgegen ihres Wunsches nicht abtreiben durften anfangs psychisch schlechter ging als jenen, die abtreiben konnten. Im Lauf der Zeit glich sich der Effekt wieder aus. Biggs et al. schreiben: „These findings do not support policies that restrict women’s access to abortion on the basis that abortion harms women’s mental health.

    Gründe für psychologischen Stress nach Abtreibung

    Di Febo et al. untersuchen welche Faktoren dazu beitragen, dass Frauen psychisch Stress empfinden nach einer Abtreibung, sei sie medizinisch begründet oder weil die Frauen einfach keine Schwangerschaft wollten.

    Die Autoren dieser Studie zeigen, dass es den Frauen, die abtrieben, nach dem Abbruch signifikant besser ging. Unzureichende Unterstützung durch Partner und Beziehungsprobleme im Zusammenhang mit der Abtreibung wurden als Risikofaktoren identifiziert für einen schlechteres psychisches Wohlbefinden.

    Bewertung der Folgen von Abtreibungen in Deutschland

    Eine Gruppe aus Leipzig um Anette Kersting hat untersucht, in wie weit die international anerkannte „individual abortion stigma (ILAS) scale“ auch auf Frauen in Deutschland anwendbar ist, die aufgrund medizinischer Notwendigkeit abtrieben.

    Sie zeigen, dass die Skala, übersetzt auf Deutsch, für ihre Studie gut übertragbar ist. Ihre Ergebnisse entsprachen den Erwartungen: Frauen, die verdrängten, dass ihr Fötus eine geringe Überlebenschance hatte und Frauen, die schon relativ weit mit der Schwangerschaft waren, bewerteten sich auf der Skala höher. Bessere Unterstützung durch den Partner korrelierte mit einer niedrigeren Stigma-Einordnung.

    Was Spahn mit dem Geld machen sollte

    Fördergelder für die Forschung werden normalerweise nicht vom Gesundheitsminister persönlich erstritten. Das ist politischer Aktionismus. Und nach Spahns kühner und nicht haltbarer Erklärung, dass der Krebs in 15 Jahren besiegt sei, ist das in zwei Wochen das zweite Mal, dass der Mann mit ungeeigneten Aussagen auffällt.

    Nun ist das Geld schon bewilligt. Vielleicht hilft die kurze Einordnung der Faktenlage hier im Blog ja Jens Spahn dabei, die Fördergelder richtig einzusetzen.

    Vielleicht für die bessere Finanzierung von pro familia, die deutschlandweit in über 200 Anlaufstellen auch zu Schwangerschaftsabbrüchen berät.

    Oder Jens Spahn könnte mit dem Geld einen schönen, dicken Stift kaufen. Und damit §219a endlich streichen.

    Foto oben von Heinrich Klaffs (CC BY-NC-SA 2.0)
  • Glaube, Liebe, DIPG

    Glaube, Liebe, DIPG

    Titien geht es langsam besser. Dinge des täglichen Lebens werden zurück erobert. Ich schiebe sie mit dem Rollstuhl durch den Regen in die Stadt. Wir schaffen es, zusammen mit Rollator einkaufen zu gehen. Wir gehen zu Fuß in einen Biergarten.

    Wir machen einen Ausflug nach Heidelberg, fahren nach Straßburg und fliegen für ein paar Tage in meine alte Heimat, Barcelona. Drei Monate sind vergangen, seit sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde.

    Ich lebe, ich weiss nicht wie lang,
    Ich sterbe, ich weiss nicht wann,
    Ich fahre, ich weiss nicht wohin,
    Mich wundert, dass ich so fröhlich bin

    Aus: Glaube Liebe Hoffnung von Ödön von Horváth. Originalquelle unbekannt.

    Wie schafft man es als todkranke Person und als deren Ehemann den Alltag zu bewältigen? Das eine Extrem ist, jeden Tag zu leben als wäre es der letzte. Das andere Extrem ist, die Krankheit zu ignorieren und so weiter zu machen, als wenn nichts wäre.

    Mein dritter Weg ist pragmatisch, reflektiert. Ich nehme unsere gemeinsame Zeit sehr viel bewusster war. Alles bekommt eine Bedeutung.

    Ihr dritter Weg ist spirituell. Sie liest in der Bibel und schreibt über ihren Glauben. Sie betet vor dem einschlafen mit mir.

    Wir sagen uns oft, dass wir uns lieben. Manchmal fühlt es sich an, als hätten wir etwas gefunden, dass vielen anderen für immer vorenthalten bleibt. Ein Gefühl des gemeinsamen angekommen seins.

    Manchmal weinen wir auch einfach nur miteinander.

  • Alternativmedizin tötet Krebspatienten

    Alternativmedizin tötet Krebspatienten

    Als Angehöriger einer Krebspatientin ist eines unvermeidbar: Einem werden von vielen Seiten oft gut gemeinte „alternative“ Therapiemöglichkeiten vorgeschlagen.

    Kurkuma, Canabisöl, Hemohim, Reservatrol, Methadon, intra-arterielle Chemotherpaie, Bruno Gröning und so weiter. Da ist viel hanebüchenes Zeug dabei, man glaubt es erst, wenn man es selbst hört und liest.

    Die gut gemeinten Ratschläge lassen sich in drei Katergorien einordnen. Da sind erstens die Diät-Tips, zweitens die medikamentösen Alternativtherapien und drittens die – nennen wir sie mal – „spirituellen“ Vorschläge zur Heilung.

    Vielleicht schreibe ich zu einigen der vorgeschlagenen Alternativen irgendwann noch mal mehr. Ich antworte jedenfalls auf die Vorschläge die uns erreichen damit, dass wir uns entschieden haben, den Weg zu gehen, der erwiesernmaßen lebensverlängernd wirkt: Den der Medizin.

    Es ist gar nicht so leicht zu beantworten, um wie viel Jahre die Medizin eigentlich das Leben Krebskranker verlängert. Zum einen müssen unterschiedliche Krebsarten unterschieden werden, zum andern spielen neben dem medizinischen Fortschritt noch Faktoren wie eine bessere Krebsvorsorge und Früherkennung eine Rolle.

    Was man jedoch sicher sagen kann ist: Alternativemedizin tötet. Auch zusätzlich zur konventionellen Krebstherapie, also der ganzen oder teilweisen operativen Entfernung vom Tumoren, der Strahlentherapie und der Chemotherapie, wirkt Alternativmedizin nicht. Wer mehr Beispiele braucht sei an das Blog Science Based Medicine verwiesen.

    Hier habe ich nur eine Abbildung aus einem Paper vom Januar 2018 eingebunden. Die Abbildung zeigt den Anteil der überlebenden Krebspatienten und Patientinnen über einen Zeitraum von 7 Jahren nach ihrer Diagnose. Die Patienten hatten die häufigsten Krebsarten, also Lungenkrebs, Brustkrebs, Darmkrebs und Prostatakrebs.

    Die gestrichelte Linie zeigt die Patienten, die sich auf konventionelle Therapiemethoden verlassen haben. Die durchgezogene Linie zeigt Patienten, die sich statt der konventionellen Therapie auf alternativmedizinische Methoden verlasen habe.

    Nach sechs Jahren war die Hälfte der Alternativmedizinpatienten tot. Drei Viertel der Patienten mit konventioneller Therapie war noch am Leben.

    Wahrscheinlich renne ich mit diesem Artikel bei den meisten meiner Leserinnen und Leser offene Türen ein. Ich finde einen anderen Aspekt der „alternativen“ Therapien diskussionswürdig:

    Mir fällt es als promoviertem Molekularbiologen und Proteinbiochemiker relativ einfach, den uns vorgeschlagenen alternativen Therapien argumentativ zu begegnen. Ich habe das Gefühl, ich erspare Titien dadurch seit der Diagnose und während ihrer Therapie eine Menge Unsicherheit und Zweifel.

    Wie geht es wohl Patienten, die nicht in der Lage sind, medizinische gesichertes Wissen von alternativem Humbug zu unterscheiden? Die nicht wissen, ob sie ihrer Onkologin oder dem Freundeskreis oder der Webseite, die sie selbst auf Facebook „recherchiert“ haben trauen können?

    Sich bei der Wahl der Therapie sicher zu fühlen trägt auch zur Lebensqualität Krebskranker bei.

  • Entlassen aus dem Krankenhaus und wieder zu Hause

    Entlassen aus dem Krankenhaus und wieder zu Hause

    Jeden Morgen fahre ich auf dem Weg zum Büro den Umweg übers Klinikum. Das Fahrrad schließe ich an den selben Baum wie immer an. Ich gehe durch den Seiteneingang rein, grüße die rauchenden Krebspatienten vor der Türe und die Schwestern auf dem Gang.

    Dann verbringe ich eine Stunde mit Titien. Ihr Blutdruck wird gemessen. Sie bekommt Frühstück und Medikamente. Ich fahre sie im Rollstuhl zur Strahlentherapie und bringe sie dann wieder in ihr Zimmer. Bleibe bei ihr, bis ich von ihren Eltern abgelöst werde.

    Jeden Abend nach der Arbeit fahre ich wieder zu ihr. Ich schiebe sie spazieren im Rollstuhl oder sie geht langsam neben mir her mit dem Rollator. Je nach dem, wie sie sich fühlt. An ihrem besten Tag können wir sogar eine Runde um die Klinik drehen. Bestimmt ein Kilometer.

    Dann kommen die Nebenwirkungen der Strahlenbehandlung, der Chemotherapie und des Kortisons. Sie wird wieder schwächer. Irgendwann geht es nicht mehr. Sie bricht die Strahlentherapie zwei Tage vor deren Ende ab.

    Wir werden aus der Klinik entlassen. Es ist Hochsommer und Titien friert. Sie liegt zu Hause im Bett im Jogginganzug, dick eingepackt unter zwei Bettdecken. Die Bestrahlungen haben offenbar die Region im Stammhirn beeinträchtig, die für die Temperaturkontrolle zuständig ist.

    Rollator und Rollstuhl sind schon organisiert. Wir brauchen noch einen Duschlifter. Sie ist zu schwach, um alleine aus der Wanne zu steigen und sich im stehen zu duschen. Ich unterlege die Beine unseres Sofas im Wohnzimmer mit weißen Porenbetonsteinen. Nur so kann sie alleine wieder aufstehen.

    Wir bekommen viel Besuch. Kayan aus Hong Kong. Ashley aus Singapur, Ulf und Anna aus Chile, Tita und Chris aus Norwegen, und viele Freunde aus Deutschland. Titiens Eltern fliegen nach zwei Monaten in Deutschland wieder nach Jakarta.

    Wir sind wieder zu Hause.

  • Titiens erste Therapie: Bestrahlen, Temozolomid, Dexamethason

    Titiens erste Therapie: Bestrahlen, Temozolomid, Dexamethason

    Die Stammhirnbiopsie führte zum Anschwellen des Gehirns. Dem wurde mit der Gabe von Dexamethason begegnet. Dexamethason ist ein Cortisonderivat, das oral eingenommen wird und die Blut-Hirn-Schranke gut überwindet.

    Titiens Speichelfluss musste nach der Operation unterdrückt werden, da sie nicht mehr schlucken konnte. Hierfür wurden Scopolamin-Pflaster jeweils hinter den Ohren, also über den Speicheldrüsen angebracht.

    Direkt am Tag nach der Aufnahme im Krankenhaus in Karlsruhe soll ihre Strahlentherapie beginnen. Geplant sind 30 Zyklen mit jeweils 1,8 Gray Dosis. Jeden Werktag. Zuerst findet ein Planungs-CT statt, dann wird eine Maske aus einem selbstaushärtenden Kunststoffnetz hergestellt, die ihren Kopf während der Bestrahlung in Position hält.

    Titien mit Maske vor der Bestrahlung.

    Die Strahlen zerstören die DNA in den Zellen. Idealerweise werden fast nur Tumorzellen getroffen und das gesunde Gewebe wird bis auf einen Sicherheitssaum verschont. Bei der ersten Bestrahlung muss sich Titien übergeben. Nicht aufgrund der Strahlenbelastung, sondern aus Angst.

    Nachdem Sie wieder schlucken gelernt hat, fängt parallel zu den Bestrahlungen die erste Chemotherapie an. Sie bekommt Temozolomid in Tablettenform. Fünf Tage lang, dann drei Wochen Pause. Dann wieder fünf Tage Temozolomid.

    Temozolomid hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber vielen anderen Chemotherapeutika: Es überwindet die Blut-Hirn-Schranke, gelangt also dahin wo es wirken soll. Temozolomid methyliert die DNA und führt so zu Fehlern in der Replikation sich aktiv teilender (Tumor)-zellen, die in der Folge absterben.

    Diese Kombinationstherapie aus Bestrahlungen und Temozolomid ist seit gut zehn Jahren der Standard bei Glioblastomen. Es gibt einige neuere therapeutische Ansätze zur Behandlung. Darum soll es in einem anderen Artikel gehen.

    Parallel schluckt sie weiter Dexamethason. Hochdosiert. Bis zu 20 mg pro Tag. Die Folgen sind Wassereinlagerungen in Gesicht und Körper. Sie entwickelt ein veritables Cushing-Syndrom.

    Das Gesicht wird runder dank hochdosiertem Kortison.