Kategorie: Titien

  • Was ist und was wir uns einbilden

    Was ist und was wir uns einbilden

    Titien ist in letzter Zeit häufiger müde als zuvor. Wir machen uns beide Sorgen, dass das ein Symptom für ein Fortschreiten der Krankheit ist, sprich dass der Tumor in ihrem Stammhirn weiter wächst.

    Alle drei Monate hat Titien einen Termin für ein Kontroll-MRT. Am Montag vergangene Woche war es wieder soweit.

    Montag, 18. September 2019

    Titien bekommt zuerst ein Kontrastmittel gespritzt, das sich spezifisch in metabolisch aktiven, also wachsenden Zellen anreichert. Dann muss sie in die Röhre. Danach können die Ärzte anhand der auf den Bildern erkennbaren Intensitätsunterschiede der betroffenen Gehirnregion beurteilen, ob der Tumor still hält oder weiter macht.

    Die Besprechung der Bilder findet immer eine Woche später statt. Meistens zusammen mit unserem Termin im Krankenhaus alle vierzehn Tage, an dem nach einem kurzen Arztgespräch normalerweise die Avastin-Therapie ansteht.

    Ich rufen immer einen Tag vorher an, um Bescheid zu geben, dass es Titien soweit gut geht, und wir den Avastin-Termin wahrnehmen können.

    Dienstag, 24. September 2019

    Titien sitzt mir gegenüber, als ich am morgens um halb acht anrufe, um unseren Termin am Mittwoch zu bestätigen. Ich versuche aus den Zwischentönen in der Stimme der Schwester am Telefon etwas über die jüngsten MRT-Ergebnisse zu erfahren und Titien versucht an meiner Mimik abzulesen, welche Zwischentöne ich höre und wie interpretiere.

    „Maier, guten Morgen, ich möchte nur kurz Bescheid geben, dass es Titien gut geht und wir morgen wie ausgemacht zu unserem Avastin-Termin kommen. Außerdem bräuchten wir einen ein paar Minuten mit der Ärztin, um die letzten MRT-Ergebnisse zu besprechen.“

    “Ja, das müssen wir auf jeden Fall machen” kommt die Antwort der Schwester am anderen Ende der Leitung.

    Mir rutscht das Herz in die Hose. Ich höre Zwischentöne: Sie geht nur auf die MRT-Ergebnisse ein und nicht auf das Avastin. Heißt das, der Tumor wächst und Titien bekommt kein Avastin mehr? Und klingt ihr Tonfall nicht so, als wäre das Gespräch auf jeden Fall notwendig, was auch drauf hindeuten würde, dass der Tumor weiter wächst?

    “Ok, alles bestens und bis morgen dann” sage ich mit freundlichem Tonfall.

    Titien schaut mich mit großen, strahlenden Augen an. Sie verstand mein “alles bestens” als Aussage zu Ihren MRT Ergebnissen.

    Im Bruchteil einer Sekunde ändert sich ihre Mimik von hoffnungsvoller Freude zu Enttäuschung und Angst als ich ihr erkläre, dass nur mit der Terminabsprache alles bestens sei, ich sonst aber nichts näher weiß.

    Wir bereiten uns mental auf Mittwoch vor. Wir haben beide den Eindruck, der Tumor wächst weiter und wir diskutieren abends, wie wir auf die Nachricht reagieren sollen und welche Optionen uns bleiben. Wir schlafen beide schlecht. Ich träume sogar von MRT-Bildern mit großen, hellen, metabolisch aktiven Stellen.

    Mittwoch, 25. September 2019

    Ich bin um viertel vor sieben wach. Ich dusche und wecke Titien. Es ist schwierig, sie in Richtung Badezimmer zu bugsieren.

    Um acht sind wir im Krankenhaus. Zuerst muss – wie eigentlich immer – Blut abgenommen werden. Ich frage mich wieso, wenn doch sowieso die Avastin-Therapie nicht fortgesetzt wird. Wir kommen zurück und werden gleich von unserer Ärztin ins Sprechzimmer mitgenommen.

    Wir sitzen da wie zwei Kaninchen vor der Schlange. Die Ärztin öffnet die dicke Mappe mit Titien Unterlagen und sagt: “Es ist alles ok. Stable disease. Kein Unterschied zum letzte Mal.”

    Die Ärztin schaut uns verwundert an, als wir beide anfangen zu weinen. Ich muss ihr erklären, dass das Tränen der Erleichterung sind. Titien war noch nie so fröhlich wie dieses Mal bei der Avastin-Therapie.

  • Was wir im August machen

    Was wir im August machen

    Es ist August, die Seminar- und Workshopsaison ist für ein paar Wochen vorbei und ich freue mich auf die gemeinsame Zeit mit Titien und auf Touren mit meinem neuen Rennrad.

    Wir haben entschieden, dieses Jahr im Sommer höchstens für ein paar Tage mit dem Auto weg zu fahren. Vielleicht nach Leipzig, Jena und Dessau, vielleicht nach Frankreich. Nach fast 60 Reisetagen bislang dieses Jahr tun mir ein paar Tage zu Hause sicher auch gut, vielleicht finde ich sogar wieder Zeit zu schreiben.

    Titien geht es weiter soweit gut. Ihr Zustand ist stabil und sie hat sogar eine Weisheitszahnoperation gut überstanden. Wir hatten Besuch ihrer besten Freundin aus Hongkong und sie hat angefangen in ihrem Blog neben ihren Gedanken auch ihre liebsten Kochrezepte vorzustellen.

    Am Samstag letzte Woche war ich für meine Arbeitgeber im Einsatz und habe in Heidelberg einen Vortrag über Wissenschaftskommunikation gegeben. Im Publikum saß auch Franziska W. Schwarz. Sie hat meine Ausführungen darüber, was es Wissenschaftlern bringt zu kommunizieren in Form einer Sketchnote festgehalten.

    Mein Kollege Philipp hat mich gefragt, ob diese Art der Dokumentation der Inhalte mehr als ästhetischen Aspekten genügt und sich dem Betrachter, der den Vortag nicht gesehen hat, der Sinn erschließt.

  • Das Ende der Avastin-Saga mit unserer Krankenkasse

    Das Ende der Avastin-Saga mit unserer Krankenkasse

    Mein Telefon vibriert in meiner Hosentasche während ich gerade vor einer Gruppe Postdocs stehe und mit ihnen die Grundlagen der Wissenschaftskommunikation erarbeite. Ich drücke den Anruf verstohlen weg und sehe später in der Pause anhand der Nummer, dass es jemand von unserer Krankenversicherung gewesen sein muss. Ich bringe den Workshop zu Ende und rufe zurück.

    Nach kurzer Wartezeit spreche ich mit einer Sachbearbeiterin. Ich nenne ihr Titiens Versichertennummer und erwähne den Anruf vom Morgen. Die Sachbearbeiterin bedankt sich für den Rückruf und  sagt, sie habe leider negative Nachrichten.

    Erneute Ablehnung der Übernahme der Avastin-Kosten

    Auch nach erneuter Prüfung unseres Einspruchs gegen die Ablehnung der Kostenübernahme der Avastin-Behandlung von Titien, sei der medizinische Dienst zu dem Ergebnis gekommen, dass die Bedingungen für eine Übernahme der Kosten nicht gegeben seien. Die Krankenkasse würde sich dieser Beurteilung anschließen und unsere Bitte um Übernahme der Kosten daher endgültig ablehnen.

    Avastin ist Titiens letzte Chance. Sie hat alle zugelassen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft und auf anraten unserer Ärzte mit der Behandlung schon im März angefangen. Alle zwei Wochen sind wir seither für ein paar Stunden ambulant in der Tagesklinik. Alle zwei Wochen kostet die Behandlung 2.200 Euro. 

    Avastin ist ein Antikörper, der das einsprossen neuer Blutgefäße in den Tumor verhindert, und so das Fortschreiten der Krankheit verlangsamt. Es gibt neuere klinische Studien, die zeigen, dass Avastin auch bei Glioblastomen lebensverlängernd wirkt. Aktuelle MRT-Aufnahemen von Titiens Kopf haben außerdem gezeigt, dass die Behandlung bei ihr tatsächlich anzuschlagen scheint.

    Ich kann meine Enttäuschung über die Entscheidung unserer Krankenkasse im Gespräch mit der Sachbearbeiterin nicht verstecken. Ich mache sie darauf aufmerksam, dass die Behandlung bei Titien ja tatsächlich zu wirken scheint, erkläre erneut, dass der medizinische Dienst aktuelle Studienergebnisse nicht berücksichtig hat und frage am Telefon, wie es mit den ethischen Grundsätzen der Krankenkasse vereinbar sei, einer achtunddreißigjährigen Krebspatientin im Endstadium die Erstattung einer belegbar wirksamen Therapie zu versagen.

    Die Sachbearbeiterin notiert meine Anmerkungen  und bedankt sich erneut für meinen Rückruf. Ich bitte sie, mir die endgültige Ablehnung  auf dem Postweg zu schicken, so dass wir unsere Klage vor dem Sozialgericht vorbereiten können. Als ob es in unserer aktuellen Situation nichts wichtigeres gäbe.

    Eine unerwartete Wendung

    Ein paar Tage später, an einem Freitag Abend, finde ich einen Brief der Krankenkasse im Briefkasten. Er ist deutlich dünner als ich erwartet habe und enthält nur eine Seite. In dem Schreiben steht:

    Betreff: Genehmigung für ein Arzneimittel außerhalb der zugelassenen Indikation

    Guten Tag Frau Maier,

    Vielen Dank für das Gespräch mit Ihrem Ehemann.

    Unter Berücksichtigung der sozialmedizinischen Aspekte – bewilligen wir in diesem Einzelfall den Antrag auf die Anwendung von Avastin bei Ihnen. 

    Ich muss den Brief dreimal lesen, um zu verstehen, was das bedeutet. Die Kasse übernimmt rückwirkend zum Zeitpunkt als wir den Antrag gestellt haben und auch in Zukunft die Kosten, die uns durch die Avastin-Behandlung entstehen. Es ist Wochenende und wir haben einen Grund zu feiern.

    Bild oben: Landschaft mit dem jungen Tobias. Jan Brueghel d.Ä. Aufgenommen in der Albertina in Wien.
  • Im Hier und Jetzt angekommen

    Im Hier und Jetzt angekommen

    Heute ist der 05. April 2019. Ich bin mit den Artikeln zu Titiens Hirntumor und wie wir damit umgehen inzwischen im Hier und Jetzt angekommen. Ich habe in den letzen drei Monaten die vergangenen gut zwei Jahre im Zeitraffer zusammengefasst und in 20 Artikel gepackt.

    Ich werde hier weiter über Titien, mich, ihre Krankheit und darüber wie wir damit umgehen schreiben. Zu den bisherigen Artikeln gab es ja ab und zu Rückmeldungen von Lesern in Form von Kommentaren. Ich freue mich immer sehr darüber. Von Freunden kommt die Rückmeldung, dass sie das Blog nutzen, um auf dem aktuellen Stand zu bleiben und deshalb nicht ständig anrufen zu müssen und zu fragen, wie es uns geht. Schön, wenn es auch diesen Zweck erfüllt.

    Heute morgen geht es Titien übrigens gut! Wir haben wie immer zusammen gefrühstückt. Es gab Müsli und schwarzen Tee. Nachher ist das erste Symposium für kommunizierende Wissenschaftler bei uns am NaWik. Ich bin außerplanmäßig doch gleich morgens mit meinem Vortrag dran.

    Heute ist außerdem unser Hochzeitstag. Wir haben das Wochenende um uns zu feiern! Das Video hier drunter ist zwei Jahre alt. Titien übt ihren neuen Nachnamen. Mit Karlsruher Baustellenhintergrund.

    Titien hat in ihrem Blog noch mehr zu den vergangenen zwei Jahren geschrieben. Ich glaube, sie publiziert nachher gleich noch einen Artikel über uns.


  • Besprechung der neuen MRT-Ergebnisse

    Besprechung der neuen MRT-Ergebnisse

    Unsere Onkologin fragte Titien in der Besprechung der jüngsten MRT-Ergebnisse, wie es ihr ginge. Das Gangbild? Weiter unsicher aber stabil. Die Sprache? Etwas nuschelnd aber unverändert. Die Schwäche im linken Arm? Gleichbleibend. Sonstige Symptome? Alles wie bisher.

    Erst danach teilt sie uns die Ergebnisse mit. Der Tumor ist stabil. Sie dreht ihren Monitor so, dass wir auch einen Blick auf die MRT-Aufnahmen werfen können. Links die neuen Bilder, rechts das vom letzten MRT vor drei Monaten. Man sieht auf der aktuellen Aufnahme eine deutlich verringerte Aufnahme des Kontrastmittels in der Region im Stammhirn, in der der Tumor sitzt.

    Zwischen den zwei Aufnahmen liegt Titiens zweite Strahlentherapie und drei Runden mit Avastin. Liegt die geringere Aufnahme des Kontrastmittels daran, dass die Strahlen Tumorgewebe zerstört haben? Oder daran, dass durch das Avastin keine neuen Blutgefäße mehr in ihr Glioblastom einsprießen? Dadurch hätten die Tumorzellen weniger Sauerstoff zur Verfügung und würden sich langsamer teilen. Oder ist es ein Avastin-Artefakt: Durch weniger Blutgefäße käme auch das Kontrastmittel nicht mehr in der gleichen Zeit und Menge beim Tumor an.

    Vielleicht ist es eine Kombination aus allen drei Aspekten. Wir sind vorgestern jedenfalls mit sehr guter Laune nach dem Termin wieder nach Hause gefahren.

    Es gibt übrigens noch keine Neuigkeiten von der Krankenkasse. Unser Antrag auf Kostenübernahme der Avastin-Behandlung wurde ja abgelehnt und wir haben Widerspruch dagegen eingelegt.

    Bei einer offensichtlich wirksamen Krebsbehandlung ziert sich die Krankenkasse, homöopathische Mittel und anthroposophische „Medikamente“ werden aber erstattet.

  • Sich nicht von der Waage tyrannisieren lassen

    Sich nicht von der Waage tyrannisieren lassen

    Unsere alte Badezimmerwaage hatte den Geist aufgegeben. Mal ging sie an, mal verweigerte sie ihren Dienst und die digitale Anzeige blieb dunkel. Auch die Messergebnisse waren nicht immer reproduzierbar.

    Wir haben unsere gesammelten Flugmeilen genutzt und eine neue gekauft. Ein hochkompliziertes Gerät, dass sich nach anfänglichen Mühen tatsächlich mit dem Handy verbindet und das Gewicht auf die erste Nachkommastelle genau aufzeichnet.

    Titien muss seit Ende letzten Jahres jeden Tag Kortison nehmen, um die Symptome von DIPG, ihrem Mittelliniengliom, einigermaßen in Schach zu halten. Eine unerwünschte Nebenwirkung der regelmäßigen Einnahme von Kortison ist die Gewichtszunahme.

    Titien wog kurz vor Weihnachen noch 51 kg. Das ist inzwischen stetig auf gut 57 kg geklettert. Das morgendliche Wiegen führt oft zu großer Unzufriedenheit bei ihr, zu Diskussionen am Frühstückstisch über unnötige Anpassungen der Diät, und häufig auch zu Tränen. Sie will sich das nicht mehr länger antun.

    Muss sie auch nicht. Titien hat mich gebeten, das Ding fort zu schaffen. Heute habe ich die neue Waage genommen und im Keller eingelagert.

  • Avastin abgelehnt – wir legen Widerspruch ein

    Avastin abgelehnt – wir legen Widerspruch ein

    Wir sind am Ende der offiziell zugelassenen Therapiemöglichkeiten für Titiens Glioblastom angekommen. Es sind trotzdem noch Pfeile im Köcher. Medikamente für den sogenannten Off-Label-Use. Diese Medikamente haben in klinischen Studien zwar eine gewisse Wirksamkeit gezeigt, sie werden von den Krankenkassen aber nicht ohne Weiteres erstattet.

    Unser nächster Pfeil heißt Avastin, oder auch Bevacizumab. Avastin ist ein Antikörper, der spezifisch den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor VEGF hemmt, und so verhindert, dass neue Blutgefäße wachsen. Wachsende Tumore brauchen Sauerstoff, und der wird über neue Blutgefäße angeliefert. Wenn keine neuen Blutgefäße mehr gebildet werden, kommt beim Tumor zu wenig Sauerstoff an, was zumindest das Wachstum der Tumorzellen verlangsamen sollte.

    Avastin wird bei verschiedenen Tumorarten therapeutisch eingesetzt. Es gibt auch belastbare Daten, dass nachdem die zugelassenen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft sind, Avastin bei Glioblastomen lebensverlängernd wirkt und mehrere Monate der Tumor nicht weiter wächst. Zum Beispiel hier und hier.

    Nachdem Titiens zweite Strahlentherapie abgeschlossen ist, wollen wir möglichst zügig mit der Avastin-Therapie anfangen, idealerweise bevor der bestrahlte Tumor in Titiens Stammhirn weiter wächst.

    Gefangen zwischen Krankenversicherung und Medizinischem Dienst

    Unsere Onkologin schreibt einen Antrag für den Off-Label-Use von Avastin an unserer Krankenkasse. Die Krankenkasse leitet die Anfrage an den Medizinischen Dienst in Karlsruhe weiter.

    Der Medizinische Dienst lässt sich eine Woche Zeit, um festzustellen, dass der Antrag der Krankenkasse unvollständig war und meldet dies der Krankenkasse. Die Krankenkasse reicht den vollständigen Antrag nach.

    Der medizinische Dienst prüft, erstellt ein Gutachten und schickt die Entscheidung an die Krankenkasse. Die Krankenkasse schreibt uns einen Brief mit dem Gutachten.

    Die Krankenkasse teilt uns in dem Brief mit, dass sie basierend auf dem Gutachten des medizinischen Dienstes, die Erstattung der Therapie mit Avastin ablehnen. Der medizinische Dienst argumentiert in seinem Gutachten mit Daten von 2009.

    Wir und unsere Onkologin legen Widerspruch gegen die Entscheidung ein, und hoffen, dass sich die Krankenkasse eines besseren besinnt. Rechtlich gebunden ist sie nicht an das Gutachten des Medizinischen Dienstes.

    Die Krankenkasse schreibt uns, dass sie nicht alleine entscheiden kann, und unsere Unterlagen an den Medizinischen Dienst weiter leitet. Es kommt uns vor, als ginge es um das Schinden von Zeit. Nicht dass meine todkranke Frau viel davon übrig hätte.

    Wir wollen nicht auf das Ergebnis der Entscheidung warten. Die administrativen Mühlen mahlen langsamer als der Tumor wächst. Titien hat mit der Avastin-Therapie angefangen. Alle zwei Wochen für ein paar Stunden ambulant in der Tagesklinik per Infusion. Wir warten auf die Rechnungen, die wir einstweilen privat übernehmen müssen.

  • Das Glioblastom kommt zurück – zweites Rezidiv, zweite Strahlentherapie

    Das Glioblastom kommt zurück – zweites Rezidiv, zweite Strahlentherapie

    Nachdem klar ist, dass Titiens Tumor weiter wächst, überlegen wir mit unserer Onkologin, was ihr am meisten lebenswerte Zeit verschaffen würde. Wir einigen uns darauf, es erneut mit einer Strahlentherapie zu versuchen. Wir haben beide Respekt vor den möglichen Nebenwirkungen.

    Beim ersten Mal musste Titien vorzeitig abbrechen, war danach an den Rollstuhl gebunden und ihr Temperaturempfinden war so stark gestört, dass sie im Hochsommer mit Wollsocken, im Jogginganzug unter der Daunendecke im Bett immer noch gefroren hatte.

    Die Radiologie liegt neben der neuroonkologischen Station, auf der Titien nach ihrer Biopsie lag. Wir kennen die Wege und wir kennen die meisten Schwestern und Ärztinnen. Und sie erinnern sich an uns.

    Die Radiologin spricht die Nebenwirkungen der Photonentherapie mit uns durch und macht uns Mut. Insgesamt soll Titien mit 30 Gray bestrahlt werden. 15 Mal zwei Gray. Diesmal ohne Sicherheitssaum. Es ist eine palliative Therapie.

    Titien wartet vor der Radiologie auf ihren Bestrahlungstermin

    Vor der ersten Bestrahlung wird ein Planungs-CT angefertigt und wieder eine Maske an Titiens Kopf angepasst, um sicher zu stellen, dass die Strahlen auch nur dort wirken wo sie sollen.

    Wir haben die Weihnachtefeiertage für uns und direkt am 27.12. geht es los. Jeden Werktag bis Mitte Januar. Wir fahren mit dem Auto zur Klinik, gehen langsam zur Radiologie, wir warten bis sie aufgerufen wird, zehn Minuten später sind wir auf dem Weg nach Hause.

    Titien übersteht alles soweit gut. Das Kortison hält die Nebenwirkungen in Schach. Zum Abschied bringen wir den Schwestern und den Ärztinnen eine Zwölferbox Donuts vorbei und nehmen ihre Maske als Andenken mit.

    Das städtische Krankenhaus in Karlsruhe.
  • Wer abends durch das Twankenhaus schlendert

    Wer abends durch das Twankenhaus schlendert

    Wir sind bei unserer Hausärztin zum Blut abnehmen. Titien wird aufgerufen, wir gehen zusammen mit der Pflegerin, die immer Titien Vene trifft, ins Behandlungszimmer. Sie schließt die Türe hinter uns, atmet durch, und dann bricht es aus ihr heraus:

    Die Praxis sei chronisch unterbesetzt, aber sie würden keine geeigneten zusätzlichen Krankenpflegekräfte finden. Was kein Wunder wäre, da das Gehalt schlecht sei und die Arbeit anspruchsvoll und anstrengend. Eine angelernte Fachkraft, die am Flughafen Passagiere abtastet, verdiene deutlich mehr als sie. Sie würde sich überlegen, etwas ganz anderes zu machen.

    Ich wusste nicht, was ich ihr antworten sollte, außer ihr zu sagen, dass wir ihr sehr dankbar sind für das was sie leistet. Wir sind allen dankbar, die an Titiens Behandlung beteiligt sind. Unserer Hausärztin, unserer Onkologin, außerdem allen Ärztinnen, Ärzten, Pflegerinnen und Pfleger, die in der Radiologie, in der onkologischen Tagesklinik, und auf der neuroonkologischen Station arbeiten, auf der Titien ja lange stationär behandelt wurde.

    Auch wenn wir selbst glücklicherweise fast durchweg gute Erfahrungen mit dem medizinischen Personal gemacht haben, so lassen meine Eindrücke während der vielen Stunden in Wartezimmern und vor Terminen doch einen Schluss zu: Das Gesundheitswesen ist auf Kante genäht.

    Meine Eindrücke werden nicht nur von der Pflegerin bestätigt, die uns ihr Leid beim Blut abnehmen klagte. Es gibt zunehmend Stimmen von Personen aus dem Gesundheitswesen, die ungeschönt die Arbeitsbedingungen schildern.

    https://twitter.com/MuellerLiesche/status/884826211393908736

    Zum Beispiel veröffentlich eine Ärztin unter dem Psedonym Lieschen Müller in ihrem Blog Interviews mit Ärztinnen mit Kind. Es sind inzwischen gut 30, die sich alle lohnen zu lesen.

    Es bleibt nicht beim Klagen über die Arbeitsbedingungen. Der Twitter-Hashtag #Twankenhaus wird vor allem von Ärztinnen und Ärzten benutzt, um ein oft utopisch klingendes Bild vom perfekten Gesundheitswesen zu beschreiben.

    Die Tweets unter dem Hashtag legen die Missstände im aktuellen System offen – und liefern gleich die Antworten mit, was besser gemacht werden könnte. Die Ärztin Schwesterfraudoktor hat in ihrem Blog vor drei Wochen das Twitter-Phänomen näher beschrieben:

    Warum das Twankenhaus? Die Antwort ist so einfach wie simpel: Weil das Arbeiten in unserem aktuellen System keinen Spaß mehr macht. Und Menschenleben gefährdet. 

    Aus: Wir wollen das Twankenhaus von Schwesterfraudoktor

    Den Twitter-Account @Twankenhaus gibt es noch keine drei Monate. Er hat schon knapp 4000 Follower. Seit ein paar Tagen gibt es ein neues Logo. Es tut sich was. Die Personen hinter dem @Twankenhaus schreiben: Auch hinter den Kulissen arbeiten wir an der Ausformulierung unsrer Ziele und Forderungen. Einige davon sind im Artikel von Schwesterfraudoktor schon vorformuliert.

    Ich wünsche mir, dass die Gespräche hinter den Kulissen etwas verändern. Zum Wohl der Ärztinnen und Ärzte, der Pflegerinnen und Pfleger, der Patientinnen und deren Angehöriger.

    https://twitter.com/twankenhaus/status/1101207120249270273
  • Momente ohne Hoffnung nach dem MRT

    Momente ohne Hoffnung nach dem MRT

    Das MRT bestätigt was Titien spürt. Der Tumor in ihrem Kopf wächst wieder. Sie ist unsicherer auf den Beinen, als wir den Termin in der Klinik haben.

    Wir füllen, wie jedes Mal, den Aufklärungsbogen aus. Ihr wird ein Kontrastmittel gespritzt, sie legt sich in das Gerät, und eine halbe Stunde später sind wir auf dem Weg nach Hause. Der Termin für die Besprechung der Ergebnisse ist in der Folgewoche.

    Wir sitzen bei unserer Onkologin im Arztzimmer und berichten von den veränderten Symptomen. Neben der Unsicherheit beim Gehen hat Titien das Gefühl undeutlicher zu sprechen und zunehmend weniger Kraft im rechten Arm. Außerdem berichtet sie von Druck im Kopf und von gelegentlichen Lachanfällen.

    Titien wird untersucht und wir bekommen das Ergebnis des MRTs mitgeteilt. Man sieht einen Unterschied zum letzten MRT auf den Bildern. Sowohl in der Größe des Tumors als auch in der Intensität des aufgenommen Kontrastmittels.

    Obwohl wir das geahnt haben trifft uns das Ergebnis. Titien weint, mir bricht die Stimme und ich glaube, auch unsere Onkologin hat gerötete Augen.

    Wir besprechen weitere Therpiemöglichkeiten. Erneute Bestrahlung, Avastin, oder vielleicht an einer klinischen Studie teilnehmen? Vielleicht wissen die am NCT in Heidelberg noch weiter? Wirkliche Hoffnung haben wir in diesem Moment keine.