Autor: Tobias

  • Titiens Therapie: Die erste Verteidigungslinie bricht

    Titiens Therapie: Die erste Verteidigungslinie bricht

    Titiens Tumor kann nicht operiert werden und ihre Krankheit ist nicht heilbar. Dennoch gibt es therapeutische Möglichkeiten, ihr Leben zu verlängern.

    Direkt nachdem die Biopsie unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigt hatte, ging es in Karlsruhe mit Strahlentherapie los. Sobald Titien wieder schlucken konnte, kam die Chemotherapie mit Temozolomid hinzu.

    Auch nachdem sie die Strahlenbehandlung abgebrochen hatte und aus dem Krankenhaus entlassen wurde, geht die Behandlung mit Temozolomid weiter. Fünf Tage lang jeden morgen eine Tablette, dann drei Wochen Ruhe. Dann wieder fünf Tage lang Temodal. Morgens vor Einnahme der Temodal-Tabletten nimmt sie Granisetron, um eventuelle Übelkeit zu unterdrücken. Sie hat fast keine Nebenwirkungen der Medikamente.

    Fast jede Woche gehe ich mit ihr zum Hautarzt zum Blut abnehmen. Ich kann nicht hinsehen, wenn ihr die Kanüle in eine Armvene gestochen wird. Sie schlägt sich tapfer, auch wenn es manchmal eines zweiten Versuchs bedarf, bis die Vene gefunden ist.

    Ihr Blutbild wird immer auch an unsere Onkologin ins Klinikum gefaxt. Vor allem die Leukozyten, ihre weißen Blutkörperchen, die Zellen des Immunsystems, bewegen sich am unteren Rand des Referenzbereichs. Vier bis zehn Zellen pro Nanoliter Blut sind normal, ihre Leukozyten sind bei kurz über drei.

    Im November, vier Monate nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, wird kontrolliert, was ihr Tumor im Hirnstamm macht. Ihr wird dazu ein Kontrastmittel gespritzt und von ihrem Kopf werden MRT-Schnittbilder erstellt.

    Ein Vergleich der Intensität des aufgenommenen Kontrastmittels mit Aufnahmen vom Sommer legt leider nahe, dass der Tumor weiter wächst.

    MRT Aufnahme mit Kontrastmittel. Querschnitt von Titiens Kopf. Rot umrandet das diffuse Gliom in der Pons. Rechts daneben das Kleinhirn. Darunter beginnt das Rückenmark.

    Wir wechseln die Therapie. Titien bekommt CCNU (Lomustin) als Kapsel zum schlucken. CCNU, beziehungsweise dessen reaktive Metabolite, passieren gut die Blut-Hirn-Schranke. CCNU alkyliert die DNA und wirkt so zytostatisch, verhindert also, dass die Zellen sich weiter teilen. Die DNA der Tumorzellen wird verändert und kann nicht mehr abgelesen werden.

    Titien schluckt einmal alle vier Wochen CCNU. In den ersten zwei Monaten bekommt sie zur Mitte des Zyklus noch Procarbazin, ebenfalls ein Alkylans.

    Wir lassen weiter wöchentlich ihre Blutwerte kontrollieren und sind alle vier bis sechs Wochen bei unserer Onkologin in der Klinik. Die Leukozyten sind weiter sehr niedrig. Zwei mal müssen wir deshalb den Start der CCNU-Therapie verschieben. Sie wird dann mit Neulasta geboostet und wir fangen eine oder zwei Wochen später an.

    Anfangs erhält Titien noch drei Tabletten CCNU. Im Laufe der Therapie wir aus Sorge um ihre Leukozyten die Dosis reduziert.

    Der Tumor bleibt fast ein Jahr lang stabil, auch wenn sie nur noch eine Tablette mit 40 mg CCNU pro Zyklus Chemotherapie bekommt.

  • Psychische Folgen einer Abtreibung – die Daten

    Psychische Folgen einer Abtreibung – die Daten

    Jens Spahn hat 5 Millionen Euro Haushaltsmittel erstritten, um die psychischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen zu untersuchen. Die Debattenbeiträge reichen dabei von gut investiertes Geld (WELT) bis unnötig und politisch motiviert (FAZ). Ein SPD-Bundestagsabgeordneter erklärt laut SPON sogar es sei „ein Skandal, für solchen Unsinn Millionen auszugeben“.

    Es ist selbstverständlich sinnvoll zu untersuchen, welche psychischen Folgen Schwangerschaftsabbrüche auf Frauen haben. Nur ist Spahn nicht der erste, der auf diese Idee kommt.

    Eine Suche in Pubmed, der Datenbank für biomedizinische Fachpublikationen mit „abortion AND psychological“ findet gut 3000 Papers zum Thema. Hier die Ergebnisse von drei Studien, die innerhalb der letzten zwei Jahre publiziert wurden:

    Fünf Jahre danach – mit oder ohne Abtreibung

    Biggs et al. haben untersucht, wie es Frauen fünf Jahre nach einer ungewollten Schwangerschaft geht. Sie haben dabei Frauen verglichen, die eine Abtreibung hatten mit Frauen, denen die Abtreibung versagt blieb.

    Die Autoren zeigen, dass es Frauen, die entgegen ihres Wunsches nicht abtreiben durften anfangs psychisch schlechter ging als jenen, die abtreiben konnten. Im Lauf der Zeit glich sich der Effekt wieder aus. Biggs et al. schreiben: „These findings do not support policies that restrict women’s access to abortion on the basis that abortion harms women’s mental health.

    Gründe für psychologischen Stress nach Abtreibung

    Di Febo et al. untersuchen welche Faktoren dazu beitragen, dass Frauen psychisch Stress empfinden nach einer Abtreibung, sei sie medizinisch begründet oder weil die Frauen einfach keine Schwangerschaft wollten.

    Die Autoren dieser Studie zeigen, dass es den Frauen, die abtrieben, nach dem Abbruch signifikant besser ging. Unzureichende Unterstützung durch Partner und Beziehungsprobleme im Zusammenhang mit der Abtreibung wurden als Risikofaktoren identifiziert für einen schlechteres psychisches Wohlbefinden.

    Bewertung der Folgen von Abtreibungen in Deutschland

    Eine Gruppe aus Leipzig um Anette Kersting hat untersucht, in wie weit die international anerkannte „individual abortion stigma (ILAS) scale“ auch auf Frauen in Deutschland anwendbar ist, die aufgrund medizinischer Notwendigkeit abtrieben.

    Sie zeigen, dass die Skala, übersetzt auf Deutsch, für ihre Studie gut übertragbar ist. Ihre Ergebnisse entsprachen den Erwartungen: Frauen, die verdrängten, dass ihr Fötus eine geringe Überlebenschance hatte und Frauen, die schon relativ weit mit der Schwangerschaft waren, bewerteten sich auf der Skala höher. Bessere Unterstützung durch den Partner korrelierte mit einer niedrigeren Stigma-Einordnung.

    Was Spahn mit dem Geld machen sollte

    Fördergelder für die Forschung werden normalerweise nicht vom Gesundheitsminister persönlich erstritten. Das ist politischer Aktionismus. Und nach Spahns kühner und nicht haltbarer Erklärung, dass der Krebs in 15 Jahren besiegt sei, ist das in zwei Wochen das zweite Mal, dass der Mann mit ungeeigneten Aussagen auffällt.

    Nun ist das Geld schon bewilligt. Vielleicht hilft die kurze Einordnung der Faktenlage hier im Blog ja Jens Spahn dabei, die Fördergelder richtig einzusetzen.

    Vielleicht für die bessere Finanzierung von pro familia, die deutschlandweit in über 200 Anlaufstellen auch zu Schwangerschaftsabbrüchen berät.

    Oder Jens Spahn könnte mit dem Geld einen schönen, dicken Stift kaufen. Und damit §219a endlich streichen.

    Foto oben von Heinrich Klaffs (CC BY-NC-SA 2.0)
  • Glaube, Liebe, DIPG

    Glaube, Liebe, DIPG

    Titien geht es langsam besser. Dinge des täglichen Lebens werden zurück erobert. Ich schiebe sie mit dem Rollstuhl durch den Regen in die Stadt. Wir schaffen es, zusammen mit Rollator einkaufen zu gehen. Wir gehen zu Fuß in einen Biergarten.

    Wir machen einen Ausflug nach Heidelberg, fahren nach Straßburg und fliegen für ein paar Tage in meine alte Heimat, Barcelona. Drei Monate sind vergangen, seit sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde.

    Ich lebe, ich weiss nicht wie lang,
    Ich sterbe, ich weiss nicht wann,
    Ich fahre, ich weiss nicht wohin,
    Mich wundert, dass ich so fröhlich bin

    Aus: Glaube Liebe Hoffnung von Ödön von Horváth. Originalquelle unbekannt.

    Wie schafft man es als todkranke Person und als deren Ehemann den Alltag zu bewältigen? Das eine Extrem ist, jeden Tag zu leben als wäre es der letzte. Das andere Extrem ist, die Krankheit zu ignorieren und so weiter zu machen, als wenn nichts wäre.

    Mein dritter Weg ist pragmatisch, reflektiert. Ich nehme unsere gemeinsame Zeit sehr viel bewusster war. Alles bekommt eine Bedeutung.

    Ihr dritter Weg ist spirituell. Sie liest in der Bibel und schreibt über ihren Glauben. Sie betet vor dem einschlafen mit mir.

    Wir sagen uns oft, dass wir uns lieben. Manchmal fühlt es sich an, als hätten wir etwas gefunden, dass vielen anderen für immer vorenthalten bleibt. Ein Gefühl des gemeinsamen angekommen seins.

    Manchmal weinen wir auch einfach nur miteinander.

  • Alternativmedizin tötet Krebspatienten

    Alternativmedizin tötet Krebspatienten

    Als Angehöriger einer Krebspatientin ist eines unvermeidbar: Einem werden von vielen Seiten oft gut gemeinte „alternative“ Therapiemöglichkeiten vorgeschlagen.

    Kurkuma, Canabisöl, Hemohim, Reservatrol, Methadon, intra-arterielle Chemotherpaie, Bruno Gröning und so weiter. Da ist viel hanebüchenes Zeug dabei, man glaubt es erst, wenn man es selbst hört und liest.

    Die gut gemeinten Ratschläge lassen sich in drei Katergorien einordnen. Da sind erstens die Diät-Tips, zweitens die medikamentösen Alternativtherapien und drittens die – nennen wir sie mal – „spirituellen“ Vorschläge zur Heilung.

    Vielleicht schreibe ich zu einigen der vorgeschlagenen Alternativen irgendwann noch mal mehr. Ich antworte jedenfalls auf die Vorschläge die uns erreichen damit, dass wir uns entschieden haben, den Weg zu gehen, der erwiesernmaßen lebensverlängernd wirkt: Den der Medizin.

    Es ist gar nicht so leicht zu beantworten, um wie viel Jahre die Medizin eigentlich das Leben Krebskranker verlängert. Zum einen müssen unterschiedliche Krebsarten unterschieden werden, zum andern spielen neben dem medizinischen Fortschritt noch Faktoren wie eine bessere Krebsvorsorge und Früherkennung eine Rolle.

    Was man jedoch sicher sagen kann ist: Alternativemedizin tötet. Auch zusätzlich zur konventionellen Krebstherapie, also der ganzen oder teilweisen operativen Entfernung vom Tumoren, der Strahlentherapie und der Chemotherapie, wirkt Alternativmedizin nicht. Wer mehr Beispiele braucht sei an das Blog Science Based Medicine verwiesen.

    Hier habe ich nur eine Abbildung aus einem Paper vom Januar 2018 eingebunden. Die Abbildung zeigt den Anteil der überlebenden Krebspatienten und Patientinnen über einen Zeitraum von 7 Jahren nach ihrer Diagnose. Die Patienten hatten die häufigsten Krebsarten, also Lungenkrebs, Brustkrebs, Darmkrebs und Prostatakrebs.

    Die gestrichelte Linie zeigt die Patienten, die sich auf konventionelle Therapiemethoden verlassen haben. Die durchgezogene Linie zeigt Patienten, die sich statt der konventionellen Therapie auf alternativmedizinische Methoden verlasen habe.

    Nach sechs Jahren war die Hälfte der Alternativmedizinpatienten tot. Drei Viertel der Patienten mit konventioneller Therapie war noch am Leben.

    Wahrscheinlich renne ich mit diesem Artikel bei den meisten meiner Leserinnen und Leser offene Türen ein. Ich finde einen anderen Aspekt der „alternativen“ Therapien diskussionswürdig:

    Mir fällt es als promoviertem Molekularbiologen und Proteinbiochemiker relativ einfach, den uns vorgeschlagenen alternativen Therapien argumentativ zu begegnen. Ich habe das Gefühl, ich erspare Titien dadurch seit der Diagnose und während ihrer Therapie eine Menge Unsicherheit und Zweifel.

    Wie geht es wohl Patienten, die nicht in der Lage sind, medizinische gesichertes Wissen von alternativem Humbug zu unterscheiden? Die nicht wissen, ob sie ihrer Onkologin oder dem Freundeskreis oder der Webseite, die sie selbst auf Facebook „recherchiert“ haben trauen können?

    Sich bei der Wahl der Therapie sicher zu fühlen trägt auch zur Lebensqualität Krebskranker bei.

  • Entlassen aus dem Krankenhaus und wieder zu Hause

    Entlassen aus dem Krankenhaus und wieder zu Hause

    Jeden Morgen fahre ich auf dem Weg zum Büro den Umweg übers Klinikum. Das Fahrrad schließe ich an den selben Baum wie immer an. Ich gehe durch den Seiteneingang rein, grüße die rauchenden Krebspatienten vor der Türe und die Schwestern auf dem Gang.

    Dann verbringe ich eine Stunde mit Titien. Ihr Blutdruck wird gemessen. Sie bekommt Frühstück und Medikamente. Ich fahre sie im Rollstuhl zur Strahlentherapie und bringe sie dann wieder in ihr Zimmer. Bleibe bei ihr, bis ich von ihren Eltern abgelöst werde.

    Jeden Abend nach der Arbeit fahre ich wieder zu ihr. Ich schiebe sie spazieren im Rollstuhl oder sie geht langsam neben mir her mit dem Rollator. Je nach dem, wie sie sich fühlt. An ihrem besten Tag können wir sogar eine Runde um die Klinik drehen. Bestimmt ein Kilometer.

    Dann kommen die Nebenwirkungen der Strahlenbehandlung, der Chemotherapie und des Kortisons. Sie wird wieder schwächer. Irgendwann geht es nicht mehr. Sie bricht die Strahlentherapie zwei Tage vor deren Ende ab.

    Wir werden aus der Klinik entlassen. Es ist Hochsommer und Titien friert. Sie liegt zu Hause im Bett im Jogginganzug, dick eingepackt unter zwei Bettdecken. Die Bestrahlungen haben offenbar die Region im Stammhirn beeinträchtig, die für die Temperaturkontrolle zuständig ist.

    Rollator und Rollstuhl sind schon organisiert. Wir brauchen noch einen Duschlifter. Sie ist zu schwach, um alleine aus der Wanne zu steigen und sich im stehen zu duschen. Ich unterlege die Beine unseres Sofas im Wohnzimmer mit weißen Porenbetonsteinen. Nur so kann sie alleine wieder aufstehen.

    Wir bekommen viel Besuch. Kayan aus Hong Kong. Ashley aus Singapur, Ulf und Anna aus Chile, Tita und Chris aus Norwegen, und viele Freunde aus Deutschland. Titiens Eltern fliegen nach zwei Monaten in Deutschland wieder nach Jakarta.

    Wir sind wieder zu Hause.

  • Titiens erste Therapie: Bestrahlen, Temozolomid, Dexamethason

    Titiens erste Therapie: Bestrahlen, Temozolomid, Dexamethason

    Die Stammhirnbiopsie führte zum Anschwellen des Gehirns. Dem wurde mit der Gabe von Dexamethason begegnet. Dexamethason ist ein Cortisonderivat, das oral eingenommen wird und die Blut-Hirn-Schranke gut überwindet.

    Titiens Speichelfluss musste nach der Operation unterdrückt werden, da sie nicht mehr schlucken konnte. Hierfür wurden Scopolamin-Pflaster jeweils hinter den Ohren, also über den Speicheldrüsen angebracht.

    Direkt am Tag nach der Aufnahme im Krankenhaus in Karlsruhe soll ihre Strahlentherapie beginnen. Geplant sind 30 Zyklen mit jeweils 1,8 Gray Dosis. Jeden Werktag. Zuerst findet ein Planungs-CT statt, dann wird eine Maske aus einem selbstaushärtenden Kunststoffnetz hergestellt, die ihren Kopf während der Bestrahlung in Position hält.

    Titien mit Maske vor der Bestrahlung.

    Die Strahlen zerstören die DNA in den Zellen. Idealerweise werden fast nur Tumorzellen getroffen und das gesunde Gewebe wird bis auf einen Sicherheitssaum verschont. Bei der ersten Bestrahlung muss sich Titien übergeben. Nicht aufgrund der Strahlenbelastung, sondern aus Angst.

    Nachdem Sie wieder schlucken gelernt hat, fängt parallel zu den Bestrahlungen die erste Chemotherapie an. Sie bekommt Temozolomid in Tablettenform. Fünf Tage lang, dann drei Wochen Pause. Dann wieder fünf Tage Temozolomid.

    Temozolomid hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber vielen anderen Chemotherapeutika: Es überwindet die Blut-Hirn-Schranke, gelangt also dahin wo es wirken soll. Temozolomid methyliert die DNA und führt so zu Fehlern in der Replikation sich aktiv teilender (Tumor)-zellen, die in der Folge absterben.

    Diese Kombinationstherapie aus Bestrahlungen und Temozolomid ist seit gut zehn Jahren der Standard bei Glioblastomen. Es gibt einige neuere therapeutische Ansätze zur Behandlung. Darum soll es in einem anderen Artikel gehen.

    Parallel schluckt sie weiter Dexamethason. Hochdosiert. Bis zu 20 mg pro Tag. Die Folgen sind Wassereinlagerungen in Gesicht und Körper. Sie entwickelt ein veritables Cushing-Syndrom.

    Das Gesicht wird runder dank hochdosiertem Kortison.
  • Es geht aufwärts mit Titien

    Es geht aufwärts mit Titien

    Titien ist auf der radioonkologischen Station des städtischen Klinikums Karlsruhe angekommen. Die Ärztinnen und Schwestern nehmen sich Zeit und kümmern sich mit viel Einfühlungsvermögen um sie. Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht zur neurochirurgischen Station in dem Krankenhaus in dem die Biopsie durchgeführt wurde.

    Am meisten stört Titien ihre Magensonde. Sie kann nach der Hirnstamm-Biopsie noch nicht schlucken, muss also weiter durch die Nase ernährt werden. Die Ärztinnen bieten ihr an, eine PEG-Sonde durch die Bauchdecke zu legen. Sie nimmt dankend an. Endlich ist der störende Schlauch aus dem Gesicht!

    Es ist Anfang Juni und sie setzt sich ein Ziel: Sie möchte an ihrem Geburtstag am 24. Juni zu Hause auf dem Balkon sitzen, Tee trinken, und eine Nussschnecke von ihrem Lieblingsbäcker essen.

    Titien erholt sich weiter von der Biopsie. Sie ist nicht mehr ständig auf den Rollstuhl angewiesen sondern geht mit dem Rollator den Flur der Station entlang. Auf- und Abwärts, so lange es geht. Sie darf am Wochenende sogar nach Hause. Mit Rollstuhl, Medikamenten und Flüssignahrung.

    Titien macht Fortschritte beim Schlucken. Erst geht Götterspeise, dann Kartoffelbrei, Spinat und Rührei. Dann eingedicktes Wasser, Müsli, Toastbrot und Eiscreme.

    Unserer Spaziergänge werden ausgedehnter, wir erkunden das Klinikgelände. Sie dreht Runden mit mir und mit ihren Eltern, die seit gut vier Wochen aus Jakarta hier sind.

    Wir gehen am Wochenende chinesisch Essen. Ihr kommen die Tränen, als sie merkt, dass sie wieder im Stande ist, normales Essen zu sich zu nehmen.

    Ihr Geburtstag ist eine Woche später. Wir sitzen zu Hause auf dem Balkon, trinken Tee und essen Nussschnecken.

  • Songs of Praise and Worship

    Songs of Praise and Worship

    Titien heute morgen um halb acht:
    Oh, ich kann nicht schlafen. Ich liege seit vier Uhr wach.

    Ich: Über was hast du nachgedacht in der Zeit?

    Sie: Über nichts. Mein Kopf hat gesungen.

    Ich: Dein Kopf hat gesungen? Was denn?

    Sie: Songs of Praise and Worship.

    In diesem Sinne. Schönen Sonntag.

  • Wie kommt man von der Forschung in die Wissenschaftskommunikation

    Wie kommt man von der Forschung in die Wissenschaftskommunikation

    Ich bin von Rachel Coulthard-Graf vom EMBL interviewt worden. Ich war da früher mal kurz als Postdoc tätig. Rachel hat unser Skype-Telefonat leicht gekürzt und transkribiert. Die Textversion steht auf dem EMBL Careers Blog zum nachlesen.

    Hier eingebunden ist das Video des Interviews. Es geht in unserem Gespräch ganz allgemein um die Karriere jenseits der akademischen Forschung und im Besonderen um meinen Weg vom Postdoc in die Wissenschaftskommunikation.

    00:00 Meine Rolle am NaWik
    01:36 Mein Weg vom Postdoc ans NaWik
    07:22: Networking und sich von anderen unterscheiden
    10:24 Wertebasierter Ansatz beim Wechsel der Karriere
    13:40 Wissenschaftler in der Wissenschaftskommunikation
    15:00 Was mir am meisten am aktuellen Job gefällt
    15:59 Wie mein wissenschaftlicher Hintergrund in meinem aktuelle Job hilft
    18:36 Welche Qualifikationen man für den Job braucht
    20:20 Wie man als Wissenschaftler in die Wissenschaftskommunikation kommt
    26:07 Missverständnisse über den Karrierewechsel und die Akteure der Wissenschaftskommunikation
    28:40 Wo findet man Stellenangebote für die Wissenschaftskommunikation
    30:04 Was jetzt anders ist als früher im Labor
    31:56 Generelle Tipps zum Weg raus aus der Wissenschaft

    Ich gebe ja neben meinem Job am NaWik als freiberuflicher Trainer Karriere-Workshops für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. In den Workshops sammeln wir immer auch Beispiele für Karrierewechsel raus aus der Wissenschaft.

    Schreib mir doch eine Email, wenn du deine Geschichte erzählen willst. Vielleicht machen wir einen Gastbeitrag hier im Blog draus.

  • Titiens Lebenserwartung mit H3.3_K27M-Mutation

    Titiens Lebenserwartung mit H3.3_K27M-Mutation

    Gliazellen tragen zu etwa der Hälfte der Masse des Gehirns bei. Sie geben Struktur, isolieren die Nervenzellen, bilden die Blut-Hirn-Schranke, und sorgen dafür, dass die Nervenzellen mit Nährstoffen versorgt werden.

    Wenn Gliazellen sich unkontrolliert teilen, entsteht ein Gliom. Titiens Gliom sitzt im Hirnstamm, genauer in der Pons. Die morphologische Charakterisierung des bei der Biopsie entnommenen Gewebes ergab, dass die Tumozellen eine fibriläre Matrix bilden. Titien hat ein diffuses intrinsisches pontines Gliom (DIPG).

    Die in der Biopsie entnommen Zellen wurden noch weiter untersucht. Man fand eine Mutation des Histonproteins H3.3. Die Aminosäure Lysin (K) an Position 27 ist zu einem Methionin (M) mutiert: H3.3_K27M.

    Paarweises Alignment der Aminosäuresequenz vom Histonprotein H3.3. Oben normal. Unten Titien. Rot umrandet ist die Stelle der Mutation

    Alle Tumore haben gemeinsam, dass sich die betroffenen Tumorzellen unreguliert teilen. Entweder eine Zellysklusbremse ist ausgefallen oder ein Faktor, der die Zellteilung anregt. Histone sind Proteinkomplexe, die für die dichte Packung und die Organisation der DNA verantwortlich sind. Dicht gepackte DNA wird nicht abgelesen.

    Man vermutet, dass die K27M Mutation im Histonprotein H3.3 bei Titien die Teilung der betroffenen Zellen fördert. Es könnten auch weitere Proteine an der Entstehung des Tumors beteiligt sein. Insgesamt ist der Einfluss der Histonvarianten (es gibt alleine sieben H3-Varianten im Menschen) und deren Mutationen bei Krebs noch schlecht verstanden.

    Es ist äußerst ungewöhnlich, dass ein diffuses intrinsisches pontines Gliom (DIPG) bei Frauen Mitte dreißig diagnostiziert wird. Am häufigsten tritt die Krankheit bei Kindern auf.

    Die durchschnittliche Lebenserwartung bei den mit DIPG diagnostizierten Kindern mit H3.3_K27M-Mutation ist 9 Monate. Erwachsene Patienten leben länger. Nach Aussage unserer Ärzte etwa zwei Jahre.

    Kaplan-Meier Plot der Überlebensdauer von Kindern mit DIPG. Hellgrün: Die Mutation in Histon H3.3, die Titien hat. Dunkelgrün: Die selbe Mutation in H3.1, einer Isoform des Histonproteins H3. Abbildung aus: Castel et al. Acta Neuropathol (2015).