Autor: Tobias

  • Was passiert, wenn der SPD Mitgliederentscheid scheitert?

    Das geflügelte Wort „Mehr Demokratie wagen” stammt von Willy Brandt und ist aus der Regierungserklärung der Sozialliberalen Koalition von 1969. Ob die SPD sich dessen entsonnen hat, oder ob die Sozialdemokraten versuchen nach dem Vorbild der Piratenpartei die innerparteilichen Demokratie zu stärken, der aktuelle Mitgliederentscheid über die Annahme des mit der Union ausgehandelten Koalitionsvertrags ist in jedem Fall ein Novum.
    Obwohl der Parteichef Gabriel bei den Jusos mit der Werbung für Zustimmung zu dem Koalitionsvertrag gescheitert ist, wird von den Parteioberen doch mit einem klaren “Ja” der Basis gerechnet. Bindend ist der Mitgliederentscheid über die Annahme des Koalitionsvertrags jedenfalls nicht, was freilich so direkt nicht kommuniziert wird.
    Falls er wider erwarten aber dennoch scheitert, sind verschiedene Szenarien denkbar: Wahrscheinlich ist ein Rücktritt der aktuellen SPD Führungsriege. Frau Nahles hat dies zumindest zwischen den Zeilen angekündigt.
    Ob dann in letzter Konsequenz Koalitionsverhandlungen mit den Linken und den Grünen aufgenommen werden, oder es gar zu Neuwahlen kommt, ist fraglich. Wahrscheinlicher sind meiner Meinung nach Nachverhandlungen des Koalitionsvertrags mit der Union, der dann vermutlich ohne weitere Abstimmung mit der Basis abgezeichnet würde.
    Warum geht die SPD überhaupt das Risiko einer Mitgliederabstimmung ein? Ich denke, das hat hauptsächlich drei Gründe:
    In erster Linie geht es um die Legitimierung der eigenen Politik an der Basis und es dient der internen Positionsbestimmung. Wie weit links ist die SPD? Das Ergebnis der Abstimmung wird es zeigen.
    Die Abstimmung und die damit verbundene Übertragung von Verantwortung an die Basis gibt der Führung der SPD außerdem ein starkes Argument gegenüber zukünftige Kritik aus den eigenen Reihen an die Hand.
    Nicht zuletzt geht es darum, durch das direkte Mitspracherecht der Basis zu kommuniziere, dass die SPD sie ernst nimmt. Die SPD hat innerhalb der letzten 20 Jahre immerhin fast die Hälfte ihrer Mitglieder verloren, aktuell sind es noch 477 000. Eine bessere Bindung der eigenen Mitglieder an die Partei kann da nicht schaden.
    Ich denke, der Mitgliederentscheid birgt berechenbare Risiken und ist in geschickter, parteipolitischer Schachzug. Mich würde vor allem interessieren, wer innerhalb der SPD eigentlich auf die Idee kam.

  • Was uns von anderen Tieren unterscheidet in drei Sätzen

    Auf die Frage, was uns von anderen Tieren unterscheidet, gibt es traditionell eine einleuchtende Antwort. Wir sind eben die Krone der Schöpfung! Wissenschaftlichen Kriterien hält diese Argumentation freilich nicht stand. Aber: Es gibt eine Erklärung für die außergewöhnlichen kognitiven Fähigkeiten des Menschen, und die geht, zusammengefasst in drei Sätze, so:

    Die Dichte der Neurone ist beim Menschen und bei anderen Primaten im Vergleich zu anderen Tieren außergewöhnlich hoch, so dass in relative geringen Gehirnvolumina eine stattliche Anzahl an Neuronen untergebracht werden kann.
    Der hohe Energiebedarf, der mit einer hohen Anzahl an Nervenzellen einhergeht, limitiert die Größe von Primatenhirnen, kann aber vom Menschen nur durch die Aufnahme gekochter Speisen gedeckt werden.
    Der Mensch hat insgesamt etwa 86 Milliarden Nervenzellen im Gehirn, 16 Milliarden davon in der Großhirnrinde, mehr als jedes andere Tier.
    Wer das ganze etwas ausführlicher, im Zusammenhang, und in rund einer viertel Stunde anhören möchte, dem sei der vor ein paar Tagen erschienene Ted-Talk von Suzana Herculano-Houzel empfohlen:

    [ted id=1879]
     

    Aufgabe für den Kommentarteil: Bitte in drei Sätzen erklären, wie die Anzahl der Neuronen im Großhirn mit Bewusstsein zusammenhängt.
  • Gehirnstudie zeigt Geschlechtsunterschiede – und sonst?

    Es ist ein dankbares Thema, weil es Geschlechterstereotypen schön bedient. Ein PNAS Artikel, mit dem Title „Sex differences in the structural connectome of the human brain” der vorgestern vorab publiziert wurde, wird von den Medien aufgegriffen. Männer können besser Landkarten lesen, Frauen können besser analytische und intuitive Informationen miteinander verbinden. So oder so ähnlich. Jetzt auch gezeigt mit neuester Technik direkt im Gehirn.
    Für die Studie wurde bei fast eintausend Heranwachsenden die Konnektivität der Neurone im Gehirn untersucht. Die Autoren nutzen Diffusionsmagnetresonanz (DTI) um die Konnektivität unterschiedlicher Gehirnregionen zu untersuchen. Die Ergebnisse zeigen zweierlei:

    1. Generell scheint die Konnektivität innerhalb einzelner Hirnregionen bei Frauen höher zu sein als bei Männern, mit Ausnahme vom Kleinhirn.
    2. Bei Frauen sind die beide Hirnhälften relativ stärker miteinander verbunden als bei Männern.

    Die Ergebnisse der Studie werden von Ragini Verma, der verantwortlichen Autorin folgendermaßen eingeordnet:

    „These maps (Die Konnektivitätskarten des Gehirns) show us a stark difference – and complementarity – in the architecture of the human brain that helps provide a potential neural basis as to why men excel at certain tasks, and women at others”.

    Die Studie liefert Daten, die mit geschlechtsspezifischen Verhaltensunterschieden korrelieren. Die Ergebnisse erlauben es aber sicher nicht, bestimmte Verhaltensmuster kausal mit Unterschieden in der Gehirnarchitektur zu erklären.
    Die Konnektivität verschiedener Gegenden in Gehirnregionen ist bei Frauen höher als bei Männern, außer im Kleinhirn. Copyright: PNAS
    Kritik an der Studie direkt, nicht an der Berichterstattung darüber, betrifft vor allem die Zuverlässigkeit der DTI-Messungen. Das Blog Neuroskeptic und anonyme Kommentatoren auf Pubpeer merken an, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in Stillhalten des Kopfes die Ergebnisse beeinflussen könnten.
    Tatsächlich wurde in einer Studie letztes Jahr gezeigt, dass die Kopfbewegung zwischen Individuen stark variiert und Faktoren wie Alter, und Krankheit das Kopfwackeln und damit die MRI-Messungen beeinflussen. Wackeln vielleicht Männer einfach mehr?
    Journalisten suchen natürlich nach einer Story hinter der wissenschaftlichen Publikation, wobei die Übergänge zwischen originalgetreuer Wiedergabe und freier Interpretation der Studienergebnisse fließend sind. Am schönsten hat „The Mouth“ die Studie zusammengefasst und illustriert:

    „Female brains are just scribbled multicoloured mess reveals science study.“

    ResearchBlogging.orgIngalhalikar M, Smith A, Parker D, Satterthwaite TD, Elliott MA, Ruparel K, Hakonarson H, Gur RE, Gur RC, & Verma R (2013). Sex differences in the structural connectome of the human brain. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America PMID: 24297904

  • Dahin, wo das Piperonal wächst. Fragen an Ritter Sport.

    Wie die Faz vergangene Woche berichtete, hat Ritter Sport inzwischen eine einstweilige Verfügung gegen die Stiftung Warentest erwirkt. Die Verbraucherschutzorganisation hatte in einem Test von Nussschokolade unter anderem die Sorte Voll-Nuss von Ritter Sport aufgrund von einer als irreführend eingestuften Kennzeichnung der Inhaltsstoffe mit Mangelhaft benotet.
    Konkret geht es um den Aromastoff Piperonal, der laut Auszeichnung auf der Schokoladepackung ein “natürliches Aroma” sei, laut Stiftung Warentest jedoch chemischen Herstellungsverfahren entspringen soll.
    Bestätigten Angaben zur Folge bezieht die Firma Ritter Sport den Aromastoff vom Unternehmen SymRise, welches an Eides statt erklärt hat, dass das an Ritter Sport gelieferte Piperonal ein natürliches Produkt sei, welches der europäischen Regulierung zu Aromastoffen folgend, aus Pflanzen isoliert wird.
    Die eidesstattliche Versicherung von SymRise bezieht sich auf ein Vanillearoma, dem Piperonal zugegeben wird. Zitiert wird Artikel 3 Absatz 2c der EU-Verordnung zu Aromastoffen (.pdf):

    natural flavouring substance’ shall mean a flavouring substance obtained by appropriate physical, enzymatic or microbiological processes from material of vegetable, animal or microbiological origin either in the raw state or after processing for human consumption by one or more of the traditional food preparation processes listed in Annex II. Natural flavouring substances correspond to substances that are naturally present and have been identified in nature

    Annex lI listet traditionelle Arten der Lebensmittelzubereitung, mit denen es zumindest schwierig erscheint ausreichende Mengen „natürliches“ Piperonal zu isolieren. Denn laut Toxnet kommt Piperonal nur in Spuren in einigen Planzen natürlich vor, unter anderem in Robinien und laut Firmenblog von Rittersport:

    in Tahiti-Vanille, Kräutern und Gewürzen sowie einer ganzen Reihe anderer Pflanzen, z.B. in Pfeffer und Dill.

    Alternativ kann Piperonal, das wohl häufig in der Duftstoff- und Parfümindustrie eingesetzt wird, aber auch relativ einfach aus Safrol, einem Naturstoff,  hergestellt werden. Dabei wird Safrol zu Isosafrol isomerisiert und dann sauer zu Piperonal oxidiert. Das ist allerdings auf chemischem Wege, was Artikel 3 der EU-Verordnung zuwider laufen würde.
    Die Stiftung Warentest jedenfalls teilt mit, sie würde derzeit keine über die bereits bekannten Fakten hinausgehenden Details zu den Untersuchungsgrundlagen und Bewertungsfragen nennen. Meiner Meinung nach ist derzeit auch immer noch Ritter Sport, beziehungsweise Symrise am Zug.
    Ich wäre zum Beispiel mit ein paar Zahlen zu überzeugen. Konkret, und vielleicht liest ja die eifrige PR-Abteilung von Ritter Sport hier mit:

    • Wie viel reines Piperonal wird einer Tonne Nussschokolade zugegeben?
    • Wie hoch ist die Konzentration von Piperonal in der Ausgangspflanze?
    • Und welche Extraktionsmethode wird zur Isolierung und Aufreinigung des ja nur in Spuren vorkommenden Piperonals aus der Ausgangspflanze angewendet?

    Was ist eigentlich aus dem Begriff „naturidentischer Aromastoff“ geworden?

  • Genmais-Studie von Séralini offenbar kurz vor Retraktion

    Die im November 2012 von Food and Chemical Toxicology publizierte Studie „Long term toxicity of a Roundup herbicide and a Roundup-tolerant genetically modified maize“ von Gilles-Eric Séralini und Kollegen steht offenbar kurz vor der Rücknahme durch den Verlag. In der Studie wurde eine zugelassene gentechnisch veränderte Maissorte mit Organschäden bei Ratten in Verbindung gebracht.
    Die Studie wurde von zahlreichen Wissenschaftlern vor allem ob ihrer methodischen Mängel kritisiert und unter anderem auch hier im Blog thematisiert. Zahlreiche kritische Briefe und Kommentare von Wissenschafter an den Verlag sind auf der Seite der Veröffentlichung verlinkt.
    Ein an Séralini adressierter Brief des Chefredakteurs von Food and Chemical Toxicology vom 19.11.2013 ist inzwischen auf der genteschnikkritischen Webseite GMWatch publiziert worden (gmwatch.org/files/Letter_AWHayes_GES.pdf). Darin wird dem Autor unmissverständlich klar gemacht, dass der Artikel zurückgezogen wird:

    Dear Professor Séralini,
    As you know, several months ago, we began a thorough examination of the data you provided to the journal. The panel looking at the data and its analysis sought to address the questions that had been raised in the Letters to the Editor received in response to your article.
    The panel had many concerns about the quality of the data, and ultimately recommended that the article should be withdrawn. I have been trying to get in touch with you to discuss the specific reasons behind this recommendation. If you do not agree to withdraw the article, it will be retracted, and the following statement will be published it its place: […]

    Im anschließenden Statement (.pdf) wird Séralini zwar von wissenschaftlichem Fehlverhalten frei gesprochen, jedoch wird erklärt, dass methodische Mängel der Studie, insbesondere im Studiendesign, die von den Autoren gezogenen Schlussfolgerungen nicht erlauben und somit die Retraktion des Papers gerechtfertigt sei. Eine Antwort von Séralini steht noch aus.

  • 6% aller einflussreichen Wissenschaftler sind weiblich

    Über einen Tweet vom Laborjournal bin ich auf eine Publikation aufmerksam geworden, die eine Liste mit über 400 besonders einflussreichen biomedizinischen Forschern der letzten Jahre enthält. Die Liste wurde durch die Auswertung der Anzahl publizierter Artikel und der Zitierungen und der biomedizinischen Fachliteratur generiert, sozusagen die erweiterten Wissenschaftscharts in der Sparte Biomedizin.
    Man mag von der Evaluierung des Einflusses von Wissenschaftlern durch Publikationsdaten im Allgemeinen und von der Methode der Autoren der PublikationA list of highly influential biomedical researchers, 1996–2011” im Besonderen halten, was man will. Ein Ungleichgewicht bleibt wahrscheinlich selbst bei gravierendsten methodischen Mängeln bestehen:
    Manuelles Auswerten der eingebundenen Tabelle ergibt, dass gerade einmal 26 der gelisteten einflussreichen Wissenschaftler weiblich sind – das sind etwas über 6%.
    Die mit Abstand am häufigsten genannte Institution an der die aufgelisteten einflussreichen Wissenschaftler arbeiten (11,5%) ist Harvard. Ich war zufällig vor ein paar Wochen in Boston und habe dort eine Gruppe Harvard-Doktoranden getroffen, die an einem Kurs über “Leadership und Communication Skills” für Wissenschaftler teilnahmen und dort Techniken lernten, die ihnen helfen sollen, erfolgreiche Wissenschaftler zu werden. Was mir vor allem in Erinnerung blieb: Etwa 80% der Kursteilnehmer waren weiblich.
    Lust auf Leadership scheinen die Frauen also zu haben. Ob sich das in einer Liste einflussreicher biomedizinischer Wissenschaftler in 30 Jahren so widerspiegeln wird?
    Edit 17:28 Uhr: Ich arbeite freiberuflich für das oben erwähnte Consultingunternehmen und habe deshalb den Link zu deren Seite soeben wieder entfernt.

  • Tod, Karriereende oder einfach egal: Die Auswirkungen von wissenschaftlichem Fehlverhalten

    Wie sieht es denn eigentlich aktuell mit dem Plagiatsverfahren zur Doktorarbeit von Norbert Lammert aus? Laut Spiegel online  dauert die Vorprüfung an der Uni Bochum noch an. Um eine mögliche Befangenheit der Prüfer zu vermeiden würde laut WAZ eine externe Prüfung angestrebt, da Lammert Honorarprofessor an der Ruhr-Uni sei. Während die offizielle Seite sich noch in der Vorprüfungsphase befindet und auf politischer Ebene vor Vorverurteilungen gewarnt wird, kommen die Plagiatsjäger zu dem Schluss, dass der Nachweis der Täuschung bereits in wesentlichem Umfang erbracht sei.
    Auf die Wähler scheint die Plagiatsafäre nur geringen Einfluss zu haben. Auch wenn es für ein Direktmandat nicht gereicht hat, konnte Lammert den Stimmenanteil in seinem Wahlkreis verglichen mit der Wahl vor vier Jahren um fast fünf Prozent auf 35,7% steigern. Ähnliches gilt auch für Annette Shavan in ihrem Wahlkreis in Ulm. Sie hat ihren Stimmenanteil von 42.8% bei der Wahl 2009 um fast 10% auf 52,1% in 2013 ausgebaut.
    Plagiate sind nur eine Spielart wissenschaftlichen Fehlverhaltens, und ich bin von der Gesellschaft für Wirtschafts-und Sozialwissenschaften des Landbaus (GEWISOLA) eingeladen worden, um auf deren Konferenz am Freitag über Wissenschaftliches Fehlverhalten zu referieren. Wen es interessiert: Ich habe meine (kurze) Präsentation schon vorab online gestellt und hier eingebunden.

    Es ist relativ schwierig verlässliche Zahlen zur Häufigkeit wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu bekommen. Das liegt in der Natur der Sache, es geschieht ja meistens heimlich. Einer Meta-Analyse zur Folge geben in Umfragen rund 2% aller Wissenschaftler an, schon einmal Daten erfunden, gefälscht oder modifiziert zu haben. Den Kollegen trauen das rund 14% der Befragten zu.
    Wenn man statt dessen die Zahl der zurückgezogenen Publikationen und die aufgedeckten Plagiatsfälle als Maß für Fehlverhalten betrachtet, könnte man meinen, in den letzten Jahren sei ein starker Anstieg wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu verzeichnen. Die Autoren einer erst kürzlich publizierten Studie erklären den Anstieg mit aktuell niedrigeren Hürden, sowohl für die Publikation gefälschter Daten als auch für deren Widerruf. Ich denke, einen großen Anteil spielen dabei die technischen Möglichkeiten, digital zur Verfügung stehende Texte miteinander zu vergleichen und Datensätze auf statistische Auffälligkeiten hin zu untersuchen, und so mit relativ wenig aufwand Plagiate und Fälschungen zu entlarven.
    Eine Form des wissenschaftlichen Fehlverhaltens ist das Zurückhalten von Daten. Besonders relevant, da es direkt die Gesundheit von Menschen betrifft, ist das bei klinischen Studien zur Medikamentenwirksamkeit. Ben Goldacre hat diesen Fall in seinem Buch Bad Pharma das kürzlich auch auf Deutsch erschienen ist, ausführlich dargelegt und so zusammengefasst:

    Trials are frequently conducted, but then left unpublished, and so are unavailable to doctors and patients. Only half of all trials get published, and those with negative results are twice as likely to go missing as those with positive ones. This means that the evidence on which we base decisions in medicine is systematically biased to overstate the benefits of the treatments we give. […] This is research misconduct on a grand, international scale.

    Ich werde in meinem Vortrag in Berlin diese und weitere Formen des wissenschaftlichen Fehlverhaltens thematisch nur anschneiden können, denn ich teile mir die Session mit Gunnar Breustedt, Gebhard Kirchgässner, Ludwig Theuvsen und Peter Winkler. Vielleicht finden wir ja in der anschließenden Podiumsdiskussion noch Antworten auf ein paar der Fragen, die ich in meinem Vortrag aufwerfe:

    • Was sind Gründe für wissenschaftliches Fehlverhalten?
    • Wer lehrt korrektes wissenschaftliches Arbeiten?
    • Welche Kontrollmechanismen existieren?
    • Was tun, wenn man Fehlverhalten entdeckt?
    • Wie soll Aufklärung und Bestrafung aussehen?
    • Was ist der Schaden für die Wissenschaft?

    Eine einheitliche Antwort auf die Frage was die Auswirkungen von wissenschaftlichem Fehlverhalten sind, werden wir sicher nicht finden. Es kann Patienten töten, wie in Bad Pharma dargestellt, und wissenschaftliche Karrieren beenden. Zumindest Wahlergebnisse scheint es aber nicht nachhaltig zu beeinflussen.

  • Die Top 5 Wahlwerbespots aller Zeiten

    Für mich sind Bundestags- Landtags- und Europawahlen immer großes Kino, das im manischen Hin-und Herschalten zwischen den Fernsehkanälen gipfelt, in denen ab 18:00 Uhr -nach Schließen der Wahllokale – die ersten Prognosen und dann die Hochrechnungen verkündet werden.
    Aber schon in den Wochen vor der Wahl wird die Spannung für das große Ereignis durch die allabendlich an prominenter Stelle ausgestrahlten Wahlwerbespots aufgebaut. Die Qualität der Wahlwerbung der unterschiedlichen Parteien ist, gelinde gesagt, inhomogen. Je nach Budget und beauftragter PR-Agentur sind die Spots gut gemacht, nichtssagend, liebenswert-dilletantisch oder nicht zum Aushalten.
    Dieses Jahr wurde die FDP mit ihrem Spot ja bereits mit Spot und Häme überzogen. Wie bei den Liberalen war im Werbevideo der NPD und in der Werbung für Quark einer finnischen Agentur die gleiche fahrradfahrende Familie zu sehen. Viel Potential zum Fremdschämen haben auch Spots von Spartenparteien aus den neunziger Jahren. Einige dieser Perlen sind auf Youtube zu finden und hier verlinkt. Mangelhafte Qualität der Videos bitte ich zu entschuldigen:

    •  PDS 1994 (Die rechte Kabine ist übrigens frauenfeindlich)
    • APPD 1998 (Besserer Verkehr mit der Allgemeinen Pogopartei Deutschlands)
    • Naturgesetzpartei 1999 (Leider fehlen die yogischen Flieger)
    • ÖDP 2002 (Über Mobilfunkstrahlung)
    • PBC 2002 (Kinder sind wie Koffer)

    Klar ist, die Wahlwerbespots dienen der Orientierung der Wähler; sie sollen die politischen Botschaften und Pläne der Parteien verständlich erklären. Ganz unabhängig von der Qualität der Wahlwerbung ist die hier eingebundene Rede des MdB Karl-Heinz Stiegler in ihrer programmatischen Aussagekraft und Deutlichkeit jedoch weiter unübertroffen. Ein wahrer Meilenstein deutscher Politik und Vorbild für Generationen Politiker.

    Eigentlich sind Wahlwerbespots im Fernsehen aber ein Atavismus. Längst bestimmen die Wähler anhand von Umfragetools wie dem Wahl-O-Mat welche Partei den eigenen, vorgefertigten Meinungen am nächsten kommt. Was vordergründig für Wähler entweder eine nette Spielerei ist, oder nützliche Hilfe bei der Orientierung in der Parteienlandschaft bietet, liefert den Machern (für den Wahl-O-Mat ist die Bundeszentral für politische Bildung verantwortlich) interessante statistische Daten über die politischen Meinungen und Ansichten der Nutzer.
    Der Wahl-O-Mat ist das bekannteste Tool zum Abgleich der eigenen Einstellungen mit jener der Parteien. Es gibt jedoch auch Alternativen: Der Parteinavi der Uni Konstanz erlaubt eine differenziertere Meinungsäußerung, der Bundeswahlkompass, an dem die Uni Bamberg beteiligt ist, formuliert die Fragen besser. Bei mir kamen alle drei übrigens zu jeweils ähnlichen Wahlempfehlungen.

  • Mama, ich bin im Fernsehen!

    Seit ein paar Tagen registrieren sich deutlich mehr Nutzer für Recently als es im August der Fall war. Liegt es daran, dass alle, die relevante, neue biomedizinische Publikationen finden wollen in den letzten Wochen am Strand lagen? Hoffentlich auch!
    Wahrscheinlicher ist aber, dass der Artikel über Recently ist im Laborjournal für das erhöhte Verkehrsaufkommen auf recentlyapp.com sorgt. Der Artikel preist die App für Wissenschaftler und Mediziner in allen Facetten an – kein Wunder, ich habe den Artikel ja auch selbst geschrieben.
    Außerdem habe ich Biotechnologie.tv ein Interview über Recently gegeben, in dem ich auch noch mal die Hintergründe und die Funktionsweise von Recently erkläre. Es sollte hier unten zu sehen sein.

    Das Interview mit mir startet bei 6 min 12 sec. Hier ist der Direktlink zum Video.
    Zwar nicht ausdrücklich das Video hier mit meinem Interview, aber dafür andere von Biotechnologie.tv, wie z.B die Kreidezeit über Gentechnik oder über Gregor Mendel, stellen sich gerade der Konkurrenz in einem Web-Video-Wettbewerb, in dem die meist-gelikten und kommentierten Wissenschaftsvideos prämiert werden.
    Ich wusste gar nicht, wie divers die Landschaft für deutsche Wissenschaftsvideos ist. Da sind durchaus Perlen mit dabei, bis Ende September kann noch abgestimmt werden. Und in der ersten richtigen Arbeitswoche nach dem Urlaub erst mal ein paar Videos gucken ist auch nicht das schlechteste.

    Mehr zu Recently:
  • Fast ohne Risiko? Doping im Amateursport

    Fast ohne Risiko? Doping im Amateursport

    Doping im Radfahren war in den vergangenen Wochen mehrfach Thema hier. Es ging um Methoden, wie gedopte Fahrer auch ohne die Analyse von Blut und Urinproben identifiziert werden könnten und konkret um die Frage ob der Gewinner der diesjährigen Tour de France, Chris Froome, gedopt war. In einem Gastartikel wurde die Frage untersucht, ob es überhaupt möglich ist, die Tour ohne Doping, nur durch verbesserte Ernährung und Training, zu gewinnen.
    Alle drei Artikel haben eins gemein: Sie handeln von Profis, die mit Radrennen ihr Geld verdienen. Radfahren ist aber Breitensport und auch im Amateurbereich werden Rennen gefahren. Wenig verwunderlich aber weitgehend ignoriert: Auch dort wird gedopt. Ich habe ein Interview mit Jasper Vanuytrecht geführt. Jasper hat seine Masterarbeit zum Thema Doping im Amateurradsport in Flandern gerade fertig gestellt.
    WeiterGen: Jasper, hat der Amateurradsport ein Dopingproblem
    Jasper Vanuytrecht: Auf jeden Fall. Ich habe für meine Massenarbeit mehrere Amateurrennfahrer, aber auch Trainer, Ärzte, Teambetreuer, einen Polizeiinspektor, sowie den Leiter der Anti-Doping Agentur in Flandern (TeamMVS) befragt und Aussagen zur Häufigkeit von Doping im Amateursport gesammelt, aber auch zu Gründen warum im Amateursport gedopt wird, und was dagegen unternommen werden kann. Basierend auf den Aussagen in den Fragebögen schätze ich, dass mindestens 10% aller Amateurrennfahrer gedopt sind.
    WG: Mit welchen Mitteln wird gedopt?
    JV: Die Dopingmittel im Amateursport sind die gleichen, die wir vom Profisport der letzten Jahre und Jahrzehnte kennen: Steroidhormone, EPO, Corticosteroide. Ältere Fahrer nehmen auch häufig Amphetamine. Weiter werden Diuretika genommen, um Dopingmittel vor den Rennen aus dem Körper auszuschleusen.
    WG: Wie kommen die Fahrer an die Medikamente?
    JV: Das meiste wird über das Internet bestellt und ist Angaben der von mir interviewten Sportler zu Folge binnen einer Woche im Briefkasten zu Hause. Die Anbieter findet man mit einer einfachen Googlesuche. Es gibt aber auch Ärzte, die auf Bitten der Sportler leistungssteigernde oder schmerzhemmende Präparate verschreiben, obwohl dies möglicherweise nicht notwendig wäre, beispielsweise Kortison. Außerdem gibt es lokale Dealer, über die Dopingmittel bezogen werden, etwa bei Wettkämpfen. Ein Problem mit den bestellten Präparaten ist, dass man nie sicher sein kann, dass auch tatsächlich das drin ist, was drauf steht.
    WG: Warum dopen Amateursportler überhaupt?
    JV: Das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist es natürlich Ehrgeiz. Egal ob Amateur oder Profis, wer Rennen fährt, will gewinnen. Dazu kommt ein nur eingeschränkt vorhandenes Unrechtsbewusstsein, das durch dopende Profis, die ja Vorbildfunktion haben, sicher nicht gefördert wird. Im Profiradsport gab es lange eine Kultur des Dopings, die weit in den Amateurbereich hinein reicht. Wer sich ambitionierte Ziele steckt, möchte diese erreichen – häufig offenbar egal mit welchen Mitteln und zu welchem Preis. Ein weiterer Faktor ist, dass das Risiko erwischt zu werden im Amateurbereich einfach sehr gering ist.
    Vielen Sportlern scheint außerdem nicht bewusst zu sein, dass die Einnahme von Dopingmitteln kurzfristige und langfristige negative gesundheitliche Folgen hat. Die Nebenwirkungen von vielen Substanzen sind nicht adäquat untersucht. In Flandern gab es in den letzten Jahren zum Beispiel mehrere plötzliche Todesfälle von Amateurrennfahrern, die zuvor außergewöhnlich gut gefahren sind.
    WG: Wird im Amateurbereich nicht auch getestet?
    JV: Doch. Dopingkontrollen sind jedoch teuer und die Logistik ist kompliziert. Der Fokus liegt daher hauptsächlich bei den Profis. Bei Amateuren wird zwar auch getestet, allerdings nur bei den Rennen. Es finden so gut wie keine Trainingskontrollen statt. Die Kontrolleure müssten für effektive Kontrollen ja jederzeit unangemeldet bei den Athleten auftauchen können und müssten daher ständig wissen, wo sich die Amateurfahrer befinden. Das ist nicht zuletzt ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre. Die Zeit zwischen den Rennen kann also von Amateursportlern genutzt werden, um beispielsweise mit EPO die Ausdauer zu verbessern.
    WG: Was wären dann deiner Meinung nach passende Maßnahmen, um Doping im Amateurbereich einzudämmen?
    JV: Das wichtigste ist ein Mentalitätswechsel im Amateurradsport, so dass vor allem Nachwuchssportler nicht mit Doping anfangen. Dazu muss das Problem nicht nur von den Verbänden und der Politik als solches erkannt werden, sondern auch dementsprechend gehandelt werden, beispielsweise durch Aufklärungskampagnen, Präventionsmaßnahmen und die Androhung drastischer Strafen. Ein Problem ist sicher das fehlende Geld für eine adäquate Kontrollinfrastruktur. Da die Dopingkontrollen von den Verbänden selbst durchgeführt werden, besteht außerdem ein Interessenkonflikt, der nicht zur Lösung des Problems beiträgt. Welcher Radsportverband möchte schon dem Radsport schaden, dadurch dass er Dopingfälle bekannt macht?
    Meine Erfahrungen mit Amateursportlern zeigt auch, dass die Legalisierung von Doping mit Sicherheit nicht zur Lösung des Problems beiträgt. Der Meinung sind übrigens auchdie meisten Experten und Wissenschaftler. Durch bessere Kontrollen ist der Profisport in den letzten Jahren sauberer geworden, jetzt muss sich das auch auf den Amateursport übertragen.
    WG: Hat einer der von dir befragten Sportler eigentlich Doping gestanden?
    JV: Nein, obwohl ich den interviewten Sportlern natürlich Anonymität garantierte, ist das ist nicht passiert. Ich habe wahrscheinlich auch einfach zu wenig Interviews geführt und vielleicht haben diejenigen, die dopen, auch schlicht abgelehnt mit mir zu sprechen. Die Strafen für Doping im Amateursport sind genauso hoch wie im Profisport, also Rennsperren und empfindliche Geldstrafen. Wer aktiv fährt möchte das nicht riskieren. Außerdem: Wer seiner Familie und seinen Freunden nichts davon erzählt, gibt sicher in einem Interview nicht zu, gedopt zu haben. Aber das Insiderwissen einiger meiner Interviewpartner war schon erstaunlich.
    Jasper Vanuytrecht studiert an der Universität in Ghent an der Fakultät für Strafrecht und Kriminalistik. Er beantwortet hier in den Kommentaren gerne aufkommende Fragen, ist auch per Email unter Jasper.Vanuytrecht[ät]ugent.be für Rückfragen erreichbar.