Es muss im zweiten Jahr meiner Doktorarbeit gewesen sein, als in meinem Labor ein neuer Doktorand eingestellt wurde. Er, mit der gerne zur Schau gestellten Attitüde des etwas verschrobenen Wissenschaftlers, hatte Faible dafür, etablierte Methoden und Versuchsprotokolle nicht zu übernehmen sondern zu optimieren. Prinzipiell kein schlechter Charketerzug für einen Forscher, hier jedoch fast mit fatalen Folgen.
Jener Doktorand beschloss einen Liter einer frisch in einer Schott-Schraubdeckelflasche (Abbildung oben links) angesetzen Pufferlösung zur Proteinaufreinigung nicht etwa wie üblich im Eisbad zu kühlen, sondern hierfür Trockeneis Pellets einzusetzen, die aus gefrorenem etwa -80°C kaltem CO2 bestehen. Zur effektiveren Kühlung – die vermeintliche Optimierung – wurden die Trockeneispellets dafür direkt in die Pufferlösung gegeben. Um das Austreten weißen CO2 Dampfes zu unterbinden, verschloss der Doktorand die Schraubdeckelflasche fest.
Trockeneis sublimieren bei Raumtemperatur, geht also vom festen direkt in den gasförmigen Zustand über. Bei der Sublimation findet eine Volumenvergrößerung des CO2 um das 760 fache statt. Die Glasflasche hatte dem Gasdruck wenig entgegenzusetzen und barst.
Ein Schrapnell schlug etwa 20 Zentimeter vom Kopf einer unbeteiligten Postdoktorandin mit trockenem Plop in eine Styroporbox (Symbolbild oben rechts) ein und blieb dort stecken.
Der Doktorand entschied damals einvernehmlich mit seinem Arbeitgeber die angefangene Doktorarbeit abzubrechen. Ich glaube er zog dann nach England um dort zu promovieren.
Jahrelang hielt ich ich diese Geschichte für eine Kuriosität der Laborarbeit. Erst ein jüngst veröffentlichter Diskussionsfaden auf Reddit machte mir deutlich, dass solche beinahe-Unfälle offenbar häufiger sind als angenommen. Mir stellt sich nach Lektüre der Laborkatastrophen die Frage, ob im Laborwissenschaftler nicht ähnlich wie Arbeiter auf Hochseeölplattformen eine großzügige Risikozulage bekommen sollten.

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24 Kommentare

  1. Ich würde eher den Inteligenztest anstelle des Risikozuschlages sehen….. zumindest in diesem speziellen Fall

  2. Ich würde Intelligenz auch eher als etwas auffassen, was einem beim Ausdenken solcher Optimierungen hilft. Auf die rasche Umsetzung zu verzichten würde ich eher als Weisheit, Reife, Besonnenheit oder Klugheit bezeichnen.

    1. Sorry, aber zum kühlen von Flüssigkeiten Trockeneis zu verwenden und dann die Flasche zuzudrehen muss man einfach als Hirnlos bezeichnen. Es wäre meines Erachtens schon ein Akt von Intelligenz zu Erkennen das die Idee total bescheuert ist. Hätte er wenigstens den Deckel komplett weggelassen (und nicht einfach nur aufgedreht, da im Zweifel der Deckel angefriert duch die Luftfeuchtigkeit) wäre das wohl noch als Unbesonnenheit durchgegangen.

  3. In meinem Studium habe unter anderem einen Laborbrand erlebt, der ich weiß nicht mehr sieben oder elf Feuerlöscher verbraucht hat (komischerweise erinnere ich mich, daß es eine Primzahl war). Aus­gelöst durch eine ähnliche Fehl­leistung wie oben beschrieben, Natrium in Ether gepreßt und zugeschraubt (2.5 Liter).
    Am nächsten Tag konnte die Flasche den Wasserstoff-Druck nicht mehr aus­halten, barst und das Natrium feierte mit dem un­glückl­icher­weise gerade herum­schwap­penden Wasser (Abzug, Wasser­strahl­pumpe) eine Hula-Hula-Party, was natür­lich sofort den Ether entflammte. Kaum war der Brand gelöscht, ent­zündete sich irgendwo ein neues Na-Stück und der Ether ging wieder in Modus Flammenhölle.
    Wir haben die Kollegin mit der Ich-schraub-alles-doppelt-und-dreifach-zu-Manie damals alle gedeckt, und es ist nie raus­gekom­men, wer an dam Schlamassel die Schuld trug.
    Das war bei weitem nicht das Schlimm­ste in meinem Studium; die Detonation eines Hydrazin-Derivats im Sublimator hätte leicht letal enden können, wenn der Kollege vor dem Sublimator nicht im richtigen Moment auf eine Zigaretten­pause gegangen wäre (er glaubt bis heute, daß Zigaretten Leben retten). Vom stark­wandi­gen Glas­sublimator haben wir nichts gefunden, was größer als eine Erbse gewesen wäre, aber dafür überall im Labor.
    Das einzige Mal, daß wirklich jemand verletzt wurde, war jedoch eher ein Küchenunfall: Ein Kollege hatte sich ein Ölbad (das auf einem wackeligen Dreifuß aus Berzelius’ Zeiten montiert war) über den Unter­arm geschüttet, und der Saalassi hat stunden­lang ab­gewiegelt und keinen Arzt geholt. Der Kollege war vier Wochen außer Gefecht, und wegen dieser Zeit­­versäum­nis wurde ihm ein Noten­grad abgezogen.

  4. @Tobias Maier
    naja, der war Theoretiker, haßte die ganze präparative Stinkerei und verstand auch nicht viel davon, und die anderen waren alle schon im Wochenende (Freitag Nachmittag). Für ihn war das ein Strafposten.
    Aber in den folgenden Jahren wurde er zumindest nicht mehr zur Praktikums­betreuung eingesetzt.

  5. Das Verhalten des Doktoranden ist schockierend. In was für einem Missverhältnis steht hier die theoretische Begabung zur praktischen Unfähigkeit?
    @Janosch: für solche Dinge sind nicht die Gewerkschaften, sondern die Berufsgenossenschaften zuständig: http://bgi850-0.vur.jedermann.de/index.jsp

  6. Joseph,
    Risikominimierung ist sicher wichtig – im Labor wie auf Ölplattformen. Dessen ungeachtet haben Wissenschaftler im Labor regelmäßig mit gefährlichen Substanzen und Maschinen zu tun. Das dadurch erhöhte Risiko wird bei der Entlohnung nicht berücksichtigt.

  7. Also als Doktorand sollte man doch so viel Verstand besitzen, sich solch einfache Zusammenhänge im Voraus erdenken zu können.

  8. Arbeitsschutz wird sicher stiefmütterlich behandelt. Das ist auch ein hierachologisches Problem: Chefs (Professoren & PostDocs), die sich nie mit Personalführungsaspekten auseinandergesetzt haben bzw. die Auseinandersetzung so lange wie möglich aufschieben, kümmern sich manchmal nicht – oder wenn dann werden Sicherheitsbelehrungen als Mumpitz behandelt.
    Wo kein Kläger, da kein Richter. Es sollten die Institutionen sein, die da stärker nachhaken.
    Absolut lernunfähige Idioten gibt es natürlich auch. Denen sollte schon aus Karrieregründen (sie werden es i. d. R. nicht weit bringen) nahegelegt werden nicht im Labor zu arbeiten.
    Mehr Geld? Na ja. Es wäre schon mal gut, nicht aus dem Argument: “Ihr seid ja noch in der Ausbildung.” mit stark befristeten (< 1/2 Jahr) Verträgen halbe Verträge zu haben (ein Feld, in dem sich glücklicherweise etwas tut).

  9. CM,
    prinzipiell gibt es ja Sicherheitsbeauftrage, die für Schulungen der Mitarbeiter verantwortlich sind. Solche Kurse (meistens eine Stunde direkt nach der Einstellung und noch mal extra für Arbeiten mit Radioaktivität) behandeln vielleicht nicht alle Laborrisiken erschöpfend und werden wahrscheinlich auch nicht immer ganz ernst genommen.

  10. Hier meine Anekdote:
    Unsere Chemielehrerin (mit reichlich Berufserfahrung) erklärte uns die Alkalimetalle. Sie schnitt einen Brocken Natrium ab und warf ihn in ein Wasserbad, wo er dann eine Weile vor sich hinschmurgelte.
    Dann kam Kalium an die Reihe und der Natriumbrocken wurde mit einer Zange rausgefischt und kurzerhand in den Abfluss entsorgt.
    Der Unterricht ging dann weiter. Ein paar Minuten später BUMM und der Porzellaneinsatz kam in hohem Bogen aus dem Abfluss geflogen.
    Ach, das waren noch Zeiten. In der Chemie-AG haben wir Nitroglyzerin hergestellt ohne daß gleich das SEK anrückte und Chemiekenntnisse waren noch was Gutes und wurden nicht als Teil einer Terroristengrundausbildung angesehen.
    Das zu einer Zeit, wo wir mit der RAF/Baader-Meinhof-Bande tatsächlich Terroristen hier rumlaufen hatten…

  11. Tja, Arbeitssicherheit im Labor… Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz, das Chemikaliengesetz und die Gefahrstoffverordnung – um nur einige zu nennen – sind an der Tagesordnung. Betriebssicherheitsverordnung, DGUV Vorschrift 1, TRGS, TRBS usw. – im Labor alles Fremdworte. Arbeitsablaufstörer. Sicherheitsbeauftragter = Oberbedenkenträger, kann ignoriert werden. Kräht kein Hahn nach. Allerdings: wenn’s kracht und jemand ernsthaft verletzt oder gar getötet wird, kommt’s Knüppeldicke – vor allem für die, die keine Ahnung hatten, dass sie als Vorgesetzte Pflichten im Bereich des Arbeitsschutzes haben. Als Laborleiter ist man gut beraten, sich mal mit der zuständigen Fachkraft für Arbeitssicherheit zu unterhalten…
    Aber selbst als TA kommt man schnell in den “Gefahrenbereich” – schneller als einem lieb ist. Meist dann, wenn der Chef den Morgen mit “Hier ist Dein neuer Praktikat” beginnt – schwupps! – und man ist als TA im rechtlichen Sinne ein Vorgesetzer und – klatsch! – klebt einem der ganze Semon “Arbeits- und Gesundheitsschutz” am Popo. Anders ausgedrückt: von “Freiheit der Forschung und Lehre” zu faseln, schützt im Falle eines Falles nicht vor Gericht. Und nein, der ganze “Arbeitssicherheits-Schnickschnack” gilt nicht nur für die Industrie. Und nein, Professoren sind als Vorgesetzte nicht ausgenommen…

  12. Leider gibt es solche Vorfälle häufiger. Entweder ist es Dummheit oder schlichtes Unwissen die zu den schlimmsten Fehlern führen. Bei mir im Labor wäre der Herr schlicht rausgeworfen worden. Wir hatten eine Kollegin die es nicht für nötig befand ihre Agarplatten sinnvoll zu beschriften. Nun arbeitete die Dame aber mit Pathogenen, noch dazu mit Naturisolaten. Oder der Kollege der seine Vibrio cholerae(Stammsammlung attenuiert) Kulturen ohne autoklavieren in den Gully schüttete. Oder die Kollegin die alle Säuren zur Entsorgung frei gab weil diese “gefährlich” sein (ok das war nur dumm).Aus meiner Erfahrung mit Studenten in Praktika, denke ich, das es schlicht mangelndes Wissen und Erfahrung ist, die zu solchen Sachen führen. Leider werden Studenten schlicht nicht eingeschult. Dafür gibt es aber Betreuer. Beruflich verkaufe ich jetzt das Zeug das ich früher verwendet habe. Die Fragen die ich bekomme sind genau so hanebüchen. Beispielsweise bekam ich von einen Doktoranten die Frage wie lange er eine Chemikalie,die wir als Heptahydrat verkaufen, erhitzen muß um das Kristallwasser raus zu bekommen. Und das nur deshalb weil seine Anleitung vom wasserfreien Produkt ausgeht.

  13. Zum Lesen z.B. im Institut für Arbeitssicherheit
    “Raketentreibstoff im Schullabor”
    BPUVZ 12/2013 S.665ff
    “Der haftungsscheue Professor – Pflichtenübertragung durch Weisung auch gegen den Willen”
    BPUVZ 04/2014 S. 195ff
    (sehr ausführliche Darstellung der Arbeitsschutz-Pflichten von Vorgesetzten)
    Zum Klicken:
    https://www.academics.de/wissenschaft/rechtssicherheit_im_labor_-_wer_haftet_beim_unfall_45946.html
    http://www.bgrci.de/fachwissen-portal/start/laboratorien/aktuelle-informationen/
    Zum Gucken:
    https://www.youtube.com/watch?v=R3h8j5U0d3s&feature=youtu.be
    Im Grunde verhält es sich “einfach”: jeder, der anderen Personen Arbeit zuweist, die Durchführung der Arbeit überwacht, das Ergebnis kontrolliert und sich darüber berichten lässt, ist “Vorgesetzter”. Es entsteht eine Weisungsbefugnis – und diese muss nicht zwingend schriftlich erteilt werden. Die Ausübung der Vorgesetzten-Tätigkeit(en) reicht aus.
    Als Vorgesetzter rückt man so automatisch in eine “Garantenstellung” hinein; d.h. man muss den untergeordneten Mitarbeitern garantieren, dass sie ihre Aufgaben sicher und gesundheitsgerecht erfüllen können – man muss sich also aktiv um Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz seiner Mitarbeiter kümmern.
    Dies beginnt bei der sog. Gefährdungsbeurteilung (die selbst schon recht aufwändig sein kann) und führt zur regelmäßig zu wiederholenden Unterweisung seiner Mitarbeiter.
    Insgesamt kann man aber feststellen, dass Arbeits- und Gesundheitsschutz ein äußerst komplexes Thema ist. Aus diesem Grunde sollte jeder, der sich in einer Vorgesetzten-Rolle wiederfinden könnte, von der zuständigen Fachkraft für Arbeitssicherheit beraten und unterstützen lassen.

  14. @ Tobias:

    “…haben Wissenschaftler im Labor regelmäßig mit gefährlichen Substanzen und Maschinen zu tun. Das dadurch erhöhte Risiko wird bei der Entlohnung nicht berücksichtigt.”

    “Erhöht” im Vergleich wozu? Zum Unfallrisiko von Straßenbauarbeitern? Zu (Chemie-)Laboren in der Industrie? Zu (Chemie-)Laboren in Behörden? Zu dem, was bei einem ordentlichen Sicherheitsstandard als Grundrisiko in einem (Chemie-)Labor da wäre?
    Selbst wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass in Hochschullaboren unabdingbar ein “erhöhtes Risiko” gegeben ist, das durch eine Gefahrenzulage auszugleichen wäre – ich will das ja nicht ausschließen – müsste vorher die Arbeitsschutzroutine laufen, angefangen mit der Gefährdungsbeurteilung, statt das als “Auch-das-noch-Bürokratie” abzutun, siehe auch die Kommentare von SIFA. Und die Unfallstatistik müsste in dem Punkt ebenfalls auf Vordermann gebracht werden, wenn stimmt, was der FREITAG dazu vor einiger Zeit schrieb, sonst kommt man bei der Bewertung eines “erhöhten Risikos” auch nicht weiter.

  15. SIFA,
    vielen Dank für die weiterführenden Links.
    Joseph,
    Ich bezog das erhöhte Risiko auf andere Doktoranden, beispielsweise in der Bioinformatik oder in den Geisteswissenschaften, habe das aber im Text nicht so geschrieben.
    Vielen Dank auch für den Link zum FREITAG.

  16. Meine Lieblingszitate von “Sicherheitsbeauftragten” in biomedizinischen Laboren:
    “Du weißt, dass du nicht mit dem Mund pipettieren sollst.”(Wer kommt denn heute noch auf die Idee)
    “Im Labor herrscht Kittelpflicht.” (Wenn sich die Gewerbeaufsicht ankündigt.)
    Und am besten:
    “Was sind denn R- und S-Sätze?”

  17. Und am besten:
    “Was sind denn R- und S-Sätze?”
    Gibt´s nicht. Es gibt nur H- und P-Sätze…[/klugscheiß]

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