Wenige aktive Wissenschaftler werden behaupten, dass derzeit mit dem akademischen System so weit alles in Ordnung ist. Die Probleme sind vielschichtig. Die prominenteste Kritik bezieht sich aktuell vor allem aber auf das Publikationswesen.
So hat Nobelpreisträger Randy Scheckman letztes Jahr im Dezember einen Artikel im Guardian publiziert, in dem er Open Access Publishing propagiert und den Impact-Faktor im Allgemeinen sowie den Einfluss der Flagschiff-Journale einflussreicher Verlage, nämlich Cell, Nature und Science, im Besonderen kritisiert.
Sydney Brenner, ebenfalls Nobelpreisträger, hat in einem kürzlich publizierten Interview eine ähnliche argumentative Richtung eingeschlagen. Er kritisiert darin den Einfluss der Herausgeber der Wissenschaftsmagazine auf das, was publiziert wird und somit wissenschaftliche Trends bestimmt.
Er warnt in dem Interview vor dem Einfluss des Impact-Faktors auf die Beurteilung der Förderwürdigkeit von Wissenschaftlern und Forschungsprojekten und schlägt damit die Brücke von Problemen mit dem Publikationswesen zu allgemeinen Problemen im akademischen System.
Brenner stellt fest, dass viele der bahnbrechenden wissenschaftlichen Erfolge der letzten Jahrzehnte heute, bedingt durch Publikationsdruck und dem verlangten Erreichen kurzfristiger Ziele, wohl nicht mehr möglich wären. In einem Nachruf (pdf) auf den vergangenen November verstorbenen zweifachen Nobelpreisträger Frederick Sanger schreibt Brenner:
„A Fred Sanger would not survive today’s world of science. […] He would be labelled as unproductive, and his modest personal support would be denied. We no longer have a culture that allows individuals to embark on long-term—and what would be considered today extremely risky—projects.“
Die aktuellen Probleme im System Wissenschaft sind komplex und nicht nur mit einem ungeeigneten oder wenigstens unzureichenden Publikationssystem zu erklären. Die aktuellen Probleme im System Wissenschaft sind auch nicht alleine aus dem Blickwinkel von oben, von Wissenschaftlern, die es geschafft haben, wie die Nobelpreisträger Schekman und Brenner, zu verstehen. Die aktuellen Probleme betreffen vor allem jene, die selbst forschen.
Die National Academy of Science in den USA hat eine Kommission gegründet, um die Situation der Postdocs in the USA zu untersuchen, also diejenigen Wissenschaftler, die zusammen mit den Doktorandinnen die eigentliche Forschungsarbeit leisten. Die Ergebnisse werden vom Leiter der Kommission, Gregory Petsko, in einem Video zusammen gefasst. Sie treffen auch auf die akademische Welt außerhalb der USA zu.
Petsko erkennt, dass nur ein Bruchteil der Postdocs tatsächlich Chancen auf eine akademische Karriere haben, gleichzeitig werden die Nachwuchswissenschaftler an den Universitäten und Instituten aber vollkommen unzureichend auf eine Berufstätigkeit außerhalb der akademischen Forschung vorbereitet.
„The figure [of postdcos continuing an academic career] is much below 20%. We’re fond of saying that we should prepare people for alternative careers without realising that we are the alternative career. […] If we believe as scientists that the people we are training in our labs are being trained for academic careers, we are fooling ourselves and we are doing them a disservice. […] We need to worry about whether we are giving them adequate preparation for careers that are not like the careers that we have.“
Petsko hat Recht: Der akademische Weg ist zum Standard geworden. Vor allem in den Naturwissenschaften existiert fast ein Automatismus, wonach man an das Studium eine Promotion anschließt, und danach – häufig aus tatsächlichem oder so wahrgenommenen Mangel an Alternativen – mit dem Postdoc weiter macht. Die wissenschaftliche Karriere gleicht einer breiten Straße, die dennoch für über 80% in einer Sackgasse endet.
Das Überangebot an hochqualifizierten Wissenschaftlern, die um viel zu wenige verfügbare Stellen im akademischen Mittelbau oder als Gruppenleiter oder Nachwuchsprofessor konkurrieren, hat längst zu einem ungesunden und von Frustrationen geprägten Umfeld geführt, in dem die wenigsten noch Spaß an der Forschung haben und psychische Erkrankungen schon normal und akzeptiert sind.
Es trifft offenbar immer erst die Falschen. Nachdem die Schweizer in einem Referendum am 9. Februar mehrheitlich beschlossen haben, die Einwanderung in ihr Land zu limitieren, hat die Schweizer Regierung darauf verzichtet, Kroatien in die Liste der Länder aufzunehmen, deren Bürger auch in ihrem Land Freizügigkeit genießen. Als Folge dieses Verzichts hat die Europäische Kommission beschlossen, der Schweiz vorerst ihren Rang als assoziiertem Land bei den europäischen Forschungsprogrammen abzusprechen.
Diese Entscheidung schwächt die europäische Forschungsinfrastruktur, die stark auf international vernetzte Forschungsprojekte aufbaut, und in der die Schweiz als wissenschaftlicher Hochleister eine wichtige Rolle spielt. Forscher in der Schweiz, egal ob dort gebürtig oder Ausländer, dürfen sich außerdem nicht mehr auf die Calls vom European Research Council (ERC) bewerben. Hier ist eine Zusammenfassung der Konsequenzen (.pdf) von offizieller Stelle.
Es geht um eine Menge Geld. In dem gerade angelaufenen achten Rahmenprogramm (Horizon 2020) werden in den kommenden sechs Jahren rund 80 Milliarden Euro an Fördermitteln vergeben. Kooperative Projekte mit Schweizer Beteiligung können betroffen sein. Der Personalizing Health and Care Call mit einem Gesamtvolumen von 303 Millionen Euro schließt morgen und der Mobility for Growth Call (341 Millionen) kommende Woche Dienstag. Der 485 Millionen Euro Topf des ersten ERC Starting Grant Calls mit Anmeldeschluss am 25. März wird wohl an den Schweizern vorbei gehen, was vor allem junge Nachwuchswissenschaftler treffen würde.
Die Schweiz hat die brisante Lange natürlich erkannt und schafft derzeit ein befristetes Förderinstrument zum Ausgleich, das aktuell vor allem für Bewerber auf ERC Starting Grants relevant ist. Wissenschaftler, die ein Forschungsprojekt in der Schweiz planen und dazu einen ERC Starting Grant beantragen wollten, können ihren Antrag zwischen dem 15. März und dem 25. März 2014 beim Schweizerischen Nationalfonds SNF einreichen.
Es gibt außerdem natürlich Petitionen mit einem Appell für einen europäischen Hochschulraum und dem Wunsch, dass die Schweiz Teil der europäischen Wissenschaft bleiben soll.
Die komplett internationalisierte Wissenschaftselite ist nun wirklich unverdächtig nationalschweizerische Interessen zu verfolgen und hat beim Referendum Anfang Februar wahrscheinlich nicht mehrheitlich mit „Ja“ gestimmt. Wieso sie aber direkt die Konsequenzen der Schweizer Abstimmung, beziehungsweise der Sanktionen der Europäischen Kommission treffen soll, ist mir unverständlich.
Bei der Untersuchung von Risikofaktoren für die Alzheimersche Krankheit kann David Snowdon von der Universität in Minnesota auf eine höchst bemerkenswerte Zielgruppe zugreifen: Seit 1986 findet in den USA eine Studie mit 678 katholischen Schwestern des Ordens Unserer Lieben Frau statt. Die Nonnen waren zu Studienbeginn mit 75 bis 102 Jahren alle schon im fortgeschrittenen Alter. Sie unterziehen sich zu Lebzeiten regelmäßigen Tests ihrer geistigen Leistungsfähigkeit und die Nonnen haben allesamt zugestimmt, dass ihr Körper nach dem Tod der medizinischen Forschung überlassen wird.
Vor allem eine detaillierte Untersuchung des Gehirns soll ergeben, in wie weit Alzheimer schon durch einfache Tests zu Lebzeiten vorausgesagt werden kann — und möglicherweise entsprechende Vorkehrungen getroffen werden können.
Die Nonnen eignen sich aus mehreren Gründen ganz ausgezeichnet als Studienobjekte. Seit Jahrzehnten wohnen sie zusammen, sie haben daher sehr ähnliche Tagesabläufe und soziale Bindungstrukturen. Weiter stellen sie durch ihre von weltlichen Versuchungen relativ freie Lebensweise eine recht homogene Gruppe dar: keine Drogen, kaum Alkohol, keine Kinder. Es gibt also wenige externe Faktoren, die bei der Auswertung der Korrelationen zwischen Zustand des Gehirns und dem Abschneiden bei den Tests berücksichtigt werden müssten.
Erste Ergebnisse der Nonnenstudie zeigen, dass Schwestern, die beim Eintritt in den Orden in ihrer Jugend schon komplexe und stilistisch flüssige Autobiografien verfassten, ein geringeres Risiko hatten später im Leben an Alzheimer zu erkranken — und da die meisten Nonnen sich weiterhin bester Gesundheit erfreuen, ist mit weiteren Ergebnissen auch erst in den nächsten Jahren zu rechnen.
Die Untersuchungen der Gehirne der bislang verstorbenen Nonnen mit Alzheimer bestätigten die bislang bekannten Befunde: Neben einem deutlichen Zurückgang der Gehirnmasse, können in Dünnschnitten unter dem Mikroskop sogenannte Plaques identifiziert werden. Die Plaques bestehen hauptsächlich aus einem Teil des sogenannten Amyloiden Präproteins (APP) und die meisten Wissenschaftler sind sich einig, dass in diesem Protein der Schlüssel zum Verständnis der Ursachen und der molekularen Zusammenhänge der Alzheimerschen Krankheit auf zellulärer Ebene liegt
Die Molekularen Grundlagen von Alzheimer
Das Amyloide Präprotein kommt konzentriert in den Verbindungen von Nervenzellen zueinander vor, in den Synapsen im Gehirn. Die eigentliche Funktion von APP ist bislang nicht klar; man weiss jedoch, dass das Protein im Gehirn ständig neu gebildet und von sogenannten Sekretasen in Stücke geschnitten und wieder abgebaut wird. Eines der APP- Abbauprodukte, ein Proteinstück aus 42 Aminosäuren, genannt A-beta-42, hat eine physikalisch ungünstige Eigenschaft: Es kann mit seinesgleichen zusammenkleben, also aggregieren. Normalerweise werden auch die A- beta-42 Peptide, direkt nachdem sie entstehen, wieder entsorgt. Im Lauf eines Lebens kann es aber zu deren Anhäufung kommen — mit fatalen Folgen:
Die Reizübertragung zwischen Nervenzellen wird behindert; Im Gehirn laufen Entzündungsprozesse ab und größere Mengen aggregierter A- beta-42 Peptide bilden eben die für Alzheimer typischen und unter dem Mikroskop identifizierbaren Plaques, in die auch andere, wichtige Proteine rekrutiert werden können. Innerhalb von Nervenzellen bilden sich fibrilläre Knäule aus dem sogenannten Tau-Protein, was schließlich dazu führt, dass die betroffenen Zellen absterben. Dieser Nervenzellverlust ist der Grund für den nach dem Tod messbaren Zurückgang der Gehirnmasse bei an Alzheimer erkrankten Menschen.
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Das Amyloide Präprotein wird von Sekretasen geschnitten. Dabei entsteht manchmal A-beta-42. Quelle: Wikipedia
Diese komplexen und nur bislang unvollständig verstandenen Vorgänge im Gehirn gehen im Verlauf der Alzheimerschen Krankheit mit dramatischen Symptomen und Folgen für Betroffene und deren Angehörige einher. Anfängliche Wortfindungsstörungen und lückenhafte Erinnerungen führen über Jahre zum kompletten Verlust kognitiver Fähigkeiten bis hin zum Vergessen des eigenen Namens und zur Unfähigkeit, sich verbal zu äußern. Damit einher gehen deutliche Veränderungen des Charakters, Misstrauen den Nächsten gegenüber, ungekannte Aggressivität und Feindseligkeit gegenüber bislang Vertrauten, bis zu vollständiger Demenz.
Es wird angenommen, dass derzeit rund 700 000 Menschen in Deutschland an Alzheimer erkrankt sind. Die Zahl wird in Folge der Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung weiter steigen, da bei alten Menschen das Erkrankungsrisiko ungleich höher ist: Während 3% der 65-69-Jährigen Alzheimer Symptome zeigen und 9% bei den 75-79-Jährigen, sind es bei den 85-89-Jährigen bereits rund 40%. Wir werden zwar immer älter aber leider auch immer häufiger dement.
Die Suche nach den Risikofaktoren erlaubt möglicherweise präventiv der Krankheit zu begegnen oder zumindest deren Fortschreiten zu verzögern. So kann die langfristige Einnahme von bestimmten entzündungshemmenden Medikamenten die Gefahr an Alzheimer zu erkranken verringern.
Die Erforschung der molekularen Ursachen und Zusammenhänge der Alzheimerschen Krankheit eröffnet außerdem therapeutische Ansätze für diese häufigste Demenzkrankheit. Die Symptome können beispielsweise durch die medikamentöse Beeinflussung der Reizübertragung zwischen Nervenzellen abgemildert werden. Es ist weiter denkbar, direkt auf die Bildung oder die Aggregation des A-beta-42 Peptides Einfluss zu nehmen. Möglicherweise haben Derivate des Tetrahydrocannabinol (THC), der aktiven Substanz in Marihuana, ebenfalls einen positiven Effekt auf den Verlauf der Krankheit und können gar therapeutisch eingesetzt werden.
Was haben Alzheimer und BSE gemeinsam?
Das Amyloide Präprotein APP, bei dessen Prozessierung das Plaque-bildende A-beta-42 Peptid entsteht, ist nicht das einzige Protein, das direkt Krankheiten auslösen kann. Vor achtzehn Jahren kam es zu einer wahren Massenpanik, als bekannt wurde, dass einige Briten nach dem Verzehr von Gerichten, die vornehmlich Rinderhirn enthielten, an einer seltsamen neurodegenerativen und tödlich verlaufenden Krankheit litten, der bovinen spongiformen Enzephalopathie, kurz BSE.
Eine Kuh mit BSE-Symptomen. Quelle: Wikipedia
Bilder von Rindern, die an BSE litten und auf den Knien rutschend durch den Matsch auf britischen Bauernhöfen zur Schlachtbank getrieben wurden, waren Teil der Abendnachrichten. Es kam schon bei einzelnen Verdachtsfällen zu Massentötungen von ganzen Rinderherden und von der EU wurde ein Exportverbot für britisches Fleisch ausgesprochen. Noch nie zuvor konnte man beim Metzger so gutes Rindfleisch so günstig einkaufen; genießen konnten es allerdings nur die Mutigen.
Die verantwortlichen Erreger waren weder Parasiten, Bakterien oder Viren, sondern Proteine, sogenannte Prionen. Prionproteine können spontan ihre Stuktur ändern und in einer Kettenreaktion gleiche Proteine mit der ursprünglichen Struktur ebenfalls dazu bewegen, die veränderte, krank machende Form anzunehmen. Das ist, vereinfacht gesagt, die Prionenhypothese, für deren Postulierung und für die Entdeckung, dass die infiziösen Partikel tatsächlich Proteine sind, Stanley Prusiner 1998 den Nobelpreis für Medizin bekam.
Die veränderte Variante des Prionproteins führt nicht direkt zu den typischen motorischen Ausfallserscheingungen, es sind — ähnlich wie bei Alzheimer — nachgeordnete Effekte in den betroffenen Zellen, die für das Krankheitsbild verantwortlich sind. Veränderte Prionproteine aggregieren und rekrutieren andere wichtige Proteine der Zelle. Diese Aggregate können von der Zelle nicht mehr entfernt werden, sie häufen sich an und bringen das empfindliche Gleichgewicht aus Proteinsynthese und -abbau durcheinander.
Höchstwahrscheinlich weiß sich die Zelle dann nicht mehr anders zu helfen, als den eigenen Tod einzuleiten. Da das Prion-Protein hauptsächlich in Nervenzellen und im Gehirn vorkommt sind es eben jene Zellen die in Folge der Erkrankung absterben und zu den beobachteten Symptomen bis hin zum Tod führen. Wenn die Gehirne von betroffenen Menschen oder Tieren nach deren Ableben untersucht werden, ist das Organ durch den massenhaften Zelltod regelrecht durchlöchert und sieht aus wie ein Schwamm. Daher wird diese Erkrankung in der Fachsprache auch spongiforme Enzephalopathie, also schwammförmige Gehirnkrankheit genannt. Der Grund für die Verbreitung von BSE bei den britischen Rindern war damals das Zufüttern von unzureichend aufbereitetem Tiermehl von Schafen, die an Scrapie, einer ähnlichen Krankheit litten. Schafe mit Scrapie, Rinder mit BSE und Menschen mit einer Variante der Creutzfeld-Jakob-Krankheit. Drei Namen in drei Spezies für letztendlich die gleiche neurodegenerative Krankheit.
Kuru bei Einwohnern Papua-Neuguineas.
Bereits Ende der 1950er Jahre wurde in Papua-Neuguinea eine ganz ähnlich verlaufende Krankheit entdeckt. Sie wurde unter dem Namen bekannt, den ihr die betroffenen Angehörigen des dort ansässigen Stammes der Fore gaben: Kuru. Der Arzt Daniel Carleton Gajdusek lebte mit den Fore, beschäftigte sich mit deren Kultur, und obduzierte Leichen, die an Kuru verstorben waren. Er vermutete, dass sich die Stammesangehörigen bei ihren Ahnen ansteckten, da ein kannibalistisches Bestattungsritual darin bestand, das Hirn der verstorbenen Verwandten zu verspeisen. Gajdusek bewies die Übertragbarkeit der Krankheit in Experimenten mit Affen.
Er bekam für seine Arbeit 1976 den Nobelpreis für Medizin, und obwohl er selbst in seiner Rede in Stockholm den Erreger noch ein “ungewöhnliches Virus” nannte, wurden bereits damals Parallelen zu Scrapie bei Schafen gezogen und es war bekannt, wie die Erreger der seltsamen Krankheit unschädlich gemacht werden konnten, zum Beispiel durch Autoklavieren, also durch eine halbstündige Garzeit bei 121°C im Dampfkochtopf. Hätten sich die Briten die Nobelpreisrede von Gajdusek gründlich durchgelesen, bevor Sie das unzureichend aufbereitete Tiermehl an ihre Rinder verfüttert hätten, wären wohl rund 200 Menschen weniger gestorben — und über vier Millionen Rindern wären, statt auf dem Scheiterhaufen und im Krematorium, auf den Tellern gelandet.
Heute findet die diesjährige Preisverleihung der Nobelpreise statt. Ab kurz vor eins sollte hier der die Liveübertragung der Vergabe des Friedensnobelpreises in Oslo zu sehen sein und ab zwanzig nach vier sollten dann auch die Naturwissenschaftler in Stockholm ihre Medaillen und Urkunden entgegen nehmen dürfen.
Einer der diesjährigen Preisträger ist Randy Schekman, der zusammen mit James Rothman und Thomas Südhof den Preis für Physiologie und Medizin bekommt, und zwar für die Aufklärung der zellulären Sekretionswege und Vesikeltransport. Auf Englisch heißt das so:
„for their discoveries of machinery regulating vesicle traffic, a major transport system in our cells.”
Hier ist der Link zu Scheckmans 54 minütigem Vortrag den er am 7.12. am Karolinska-Institut hielt. Für diejenigen, die sich näher mit der Thematik befassen wollen oder einen historischen Überblick über das Feld bekommen möchten.
Wissenschaftler stehen ja nur selten im öffentlichen Rampenlicht. Die Verleihung der Nobelpreise ist jedoch eine der Ausnahmen und Randy Schekman nutzt die momentane Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wird, um in einem Artikel im Guardian Open Access zu propagieren und explizit die von ihm so gekannten Luxusmagazine Cell, Nature und Science, sowie den Impact Factor im Allgemeinen zu kritisieren. Insbesondere geht es ihm um den negativen Einfluss, den die hochselektiven Magazine auf den generellen Wissenschaftsbetrieb haben:
Luxury-journal editors […] accept papers that will make waves because they explore sexy subjects or make challenging claims. This influences the science that scientists do. It builds bubbles in fashionable fields where researchers can make the bold claims these journals want, while discouraging other important work […].
Scheckman erklärt weiter, wie Open-Access Magazine (wie das von ihm co-herausgegebene eLife Journal) den kostenfreien Zugang zu wissenschaftlichen Literatur erlauben und unter Einhaltung aller notwendigen Qualitätskriterien fairer publizieren, da sie eine größere Anzahl an Artikeln veröffentlichen können als die Luxusmagazine und nicht auf Abonnenteneinnahmen angewiesen sind.
Obwohl aktuell bereits etwa 20% der biomedizinischen Fachliteratur frei zugänglich sind, vollzieht sich der Kurswechsel hin zu offenen Modellen zu langsam – und stößt an Grenzen. Ein Artikel in einem „Luxusmagazin“ wird in den Köpfen der Wissenschaftler immer noch mit hoher Qualität gleichgesetzt. Einer aktuellen Umfrage der Nature Publishing Group zur Folge, sind es demnach immer noch das Prestige des Magazins, sowie der Impactfaktor, die neben der fachlichen Relevanz entscheiden, an welches Magazin das eigene Manuskript geschickt wird.
Weiter werden in den Auswahlkriterien der Forschungfinanzierer und der Berufungskommissionen viel Wert auf Publikationen in Luxusmagazinen gelegt. Ein Erstautorenpaper in Cell, Nature oder Science ist in meiner Erfahrung immer noch fast so etwas wie eine Garantie für das berufliche Weiterkommen auf der akademischen Karriereleiter. Es zählt der Name mehr als die Inhalte.
Es ist daher leider immer noch eine Luxusposition, die der Nobelpreisträger Schekman einnimmt, wenn er sagt, dass sein Labor die Luxusmagazine boykottiere und seine Mitarbeiter ihre Manuskripte woanders einreichen würden. Es ist eine Luxusposition, die ihm nach 46 eigenen Artikeln in Cell, Nature und Science nichts mehr anhaben wird, die einigen Postdocs in seinem Labor aber die Karriere kosten kann.
Auf die Frage, was uns von anderen Tieren unterscheidet, gibt es traditionell eine einleuchtende Antwort. Wir sind eben die Krone der Schöpfung! Wissenschaftlichen Kriterien hält diese Argumentation freilich nicht stand. Aber: Es gibt eine Erklärung für die außergewöhnlichen kognitiven Fähigkeiten des Menschen, und die geht, zusammengefasst in drei Sätze, so:
Die Dichte der Neurone ist beim Menschen und bei anderen Primaten im Vergleich zu anderen Tieren außergewöhnlich hoch, so dass in relative geringen Gehirnvolumina eine stattliche Anzahl an Neuronen untergebracht werden kann.
Der hohe Energiebedarf, der mit einer hohen Anzahl an Nervenzellen einhergeht, limitiert die Größe von Primatenhirnen, kann aber vom Menschen nur durch die Aufnahme gekochter Speisen gedeckt werden.
Der Mensch hat insgesamt etwa 86 Milliarden Nervenzellen im Gehirn, 16 Milliarden davon in der Großhirnrinde, mehr als jedes andere Tier.
Wer das ganze etwas ausführlicher, im Zusammenhang, und in rund einer viertel Stunde anhören möchte, dem sei der vor ein paar Tagen erschienene Ted-Talk von Suzana Herculano-Houzel empfohlen:
[ted id=1879]
Aufgabe für den Kommentarteil: Bitte in drei Sätzen erklären, wie die Anzahl der Neuronen im Großhirn mit Bewusstsein zusammenhängt.
Es ist ein dankbares Thema, weil es Geschlechterstereotypen schön bedient. Ein PNAS Artikel, mit dem Title „Sex differences in the structural connectome of the human brain” der vorgestern vorab publiziert wurde, wird von den Medien aufgegriffen. Männer können besser Landkarten lesen, Frauen können besser analytische und intuitive Informationen miteinander verbinden. So oder so ähnlich. Jetzt auch gezeigt mit neuester Technik direkt im Gehirn.
Für die Studie wurde bei fast eintausend Heranwachsenden die Konnektivität der Neurone im Gehirn untersucht. Die Autoren nutzen Diffusionsmagnetresonanz (DTI) um die Konnektivität unterschiedlicher Gehirnregionen zu untersuchen. Die Ergebnisse zeigen zweierlei:
Generell scheint die Konnektivität innerhalb einzelner Hirnregionen bei Frauen höher zu sein als bei Männern, mit Ausnahme vom Kleinhirn.
Bei Frauen sind die beide Hirnhälften relativ stärker miteinander verbunden als bei Männern.
Die Ergebnisse der Studie werden von Ragini Verma, der verantwortlichen Autorin folgendermaßen eingeordnet:
„These maps (Die Konnektivitätskarten des Gehirns) show us a stark difference – and complementarity – in the architecture of the human brain that helps provide a potential neural basis as to why men excel at certain tasks, and women at others”.
Die Studie liefert Daten, die mit geschlechtsspezifischen Verhaltensunterschieden korrelieren. Die Ergebnisse erlauben es aber sicher nicht, bestimmte Verhaltensmuster kausal mit Unterschieden in der Gehirnarchitektur zu erklären.
Die Konnektivität verschiedener Gegenden in Gehirnregionen ist bei Frauen höher als bei Männern, außer im Kleinhirn. Copyright: PNAS
Kritik an der Studie direkt, nicht an der Berichterstattung darüber, betrifft vor allem die Zuverlässigkeit der DTI-Messungen. Das Blog Neuroskeptic und anonyme Kommentatoren auf Pubpeer merken an, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in Stillhalten des Kopfes die Ergebnisse beeinflussen könnten.
Tatsächlich wurde in einer Studie letztes Jahr gezeigt, dass die Kopfbewegung zwischen Individuen stark variiert und Faktoren wie Alter, und Krankheit das Kopfwackeln und damit die MRI-Messungen beeinflussen. Wackeln vielleicht Männer einfach mehr?
Journalisten suchen natürlich nach einer Story hinter der wissenschaftlichen Publikation, wobei die Übergänge zwischen originalgetreuer Wiedergabe und freier Interpretation der Studienergebnisse fließend sind. Am schönsten hat „The Mouth“ die Studie zusammengefasst und illustriert:
„Female brains are just scribbled multicoloured mess reveals science study.“
Ingalhalikar M, Smith A, Parker D, Satterthwaite TD, Elliott MA, Ruparel K, Hakonarson H, Gur RE, Gur RC, & Verma R (2013). Sex differences in the structural connectome of the human brain. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America PMID: 24297904
Wie die Faz vergangene Woche berichtete, hat Ritter Sport inzwischen eine einstweilige Verfügung gegen die Stiftung Warentest erwirkt. Die Verbraucherschutzorganisation hatte in einem Test von Nussschokolade unter anderem die Sorte Voll-Nuss von Ritter Sport aufgrund von einer als irreführend eingestuften Kennzeichnung der Inhaltsstoffe mit Mangelhaft benotet.
Konkret geht es um den Aromastoff Piperonal, der laut Auszeichnung auf der Schokoladepackung ein “natürliches Aroma” sei, laut Stiftung Warentest jedoch chemischen Herstellungsverfahren entspringen soll.
Bestätigten Angaben zur Folge bezieht die Firma Ritter Sport den Aromastoff vom Unternehmen SymRise, welches an Eides statt erklärt hat, dass das an Ritter Sport gelieferte Piperonal ein natürliches Produkt sei, welches der europäischen Regulierung zu Aromastoffen folgend, aus Pflanzen isoliert wird.
Die eidesstattliche Versicherung von SymRise bezieht sich auf ein Vanillearoma, dem Piperonal zugegeben wird. Zitiert wird Artikel 3 Absatz 2c der EU-Verordnung zu Aromastoffen (.pdf):
natural flavouring substance’ shall mean a flavouring substance obtained by appropriate physical, enzymatic or microbiological processes from material of vegetable, animal or microbiological origin either in the raw state or after processing for human consumption by one or more of the traditional food preparation processes listed in Annex II. Natural flavouring substances correspond to substances that are naturally present and have been identified in nature
Annex lI listet traditionelle Arten der Lebensmittelzubereitung, mit denen es zumindest schwierig erscheint ausreichende Mengen „natürliches“ Piperonal zu isolieren. Denn laut Toxnet kommt Piperonal nur in Spuren in einigen Planzen natürlich vor, unter anderem in Robinien und laut Firmenblog von Rittersport:
in Tahiti-Vanille, Kräutern und Gewürzen sowie einer ganzen Reihe anderer Pflanzen, z.B. in Pfeffer und Dill.
Alternativ kann Piperonal, das wohl häufig in der Duftstoff- und Parfümindustrie eingesetzt wird, aber auch relativ einfach aus Safrol, einem Naturstoff, hergestellt werden. Dabei wird Safrol zu Isosafrol isomerisiert und dann sauer zu Piperonal oxidiert. Das ist allerdings auf chemischem Wege, was Artikel 3 der EU-Verordnung zuwider laufen würde.
Die Stiftung Warentest jedenfalls teilt mit, sie würde derzeit keine über die bereits bekannten Fakten hinausgehenden Details zu den Untersuchungsgrundlagen und Bewertungsfragen nennen. Meiner Meinung nach ist derzeit auch immer noch Ritter Sport, beziehungsweise Symrise am Zug.
Ich wäre zum Beispiel mit ein paar Zahlen zu überzeugen. Konkret, und vielleicht liest ja die eifrige PR-Abteilung von Ritter Sport hier mit:
Wie viel reines Piperonal wird einer Tonne Nussschokolade zugegeben?
Wie hoch ist die Konzentration von Piperonal in der Ausgangspflanze?
Und welche Extraktionsmethode wird zur Isolierung und Aufreinigung des ja nur in Spuren vorkommenden Piperonals aus der Ausgangspflanze angewendet?
Was ist eigentlich aus dem Begriff „naturidentischer Aromastoff“ geworden?
Die im November 2012 von Food and Chemical Toxicology publizierte Studie „Long term toxicity of a Roundup herbicide and a Roundup-tolerant genetically modified maize“ von Gilles-Eric Séralini und Kollegen steht offenbar kurz vor der Rücknahme durch den Verlag. In der Studie wurde eine zugelassene gentechnisch veränderte Maissorte mit Organschäden bei Ratten in Verbindung gebracht.
Die Studie wurde von zahlreichen Wissenschaftlern vor allem ob ihrer methodischen Mängel kritisiert und unter anderem auch hier im Blogthematisiert. Zahlreiche kritische Briefe und Kommentare von Wissenschafter an den Verlag sind auf der Seite der Veröffentlichung verlinkt.
Ein an Séralini adressierter Brief des Chefredakteurs von Food and Chemical Toxicology vom 19.11.2013 ist inzwischen auf der genteschnikkritischen Webseite GMWatch publiziert worden (gmwatch.org/files/Letter_AWHayes_GES.pdf). Darin wird dem Autor unmissverständlich klar gemacht, dass der Artikel zurückgezogen wird:
Dear Professor Séralini,
As you know, several months ago, we began a thorough examination of the data you provided to the journal. The panel looking at the data and its analysis sought to address the questions that had been raised in the Letters to the Editor received in response to your article.
The panel had many concerns about the quality of the data, and ultimately recommended that the article should be withdrawn. I have been trying to get in touch with you to discuss the specific reasons behind this recommendation. If you do not agree to withdraw the article, it will be retracted, and the following statement will be published it its place: […]
Im anschließenden Statement (.pdf) wird Séralini zwar von wissenschaftlichem Fehlverhalten frei gesprochen, jedoch wird erklärt, dass methodische Mängel der Studie, insbesondere im Studiendesign, die von den Autoren gezogenen Schlussfolgerungen nicht erlauben und somit die Retraktion des Papers gerechtfertigt sei. Eine Antwort von Séralini steht noch aus.
Seit ein paar Tagen registrieren sich deutlich mehr Nutzer für Recently als es im August der Fall war. Liegt es daran, dass alle, die relevante, neue biomedizinische Publikationen finden wollen in den letzten Wochen am Strand lagen? Hoffentlich auch!
Wahrscheinlicher ist aber, dass der Artikel über Recently ist im Laborjournal für das erhöhte Verkehrsaufkommen auf recentlyapp.com sorgt. Der Artikel preist die App für Wissenschaftler und Mediziner in allen Facetten an – kein Wunder, ich habe den Artikel ja auch selbst geschrieben.
Außerdem habe ich Biotechnologie.tv ein Interview über Recently gegeben, in dem ich auch noch mal die Hintergründe und die Funktionsweise von Recently erkläre. Es sollte hier unten zu sehen sein.
Das Interview mit mir startet bei 6 min 12 sec. Hier ist der Direktlink zum Video.
Zwar nicht ausdrücklich das Video hier mit meinem Interview, aber dafür andere von Biotechnologie.tv, wie z.B die Kreidezeit über Gentechnik oder über Gregor Mendel, stellen sich gerade der Konkurrenz in einem Web-Video-Wettbewerb, in dem die meist-gelikten und kommentierten Wissenschaftsvideos prämiert werden.
Ich wusste gar nicht, wie divers die Landschaft für deutsche Wissenschaftsvideos ist. Da sind durchaus Perlen mit dabei, bis Ende September kann noch abgestimmt werden. Und in der ersten richtigen Arbeitswoche nach dem Urlaub erst mal ein paar Videos gucken ist auch nicht das schlechteste.
Doping im Radfahren war in den vergangenen Wochen mehrfach Thema hier. Es ging um Methoden, wie gedopte Fahrer auch ohne die Analyse von Blut und Urinproben identifiziert werden könnten und konkret um die Frage ob der Gewinner der diesjährigen Tour de France, Chris Froome, gedoptwar. In einem Gastartikel wurde die Frage untersucht, ob es überhaupt möglich ist, die Tour ohne Doping, nur durch verbesserte Ernährung und Training, zu gewinnen.
Alle drei Artikel haben eins gemein: Sie handeln von Profis, die mit Radrennen ihr Geld verdienen. Radfahren ist aber Breitensport und auch im Amateurbereich werden Rennen gefahren. Wenig verwunderlich aber weitgehend ignoriert: Auch dort wird gedopt. Ich habe ein Interview mit Jasper Vanuytrecht geführt. Jasper hat seine Masterarbeit zum Thema Doping im Amateurradsport in Flandern gerade fertig gestellt. WeiterGen: Jasper, hat der Amateurradsport ein Dopingproblem Jasper Vanuytrecht: Auf jeden Fall. Ich habe für meine Massenarbeit mehrere Amateurrennfahrer, aber auch Trainer, Ärzte, Teambetreuer, einen Polizeiinspektor, sowie den Leiter der Anti-Doping Agentur in Flandern (TeamMVS) befragt und Aussagen zur Häufigkeit von Doping im Amateursport gesammelt, aber auch zu Gründen warum im Amateursport gedopt wird, und was dagegen unternommen werden kann. Basierend auf den Aussagen in den Fragebögen schätze ich, dass mindestens 10% aller Amateurrennfahrer gedopt sind. WG: Mit welchen Mitteln wird gedopt? JV: Die Dopingmittel im Amateursport sind die gleichen, die wir vom Profisport der letzten Jahre und Jahrzehnte kennen: Steroidhormone, EPO, Corticosteroide. Ältere Fahrer nehmen auch häufig Amphetamine. Weiter werden Diuretika genommen, um Dopingmittel vor den Rennen aus dem Körper auszuschleusen. WG: Wie kommen die Fahrer an die Medikamente? JV: Das meiste wird über das Internet bestellt und ist Angaben der von mir interviewten Sportler zu Folge binnen einer Woche im Briefkasten zu Hause. Die Anbieter findet man mit einer einfachen Googlesuche. Es gibt aber auch Ärzte, die auf Bitten der Sportler leistungssteigernde oder schmerzhemmende Präparate verschreiben, obwohl dies möglicherweise nicht notwendig wäre, beispielsweise Kortison. Außerdem gibt es lokale Dealer, über die Dopingmittel bezogen werden, etwa bei Wettkämpfen. Ein Problem mit den bestellten Präparaten ist, dass man nie sicher sein kann, dass auch tatsächlich das drin ist, was drauf steht. WG: Warum dopen Amateursportler überhaupt? JV: Das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist es natürlich Ehrgeiz. Egal ob Amateur oder Profis, wer Rennen fährt, will gewinnen. Dazu kommt ein nur eingeschränkt vorhandenes Unrechtsbewusstsein, das durch dopende Profis, die ja Vorbildfunktion haben, sicher nicht gefördert wird. Im Profiradsport gab es lange eine Kultur des Dopings, die weit in den Amateurbereich hinein reicht. Wer sich ambitionierte Ziele steckt, möchte diese erreichen – häufig offenbar egal mit welchen Mitteln und zu welchem Preis. Ein weiterer Faktor ist, dass das Risiko erwischt zu werden im Amateurbereich einfach sehr gering ist.
Vielen Sportlern scheint außerdem nicht bewusst zu sein, dass die Einnahme von Dopingmitteln kurzfristige und langfristige negative gesundheitliche Folgen hat. Die Nebenwirkungen von vielen Substanzen sind nicht adäquat untersucht. In Flandern gab es in den letzten Jahren zum Beispiel mehrere plötzliche Todesfälle von Amateurrennfahrern, die zuvor außergewöhnlich gut gefahren sind. WG: Wird im Amateurbereich nicht auch getestet? JV: Doch. Dopingkontrollen sind jedoch teuer und die Logistik ist kompliziert. Der Fokus liegt daher hauptsächlich bei den Profis. Bei Amateuren wird zwar auch getestet, allerdings nur bei den Rennen. Es finden so gut wie keine Trainingskontrollen statt. Die Kontrolleure müssten für effektive Kontrollen ja jederzeit unangemeldet bei den Athleten auftauchen können und müssten daher ständig wissen, wo sich die Amateurfahrer befinden. Das ist nicht zuletzt ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre. Die Zeit zwischen den Rennen kann also von Amateursportlern genutzt werden, um beispielsweise mit EPO die Ausdauer zu verbessern. WG: Was wären dann deiner Meinung nach passende Maßnahmen, um Doping im Amateurbereich einzudämmen? JV: Das wichtigste ist ein Mentalitätswechsel im Amateurradsport, so dass vor allem Nachwuchssportler nicht mit Doping anfangen. Dazu muss das Problem nicht nur von den Verbänden und der Politik als solches erkannt werden, sondern auch dementsprechend gehandelt werden, beispielsweise durch Aufklärungskampagnen, Präventionsmaßnahmen und die Androhung drastischer Strafen. Ein Problem ist sicher das fehlende Geld für eine adäquate Kontrollinfrastruktur. Da die Dopingkontrollen von den Verbänden selbst durchgeführt werden, besteht außerdem ein Interessenkonflikt, der nicht zur Lösung des Problems beiträgt. Welcher Radsportverband möchte schon dem Radsport schaden, dadurch dass er Dopingfälle bekannt macht?
Meine Erfahrungen mit Amateursportlern zeigt auch, dass die Legalisierung von Doping mit Sicherheit nicht zur Lösung des Problems beiträgt. Der Meinung sind übrigens auchdie meisten Experten und Wissenschaftler. Durch bessere Kontrollen ist der Profisport in den letzten Jahren sauberer geworden, jetzt muss sich das auch auf den Amateursport übertragen. WG: Hat einer der von dir befragten Sportler eigentlich Doping gestanden? JV: Nein, obwohl ich den interviewten Sportlern natürlich Anonymität garantierte, ist das ist nicht passiert. Ich habe wahrscheinlich auch einfach zu wenig Interviews geführt und vielleicht haben diejenigen, die dopen, auch schlicht abgelehnt mit mir zu sprechen. Die Strafen für Doping im Amateursport sind genauso hoch wie im Profisport, also Rennsperren und empfindliche Geldstrafen. Wer aktiv fährt möchte das nicht riskieren. Außerdem: Wer seiner Familie und seinen Freunden nichts davon erzählt, gibt sicher in einem Interview nicht zu, gedopt zu haben. Aber das Insiderwissen einiger meiner Interviewpartner war schon erstaunlich.
Jasper Vanuytrecht studiert an der Universität in Ghent an der Fakultät für Strafrecht und Kriminalistik. Er beantwortet hier in den Kommentaren gerne aufkommende Fragen, ist auch per Email unter Jasper.Vanuytrecht[ät]ugent.be für Rückfragen erreichbar.
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