Monat: März 2019

  • Besprechung der neuen MRT-Ergebnisse

    Besprechung der neuen MRT-Ergebnisse

    Unsere Onkologin fragte Titien in der Besprechung der jüngsten MRT-Ergebnisse, wie es ihr ginge. Das Gangbild? Weiter unsicher aber stabil. Die Sprache? Etwas nuschelnd aber unverändert. Die Schwäche im linken Arm? Gleichbleibend. Sonstige Symptome? Alles wie bisher.

    Erst danach teilt sie uns die Ergebnisse mit. Der Tumor ist stabil. Sie dreht ihren Monitor so, dass wir auch einen Blick auf die MRT-Aufnahmen werfen können. Links die neuen Bilder, rechts das vom letzten MRT vor drei Monaten. Man sieht auf der aktuellen Aufnahme eine deutlich verringerte Aufnahme des Kontrastmittels in der Region im Stammhirn, in der der Tumor sitzt.

    Zwischen den zwei Aufnahmen liegt Titiens zweite Strahlentherapie und drei Runden mit Avastin. Liegt die geringere Aufnahme des Kontrastmittels daran, dass die Strahlen Tumorgewebe zerstört haben? Oder daran, dass durch das Avastin keine neuen Blutgefäße mehr in ihr Glioblastom einsprießen? Dadurch hätten die Tumorzellen weniger Sauerstoff zur Verfügung und würden sich langsamer teilen. Oder ist es ein Avastin-Artefakt: Durch weniger Blutgefäße käme auch das Kontrastmittel nicht mehr in der gleichen Zeit und Menge beim Tumor an.

    Vielleicht ist es eine Kombination aus allen drei Aspekten. Wir sind vorgestern jedenfalls mit sehr guter Laune nach dem Termin wieder nach Hause gefahren.

    Es gibt übrigens noch keine Neuigkeiten von der Krankenkasse. Unser Antrag auf Kostenübernahme der Avastin-Behandlung wurde ja abgelehnt und wir haben Widerspruch dagegen eingelegt.

    Bei einer offensichtlich wirksamen Krebsbehandlung ziert sich die Krankenkasse, homöopathische Mittel und anthroposophische „Medikamente“ werden aber erstattet.

  • Wissenschaftler sind wie Kebapläden im harten Konkurrenzkampf

    Wissenschaftler sind wie Kebapläden im harten Konkurrenzkampf

    Ich bin vor einigen Wochen zu meinem Werdegang und insbesondere zu meinem Wechsel von der akademischen Forschung in die Wissenschaftskommunikation interviewt worden. Das Interview wurde häufig gesehen, gelesen und geteilt. Ein Gleichnis hat es leider nicht in den EMBL careers Blog geschafft, in dem das Interview veröffentlicht wurde. Das möchte ich hier noch nacherzählen.

    Peter Thiel, der Milliardär, analysiert in seinem Buch „Zero to One“ (Affiliate Link) unterschiedliche Arten von Unternehmen. Er identifiziert auf der einen Seite des Spektrums Unternehmen mit Monopolstellung, und auf der anderen Seite Unternehmen, die in hartem Konkurrenzkampf miteinander stehen.

    Nach Thiel würden Unternehmen mit Monopolstellung tunlichst vermeiden damit zu prahlen, um nicht reguliert zu werden. Auf der anderen Seite wollten Unternehmen, die sich in absolutem Wettbewerb befinden, das häufig nicht wahrhaben wollen und würden sich allerlei Alleinstellungsmerkmale einbilden, um sich von der Konkurrenz abzusetzen.

    Google ist ein Beispiel für den ersten Typ. Keiner würde ernsthaft bestreiten, dass Google ein Monopol bei der Internetsuche hat. Das Unternehmen kommuniziert anders. Google sei ein Unternehmen der Werbebranche, und da sei es nur eines von vielen und habe längst kein Monopol. Man mag den Schritt der Google-Gründer das Unternehmen Alphabet zu gründen auch interpretieren, um Regulierungsschritten vorzubeugen. Google trägt freilich zu 99,6% des Umsatzes von Alphabet bei.

    Kebabläden in Innenstädten sind ein Beispiel für den zweiten Unternehmenstyp, der sich in hartem Konkurrenzkampf befindet. Letztendlich verkaufen alle Kebapläden das gleiche Produkt. Kebap. Das Angebot is austauschbar, die Margen und Löhne sind niedrig, die Arbeitsbedingungen hart.

    Kebapläden versuchen sich dennoch argumentativ von der Konkurrenz abzusetzen: Wir backen unser Fladenbrot selbst; unser Lokal hat eine ganz besondere Lage; wir haben mehr Kebaparten als die anderen; wenn wir nur hart genug arbeiten, setzen wir uns sicher durch, und so weiter.

    Wissenschaftler sind wie Kebapläden

    Was hat diese Beobachtung nun mit der Karriere von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu tun, mag sich mancher nun verwundert fragen.

    Wissenschaftler, die im akademischen Umfeld arbeiten, sind wie Kebapläden. Sie stehen im Wettbewerb mit tausenden anderen Nachwuchswissenschaftlern, die alle das gleiche können und machen. Und alle balgen sich um limitierte finanzielle Ressourcen. Das Ergebnis sind, wie bei den Kebabläden, niedrige Löhne, Zeitverträge und harte Arbeitsbedingungen.

    Wie Kebapläden versuchen Wissenschaftler sich über gefühlte Alleinstellungsmerkmale von den anderen abzusetzen: Ich arbeite an einem ganz besonderen Protein oder Stoffewechselweg; mein Forschungsfeld ist gerade klar im Kommen; meine Projektideen sind außergewöhnlich gut; wenn ich nur hart genug arbeite, setze ich mich sicher durch; und so weiter.

    Wie schafft man es vom Konkurrenzkampf im absolutem Wettbewerb hin zu einer monopolistischen Position?

  • Sich nicht von der Waage tyrannisieren lassen

    Sich nicht von der Waage tyrannisieren lassen

    Unsere alte Badezimmerwaage hatte den Geist aufgegeben. Mal ging sie an, mal verweigerte sie ihren Dienst und die digitale Anzeige blieb dunkel. Auch die Messergebnisse waren nicht immer reproduzierbar.

    Wir haben unsere gesammelten Flugmeilen genutzt und eine neue gekauft. Ein hochkompliziertes Gerät, dass sich nach anfänglichen Mühen tatsächlich mit dem Handy verbindet und das Gewicht auf die erste Nachkommastelle genau aufzeichnet.

    Titien muss seit Ende letzten Jahres jeden Tag Kortison nehmen, um die Symptome von DIPG, ihrem Mittelliniengliom, einigermaßen in Schach zu halten. Eine unerwünschte Nebenwirkung der regelmäßigen Einnahme von Kortison ist die Gewichtszunahme.

    Titien wog kurz vor Weihnachen noch 51 kg. Das ist inzwischen stetig auf gut 57 kg geklettert. Das morgendliche Wiegen führt oft zu großer Unzufriedenheit bei ihr, zu Diskussionen am Frühstückstisch über unnötige Anpassungen der Diät, und häufig auch zu Tränen. Sie will sich das nicht mehr länger antun.

    Muss sie auch nicht. Titien hat mich gebeten, das Ding fort zu schaffen. Heute habe ich die neue Waage genommen und im Keller eingelagert.

  • Avastin abgelehnt – wir legen Widerspruch ein

    Avastin abgelehnt – wir legen Widerspruch ein

    Wir sind am Ende der offiziell zugelassenen Therapiemöglichkeiten für Titiens Glioblastom angekommen. Es sind trotzdem noch Pfeile im Köcher. Medikamente für den sogenannten Off-Label-Use. Diese Medikamente haben in klinischen Studien zwar eine gewisse Wirksamkeit gezeigt, sie werden von den Krankenkassen aber nicht ohne Weiteres erstattet.

    Unser nächster Pfeil heißt Avastin, oder auch Bevacizumab. Avastin ist ein Antikörper, der spezifisch den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor VEGF hemmt, und so verhindert, dass neue Blutgefäße wachsen. Wachsende Tumore brauchen Sauerstoff, und der wird über neue Blutgefäße angeliefert. Wenn keine neuen Blutgefäße mehr gebildet werden, kommt beim Tumor zu wenig Sauerstoff an, was zumindest das Wachstum der Tumorzellen verlangsamen sollte.

    Avastin wird bei verschiedenen Tumorarten therapeutisch eingesetzt. Es gibt auch belastbare Daten, dass nachdem die zugelassenen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft sind, Avastin bei Glioblastomen lebensverlängernd wirkt und mehrere Monate der Tumor nicht weiter wächst. Zum Beispiel hier und hier.

    Nachdem Titiens zweite Strahlentherapie abgeschlossen ist, wollen wir möglichst zügig mit der Avastin-Therapie anfangen, idealerweise bevor der bestrahlte Tumor in Titiens Stammhirn weiter wächst.

    Gefangen zwischen Krankenversicherung und Medizinischem Dienst

    Unsere Onkologin schreibt einen Antrag für den Off-Label-Use von Avastin an unserer Krankenkasse. Die Krankenkasse leitet die Anfrage an den Medizinischen Dienst in Karlsruhe weiter.

    Der Medizinische Dienst lässt sich eine Woche Zeit, um festzustellen, dass der Antrag der Krankenkasse unvollständig war und meldet dies der Krankenkasse. Die Krankenkasse reicht den vollständigen Antrag nach.

    Der medizinische Dienst prüft, erstellt ein Gutachten und schickt die Entscheidung an die Krankenkasse. Die Krankenkasse schreibt uns einen Brief mit dem Gutachten.

    Die Krankenkasse teilt uns in dem Brief mit, dass sie basierend auf dem Gutachten des medizinischen Dienstes, die Erstattung der Therapie mit Avastin ablehnen. Der medizinische Dienst argumentiert in seinem Gutachten mit Daten von 2009.

    Wir und unsere Onkologin legen Widerspruch gegen die Entscheidung ein, und hoffen, dass sich die Krankenkasse eines besseren besinnt. Rechtlich gebunden ist sie nicht an das Gutachten des Medizinischen Dienstes.

    Die Krankenkasse schreibt uns, dass sie nicht alleine entscheiden kann, und unsere Unterlagen an den Medizinischen Dienst weiter leitet. Es kommt uns vor, als ginge es um das Schinden von Zeit. Nicht dass meine todkranke Frau viel davon übrig hätte.

    Wir wollen nicht auf das Ergebnis der Entscheidung warten. Die administrativen Mühlen mahlen langsamer als der Tumor wächst. Titien hat mit der Avastin-Therapie angefangen. Alle zwei Wochen für ein paar Stunden ambulant in der Tagesklinik per Infusion. Wir warten auf die Rechnungen, die wir einstweilen privat übernehmen müssen.

  • Das Glioblastom kommt zurück – zweites Rezidiv, zweite Strahlentherapie

    Das Glioblastom kommt zurück – zweites Rezidiv, zweite Strahlentherapie

    Nachdem klar ist, dass Titiens Tumor weiter wächst, überlegen wir mit unserer Onkologin, was ihr am meisten lebenswerte Zeit verschaffen würde. Wir einigen uns darauf, es erneut mit einer Strahlentherapie zu versuchen. Wir haben beide Respekt vor den möglichen Nebenwirkungen.

    Beim ersten Mal musste Titien vorzeitig abbrechen, war danach an den Rollstuhl gebunden und ihr Temperaturempfinden war so stark gestört, dass sie im Hochsommer mit Wollsocken, im Jogginganzug unter der Daunendecke im Bett immer noch gefroren hatte.

    Die Radiologie liegt neben der neuroonkologischen Station, auf der Titien nach ihrer Biopsie lag. Wir kennen die Wege und wir kennen die meisten Schwestern und Ärztinnen. Und sie erinnern sich an uns.

    Die Radiologin spricht die Nebenwirkungen der Photonentherapie mit uns durch und macht uns Mut. Insgesamt soll Titien mit 30 Gray bestrahlt werden. 15 Mal zwei Gray. Diesmal ohne Sicherheitssaum. Es ist eine palliative Therapie.

    Titien wartet vor der Radiologie auf ihren Bestrahlungstermin

    Vor der ersten Bestrahlung wird ein Planungs-CT angefertigt und wieder eine Maske an Titiens Kopf angepasst, um sicher zu stellen, dass die Strahlen auch nur dort wirken wo sie sollen.

    Wir haben die Weihnachtefeiertage für uns und direkt am 27.12. geht es los. Jeden Werktag bis Mitte Januar. Wir fahren mit dem Auto zur Klinik, gehen langsam zur Radiologie, wir warten bis sie aufgerufen wird, zehn Minuten später sind wir auf dem Weg nach Hause.

    Titien übersteht alles soweit gut. Das Kortison hält die Nebenwirkungen in Schach. Zum Abschied bringen wir den Schwestern und den Ärztinnen eine Zwölferbox Donuts vorbei und nehmen ihre Maske als Andenken mit.

    Das städtische Krankenhaus in Karlsruhe.
  • Wer abends durch das Twankenhaus schlendert

    Wer abends durch das Twankenhaus schlendert

    Wir sind bei unserer Hausärztin zum Blut abnehmen. Titien wird aufgerufen, wir gehen zusammen mit der Pflegerin, die immer Titien Vene trifft, ins Behandlungszimmer. Sie schließt die Türe hinter uns, atmet durch, und dann bricht es aus ihr heraus:

    Die Praxis sei chronisch unterbesetzt, aber sie würden keine geeigneten zusätzlichen Krankenpflegekräfte finden. Was kein Wunder wäre, da das Gehalt schlecht sei und die Arbeit anspruchsvoll und anstrengend. Eine angelernte Fachkraft, die am Flughafen Passagiere abtastet, verdiene deutlich mehr als sie. Sie würde sich überlegen, etwas ganz anderes zu machen.

    Ich wusste nicht, was ich ihr antworten sollte, außer ihr zu sagen, dass wir ihr sehr dankbar sind für das was sie leistet. Wir sind allen dankbar, die an Titiens Behandlung beteiligt sind. Unserer Hausärztin, unserer Onkologin, außerdem allen Ärztinnen, Ärzten, Pflegerinnen und Pfleger, die in der Radiologie, in der onkologischen Tagesklinik, und auf der neuroonkologischen Station arbeiten, auf der Titien ja lange stationär behandelt wurde.

    Auch wenn wir selbst glücklicherweise fast durchweg gute Erfahrungen mit dem medizinischen Personal gemacht haben, so lassen meine Eindrücke während der vielen Stunden in Wartezimmern und vor Terminen doch einen Schluss zu: Das Gesundheitswesen ist auf Kante genäht.

    Meine Eindrücke werden nicht nur von der Pflegerin bestätigt, die uns ihr Leid beim Blut abnehmen klagte. Es gibt zunehmend Stimmen von Personen aus dem Gesundheitswesen, die ungeschönt die Arbeitsbedingungen schildern.

    https://twitter.com/MuellerLiesche/status/884826211393908736

    Zum Beispiel veröffentlich eine Ärztin unter dem Psedonym Lieschen Müller in ihrem Blog Interviews mit Ärztinnen mit Kind. Es sind inzwischen gut 30, die sich alle lohnen zu lesen.

    Es bleibt nicht beim Klagen über die Arbeitsbedingungen. Der Twitter-Hashtag #Twankenhaus wird vor allem von Ärztinnen und Ärzten benutzt, um ein oft utopisch klingendes Bild vom perfekten Gesundheitswesen zu beschreiben.

    Die Tweets unter dem Hashtag legen die Missstände im aktuellen System offen – und liefern gleich die Antworten mit, was besser gemacht werden könnte. Die Ärztin Schwesterfraudoktor hat in ihrem Blog vor drei Wochen das Twitter-Phänomen näher beschrieben:

    Warum das Twankenhaus? Die Antwort ist so einfach wie simpel: Weil das Arbeiten in unserem aktuellen System keinen Spaß mehr macht. Und Menschenleben gefährdet. 

    Aus: Wir wollen das Twankenhaus von Schwesterfraudoktor

    Den Twitter-Account @Twankenhaus gibt es noch keine drei Monate. Er hat schon knapp 4000 Follower. Seit ein paar Tagen gibt es ein neues Logo. Es tut sich was. Die Personen hinter dem @Twankenhaus schreiben: Auch hinter den Kulissen arbeiten wir an der Ausformulierung unsrer Ziele und Forderungen. Einige davon sind im Artikel von Schwesterfraudoktor schon vorformuliert.

    Ich wünsche mir, dass die Gespräche hinter den Kulissen etwas verändern. Zum Wohl der Ärztinnen und Ärzte, der Pflegerinnen und Pfleger, der Patientinnen und deren Angehöriger.

    https://twitter.com/twankenhaus/status/1101207120249270273