Schlagwort: Trauer

  • Leider nur ein kurzer Sommer

    Leider nur ein kurzer Sommer

    Heute jährt sich Titiens Todestag zum zweiten Mal. Rein zufällig hatte ich heute einen Arzttermin zum Checkup. Alles ist ok, der eine Polyp ist nicht weiter gewachsen, der eine Leberwert spinnt immer noch, obwohl ich sehr wenig Alkohol trinke.

    Die Ärztin, unsere Ärztin, die heute die Ultraschalluntersuchung meiner Bauchorgane durchgeführt hat, war die Ärztin, die heute vor zwei Jahren bei uns zu Hause war und den Totenschein für Titien ausgestellt hat.

    Ich habe sie nicht daran erinnert. Ich hatte heute früh schon geheult, als ich mit Titiens Bruder telefonierte.

    Ich bin weiterhin etwa zwei Mal im Monat beim Baum unter dem Titien neben meinen Eltern begraben liegt. Die Trockenheit macht der großen Buche ganz schön zu schaffen. Die Blätter sind braun und fallen, die Krone ist fast kahl. Ich hoffe, sie kommt durch.

    Ein kurzer Sommer für den Baum. Wie der von Titien.

    Sonst geht es mir gut. Irgendwo habe ich mal gelesen, Trauer würde mir der Zeit nicht weniger, aber das Leben würde darum wachsen. So fühlt es sich in etwa an.

    Ich bin im August in Karlsruhe geblieben und arbeite im Büro. Es ist weniger los und ich kann mich auf das konzentrieren, was sonst immer liegen bleibt. Ich habe dann im Herbst Urlaub. Barcelona, Wien, und noch mal Barcelona.

    Mitte Juli war ich in Piräus mit Lena und Katrin, zwei Freundinnen von Titien. Katrin wohnt da mit Manuel. Wir waren im Meer schwimmen, segeln, bei einem Konzert der Gruppe Moderat in einem antiken Amphitheater und haben die Insel Aegina erkundet.

    Mitte Juni war ich mit Ashley und Kayan, auch zwei Freundinnen von Titien, in Basel. Bei 38 Grad mit Schwimmsack zwei Kilometer den Rhein runter treiben lassen. Das Leben wächst darum.

    Ich mache mir ab und zu Gedanken, wie ich WeiterGen weiter schreiben soll. Aus einem Wissenschaftsblog ist ein Tagebuch des Lebens von Titien und mir mit ihrer Krankheit geworden und daraus ein Trauerblog nach Titiens Tod.

    Ich glaube irgendwann muss es einfach mit was ganz Trivialem hier weitergen.

  • Gedanken über Trauer im ersten Jahr nach Titiens Tod

    Gedanken über Trauer im ersten Jahr nach Titiens Tod

    Am Montag jährt sich Titiens Todestag. Der 23. August 2020 war ein Sonntag. Sie ist morgens in meinen Armen gestorben. Das zu schreiben treibt mir die Tränen in die Augen und diese Woche – ihre letzte Woche – ist emotional eine besondere Herausforderung. Ich habe mir Urlaub genommen, so wie letztes Jahr. 

    Hier ein paar lose zusammengestellte Gedanken über Trauer und das letzte Jahr. 

    Trauer hat eine akute Phase und eine latente Phase. Die akute Phase dauerte bei mir ein paar Monate. Die latente Phase dauert an, vielleicht mein Leben lang. Ehrlich gesagt wünsche ich mir das sogar. Trauern ist mir nicht unangenehm.

    Die Stärke und Dauer der Trauer ist weit mehr von der Tiefe der Beziehung abhängig als von der vergangenen Zeit seit dem Tod. Trauer kommt und geht in Wellen. Die Intensität ändert sich nicht, die Frequenz hingegen schon. Die Trauerepisoden werden im Lauf der Zeit nicht stetig seltener, sie kommen einfach unregelmäßig. Zur Zeit kommen sie oft.

    Es gibt Orte an denen ich Titien nahe bin. Der Baum unter dem sie und meine Eltern begraben liegen ist einer davon. Ich fahre alle zwei Wochen hin. Die Fotos für die Collage hier im Beitragsbild sind über das letzte Jahr dort oben entstanden.

    Ich gehe dort erst lange spazieren, erinnere mich, und rufe dann Titiens Bruder an. Wir gehen zusammen vom Ort an dem die Fotos entstanden sind zum Baum und verbringen Zeit am Grab.

    Zwei weitere Situationen in denen ich mich ihr nahe fühle: Beim alleine Auto fahren stelle ich mir vor, sie säße auf dem Beifahrersitz neben mir. Wir unterhalten uns dann manchmal.

    Mein iPhone zeigt mir in Form eines Widgets auf dem Startbildschirm jeden Tag andere, zufällig ausgewählte Photos an. Sehr viele davon sind mit Titien. 

    Mein liebstes Hobby ist zur Zeit das Rennradfahren. Ich fahre regelmäßig lange Touren. Die weiteste war 200 km lang von zu Hause zum Baum unter dem Titien begraben ist und wieder zurück. Wenn ich langsamer fahre, ist Zeit zum nachdenken. Wenn ich schneller fahre, kann ich abschalten. Ich hatte noch nie muskulösere Oberschenkel. 

    Noch ein Hinweis an Freunde und Bekannte: Es ist schön, wenn ihr an mich und an sie in diesen Tagen denkt. Ich melde mich selbst, wenn ich telefonieren möchte, freue mich aber wie immer über Kommentare hier.

  • Wo der Schmerz raus will

    Wo der Schmerz raus will

    Mein Tag fing heute Morgen mit einer Pantoprazol und 800 mg Ibuprofen an. Um meinen Pegel zu halten, lege ich alle vier Stunden 400 mg Ibuprofen nach. Um zwei Stunden versetzt und ebenfalls im Vierstundenrhythmus gibts 20 Tropfen Novalgin. 

    Mit den Nachwehen der Silvesternacht hat das nichts zu tun. Pünktlich zum Beginn meiner Weihnachtspause meldete sich mein unterer Rücken, seit vier Tagen mit nie gekannter Vehemenz. Die linke Pobacke schmerzt, es zieht das Bein runter und der linke Fuß ist taub. Sitzen geht gar nicht. Liegen ist ok, der Arzt meinte ich solle mich bewegen, spazieren gehen, Radfahren. Können vor Schmerzen. 

    Es ist, als wolle mein Körper sicherstellen, dass ich in meinem Urlaub auch tatsächlich Pause mache. Ich ergebe mich.

    Eine alternative, nicht weniger belegbare Hypothese über die Ursache habe ich noch: Mein Jahr wahr so schmerzhaft, ich kann das gar nicht alles rausheulen. Da sucht sich der Schmerz einen anderen Weg, bei mir eben das Rückenmark runter, an einem Lendenwirbel raus und dann den Ischiasnerv entlang.

    Heute vor einem Jahr in Seoul.

    Heute vor einem Jahr war ich mit Titien zum Familientreffen in Seoul. Direktflug von Frankfurt. Titiens Bruder ist mit einer Koreanerin verheiratet. Er hat seine Frau und seine Tochter, meine Nichte, zum letzten Mal vor einem Jahr gesehen. Er arbeitet in Jakarta, Frau und Tochter sind in Pandemiezeiten in Korea besser aufgehoben.

    Zwei Freundinnen von mir haben in 2020 ebenfalls ihre Partner verloren. Ian, Martas Mann, ist an Knochenkrebs gestorben. Felipe, der Mann von Almoraima, ist vor vier Tagen ebenfalls an einem Hirntumor gestorben. Alle in unserem Alter.

    An sie habe ich gestern Abend gedacht, und an die vielen Menschen, die Titien und mich im vergangenen Jahr unterstützt haben. Danke und frohes neues Jahr.

  • Heute vor drei Monaten

    Heute vor drei Monaten

    Heute vor drei Monaten ist Titien gestorben. Ich habe sie in den Armen gehalten, als sie aufgehört hat zu atmen und ihr Herz stehen blieb.

    Ich funktioniere. Ich kann wieder Seminare und Workshops geben. Ich gehe in mein Büro und arbeite tags über. Abends kriege ich weiter nichts hin.

    Ich kann mich auf nichts konzentrieren, habe keine Motivation und alles geht mir emotional nahe. Lesen geht nicht, Serien gucken geht nicht, schreiben geht nicht, Rennradfahren geht nicht. Mit Freunden telefonieren geht manchmal. Mit dem Handy spielen, das geht.

    Ich habe angefangen zu meditieren. Waking Up mit Sam Harris. Und nach meiner täglichen Mindfullness-Session bleibe ich einfach sitzen und denke an Titien. Mir fällt dann ein Foto ein und ich erinnere mich an die Situation drum rum. Manchmal spreche ich auch mit ihr.

    Vorgestern zum Beispiel. Ich hatte einen Freund besucht und war mit dem Auto auf dem Rückweg nach Karlsruhe. Ich fuhr auf der leeren Autobahn, draußen war es schon dunkel. Ich habe meine Hand auf den Beifahrersitz gelegt, dahin wo sonst ihre Beine waren, und habe mich mit ihr unterhalten. Da war sie mir ganz nah.

    Alle zwei Wochen etwa fahre ich zu unserem Familenbaum in den Ruheforst. Da liegt Titiens Urne neben den Urnen meiner Eltern begraben. Ich stehe dann an unsere Buche gelehnt und starre auf ihr noch frisches Grab. Es fühlt sich gut an, zu wissen, dass ich mal da, neben ihr, liegen werde.

    Ich telefoniere immer noch fast täglich mit Titiens Bruder. Mit ihren besten Freundinnen habe ich regelmäßige Videokonferenzen. Ich treffe mich alle drei Wochen mit meinem Trauerbegleiter und ich habe das Glück sehr gute, mitfühlende, verständnisvolle Freunde zu haben, die wissen, dass ich keine Ratschläge brauche, wie ich drüber weg komme und ich auch nicht aufgemuntert werden möchte.

    Ich bin traurig und das ist auch ok so.