Schlagwort: Psychologie

  • Was ist und was wir uns einbilden

    Was ist und was wir uns einbilden

    Titien ist in letzter Zeit häufiger müde als zuvor. Wir machen uns beide Sorgen, dass das ein Symptom für ein Fortschreiten der Krankheit ist, sprich dass der Tumor in ihrem Stammhirn weiter wächst.

    Alle drei Monate hat Titien einen Termin für ein Kontroll-MRT. Am Montag vergangene Woche war es wieder soweit.

    Montag, 18. September 2019

    Titien bekommt zuerst ein Kontrastmittel gespritzt, das sich spezifisch in metabolisch aktiven, also wachsenden Zellen anreichert. Dann muss sie in die Röhre. Danach können die Ärzte anhand der auf den Bildern erkennbaren Intensitätsunterschiede der betroffenen Gehirnregion beurteilen, ob der Tumor still hält oder weiter macht.

    Die Besprechung der Bilder findet immer eine Woche später statt. Meistens zusammen mit unserem Termin im Krankenhaus alle vierzehn Tage, an dem nach einem kurzen Arztgespräch normalerweise die Avastin-Therapie ansteht.

    Ich rufen immer einen Tag vorher an, um Bescheid zu geben, dass es Titien soweit gut geht, und wir den Avastin-Termin wahrnehmen können.

    Dienstag, 24. September 2019

    Titien sitzt mir gegenüber, als ich am morgens um halb acht anrufe, um unseren Termin am Mittwoch zu bestätigen. Ich versuche aus den Zwischentönen in der Stimme der Schwester am Telefon etwas über die jüngsten MRT-Ergebnisse zu erfahren und Titien versucht an meiner Mimik abzulesen, welche Zwischentöne ich höre und wie interpretiere.

    „Maier, guten Morgen, ich möchte nur kurz Bescheid geben, dass es Titien gut geht und wir morgen wie ausgemacht zu unserem Avastin-Termin kommen. Außerdem bräuchten wir einen ein paar Minuten mit der Ärztin, um die letzten MRT-Ergebnisse zu besprechen.“

    “Ja, das müssen wir auf jeden Fall machen” kommt die Antwort der Schwester am anderen Ende der Leitung.

    Mir rutscht das Herz in die Hose. Ich höre Zwischentöne: Sie geht nur auf die MRT-Ergebnisse ein und nicht auf das Avastin. Heißt das, der Tumor wächst und Titien bekommt kein Avastin mehr? Und klingt ihr Tonfall nicht so, als wäre das Gespräch auf jeden Fall notwendig, was auch drauf hindeuten würde, dass der Tumor weiter wächst?

    “Ok, alles bestens und bis morgen dann” sage ich mit freundlichem Tonfall.

    Titien schaut mich mit großen, strahlenden Augen an. Sie verstand mein “alles bestens” als Aussage zu Ihren MRT Ergebnissen.

    Im Bruchteil einer Sekunde ändert sich ihre Mimik von hoffnungsvoller Freude zu Enttäuschung und Angst als ich ihr erkläre, dass nur mit der Terminabsprache alles bestens sei, ich sonst aber nichts näher weiß.

    Wir bereiten uns mental auf Mittwoch vor. Wir haben beide den Eindruck, der Tumor wächst weiter und wir diskutieren abends, wie wir auf die Nachricht reagieren sollen und welche Optionen uns bleiben. Wir schlafen beide schlecht. Ich träume sogar von MRT-Bildern mit großen, hellen, metabolisch aktiven Stellen.

    Mittwoch, 25. September 2019

    Ich bin um viertel vor sieben wach. Ich dusche und wecke Titien. Es ist schwierig, sie in Richtung Badezimmer zu bugsieren.

    Um acht sind wir im Krankenhaus. Zuerst muss – wie eigentlich immer – Blut abgenommen werden. Ich frage mich wieso, wenn doch sowieso die Avastin-Therapie nicht fortgesetzt wird. Wir kommen zurück und werden gleich von unserer Ärztin ins Sprechzimmer mitgenommen.

    Wir sitzen da wie zwei Kaninchen vor der Schlange. Die Ärztin öffnet die dicke Mappe mit Titien Unterlagen und sagt: “Es ist alles ok. Stable disease. Kein Unterschied zum letzte Mal.”

    Die Ärztin schaut uns verwundert an, als wir beide anfangen zu weinen. Ich muss ihr erklären, dass das Tränen der Erleichterung sind. Titien war noch nie so fröhlich wie dieses Mal bei der Avastin-Therapie.

  • Psychische Folgen einer Abtreibung – die Daten

    Psychische Folgen einer Abtreibung – die Daten

    Jens Spahn hat 5 Millionen Euro Haushaltsmittel erstritten, um die psychischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen zu untersuchen. Die Debattenbeiträge reichen dabei von gut investiertes Geld (WELT) bis unnötig und politisch motiviert (FAZ). Ein SPD-Bundestagsabgeordneter erklärt laut SPON sogar es sei „ein Skandal, für solchen Unsinn Millionen auszugeben“.

    Es ist selbstverständlich sinnvoll zu untersuchen, welche psychischen Folgen Schwangerschaftsabbrüche auf Frauen haben. Nur ist Spahn nicht der erste, der auf diese Idee kommt.

    Eine Suche in Pubmed, der Datenbank für biomedizinische Fachpublikationen mit „abortion AND psychological“ findet gut 3000 Papers zum Thema. Hier die Ergebnisse von drei Studien, die innerhalb der letzten zwei Jahre publiziert wurden:

    Fünf Jahre danach – mit oder ohne Abtreibung

    Biggs et al. haben untersucht, wie es Frauen fünf Jahre nach einer ungewollten Schwangerschaft geht. Sie haben dabei Frauen verglichen, die eine Abtreibung hatten mit Frauen, denen die Abtreibung versagt blieb.

    Die Autoren zeigen, dass es Frauen, die entgegen ihres Wunsches nicht abtreiben durften anfangs psychisch schlechter ging als jenen, die abtreiben konnten. Im Lauf der Zeit glich sich der Effekt wieder aus. Biggs et al. schreiben: „These findings do not support policies that restrict women’s access to abortion on the basis that abortion harms women’s mental health.

    Gründe für psychologischen Stress nach Abtreibung

    Di Febo et al. untersuchen welche Faktoren dazu beitragen, dass Frauen psychisch Stress empfinden nach einer Abtreibung, sei sie medizinisch begründet oder weil die Frauen einfach keine Schwangerschaft wollten.

    Die Autoren dieser Studie zeigen, dass es den Frauen, die abtrieben, nach dem Abbruch signifikant besser ging. Unzureichende Unterstützung durch Partner und Beziehungsprobleme im Zusammenhang mit der Abtreibung wurden als Risikofaktoren identifiziert für einen schlechteres psychisches Wohlbefinden.

    Bewertung der Folgen von Abtreibungen in Deutschland

    Eine Gruppe aus Leipzig um Anette Kersting hat untersucht, in wie weit die international anerkannte „individual abortion stigma (ILAS) scale“ auch auf Frauen in Deutschland anwendbar ist, die aufgrund medizinischer Notwendigkeit abtrieben.

    Sie zeigen, dass die Skala, übersetzt auf Deutsch, für ihre Studie gut übertragbar ist. Ihre Ergebnisse entsprachen den Erwartungen: Frauen, die verdrängten, dass ihr Fötus eine geringe Überlebenschance hatte und Frauen, die schon relativ weit mit der Schwangerschaft waren, bewerteten sich auf der Skala höher. Bessere Unterstützung durch den Partner korrelierte mit einer niedrigeren Stigma-Einordnung.

    Was Spahn mit dem Geld machen sollte

    Fördergelder für die Forschung werden normalerweise nicht vom Gesundheitsminister persönlich erstritten. Das ist politischer Aktionismus. Und nach Spahns kühner und nicht haltbarer Erklärung, dass der Krebs in 15 Jahren besiegt sei, ist das in zwei Wochen das zweite Mal, dass der Mann mit ungeeigneten Aussagen auffällt.

    Nun ist das Geld schon bewilligt. Vielleicht hilft die kurze Einordnung der Faktenlage hier im Blog ja Jens Spahn dabei, die Fördergelder richtig einzusetzen.

    Vielleicht für die bessere Finanzierung von pro familia, die deutschlandweit in über 200 Anlaufstellen auch zu Schwangerschaftsabbrüchen berät.

    Oder Jens Spahn könnte mit dem Geld einen schönen, dicken Stift kaufen. Und damit §219a endlich streichen.

    Foto oben von Heinrich Klaffs (CC BY-NC-SA 2.0)
  • Mail von einem Anthroposophen

    Eine tiefenpsychologische Analyse und unhaltbare Anschuldingungen eines gekränkten Anthroposophen. Meine Antwort darauf und aktuelles zur Masernepidemie.
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