Schlagwort: Glioblastom

  • Das Ende der Avastin-Saga mit unserer Krankenkasse

    Das Ende der Avastin-Saga mit unserer Krankenkasse

    Mein Telefon vibriert in meiner Hosentasche während ich gerade vor einer Gruppe Postdocs stehe und mit ihnen die Grundlagen der Wissenschaftskommunikation erarbeite. Ich drücke den Anruf verstohlen weg und sehe später in der Pause anhand der Nummer, dass es jemand von unserer Krankenversicherung gewesen sein muss. Ich bringe den Workshop zu Ende und rufe zurück.

    Nach kurzer Wartezeit spreche ich mit einer Sachbearbeiterin. Ich nenne ihr Titiens Versichertennummer und erwähne den Anruf vom Morgen. Die Sachbearbeiterin bedankt sich für den Rückruf und  sagt, sie habe leider negative Nachrichten.

    Erneute Ablehnung der Übernahme der Avastin-Kosten

    Auch nach erneuter Prüfung unseres Einspruchs gegen die Ablehnung der Kostenübernahme der Avastin-Behandlung von Titien, sei der medizinische Dienst zu dem Ergebnis gekommen, dass die Bedingungen für eine Übernahme der Kosten nicht gegeben seien. Die Krankenkasse würde sich dieser Beurteilung anschließen und unsere Bitte um Übernahme der Kosten daher endgültig ablehnen.

    Avastin ist Titiens letzte Chance. Sie hat alle zugelassen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft und auf anraten unserer Ärzte mit der Behandlung schon im März angefangen. Alle zwei Wochen sind wir seither für ein paar Stunden ambulant in der Tagesklinik. Alle zwei Wochen kostet die Behandlung 2.200 Euro. 

    Avastin ist ein Antikörper, der das einsprossen neuer Blutgefäße in den Tumor verhindert, und so das Fortschreiten der Krankheit verlangsamt. Es gibt neuere klinische Studien, die zeigen, dass Avastin auch bei Glioblastomen lebensverlängernd wirkt. Aktuelle MRT-Aufnahemen von Titiens Kopf haben außerdem gezeigt, dass die Behandlung bei ihr tatsächlich anzuschlagen scheint.

    Ich kann meine Enttäuschung über die Entscheidung unserer Krankenkasse im Gespräch mit der Sachbearbeiterin nicht verstecken. Ich mache sie darauf aufmerksam, dass die Behandlung bei Titien ja tatsächlich zu wirken scheint, erkläre erneut, dass der medizinische Dienst aktuelle Studienergebnisse nicht berücksichtig hat und frage am Telefon, wie es mit den ethischen Grundsätzen der Krankenkasse vereinbar sei, einer achtunddreißigjährigen Krebspatientin im Endstadium die Erstattung einer belegbar wirksamen Therapie zu versagen.

    Die Sachbearbeiterin notiert meine Anmerkungen  und bedankt sich erneut für meinen Rückruf. Ich bitte sie, mir die endgültige Ablehnung  auf dem Postweg zu schicken, so dass wir unsere Klage vor dem Sozialgericht vorbereiten können. Als ob es in unserer aktuellen Situation nichts wichtigeres gäbe.

    Eine unerwartete Wendung

    Ein paar Tage später, an einem Freitag Abend, finde ich einen Brief der Krankenkasse im Briefkasten. Er ist deutlich dünner als ich erwartet habe und enthält nur eine Seite. In dem Schreiben steht:

    Betreff: Genehmigung für ein Arzneimittel außerhalb der zugelassenen Indikation

    Guten Tag Frau Maier,

    Vielen Dank für das Gespräch mit Ihrem Ehemann.

    Unter Berücksichtigung der sozialmedizinischen Aspekte – bewilligen wir in diesem Einzelfall den Antrag auf die Anwendung von Avastin bei Ihnen. 

    Ich muss den Brief dreimal lesen, um zu verstehen, was das bedeutet. Die Kasse übernimmt rückwirkend zum Zeitpunkt als wir den Antrag gestellt haben und auch in Zukunft die Kosten, die uns durch die Avastin-Behandlung entstehen. Es ist Wochenende und wir haben einen Grund zu feiern.

    Bild oben: Landschaft mit dem jungen Tobias. Jan Brueghel d.Ä. Aufgenommen in der Albertina in Wien.
  • Im Hier und Jetzt angekommen

    Im Hier und Jetzt angekommen

    Heute ist der 05. April 2019. Ich bin mit den Artikeln zu Titiens Hirntumor und wie wir damit umgehen inzwischen im Hier und Jetzt angekommen. Ich habe in den letzen drei Monaten die vergangenen gut zwei Jahre im Zeitraffer zusammengefasst und in 20 Artikel gepackt.

    Ich werde hier weiter über Titien, mich, ihre Krankheit und darüber wie wir damit umgehen schreiben. Zu den bisherigen Artikeln gab es ja ab und zu Rückmeldungen von Lesern in Form von Kommentaren. Ich freue mich immer sehr darüber. Von Freunden kommt die Rückmeldung, dass sie das Blog nutzen, um auf dem aktuellen Stand zu bleiben und deshalb nicht ständig anrufen zu müssen und zu fragen, wie es uns geht. Schön, wenn es auch diesen Zweck erfüllt.

    Heute morgen geht es Titien übrigens gut! Wir haben wie immer zusammen gefrühstückt. Es gab Müsli und schwarzen Tee. Nachher ist das erste Symposium für kommunizierende Wissenschaftler bei uns am NaWik. Ich bin außerplanmäßig doch gleich morgens mit meinem Vortrag dran.

    Heute ist außerdem unser Hochzeitstag. Wir haben das Wochenende um uns zu feiern! Das Video hier drunter ist zwei Jahre alt. Titien übt ihren neuen Nachnamen. Mit Karlsruher Baustellenhintergrund.

    Titien hat in ihrem Blog noch mehr zu den vergangenen zwei Jahren geschrieben. Ich glaube, sie publiziert nachher gleich noch einen Artikel über uns.


  • Besprechung der neuen MRT-Ergebnisse

    Besprechung der neuen MRT-Ergebnisse

    Unsere Onkologin fragte Titien in der Besprechung der jüngsten MRT-Ergebnisse, wie es ihr ginge. Das Gangbild? Weiter unsicher aber stabil. Die Sprache? Etwas nuschelnd aber unverändert. Die Schwäche im linken Arm? Gleichbleibend. Sonstige Symptome? Alles wie bisher.

    Erst danach teilt sie uns die Ergebnisse mit. Der Tumor ist stabil. Sie dreht ihren Monitor so, dass wir auch einen Blick auf die MRT-Aufnahmen werfen können. Links die neuen Bilder, rechts das vom letzten MRT vor drei Monaten. Man sieht auf der aktuellen Aufnahme eine deutlich verringerte Aufnahme des Kontrastmittels in der Region im Stammhirn, in der der Tumor sitzt.

    Zwischen den zwei Aufnahmen liegt Titiens zweite Strahlentherapie und drei Runden mit Avastin. Liegt die geringere Aufnahme des Kontrastmittels daran, dass die Strahlen Tumorgewebe zerstört haben? Oder daran, dass durch das Avastin keine neuen Blutgefäße mehr in ihr Glioblastom einsprießen? Dadurch hätten die Tumorzellen weniger Sauerstoff zur Verfügung und würden sich langsamer teilen. Oder ist es ein Avastin-Artefakt: Durch weniger Blutgefäße käme auch das Kontrastmittel nicht mehr in der gleichen Zeit und Menge beim Tumor an.

    Vielleicht ist es eine Kombination aus allen drei Aspekten. Wir sind vorgestern jedenfalls mit sehr guter Laune nach dem Termin wieder nach Hause gefahren.

    Es gibt übrigens noch keine Neuigkeiten von der Krankenkasse. Unser Antrag auf Kostenübernahme der Avastin-Behandlung wurde ja abgelehnt und wir haben Widerspruch dagegen eingelegt.

    Bei einer offensichtlich wirksamen Krebsbehandlung ziert sich die Krankenkasse, homöopathische Mittel und anthroposophische „Medikamente“ werden aber erstattet.

  • Sich nicht von der Waage tyrannisieren lassen

    Sich nicht von der Waage tyrannisieren lassen

    Unsere alte Badezimmerwaage hatte den Geist aufgegeben. Mal ging sie an, mal verweigerte sie ihren Dienst und die digitale Anzeige blieb dunkel. Auch die Messergebnisse waren nicht immer reproduzierbar.

    Wir haben unsere gesammelten Flugmeilen genutzt und eine neue gekauft. Ein hochkompliziertes Gerät, dass sich nach anfänglichen Mühen tatsächlich mit dem Handy verbindet und das Gewicht auf die erste Nachkommastelle genau aufzeichnet.

    Titien muss seit Ende letzten Jahres jeden Tag Kortison nehmen, um die Symptome von DIPG, ihrem Mittelliniengliom, einigermaßen in Schach zu halten. Eine unerwünschte Nebenwirkung der regelmäßigen Einnahme von Kortison ist die Gewichtszunahme.

    Titien wog kurz vor Weihnachen noch 51 kg. Das ist inzwischen stetig auf gut 57 kg geklettert. Das morgendliche Wiegen führt oft zu großer Unzufriedenheit bei ihr, zu Diskussionen am Frühstückstisch über unnötige Anpassungen der Diät, und häufig auch zu Tränen. Sie will sich das nicht mehr länger antun.

    Muss sie auch nicht. Titien hat mich gebeten, das Ding fort zu schaffen. Heute habe ich die neue Waage genommen und im Keller eingelagert.

  • Momente ohne Hoffnung nach dem MRT

    Momente ohne Hoffnung nach dem MRT

    Das MRT bestätigt was Titien spürt. Der Tumor in ihrem Kopf wächst wieder. Sie ist unsicherer auf den Beinen, als wir den Termin in der Klinik haben.

    Wir füllen, wie jedes Mal, den Aufklärungsbogen aus. Ihr wird ein Kontrastmittel gespritzt, sie legt sich in das Gerät, und eine halbe Stunde später sind wir auf dem Weg nach Hause. Der Termin für die Besprechung der Ergebnisse ist in der Folgewoche.

    Wir sitzen bei unserer Onkologin im Arztzimmer und berichten von den veränderten Symptomen. Neben der Unsicherheit beim Gehen hat Titien das Gefühl undeutlicher zu sprechen und zunehmend weniger Kraft im rechten Arm. Außerdem berichtet sie von Druck im Kopf und von gelegentlichen Lachanfällen.

    Titien wird untersucht und wir bekommen das Ergebnis des MRTs mitgeteilt. Man sieht einen Unterschied zum letzten MRT auf den Bildern. Sowohl in der Größe des Tumors als auch in der Intensität des aufgenommen Kontrastmittels.

    Obwohl wir das geahnt haben trifft uns das Ergebnis. Titien weint, mir bricht die Stimme und ich glaube, auch unsere Onkologin hat gerötete Augen.

    Wir besprechen weitere Therpiemöglichkeiten. Erneute Bestrahlung, Avastin, oder vielleicht an einer klinischen Studie teilnehmen? Vielleicht wissen die am NCT in Heidelberg noch weiter? Wirkliche Hoffnung haben wir in diesem Moment keine.

  • Glaube, Liebe, DIPG

    Glaube, Liebe, DIPG

    Titien geht es langsam besser. Dinge des täglichen Lebens werden zurück erobert. Ich schiebe sie mit dem Rollstuhl durch den Regen in die Stadt. Wir schaffen es, zusammen mit Rollator einkaufen zu gehen. Wir gehen zu Fuß in einen Biergarten.

    Wir machen einen Ausflug nach Heidelberg, fahren nach Straßburg und fliegen für ein paar Tage in meine alte Heimat, Barcelona. Drei Monate sind vergangen, seit sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde.

    Ich lebe, ich weiss nicht wie lang,
    Ich sterbe, ich weiss nicht wann,
    Ich fahre, ich weiss nicht wohin,
    Mich wundert, dass ich so fröhlich bin

    Aus: Glaube Liebe Hoffnung von Ödön von Horváth. Originalquelle unbekannt.

    Wie schafft man es als todkranke Person und als deren Ehemann den Alltag zu bewältigen? Das eine Extrem ist, jeden Tag zu leben als wäre es der letzte. Das andere Extrem ist, die Krankheit zu ignorieren und so weiter zu machen, als wenn nichts wäre.

    Mein dritter Weg ist pragmatisch, reflektiert. Ich nehme unsere gemeinsame Zeit sehr viel bewusster war. Alles bekommt eine Bedeutung.

    Ihr dritter Weg ist spirituell. Sie liest in der Bibel und schreibt über ihren Glauben. Sie betet vor dem einschlafen mit mir.

    Wir sagen uns oft, dass wir uns lieben. Manchmal fühlt es sich an, als hätten wir etwas gefunden, dass vielen anderen für immer vorenthalten bleibt. Ein Gefühl des gemeinsamen angekommen seins.

    Manchmal weinen wir auch einfach nur miteinander.

  • Titiens erste Therapie: Bestrahlen, Temozolomid, Dexamethason

    Titiens erste Therapie: Bestrahlen, Temozolomid, Dexamethason

    Die Stammhirnbiopsie führte zum Anschwellen des Gehirns. Dem wurde mit der Gabe von Dexamethason begegnet. Dexamethason ist ein Cortisonderivat, das oral eingenommen wird und die Blut-Hirn-Schranke gut überwindet.

    Titiens Speichelfluss musste nach der Operation unterdrückt werden, da sie nicht mehr schlucken konnte. Hierfür wurden Scopolamin-Pflaster jeweils hinter den Ohren, also über den Speicheldrüsen angebracht.

    Direkt am Tag nach der Aufnahme im Krankenhaus in Karlsruhe soll ihre Strahlentherapie beginnen. Geplant sind 30 Zyklen mit jeweils 1,8 Gray Dosis. Jeden Werktag. Zuerst findet ein Planungs-CT statt, dann wird eine Maske aus einem selbstaushärtenden Kunststoffnetz hergestellt, die ihren Kopf während der Bestrahlung in Position hält.

    Titien mit Maske vor der Bestrahlung.

    Die Strahlen zerstören die DNA in den Zellen. Idealerweise werden fast nur Tumorzellen getroffen und das gesunde Gewebe wird bis auf einen Sicherheitssaum verschont. Bei der ersten Bestrahlung muss sich Titien übergeben. Nicht aufgrund der Strahlenbelastung, sondern aus Angst.

    Nachdem Sie wieder schlucken gelernt hat, fängt parallel zu den Bestrahlungen die erste Chemotherapie an. Sie bekommt Temozolomid in Tablettenform. Fünf Tage lang, dann drei Wochen Pause. Dann wieder fünf Tage Temozolomid.

    Temozolomid hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber vielen anderen Chemotherapeutika: Es überwindet die Blut-Hirn-Schranke, gelangt also dahin wo es wirken soll. Temozolomid methyliert die DNA und führt so zu Fehlern in der Replikation sich aktiv teilender (Tumor)-zellen, die in der Folge absterben.

    Diese Kombinationstherapie aus Bestrahlungen und Temozolomid ist seit gut zehn Jahren der Standard bei Glioblastomen. Es gibt einige neuere therapeutische Ansätze zur Behandlung. Darum soll es in einem anderen Artikel gehen.

    Parallel schluckt sie weiter Dexamethason. Hochdosiert. Bis zu 20 mg pro Tag. Die Folgen sind Wassereinlagerungen in Gesicht und Körper. Sie entwickelt ein veritables Cushing-Syndrom.

    Das Gesicht wird runder dank hochdosiertem Kortison.