Ich bin gerade in Wien. Ich habe hier die letzten drei Tage einen Workshop gegeben. Heute geht es zurück nach Karlsruhe und dann direkt weiter nach Lindau.
Heute ist der 24. Juni, Titiens Geburtstag. „Two, Four, Six – easy to remember!“ hat sie gesagt und gelacht. Ich glaube, es war bei unserem ersten Date.
Ich war 2019 in Wien mit ihr. Zwei Jahre nach Ihrer Diagnose, ein gutes Jahr vor ihrem Tod. Erinnern ist schön und immer noch schmerzhaft.
bei meiner Frau wurde im Frühjahr 2017 ein Hirntumor diagnostiziert. Eine Nebenwirkung der dafür notwendigen Biopsie war, dass sie zwischenzeitlich nicht mehr schlucken konnte und wochenlang über eine Magensonde ernährt werden musste.
Sie lernte mühsam wieder essen und ein Ziel trieb sie dabei an: Sie wollte zu ihrem Geburtstag am 24. Juni mit mir Tee trinken und eine der von ihr geliebten Nussschnecken von Ihnen essen können.
Tatsächlich war sie zu ihrem 36. Geburtstag wieder soweit hergestellt, dass wir bei Sonnenschein auf unserem Balkon in der Lessingstraße sitzen konnten und Nussschnecken essen. Ich habe Ihnen zwei Fotos von damals hier an die Mail angehängt.
Dieses Jahr fing ihr Tumor erneut an zu wachsen und ihr Zustand hat sich leider rapide verschlechtert. Aktuell kann sie noch sehr langsam und mit sehr viel Mühe essen, wir wissen nicht, wie lange das noch geht. Am 24. Juni wird meine Frau 39 Jahre alt und sie wünscht sich wieder eine Nussschnecke.
Wir kaufen jeden Samstag in Ihrer Filiale in der Sophienstraße ein. Inzwischen schiebe ich sie im Rollstuhl. Leider gibt es seit ein paar Monaten keine Nussschnecken mehr bei Ihnen. Wir haben es es mit Rosinenschnecken probiert, mit Nusshörnchen, Walnuss-Hefeschnecken oder Johannisbeer-Hefeschnecken. Nichts kann eine Nussschnecke von Ihnen ersetzen.
Wäre es möglich, dass Sie auf den 24. Juni noch einmal Nussschnecken backen?
Vielen Dank und mit herzlichen Grüßen
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Hallo Herr Maier,
vielen Dank für ihre E-Mail.
Hierzu fehlen uns die Worte.
Gerne erfüllen wir Ihren Wunsch und sie können am 24.Juni in der Sophienstrasse unsere Nussschnecken abholen.
Titien ist auf der radioonkologischen Station des städtischen Klinikums Karlsruhe angekommen. Die Ärztinnen und Schwestern nehmen sich Zeit und kümmern sich mit viel Einfühlungsvermögen um sie. Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht zur neurochirurgischen Station in dem Krankenhaus in dem die Biopsie durchgeführt wurde.
Am meisten stört Titien ihre Magensonde. Sie kann nach der Hirnstamm-Biopsie noch nicht schlucken, muss also weiter durch die Nase ernährt werden. Die Ärztinnen bieten ihr an, eine PEG-Sonde durch die Bauchdecke zu legen. Sie nimmt dankend an. Endlich ist der störende Schlauch aus dem Gesicht!
Es ist Anfang Juni und sie setzt sich ein Ziel: Sie möchte an ihrem Geburtstag am 24. Juni zu Hause auf dem Balkon sitzen, Tee trinken, und eine Nussschnecke von ihrem Lieblingsbäcker essen.
Titien erholt sich weiter von der Biopsie. Sie ist nicht mehr ständig auf den Rollstuhl angewiesen sondern geht mit dem Rollator den Flur der Station entlang. Auf- und Abwärts, so lange es geht. Sie darf am Wochenende sogar nach Hause. Mit Rollstuhl, Medikamenten und Flüssignahrung.
Titien macht Fortschritte beim Schlucken. Erst geht Götterspeise, dann Kartoffelbrei, Spinat und Rührei. Dann eingedicktes Wasser, Müsli, Toastbrot und Eiscreme.
Noch mit Magensonde
Das geht schon
Den Gang rauf und runter
Nudeln zum ersten Mal
Müsli zu Hause
Am Geburtstag
Unserer Spaziergänge werden ausgedehnter, wir erkunden das Klinikgelände. Sie dreht Runden mit mir und mit ihren Eltern, die seit gut vier Wochen aus Jakarta hier sind.
Wir gehen am Wochenende chinesisch Essen. Ihr kommen die Tränen, als sie merkt, dass sie wieder im Stande ist, normales Essen zu sich zu nehmen.
Ihr Geburtstag ist eine Woche später. Wir sitzen zu Hause auf dem Balkon, trinken Tee und essen Nussschnecken.
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