Schlagwort: Chemotherapie

  • Titiens Therapie: Die erste Verteidigungslinie bricht

    Titiens Therapie: Die erste Verteidigungslinie bricht

    Titiens Tumor kann nicht operiert werden und ihre Krankheit ist nicht heilbar. Dennoch gibt es therapeutische Möglichkeiten, ihr Leben zu verlängern.

    Direkt nachdem die Biopsie unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigt hatte, ging es in Karlsruhe mit Strahlentherapie los. Sobald Titien wieder schlucken konnte, kam die Chemotherapie mit Temozolomid hinzu.

    Auch nachdem sie die Strahlenbehandlung abgebrochen hatte und aus dem Krankenhaus entlassen wurde, geht die Behandlung mit Temozolomid weiter. Fünf Tage lang jeden morgen eine Tablette, dann drei Wochen Ruhe. Dann wieder fünf Tage lang Temodal. Morgens vor Einnahme der Temodal-Tabletten nimmt sie Granisetron, um eventuelle Übelkeit zu unterdrücken. Sie hat fast keine Nebenwirkungen der Medikamente.

    Fast jede Woche gehe ich mit ihr zum Hautarzt zum Blut abnehmen. Ich kann nicht hinsehen, wenn ihr die Kanüle in eine Armvene gestochen wird. Sie schlägt sich tapfer, auch wenn es manchmal eines zweiten Versuchs bedarf, bis die Vene gefunden ist.

    Ihr Blutbild wird immer auch an unsere Onkologin ins Klinikum gefaxt. Vor allem die Leukozyten, ihre weißen Blutkörperchen, die Zellen des Immunsystems, bewegen sich am unteren Rand des Referenzbereichs. Vier bis zehn Zellen pro Nanoliter Blut sind normal, ihre Leukozyten sind bei kurz über drei.

    Im November, vier Monate nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, wird kontrolliert, was ihr Tumor im Hirnstamm macht. Ihr wird dazu ein Kontrastmittel gespritzt und von ihrem Kopf werden MRT-Schnittbilder erstellt.

    Ein Vergleich der Intensität des aufgenommenen Kontrastmittels mit Aufnahmen vom Sommer legt leider nahe, dass der Tumor weiter wächst.

    MRT Aufnahme mit Kontrastmittel. Querschnitt von Titiens Kopf. Rot umrandet das diffuse Gliom in der Pons. Rechts daneben das Kleinhirn. Darunter beginnt das Rückenmark.

    Wir wechseln die Therapie. Titien bekommt CCNU (Lomustin) als Kapsel zum schlucken. CCNU, beziehungsweise dessen reaktive Metabolite, passieren gut die Blut-Hirn-Schranke. CCNU alkyliert die DNA und wirkt so zytostatisch, verhindert also, dass die Zellen sich weiter teilen. Die DNA der Tumorzellen wird verändert und kann nicht mehr abgelesen werden.

    Titien schluckt einmal alle vier Wochen CCNU. In den ersten zwei Monaten bekommt sie zur Mitte des Zyklus noch Procarbazin, ebenfalls ein Alkylans.

    Wir lassen weiter wöchentlich ihre Blutwerte kontrollieren und sind alle vier bis sechs Wochen bei unserer Onkologin in der Klinik. Die Leukozyten sind weiter sehr niedrig. Zwei mal müssen wir deshalb den Start der CCNU-Therapie verschieben. Sie wird dann mit Neulasta geboostet und wir fangen eine oder zwei Wochen später an.

    Anfangs erhält Titien noch drei Tabletten CCNU. Im Laufe der Therapie wir aus Sorge um ihre Leukozyten die Dosis reduziert.

    Der Tumor bleibt fast ein Jahr lang stabil, auch wenn sie nur noch eine Tablette mit 40 mg CCNU pro Zyklus Chemotherapie bekommt.

  • Entlassen aus dem Krankenhaus und wieder zu Hause

    Entlassen aus dem Krankenhaus und wieder zu Hause

    Jeden Morgen fahre ich auf dem Weg zum Büro den Umweg übers Klinikum. Das Fahrrad schließe ich an den selben Baum wie immer an. Ich gehe durch den Seiteneingang rein, grüße die rauchenden Krebspatienten vor der Türe und die Schwestern auf dem Gang.

    Dann verbringe ich eine Stunde mit Titien. Ihr Blutdruck wird gemessen. Sie bekommt Frühstück und Medikamente. Ich fahre sie im Rollstuhl zur Strahlentherapie und bringe sie dann wieder in ihr Zimmer. Bleibe bei ihr, bis ich von ihren Eltern abgelöst werde.

    Jeden Abend nach der Arbeit fahre ich wieder zu ihr. Ich schiebe sie spazieren im Rollstuhl oder sie geht langsam neben mir her mit dem Rollator. Je nach dem, wie sie sich fühlt. An ihrem besten Tag können wir sogar eine Runde um die Klinik drehen. Bestimmt ein Kilometer.

    Dann kommen die Nebenwirkungen der Strahlenbehandlung, der Chemotherapie und des Kortisons. Sie wird wieder schwächer. Irgendwann geht es nicht mehr. Sie bricht die Strahlentherapie zwei Tage vor deren Ende ab.

    Wir werden aus der Klinik entlassen. Es ist Hochsommer und Titien friert. Sie liegt zu Hause im Bett im Jogginganzug, dick eingepackt unter zwei Bettdecken. Die Bestrahlungen haben offenbar die Region im Stammhirn beeinträchtig, die für die Temperaturkontrolle zuständig ist.

    Rollator und Rollstuhl sind schon organisiert. Wir brauchen noch einen Duschlifter. Sie ist zu schwach, um alleine aus der Wanne zu steigen und sich im stehen zu duschen. Ich unterlege die Beine unseres Sofas im Wohnzimmer mit weißen Porenbetonsteinen. Nur so kann sie alleine wieder aufstehen.

    Wir bekommen viel Besuch. Kayan aus Hong Kong. Ashley aus Singapur, Ulf und Anna aus Chile, Tita und Chris aus Norwegen, und viele Freunde aus Deutschland. Titiens Eltern fliegen nach zwei Monaten in Deutschland wieder nach Jakarta.

    Wir sind wieder zu Hause.

  • Titiens erste Therapie: Bestrahlen, Temozolomid, Dexamethason

    Titiens erste Therapie: Bestrahlen, Temozolomid, Dexamethason

    Die Stammhirnbiopsie führte zum Anschwellen des Gehirns. Dem wurde mit der Gabe von Dexamethason begegnet. Dexamethason ist ein Cortisonderivat, das oral eingenommen wird und die Blut-Hirn-Schranke gut überwindet.

    Titiens Speichelfluss musste nach der Operation unterdrückt werden, da sie nicht mehr schlucken konnte. Hierfür wurden Scopolamin-Pflaster jeweils hinter den Ohren, also über den Speicheldrüsen angebracht.

    Direkt am Tag nach der Aufnahme im Krankenhaus in Karlsruhe soll ihre Strahlentherapie beginnen. Geplant sind 30 Zyklen mit jeweils 1,8 Gray Dosis. Jeden Werktag. Zuerst findet ein Planungs-CT statt, dann wird eine Maske aus einem selbstaushärtenden Kunststoffnetz hergestellt, die ihren Kopf während der Bestrahlung in Position hält.

    Titien mit Maske vor der Bestrahlung.

    Die Strahlen zerstören die DNA in den Zellen. Idealerweise werden fast nur Tumorzellen getroffen und das gesunde Gewebe wird bis auf einen Sicherheitssaum verschont. Bei der ersten Bestrahlung muss sich Titien übergeben. Nicht aufgrund der Strahlenbelastung, sondern aus Angst.

    Nachdem Sie wieder schlucken gelernt hat, fängt parallel zu den Bestrahlungen die erste Chemotherapie an. Sie bekommt Temozolomid in Tablettenform. Fünf Tage lang, dann drei Wochen Pause. Dann wieder fünf Tage Temozolomid.

    Temozolomid hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber vielen anderen Chemotherapeutika: Es überwindet die Blut-Hirn-Schranke, gelangt also dahin wo es wirken soll. Temozolomid methyliert die DNA und führt so zu Fehlern in der Replikation sich aktiv teilender (Tumor)-zellen, die in der Folge absterben.

    Diese Kombinationstherapie aus Bestrahlungen und Temozolomid ist seit gut zehn Jahren der Standard bei Glioblastomen. Es gibt einige neuere therapeutische Ansätze zur Behandlung. Darum soll es in einem anderen Artikel gehen.

    Parallel schluckt sie weiter Dexamethason. Hochdosiert. Bis zu 20 mg pro Tag. Die Folgen sind Wassereinlagerungen in Gesicht und Körper. Sie entwickelt ein veritables Cushing-Syndrom.

    Das Gesicht wird runder dank hochdosiertem Kortison.