Autor: Tobias

  • Warum Rosalind Franklin nicht die Anerkennung zu Teil wurde, die sie verdiente

    Warum Rosalind Franklin nicht die Anerkennung zu Teil wurde, die sie verdiente

    Google feiert die Geburtstage einflussreicher Persönlichkeiten und wichtige Jahrestage in dem sie ihr Logo thematisch anpassen. Ein sogenanntes Google-Doodle wurde vorgestern Rosalind Franklin zu teil. Wer war Rosalind Franklin?
    Sie war eine Strukturbiologin bevor der Begriff überhaupt erfunden war. Sie hat an der Entdeckung der Struktur der DNA entscheidend mitgearbeitet und ihr ist dennoch akademische Anerkennung, vergleichbar mit der von Francis Crick und James Watson, versagt geblieben.
    Rosalind Franklin. Quelle: Wikipedia
    Die Geschichte von Rosalind Franklin ist sehr gut recherchiert, von etlichen Briefen und Aufzeichnungen gestützt und daher recht einfach nachzuerzählen. Sie gibt einen ungewöhnlich detaillieren Einblick in den damaligen akademischen Alltag mit erfolgreichen Kooperationen und persönlichen Antipathien, genialen Momenten, Managementfehlern und der unautorisierten Nutzung der Daten Dritter.
    Ähnliches spielt sich auch heute noch in den Laboren ab, wenn auch die Entdeckungen oftmals weit weniger bahnbrechend sind als die Aufklärung der Struktur der DNA.
    Franklin begann 1951 am MRC in London als wissenschaftliche Assistentin in der Abteilung Biophysik von John Randall zu arbeiten. Randall gab ihr ein Projekt zur Untersuchung von DNA durch Röntgenstrukturanalyse, einer Methode mit der sie Erfahrung hatte.
    Bislang hatte Maurice Wilkins und sein Doktorand Raymond Gosling an dem Projekt gearbeitet – mit erfolgsversprechenden, jedoch zu ungenauen Ergebnissen. Während Wikins im Urlaub war, wurde Franklin das Projekt (und die Aufsicht über den Doktoranden Gosling) komplett übertragen – allerdings ohne Wilkins rechtzeitig und adäquat davon zu unterrichten.
    Dieser klare Kommunikationsfehler von Randall war der Auslöser für Reibereien zwischen den Kollegen Wilkins und Franklin. Die Charaktere beider Forscher – Wilkins scheu und bedacht, Franklin ungeduldig und direkt – tat ihr übriges um das Verhältnis beider Forschern weiter zu belasten.
    Neben den technischen Aspekten der Röntgenstrukturanalyse, die Franklin ohne Zweifel beherrschte, war die größte Herausforderung die richtige Interpretation der Daten. Watson, Crick, sowie Linus Pauling vermuteten, dass DNA helikal vorlag, jedoch hatten deren Modelle Fehler, die erst durch die Arbeit von Franklin an DNA mit unterschiedlich starker Hydratation und durch ihre hervorragenden Beugungsaufnahmen der DNA erkannt werden konnten.
    Am 30. Januar 1953 reiste Watson ans MRC, um Wilkins eine Kooperation vorzuschlagen. Er wollte mit vereinten Kräften Linus Pauling bei der Lösung der Struktur der DNA zuvor zu kommen. Wilkins war nicht in seinem Büro und Watson traf auf Franklin, die ihm klar zu verstehen gab, dass sie alleine in der Lage sei, ihre Daten zu interpretieren und nicht auf die Kooperation angewiesen wäre.
    Beugungsaufnahme 51 (Quelle: Wikipedia)
    Der vor den Kopf gestoßene Watson traf sich am selben Tag dennoch mit Wilkins, der ihm im Rahmen der geplanten Kooperation eine Beugungsaufnahme Franklins zeigte – ohne deren Wissen oder Zustimmung.
    Diese Aufnahme 51 war der Schlüssel zum Verständnis der DNA Struktur. Es war keine einfache Helix, wie von Pauling postuliert, es waren keine drei umeinander geschlungene Fasern, wie Watson und Crick dachten, sondern zwei Stränge, die eine Doppelhelix bildeten.
    Fünf Wochen nach dem verhängnisvollen Meeting am MRC in London hatten Watson und Crick die DNA-Struktur gelöst. Sie publizierten ihr Doppelhelixmodell in Nature am 25. April 1953. Franklin war inzwischen ans Birbeck College in London gewechselt. Randall, ihr alter Chef, legte großen Wert darauf, dass ihre Daten zur DNA-Struktur am MRC verblieben.
    Obwohl die Daten von Franklin nach Aussagen von Francis Crick entscheidend für die Aufklärung der DNA Struktur waren, wurde ihr keine eigentliche Autorschaft auf dem Paper zu Teil. Sie wurde in einem Nebensatz gegen Ende des Briefs an Nature erwähnt:

    We have also been stimulated by a knowledge of the general nature of the unpublished experimental results and ideas of Dr. M. H. F. Wilkins and Dr. R. E. Franklin and their coworkers at Kings College, London.

    Wenn man den historischen Aufzeichnungen glauben kann, war Franklin auch nach der Publikation des Artikels von Watson und Crick nicht von der vorgeschlagenen Struktur überzeugt. Sie vermisste stichhaltige, experimentelle Daten, die das Modell stützten.
    Neun Jahre später war die Doppelhelixstruktur wissenschaftlich etabliert und Watson, Crick und Wilkins bekamen 1962 der Nobelpreis für Physiologie und Medizin für die Entdeckung der Struktur der DNA.
    Franklin freilich ging leer aus. Sie war bereits 1958 mit 37 Jahren an Krebs gestorben.

  • Neue Trainingsmethoden – Warum man auch ohne Doping die Tour de France gewinnen kann

    Gastartikel
    Doping im Radsport war in den letzten Jahrzehnten weit verbreitet. Wir dürfen davon ausgehen, dass es zumindest bei der Tour kaum saubere Spitzenleistungen gegeben hat. Team Sky beruft sich nun auf verbesserte Trainingsmethoden, Akribie hinsichtlicher technischer Aspekte und beste individuelle Betreuung ihrer Sportler und will so die zum Teil herausragenden Leistungen ihrer Sportler erklären. Ist das plausibel?
    Um dies zu diskutieren, sollte man sich anschauen, welches Wissen und auch welche Technik den Sportlern heute zur Verfügung steht, das vor 5-10 Jahren noch nicht zur Verfügung stand und das ganze vor den Leistungsanforderungen eines möglichen Toursiegers.

    Wie sehen Toursieger aus?

    Offensichtlich müssen Radsportler, die schnell Berge hochfahren wollen, sehr leicht sein. Da die Berge bei der Tour bis zu 20 km lang sind und Aufstiegszeiten von bis zu einer Stunde benötigen, wird letztlich derjenige am Ende vorne sein, dessen relative Leistungsfähigkeit in einem Zeitfenster von 20-60 Minuten am besten ist. Aus den Aufstiegszeiten und dem Gewicht des Sportlers lassen sich dann Watt/ kg ausrechnen.
    Bei Sprintern ist die Rechnung noch komplexer. Hier wird die absolute Wattleistung in Bezug zur Aerodynamik des Sportlers gesetzt. Kleine Fahrer wie Cavendish, die es schaffen, ihren Kopf bei Tempo 70 auf Lenkerhöhe zu halten, brauchen im Sprint geschätzte 200-300 Watt weniger als Sportler mit einer Figur und Haltung von Greipel.
    Das Talent und normales Training bringt unseren Sportler vielleicht auf eine Leistungsfähigkeit von 420 Watt in der Stunde. Der Sportler wiegt 74 kg und seine relative Stundenleistung beträgt 5,67 W/ kg. Das ist nicht schlecht und würden diesen Profi auf jeden Fall zu einem sehr wertvollen Helfer auf Flachetappen machen und er könnte in der Position 3-5 am Berg auch noch Helfer für seinen Kapitän sein. Wenn unser Sportler aber nun von diesen 74 kg 10 kg verlieren würde – ohne Leistungsfähigkeit einzubüssen – hätten wir seine Leistungsfähigkeit auf 6,54 Watt/kg erhöht und sind in den Leistungsbereichen, die z.B. von Vayer mit Doping erklärt werden.
    Wir sehen also, dass wir allein durch eine strikte Diät aus einem guten Profi einen Toursieger machen können. Natürlich werden auch Muskeln am Oberkörper Opfer dieser Diät. Das ist aber gewollt, jeder Muskel, der nicht benötigt wird, muss zusätzlich mit Sauerstoff versorgt werden. Unser Radsportler würde idealer Weise ergänzend ein Übungsprogramm absolvieren, z.B. Yoga, Pilates, Coretraining, um den Aufbau und Erhalt einer schlanken Muskulatur zu unterstützen. Das sind natürlich nur Zahlenspiele, die die Rolle des Körpergewichtes veranschaulichen sollen.
    Amüsant ist, dass in einigen Medien neue Wundermittel aufgeführt werden, die den Profis helfen sollen, ihr mageres Gewicht zu erreichen. Um 10 kg abzunehmen brauchen wir ein Kaloriendefizit von 70.000 kcal. Sie glauben das ist viel? Ein Profi hat kein Problem im normalen Training 3500 kcal zusätzlich zu verbrennen. Das sind 20 Trainingstage und der Athlet müsste dann noch nicht einmal auf seine täglichen 2500 kcal verzichten. Natürlich würden die Profis, um ihre Leistungsfähigkeit zu halten, diese Diät auf einen Zeitraum von vielleicht 60 Tagen ausdehnen. Kein Profi, der messen und wiegen kann, braucht ein Mittel, dass die Fettverbrennung steigert.

    Von Glycogenspeichern und Fettstoffwechseltraining

    Die Stundenleistung kann nur dann auch am Ende der Etappe in etwa erreicht werden, wenn die Glycogenvorräte des Sportlers noch gut gefüllt sind. Wenn wir nun schätzen, das ein Sportler einen Glycogenvorrat von insgesamt vielleicht 600-700 Gramm hat, erkennen wir, dass wir hier einen Leistungsbegrenzer haben. Immer dann, wenn der Sportler Vollgas fährt, verbraucht er ausschliesslich Kohlenhydrate. Selbst volle Speicher reichen also nur für 1,5 bis 1,8 Stunden Vollgas. Wir können uns aber vorstellen, dass der Sportler, der es schafft, mit seinen Glycogenvorräten vorsichtig umzugehen, auf die Dauer einer Tour de France Vorteile hat.
    Das war nicht immer so. Aus den Aufzeichnungen von Bernhard Kohl zur Tour 2008 wissen wir, das er täglich mit Insulin gearbeitet hat. Insulindoping soll die Glycogenvorräte um bis zu 40 Prozent steigern. Mit Doping hat man also schlicht und ergreifend den „Tank“ vergrössert und konnte so länger schnell fahren. Was Kohl noch nicht wissen konnte, ist, dass man die Fettverbrennung auch im Bereich der Schwellenleistung (Stundenleistung) aktivieren kann (Studie von Jeukendrup). Die Trainingsroutine wird ergänzt durch eine wöchentliche Einheit in der der Fettstoffwechsel im Belastungsbereich zwischen 85 und 100 Prozent der Schwellenleistung (Stundenleistung) in Form von Intervallen trainiert wird. Zuvor werden die Speicher nahezu leer gefahren – mit enormen Lerneffekten des Körpers.
    Der Sportler kann so den Anteil der Fettverbrennung an der Energieversorgung steigern und die Glycogenspeicher vergrössern. Das Konstrukt dieser Einheit ist so angelegt, dass der Sportler lernt mit erschöpften Speichern und seiner Wettkampfernährung noch Leistung zu bringen. Früher hat man lange 6-8 h Ausfahrten im ruhigen Tempo gemacht und so versucht, den Fettstoffwechsel zu optimieren. Wenn man bei solchen Ausfahrten dann in den Stunden 4-6 auch mal Berge mit höherer Leistung gefahren wäre, hätte man auch den oben geschilderten Effekt. Wenn wir den besseren Trainingseffekt aber in kürzerer Zeit gezielter hinbekommen, halten wir die Gesamtermüdung des Sportlers in Grenzen und gewinnen Platz im Trainingsplan für andere Einheiten und Trainingsinhalte. Hier sind weitere, sportmedizinische Hintergründe zum Fettstoffwechseltraining (pdf)

    Individualisierte Rennernährung

    Sie kennen als Zuschauer der Tour de France vielleicht noch die Silberlinge, die uns immer als Verpflegung der Profis dargestellt wurden? Heute weiß man, dass jeder Sportler eine individuelle Zusammensetzung seines Wettkampfgetränkes benötigt. Ideal ist ein Getränk, das zu einem Drittel aus Fructose und zwei Dritteln aus Einfach- oder Mehrfachzuckern besteht. Die Geschichte mit der Fructose (findet einen zusätzlichen Weg ins Blut) ist neu und dieses Wissen stand zumindest Armstrong und auch Ullrich noch nicht zur Verfügung. Man kann also heute bis zu ein Drittel mehr Nahrung aufnehmen und verarbeiten als früher. Man weiß heute auch, das in ein Wettkampfgetränk zusätzlich nur noch Salz und Koffein gehören. Alle andere Zugaben erhöhen ohne Nutzen die Anzahl der Teilchen und erschweren so die Verfügbarkeit und Menge der Kohlenhydrate.
    Aus diesem Wissen folgt auch, dass man heute als Sportler mehrere Kohlenhydratlieferanten in Form von Maltodextrin, Wachsmaisstärke, Fructose (Verträglichkeit prüfen!) zu Hause hat und sukzessive austestet, mit welcher Mischung man am besten klarkommt. Zum Beispiel während der oben geschilderten Fettstoffwechseleinheit. Natürlich besteht aber auch ein Teil des Talents des Sportlers darin, möglichst viel Energie im Wettkampf aufzunehmen und umsetzen zu können.
    Aber was ist mit dem Silberling? Während der Tour sollte ein Sportler jede Stunde nutzen, um sein persönliches Maximum an Nahrung pro Stunde zu sich zu nehmen. Während einer ruhigen Etappe im Feld können das 90 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde sein. Da die Muskulatur arbeitet, wird der Zucker im Blut sofort verarbeitet und schont somit die Speicher. Am Berg in der Rennentscheidung wird man vermutlich je nach Sportler eher auf 50-60 Gramm pro Stunde gehen und eine Mischung nehmen, die sehr schnell ins Blut geht. Beschrieben wird das beispielsweise in dieser Studie zur Leistungssteigerung beim Zeitfahren durch veränderte Ernährungsstrategien.
    Adam Hansen beim Aufstieg nach Alpe d’Huez. Gerüchten zur Folge entspricht das Getränk in seiner Hand nicht der offiziellen Zusammensetzung für Radprofis. Quelle: Twitter
    Bleiben wir noch einen Moment bei den Glycogenvorräten, die es zu schonen gilt. Die Durchschnittleistungen bei einer Flachetappe können relativ niedrig liegen. Nehmen wir an, sie betrage 200 Watt. Dann verbraucht unser Sportler auf 200 km ca. 4000 kcal. Wenn wir diesem Sportler nun ein besonders eng anliegendes Trikot (Aerotrikot) anziehen und ihm einen Aerohelm aufsetzen und ihn auf einen Aerorahmen mit Aerolaufrädern setzen, können wir seine Durchschnittsleistung auf 170 bis 180 Watt reduzieren. Im Laufe einer normalen Etappe kann unser Sportler so seinen Energieverbrauch vielleicht um 500 kcal absenken. Das bedeutet von Tag zu Tag weniger Müdigkeit, weniger Belastung des Magen-/Darmtraktes und somit auch eine verbesserte Regeneration.
    Bei einer rennentscheidenden Etappe hat unser professionell betreuter Sportler also einen Vorteil aus einer optimalen Fettverbrennung, seinem bestem Wettkampfgetränk und durch sein Material einen günstigen Luftwiderstandsbeiwert.
    Auf der gestrigen Etappe mit dem zweimaligen Anstieg nach Alp d`Huez haben wir sehr deutlich gesehen, wie leere Speicher sich auf das Renngeschehen auswirken, aber auch wie unterschiedlich Fahrer darauf reagieren. Froome hat seine drohende Unterzuckerung rechtzeitig erkannt und konnte dann mit einem Gel die letzten fünf Kilometer noch so schnell fahren, das er auf die ihn verfolgende Gruppe von Contador nur ca. 10-15 Sekunden verlor. Da das Gel aber auch nicht sofort ins Blut geht, können wir davon ausgehen, das Froome das erste Anzeichen einer drohenden Unterzuckerung bemerkt hat. Der Leistungsmesser hilft hier.
    Früher konnte man das hohe Tempo der Konkurrenz nicht mehr folgen und erzählte sich darüber Geschichten, heute weiß der leistungsgesteuerte Sportler, dass er Probleme hat, seine eigene Leistung zu erbringen und kann dann die richtigen Rückschlüsse ziehen. Gut, wenn man das im Training trainiert hat, zum Beispiel mit der oben dargestellten Trainingseinheit.

    Neues Wissen, neue Trainingsmethoden?

    Schauen wir uns noch mal ein bisschen näher das Training an. Zu Jan Ullrichs Zeiten wurden die Sportler auf ein Ergometer gesetzt und dann wurde ein Belastungsstufentest mit Spirometrie und Laktatmessung durchgeführt. Aus den Ergebnissen wurden dann Trainingsempfehlungen abgeleitet. Seit ein paar Jahren wissen wir, Laktat ist nicht nur ein Stoffwechselprodukt, das man als Parameter für die Ermüdung heranziehen kann, sondern spielt auch eine Rolle als Energieträger. Laktat kann also vom Sportler genutzt werden, um dem arbeitendem Muskel zusätzlich Energie zuzuführen.
    Wenn wir früher bei Leistungssportlern die so genannte individuelle anaerobe Schwelle auf beispielsweise 400 Watt gelegt haben, dann konnte es durch aus sein, das dieser Sportler eine so genannte funktionelle (tatsächliche) Schwelle von 420 Watt hatte. Ich habe als Hobbysportler keinen Einblick in die Ergebnisse von Profisportlern, kenne aber persönlich nicht einen konventionellen Test im Hobbybereich der belastbare Trainingsempfehlungen gegeben hätte. Wenn Sie also Hobbysportler sind und Sie wollen ihre Leistungsfähigkeit untersuchen lassen, dann machen Sie es ruhig und sammeln sie die Daten, bis Sie sie selber interpretieren können.
    Zurück zum Laktat und unserem neuen Wissen über seine Rolle als Energieträger. Mittlerweile gibt es erste Trainingsempfehlungen aus der Sportwissenschaft. Wir bauen Einheiten, in denen wir bewusst in einem Intervall Laktat erzeugen und dann die Leistung absenken, um das Laktat als Energieträger im Muskel zu verarbeiten. Wir fahren also 3-4 Minuten mit vielleicht 105-110 Prozent unserer Schwellenleistung und reduzieren dann die Leistung auf 85-95 Prozent für weitere 4 Minuten. Wenn die Tour näher kommt, würde man diese Übung dann entsprechend spezifizieren und mit Antritten am Berg kombinieren. Zum Beispiel 10 Sekunden hart antreten und dann für weitere 30 Sekunden das Tempo hochhalten und dann erst das Tempo auf 85-90 Prozent der Stundenleistung absenken.
    Übrigens gab es schon immer Einheiten, wie z.B. das Schwellenkreuzen, mit denen man ähnliche Effekte erzielt hat. Neu ist heute, dass wir wissen, warum diese Einheit nützlich ist und zu welchem Zweck und wann sie eingesetzt werden kann. Verkürzend könnte man sagen, dass wir ähnlich der exogenen Versorgung mit Kohlenhydraten trainieren können, das Laktat als Energieträger zu nutzen; und zwar dergestalt, dass der Formaufbau begünstigt wird.Wir haben mit diesem Wissen also ein weiteres Puzzle, um unseren Sportler formaufbauend zu Tour zu bekommen.

    Der Trainingsplan – gestern und heute

    Wenn wir unseren Trainingsplan für unseren Tour de France Sieger 2014 zusammenbauen, hilft uns jedes neuere Wissen, die Einheiten entsprechend einzuplanen. Wir bekommen also mehr Qualität in unser Training. Bernhard Kohl hat in der „Zeit“ versucht, seinen Trainings- und Dopingplan zu rekonstruieren. Die Daten sind natürlich unvollständig und ich tue ihm vermutlich im folgenden Unrecht, möchte diesen Plan aber gerne als Beispiel nehmen.
    Früher haben Leistungssportler im Oktober eine längere Ausszeit genommen. Radrennen sind sehr hart und sehr ermüdend. Nahezu jeder Profi und auch die meisten Hobbysportler haben am Ende des Jahres ein leichtes Übertrainingssyndrom. Eine Pause tut also gut und für die Gesundheit ist es förderlich, wenn man dem Körper eine z.B. 6 wöchige Regeneration gibt. Leider nimmt mir eine Pause von 4-6 Wochen fast die Chance, im nächsten Jahr stärker zu werden. Schon 2 Wochen Trainingspause reduzieren die Zahl der Mitochondrien dramatisch. Ich muss also beim Trainingsstart einen längeren Vorlauf einplanen, bevor ich wieder härter trainieren kann. Unserem Toursieger 2014 würde ich empfehlen, 2013 eine abgegrenzte Saison zu fahren und so die Ermüdung in Grenzen zu halten. Eine reine Saisonpause wäre dann hinfällig und unser Sportler könnte in einer Übergangsperiode von Mitte September bis Mitte Oktober aktiv mit Sport regenerieren.
    Bernhard Kohl hat im Winter Langlauf gemacht, um wieder den Sport aufzunehmen. Für das Herz-Kreislauf-System ist es egal, welchen Ausdauersport wir wählen. Aber wenn wir nachdenken, werden wir unschwer erkennen, dass dieses Training auf dem Rad einen höheren Nutzen hat. Bernhard Kohl hat also Langlauf gemacht. Als Trainer hätte ich grosse Probleme, dieses Training in einer Trainingsplanung zu qualifizieren und auch die Trainingsbelastung zu messen. In der Trainingsplanung bauen wir auf Reize und auf Regeneration. Die Reize müssen sukzessive gesteigert werden. Jeden Tag vier Stunden Langlauf zu machen ist bestenfalls nett. Spätestens in der dritten Woche fange ich an meine Zeit zu verschwenden, wenn ich meinen Reiz nicht deutlich anpasse.
    Leistungschart von Alejandro Valverde auf der neunten Etappe der diesjährigen Tour de France.

    Verbesserte Leistungsmessung und Analysesoftware

    Die Firma SRM hat für den Radsport einen Leistungsmesser bereits vor über 20 Jahren entwickelt. Mittlerweile gibt es diverse Softwareprogramme, die diese Leistungsdaten analysieren und den so genannten Trainingsload einer Einheit bewerten. Vereinfachend ausgedrückt werden Belastungen oberhalb der Schwelle deutlich stärker gewertet als Belastungen darunter. Mit dem Herzfrequenzmesser könnte Bernhard Kohl Belastungsspitzen durch kurze Hügel nicht wirklich erfassen, da die Herzfrequenz bis zu 3 Minuten Nachlauf hat. Wir fahren also einen Hügel hoch, sind sehr stark im anaeroben Bereich und unsere Herzfrequenz ist gerade mal von 120 auf 140 gestiegen. Unser Leistungsmesser zeigt aber, dass wir am Hügel 130 Prozent unserer Stundenleistung eingesetzt haben und diese Leistung korrespondiert eher mit einer Herzfrequenz von 180, die wir auch erreicht hätten, wenn der Hügel einen Kilometer länger gewesen wäre.
    Für unsere Trainingsplanung sind solche Differenzierungen sehr wichtig. Durch die Messung der tatsächlichen Leistungen können wir die Reize viel genauer setzen und so auch die Regeneration viel besser steuern. In einer perfekten Trainingsumgebung kennt nicht nur der Trainer, sondern auch sein Schützling die Wirkweisen des richtigen Trainings und so können beide von Tag zu Tag die Feinsteuerung für das Training vornehmen. Natürlich hat es früher schon Ruhepulsmessungen morgens gegeben und es wurden Blutparameter gemessen. Nur die dann folgende Trainingsleistung kann man erst mit der Software für Leistungsmesser richtig setzen und auswerten. Wer es genau wissen will, kann sogar während der Ausfahrt den aktuellen Trainingsload vom „Tacho“ ablesen.
    Wir können also einem Trainingstag eine Trainingsbelastung zuordnen und die Software kann uns dann anzeigen, wie sich der Trainingsload der letzten sieben Tage sich beispielsweise zum Trainingsload der letzten 42 Tage darstellt. Da man mittlerweile die Daten von vielen Leistungssportlern zum Vergleich hat, haben Trainer heute mehr Möglichkeiten, sich zu orientieren. Wir planen also unsere Trainingsbelastung für die Zeit von November bis Februar und steigern kontinuierlich den Trainingsload mit Einheiten, die für eine bestmögliche Basis für das weitere Training sorgen.
    Man könnte neben vielen ruhigen Kilometern in dieser Zeit zum Beispiel auch harte, hochintensive Reize im so genannten Hittraining machen. Dieses hochintensive Training in Intervallform ist ein neuer und auch alter Hut. Die Sportwissenschaft arbeitet aktuell an Längsschnitten, die uns helfen werden, das Hittraining auch in die Mehrjahresplanung einzubauen. Aber schon heute sehen die Trainingspläne in nahezu allen gängigen Magazinen für Breitensportler deutlich roter (=intensiver) aus als noch vor einigen Jahren. Wer bislang noch wenig in diesem Bereich trainiert hat, wird von einem Hit-Trainingsblock vermutlich stark profitieren.
    Softwareprogramme wie Golden Cheetah (opensource) verfügen über vielfältige Analysetools, zum Beispiel das Performancechart. Hier wird der aktuelle Trainingsload mit dem langfristigen Trainingsload verglichen. Wenn ich mein Pensum steigere, ist die aktuelle Belastung immer höher als die langfristige. Die Software erzeugt daraus die Trainingsstressbilanz, die dann in der Aufbauphase natürlich sehr stark negativ sein kann. Vor dem Wettkampf wird dann der aktuelle Trainingsload reduziert, um dann zum Wettkampf eine leicht positive Trainingsstressbilanz zu erzeugen. Der Sportler hat also ein Instrument, um die Trainingsbelastung zum Wettkampf genau auszusteuern; natürlich immer abgleichend mit eigenen Erfahrungswerten.
    Von der Firma Trainingpeaks gibt es eine Kaufsoftware von Coggan und Allen, die sich seit über 20 Jahren mit dem Thema Training mit Powermeter beschäftigen. Hunter Allen hat sich in diesen Tagen auch zu den Berechnungen von Vayer geäussert. Allen hält aufgrund der vielen ihm vorliegenden Charts von Sportlern die 6,5 W/kg für sauber möglich. Andy Coggan hat sich gestern in Facebook dahingehend geäussert, dass er Leistungen von mehr als 9 W/kg im VO2 Max Bereich für physiologisch möglich hält und leitet daraus ca. 6,6 W/ kg als mögliche Stundenleistung ab. Wenn man sich die Topfahrer anschaut, liegen diese oftmals am Ende einer Tour nur 1-5 Minuten auseinander. Diese Unterschiede lassen sich mit einem Kg Gewichtsunterschied erklären.

    Neue Trainingsmethoden sind besser als altes Doping

    Wenn Sie mich fragen, ob die Leistungen von Wiggins und Froome sauber sind, würde ich das bejahen. Zwischen 1990 und 2010 gab es hinsichtlich des Wissens über „richtiges“ Radsporttraining eine Wissensexplosion. Natürlich hat die Trainingsmethodik unter Doping gelitten. Durch Conconi, Ferrari und co. wurde in der Trainingsmethodik der Focus sehr stark auf die Schwellenleistung und deren Beeinflussbarkeit durch Epo und Blutdoping gesetzt. Das Training in diesen Jahren stand sicherlich hinter den Möglichkeiten und Ergebnissen des Dopings zurück. Als Hobbysportler gebührt mein Respekt und meine Achtung den Sportwissenschaftlern, die unseren Sport mit ihrer Suche und Forschung nach weiteren Bausteinen, die unsere Erkenntnisse mehren und bereichern.
    Der Radsport hat sich gewandelt. Teams wie Sky beschäftigen keine ehemaligen Doper. Die Sportler selber äussern sich heute eindeutig über Doper. Früher hätte man zum Doping der anderen geschwiegen und lediglich geleugnet selber zu dopen. Dieser Vorzeichenwechsel ist im Peleton erfolgt. Auch die aktuellen Leistungscharts z.B. von Valverde zeigen, dass die Sportler heute sauber sind. Der Radsport hat aus meiner Sicht an Faszination wieder gewonnen, weil die Leistungen nachvollziehbarer geworden sind.
    Schauen Sie auf das Chart von Valverde und teilen Sie meine Leidenschaft für diesen Sport. Valverde hat am ersten Berg seine Helfer vorgeschickt und dann vor der Kuppe mit vielleicht 6,5-6,8 Watt/kg attackiert. Froome konnte ihm zwar folgen, war dann aber ohne Helfer. Die restlichen Berge der Etappe waren dann davon geprägt, dass Froome umzingelt von Gegner ohne eigene Helfer selber entscheiden musste, welche Gegner er kontrolliert. Die Leistungen von Valverde sind absolut plausibel. Ich kenne genug talentierte Hobbysportler, die natürlich mit höherem Gewicht, ähnliche Leistungen erbringen.
    Freuen wir uns auf den heutigen Tag. Heute geht es zuerst über den Glandon, dann kommt der Col de Madeleine. Denken Sie heute mal an die Glycogenspeicher. Wenn auf den ersten beiden Bergen ein hohes Tempo gefahren wird, dann kann es durchaus sein, dass an den letzten Steigungen einige Topfavoriten sehr grosse Probleme bekommen. Sowohl Valverde als auch Contador sind beide überführte Doper. Beide sind aber auch herausragende Rennfahrer, die heute (sauber) den Radsport mit grosser Leidenschaft ausüben und aufgrund ihrer offensiven Fahrweise ihren Gegnern einen Wettkampf antragen, der an Faszination viel mehr zu bieten hat, als der Abgleich von Zahlen.
    Der Autor dieses Gastartikels ist Diplomkaufmann und seit vielen Jahren begeisterter Radsportler, der auch Rennen fährt. Er beschäftigt sich beruflich unter anderem mit der Entwicklung von Carbonteilen für Rennrad und Mountainbike made in Germany (Projekt sizezero). Am 01. August ist die offizielle Vorstellung.
    Der Autor schreibt hier unter dem Pseudonym Peter Sturm.

    Weitere Artikel zur Tour de France hier im Blog:

    Ist Chris Froome gedopt?

    Tour de France: Kann mit berechneten Leistungsdaten Doping nachgewiesen werden?

     
     

  • Impfpflicht gegen Masern ja oder nein?

    Impfpflicht gegen Masern ja oder nein?

    Der vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland herausgegebene Versorgungsatlas liefert besorgniserregende Zahlen zur Masernimpfung in Deutschland:

    Auf Basis der bundesweiten vertragsärztlichen Abrechnungsdaten der Jahre 2008 bis 2010 kann gezeigt werden, dass insgesamt 85,8% der Kinder bis zu einem Alter von zwei Jahren mindestens eine Masernimpfung erhalten haben; 69,4% im von der STIKO empfohlenen Zeitraum (9-14 Monate). […] Die zweite Masernimpfung, welche dazu dient, Impflücken, die auf einem Versagen der ersten Impfung beruhen, zu schließen, erhalten im Bundesdurchschnitt nur noch 62,0% der beobachteten Kinder bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres, 44,3% im von der STIKO empfohlenen Alter von 15-23 Monaten.

    Im Bundesdurchschnitt sind weniger als zwei Drittel aller zweijährigen gegen Masern geimpft und selbst später, durch Nachuntersuchungen belegt, beträgt die Impfhäufigkeit nur rund 70%. Angestrebt werden 95% für eine wirksame Herdenimmunität.
    Bei Betrachtung der lokal aufgeschlüsselten Daten fällt vor allem eine regional unterschiedliche Verteilung der Impfhäufigkeit auf. Im Süden der Republik ist sie eindeutig niedriger (Karte oben). Interessant sind auch die großen Schwankungen auf Kreisebene. So beträgt die Häufigkeit der ersten Impfung im Kreis Landau in der Pfalz nur rund 70%, wohingegen im gerade 60 km entfernten Kreis Zweibrücken fast 95% erreicht werden. In Bayern sind die Unterschiede zwischen dem Kreis Hof (94%) und Rosenheim (61%) noch drastischer.
    Verteilung der Impfhäufigkeiten in Kreisen nach Bundesländern. Ausreißer sind gesondert aufgeführt. Die Kürzel der X-Achse stehen für die Bundesländer.
     
    Die jetzt publizierte Studie gibt stimmt einerseits mit der Feststellung in meinem kürzlich hier publizierten Artikel über ideologische Impfgegner überein. Es sind vornehmlich sozioökonomisch höher gestellte Schichten, in denen die Impfung am ehesten abgelehnt wird, sprich: Das Bildungsbürgertum.
    Bei den starken Schwankungen der Impfhäufigkeit auf Kreisebene müssen aber noch andere Faktoren als die Bildung der Eltern eine Rolle spielen. Laut dem Bericht des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung sind es vor allem die Kinderärzte und Hebammen, die einen Einfluss auf die Impfentscheidung der Eltern haben. Das ZI schreibt:

    Sind zum Beispiel auch Heilpraktiker oder Naturheilkundler an der Impfentscheidung beteiligt, sinkt die Wahrscheinlichkeit einer frühzeitigen Masernimpfung um 50%, wobei Kinder, deren Eltern grundsätzlich bei Homöopathen Rat suchen, zusätzlich geringere Chancen haben, (frühzeitig) gegen Masern geimpft zu werden. […] Da in den Kreisen eine unterschiedliche Rate an impfkritischen Ärzten, Hebammen und/oder Heilpraktiker bzw. Naturheilkundler vorhanden ist, könnte dieser Faktor auch einen Teil der Heterogenität der Impfquoten erklären.

    Erwiesen ist, dass die Masern eine gefährliche Infektionskrankheit mit potentiell schwerwiegenden akuten und langfristigen Folgen ist. Die Wahrscheinlichkeit direkt an Masern zu sterben liegt etwa bei 1:1000-1:3000. Aktuelle Zahlen aus Deutschland geben die Wahrscheinlichkeit als Masernspätfolge an einer immer tödlich verlaufender Entzündung des Gehirns, der subakuten sklerosierenden Panenzephalitis, zu erkranken mit 1:1700-1:3300 an.
    Mögliche Nebenwirkungen der Impfung, wie eine Rötung der Einstichstelle und in manchen Fällen leichtes Fieber, stehen dazu in keinerlei Verhältnis.
    Die öffentliche Wahrnehmung sieht hingegen anders aus. Eine Elternbefragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2011 ergab, dass 35% der befragten Eltern Schutzimpfungen generell kritisch gegenüber stehen und nur 61% der befragten Eltern Masern für eine (sehr) gefährliche Krankheit halten. Fast die Hälfte der Eltern habe bereits einmal auf eine Impfung ihres Kindes verzichtet, weil sie die Impfung entweder für nicht notwendig hielten (18%), sie die Befürchtung hatten, dass ihr Kind körperlich zu stark zu belasten (15%) oder sie Angst vor Nebenwirkungen der Impfung hatten (14%).
    Ist es wirksamer und besser zu versuchen über Aufklärung der Eltern eine höhere Durchimpfung zu erzielen? Soll bei den Ärzten und Hebammen angesetzt werden? Oder ist doch eine Impfpflicht für Masern notwendig? Und wenn ja, wie sollte diese umgesetzt werden?

    Link zum kompletten Bericht Masernimpfung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (.pdf), aus dem die obige Abbildung entnommen ist.
  • Ist Chris Froome gedopt?

    Der britische Radprofi Chris Froome hat bislang beide Bergankünfte bei der Tour de France souverän gewonnen. Ist der Träger des gelben Trikots des Führenden der Gesamtwertung gedopt? Diese Frage spaltet die Experten und jene, die sich dafür halten, in zwei Lager: Die Pessimisten und die Optimisten.

    Die Pessimisten

    Die Leistung von Chris Froome kann nicht unter regulären Bedingungen entstanden sein. Das machen die jetzt schon großen Zeitabstände von über vier Minuten zu den direkten Konkurrenten in der Gesamtwertung deutlich. Ein Blick auf die Bestenlisten der EPO-Ära für die Bergankünfte Ax 3 Domaines (8. Etappe) und Mont Ventoux (15. Etappe) auf der Tour zeigt, wie außergewöhnlich gut Froome gefahren ist. Er war für die Tour de France in diesem Jahrtausend der drittschnellste Fahrer nach Ax 3 Domaines und der zweitbeste auf den Mont Ventoux.
    Auch die Leistungsdaten von Froome, seien es die umgerechneten Höhenmeter pro Stunde oder die Leistung pro kg Körpergewicht am Anstieg, platzieren Froome in Mitten der illustren Gesellschaft des Dopings überführter Radfahrer.
    Fahrzeiten für die Berge Mont Ventoux und nach Ax 3 Domaines bei Touretappen seit 2000
    Froome macht sich weiter des Dopings verdächtig, da er entgegen einer früheren Gewohnheit und entgegen eines Transparenzversprechens seines Teams Sky keine eigenen, aktuellen Leistungsdaten und physiologische Parameter mehr publiziert. Eine Konsequenz des zurückhaltens der Daten war, dass Bike Pure, eine Organisation für ehrlichen Radsport, das Profil von Chris Froome vor der Tour von ihrer Seite gelöscht hat.
    Auch wenn Froome Doping aktuell nicht nachgewiesen werden kann, so ist durchaus möglich, dass er Präparate benutzt, die noch nicht von der Weltdopingagentur WADA geprüft oder als Dopingmittel eingestuft werden. Kandidaten dafür wären beispielsweise Telmisartan oder GAS6, das  Gerüchten zur Folge beim Giro d’Italia dieses Jahr eingesetzt wurde, und bei dessen klinischen Tests Geert Leinders, ehemals in Diensten des Teams Sky, beteiligt gewesen sein soll.

    Die Optimisten

    Sicherlich, die Leistungen von Chris Froome sind außergewöhnlich. Aber das ist die Tour de France und das sind die Weltbesten Radfahrer. Hohe Leistungswerte sind natürlich verdächtig, aber die Berechnungen sind eben auch fehleranfällig und Vergleiche sind daher immer mit Vorsicht zu genießen. An relativ kurzen Bergen, wie zum Beispiel der Aufstieg nach Ax 3 Domaines können die Fahrer näher am Maximum fahren als auf langen Anstiegen. Die geleisteten Wattzahlen sind daher selbstverständlich höher.
    Außerdem spielen gerade am Mont Ventoux die Windverhältnisse eine nicht unerhebliche Rolle und können das Ergebnis durchaus beeinflussen. Weiter sind geleistete Tageskilometer, die bislang insgesamt geleisteten Kilometer einer Tour, das schwankende Gewicht der Fahrer, sowie selbstverständlich das Fahren im Windschatten – auch bergauf – Faktoren, die bislang in den Berechnungen der Fahrerleistungen nicht angemessen berücksichtigt werden.

    Außerdem gibt es auch andere Methoden als Doping um besser zu werden. Besseres, auf sportwissenschaftlichen Prinzipien und sportmedizinischen Messungen aufbauendes Training und ein veränderter Fahrstil zum Beispiel. Oder bessere Fahrräder und andere Technologiefortschritte sowie die systematische Talententdeckung und Förderung. In anderen Sportarten, wie im Schwimmen oder beim Langstreckenlauf, haben diese oder ähnlich Faktoren innerhalb der letzten Jahre zu dramatischen Leistungsverbesserungen geführt. Es kann demnach nicht gelten, dass wer so schnell wie gedopte Fahrer fährt auch gedopt sein muss.
    Das erklärt auch, warum Froome keine aktuellen Leistungsdaten veröffentlicht. Das einzigartige Training im Team Sky erklärt den Unterschied zu anderen Fahrern und eine komplette Freigabe der Daten würde deren Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Profiteams kompromittieren (Formel 1 Teams geben ihre Testergebnisse ja auch nicht öffentlich bekannt). Das Team Sky hat verbindliche Anti-Doping Klauseln in ihren Verträgen mit Fahrern und anderen Angestellten. Außerdem hat das Team Sky erklärt, es würde sämtliche Fahrerdaten der WADA zur Analyse direkt zur Verfügung stellen.
    Es ist richtig, der Radsport hat eine lange Tradition des Dopings und ehemalige Ikonen haben gelogen und betrogen. Trotzdem haben aktuelle Fahrer, die noch nie mit verdächtigen Werten getestet wurden (und getestet wird im Radsport mittlerweile sehr regelmäßig), einen Vertrauensvorschuss verdient. Ein automatischer Generalverdacht bei Spitzenleistungen nützt jedoch niemandem und nimmt dem Sport die Chance sich zu rehabilitieren.

    Wie geht die Tour weiter?

    Die dritte Woche hat es in sich. Heute steht eine Etappe über ondulierendes Terrain an, vielleicht schafft es ja heute eine Ausreisergruppe vor dem Peloton bis ins Ziel? Morgen kommt es zum zweiten Einzelzeitfahren, diesmal in den Bergen. Tony Martin ist sicher ein Mitfavorit. Dann kommen die drei Hammeretappen mit Alpe d’Huez, dem Col de La Madelaine und der Etappe rund um Annecy mit Bergankunft, bevor es am Sonntag auf die letzte Etappe nach Paris geht, auf der traditionell mit einem Sprintfinish zu rechnen ist, also wieder mit Chancen für Marcel Kittel und André Greipel.
    Chris Froome ist in der komfortablen Situation, das Gesamtklassement mit über vier Minuten anzuführen. Er könnte sich also „bequem“ an die Hinterräder seiner direkten Widersacher klemmen und die Tour ohne weitere Schau seiner Leistungsfähigkeit zu Ende fahren und so möglicherweise weniger nervige Fragen zu Doping von den Journalisten bekommen.
    Ich hingegen hoffe, er greift weiter an.

    Die Seite The Science in Sport bietet exzellente Analysen und Kommentare zur Tour und anderen Sportveranstaltungen. Veloclinic bietet detaillierte Analysen zum Radsport.
    Die Fahrtzeiten für die Tabelle stammen von hier und hier.
    Bild oben aus dem Forum vom Tour-Magazin. Bild in der Mitte zeigt einige der Athleten am gestrigen Ruhetag. Ganz rechts ist Marcel Kittel (via @marcelkittel).
  • Tour de France: Kann mit berechneten Leistungsdaten Doping nachgewiesen werden?

    Sind die Fahrer bei der diesjährigen Tour de France gedopt oder nicht? Bisherige Blut- und Urinanalysen der teilnehmenden Athleten waren jedenfalls allesamt negativ. Das kann bedeuten, dass das gesamte Fahrerfeld tatsächlich sauber unterwegs ist, das kann aber auch bedeuten, dass gezielt an Grenzwerte und Detektionsschwellen hingedopt wird, dass die pharmakologischen Verschleierungsmethoden sich verbessert haben oder dass neue Substanzen zur Leistungssteigerung verwendet werden, nach denen bislang nicht in den Anti-Doping-Laboren gesucht wird.
    Der Franzose Antoine Vayer, einst Trainer des vom größten Dopingskandals der Radsportgeschichte gesprengten Festina Teams und mittlerweile Aktivist für sauberen Radsport, hat eine alternative Methode vorgestellt, um zu beurteilen, ob ein Teilnehmer der Tour de France leistungssteigernde Substanzen eingenommen haben könnte.
    Vayer berechnet die von den Profis gebrachte Leistung an langen Anstiegen am Ende einer Etappe und sortiert sie in die Kategorien „mutiert“, „unglaublich“ und „verdächtig“. Das Beispiel des Aufstiegs nach Alpe d’Huez aus seinem vorzubestellenden Heft zeigt wie das Who is Who des internationalen Radsports der letzten zwanzig Jahre dort hochgehetzt ist: Pantani, Armstrong Ullrich, Riis sind in der Kategorie mutiert, Landis, Schleck, Vinokurov fahren unglaublich und Virenque, Wiggins und Evans zumindest suspekt. Alpe d’Huez wird dieses Jahr auf der 18 Etappe übrigens gleich zwei Mal überfahren.
    Seine Berechnungsmethode ist keinesfalls neu. Wenn einige Rahmendaten, wie das Fahrergewicht, das Gewicht des Rads, die Steigung, die Rollreibung und die gebrauchte Zeit für den Anstieg, beziehungsweise die Durchschnittsgeschwindigkeit bekannt sind, kann man relativ einfach die Leistung der Fahrer berechnen, zum Beispiel hier.
    Vayer ordnet die Fahrer ab 450 Watt als mutiert ein, 430 Watt sind wundersam und Werte über 410 Watt werden als verdächtig gewertet. Die Kritik der Athleten an der Methode Vayers beschänkt sich auf die Anmerkung, dass Gegenwind nicht berücksichtigt würde. Bei Bergetappen, auf die sich Vayer bei seinen Analysen beruft, dürfte dies jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielen. Viel kritikwürdiger ist die doch relativ zufällig erscheinende Festlegung seiner Kategorien, sowie der Bezug auf die Gesamtwattzahl und nicht auf die Leistung pro Kilogramm Körpergewicht.
    Die von Vayer berechneten Werte zeigen hoffentlich auf lange Sicht einen klaren Leistungsgipfel in den 90er und 00er Jahren, was tatsächlich auf einen neuen, sauberen Radsport hinweisen würde. Interessanter als seine relativ willkürliche Kategorisierung der Fahrerleistungen in „mutiert“ und „unglaublich“ finde ich die Frage, zu welchen Leistungen individuelle, voll austrainierte Profis die garantiert ohne leistungssteigernde Mittel fahren überhaupt in der Lage sind. Außerdem: In wie weit erlauben die berechneten Leistungswerte am Berg direkte Rückschlüsse auf Kernparameter der Ausdauersportler, wie die maximale Sauerstoffaufnahme und der Hämatokritwert.
    Diese Woche ist von einem kurzen Einzelzeitfahren morgen abgesehen noch von Flachetappen geprägt. Aber am Sonntag findet die nächste Bergankunft auf dem Mont Ventoux statt und kommende Woche sollte genug Gelegenheit für Vayer bieten, Leistungsdaten der Fahrer an Bergen zu erheben.
    Mein Tip für Paris? Nachdem Vorjahressieger Bradley Wiggins aufgrund einer Knieverletzung nicht dabei ist, wird sein letztjähriger Adjutant Chris Froome seiner Favoritenrolle gerecht und beendet die Tour im gelben Trikot des Gesamtführenden.
    Froomes Leistung in Alpe d’Huez letztes Jahr ist von Vayer übrigens als „unglaublich“ eingestuft worden.

  • Ideologische Impfgegner verschulden Masern in München und Berlin

    Ideologische Impfgegner verschulden Masern in München und Berlin

    Die bislang dieses Jahr gemeldeten Masernfälle in Deutschland übertreffen bereits jetzt die an das Robert Koch Institut (RKI) übermittelten Erkrankungen des gesamten Vorjahres um ein Vielfaches. In den ersten sechs Monaten 2013 waren es 942 Fälle, im Jahr 2012 insgesamt 166 Fälle. Masern sind gefährlich und hochgradig ansteckend und keineswegs „nur“ eine triviale Kinderkrankheit. Laut RKI sind fast die Hälfte der 2013 gemeldeten Patienten 20 Jahre und älter und über ein Drittel der dokumentierten Fälle wurden im Krankenhaus behandelt. Die allermeisten Fälle traten in Berlin und im Großraum München auf.
    Nach Einführung des Impfstoffs sind die Masernfälle in den USA drastisch zurück gegangen. Quelle: Wikipedia.
    Masern kann nicht wirksam therapiert werden, aber einer Erkrankung kann durch Impfung sehr wirksam vorgebeugt werden. Seit den frühen siebziger Jahren wird in Deutschland eine Kombi-Impfung (Masern, Mumps, Röteln) hierfür eingesetzt. Es ist erklärtes Ziel der WHO, die Masern, ähnlich den Pocken, auszurotten. Ganz so erfolgreich ist die Impfkampagne gegen Masern jedoch nicht, und so kommt es zum gelegentlichen Aufflammen von Masernerkrankungen – in Deutschland zum Beispiel 2006 oder 2011.
    In Europa ist es zum einen Impfmüdigkeit, aber auch ideologisch geprägte Impfgegner, die verhindert, dass die Masern verschwinden. In einem aktuellen Artikel in der tz München wird der Frage nachgegangen, warum gerade in der bayerischen Landeshauptstadt aktuell so viele Fälle auftreten. Dazu wird der Leiter des Infektionsschutzes der Stadt mit den Worten zitiert, dass Impfgegner häufig im gut situierten Bildungsbürgertum vorkämen. Dort sind also jene Eltern, die alles richtig machen wollen und sich dennoch bewusst gegen eine Impfung entscheiden.
    Ist es die Angst vor Komplikationen und Nebenwirkungen? Ist es die erwiesenermaßen unbegründete Furcht vor langfristigen Folgen der Impfung, sogenannten „Impfschäden“? Spielt die inzwischen klar widerlegte und komplett zurück gezogene Studie von Andrew Wakefield eine Rolle, in der die MMR Impfung ursächlich mit Autismus in Verbindung gebracht wurde? Oder ist es einfach nur eine Konsequenz des Lebensgefühls des gut situierten Bildungsbürgertums: Biolebensmittel, Naturheilkunde, Homöopathie und andere „alternative“ Medizin, dazu etwas esoterisch angehaucht, natürlich pharmakritisch und gegen Chemie?
    Ich weiß es nicht. Ich habe jedoch Hoffnung, dass Aufklärung in diesen Kreisen noch hilft. Jegliche Hoffnung aufgegeben habe ich jedoch bei den Anthroposophen, an deren Waldorfschulen regelmäßig Ausbrüche der Masern dokumentiert werden.
    In einem aktuellen Merkblatt der Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland wird suggeriert, es gäbe keine verlässlichen Studien zur Sicherheit und Effektivität einer Masernimpfung. Unter der Überschrift „Welchen Sinn kann es haben, dass ein Kind Masern bekommt?“ Erklären die anthroposophischen Ärzte, dass Masern oft mit einer tiefgreifenden Reifung des Kindes einhergehe. Den entscheidenden Abschnitt aus dem Merkblatt zur anthroposophischen Medizin möchte ich hier ungekürzt wiedergeben:

    Einen weiteren Gesichtspunkt zur Sinnhaftigkeit einer Masernerkrankung gibt die Anthroposophische Medizin. Sie zieht die geistig-seelische Individualität des Kindes als eigenständige, nicht von den Eltern abstammende Realität in Betracht. Diese muss und will den von den Eltern ererbten Leib individualisieren. Im Rahmen akutentzündlicher, hochfieberhafter Erkrankungen kann dies in besonderem Maße gelingen, da es dabei zu einem starken Abbau und eigenständigen Neuaufbau leiblicher Strukturen kommt. Im Fieber, in der selbst gebildeten Wärme, ist aus dieser Sicht die geistig-seelische Individualität des Kindes in gesteigertem Maße leiblich tätig. Durch das Fieber überwindet das Kind nicht nur die Maserninfektion, sondern individualisiert dabei seinen Organismus. So kann die Regulation des Immunsystems dabei ausreifen, die jeder Mensch individuell erlernen und erwerben muss. Mit der Abheilung des Ausschlags, der Bindehaut- und Atem- wegsentzündung bildet das Kind neue, stabilere Leibesgrenzen aus. – Allergien entstehen, wenn der kindliche Lernprozess des Immunsystems ungenügend erfolgt oder gestört wird. Sie verlaufen typischerweise ohne Fieber und gehen mit chronisch-entzündlichen Hautausschlägen oder Entzündungen der Schleimhäute einher. Allergien werden dort häufiger, wo akut entzündliche Erkrankungen stärker unterdrückt und zurückgedrängt werden.

    Mir bleibt da die Spucke weg.

    Bild oben weltweiter Durchimpfungsraten für Masern (Quelle: Wikipedia)
  • Welche Grundrechte werden durch den Abhörskandal verletzt

    Welche Grundrechte werden durch den Abhörskandal verletzt

    Ich habe immer noch keinen Überblick über den Abhörskandal. Es kommen ja auch gefühlt jeden zweiten Tag neue Enthüllungen hinzu. Kann man inzwischen davon ausgehen, dass sämtliche digitale Kommunikation, also Metadaten und Inhalte, von mindestens einem, wahrscheinlich mehreren Nachrichtendiensten abgehört, zumindest analysiert und zum Teil kurzzeitig und in „Verdachtsfällen“ womöglich auch auf unbestimmte Zeit gespeichert wird?
    Und ich dachte, wir leben in einem Rechtsstaat, in dem den Bürgern Freiheitsrechte zustehen, und diese auch geachtet und verteidigt werden.
    Die Tragweite der organisierten Abhörtätigkeiten der ausländischen und wohl auch inländischen Nachrichtendienste (oder warum ist die Bundesregierung so leise?) kann anhand der Menge und der Tiefe der aufgezeichneten und ausgewerteten Daten beschrieben werden. Naturgemäß wissen wir da aber nur, was durch Enthüllungen von investigativen Journalisten und Whistle Blowern wie Snowden bekannt wird.
    Eine weitere Methode zur Erfassung der Tragweite des Skandals ist die Prüfung, welche Grundrechte und Freiheitsrechte durch die organisierten Abhöraktionen angegriffen sind. Die wohl am direkten betroffensten sind:
    Das Postgeheimnis: Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn das auch für die Übertragung elektronischer Post gelten würde. Es ist fast schon heuchlerisch, das Postgeheimnis als Freiheitsrecht aufrecht zu erhalten. Denn zuständig für den Schutz des Rechts im Internet ist nicht mehr der Staat. Im Gegenteil, wer die Inhalte von Mails vor Zugriffen schützen möchte, ist selbst verantwortlich für eine angemessen Verschlüsselung.
    Die Pressefreiheit: Ein essentieller Bestandteil von investigativem Journalismus ist der Schutz von Quellen. Durch das systematische Speichern von Kommunikationsmetadaten sowie dem offenbar möglichen Abhören von Telefonaten und dem direkten Zugriff auf Emails ist dieser Schutz nicht mehr gegeben. Die häufig propagierte Rolle einer vierten Gewalt der öffentlichen Medien ist dadurch ausgehöhlt, deren Kontrollfunktion fällt weg.
    Werden abgehörte Mails und Telefonate genutzt um jemandem die Einreise in ein Drittland zu verwehren, ist die Freizügigkeit nicht mehr gewährleistet. Wird durch abgehörte Kommunikation vorab Hausarrest ausgesprochen und die Teilnahme an Veranstaltungen untersagt, gilt die Versammlungsfreiheit nicht mehr.
    Ich jedenfalls bin nicht bereit, meine Rechte auf dem Altar der vermeintlich verbesserten inneren Sicherheit und dem Schutz vor Terrorismus zu opfern (ist das denn der Grund für die staatliche Überwachung?). Das ist wahrscheinlich auch gar nicht legal, denn für Menschenrechte – und die Freiheitsrechte sind ein Bestandteil davon – gilt die Unteilbarkeit.
    Was mich stutzig macht, ist die Passivität mit der die Bundesregierung auf die Enthüllungen reagiert. Sollte eine gewählte Regierung nicht im Dienst der Bürger handeln und diese schützen? Ich vermute ja, dass die Überwachungsmaßnahmen deutscher Nachrichtendienste jenen unserer US-amerikanischen und britischen Freunde in nichts nachstehen. Aufklären würde bedeuten, auch die eigenen Methoden und Maßnahmen öffentlich zu erklären.
    Das erwarte ich auch. Denn wenn wir schon abgehört werden, dann bitte transparent.

    Bild oben von Camilla Iannone (onepicperday.me)
  • Diskussion zu Prism und Tempora

    Diskussion zu Prism und Tempora

    Ob ich etwas zu verbergen habe? Selbstverständlich! Ein Großteil meiner Kommunikation ist privat und geht außer den von mir gewählten Empfängern niemanden etwas an. Ich weiß natürlich, dass ich bei Inanspruchnahme der kostenlosen Dienste von Google und Facebook mit etwas anderem als Geld bezahle, nämlich mit meinen Daten.
    Mir war auch klar, dass die Auswertung meiner Emails und Kommentare, meines Adressbuches und meiner Freundesliste, meines Kalenders und generell meiner Nutzeraktivität kaum deutschen Datenschutzstandards folgt. Es sind schließlich US-amerikanische Unternehmen, bei denen ich meine Onlinekonten habe und deren allgemeine Geschäftsbedingungen ich abgenickt habe.
    Was ich nicht wusste, war, dass ausländische Nachrichtendienste anscheinend nach Gutdünken und nur scheinkontrolliert ebenfalls Zugriff auf diese Daten haben.
    Obwohl ich davon ausgehe, dass weder ich noch irgend einer meiner Freunde und Bekannten direkt überwacht wird, scheinen mir dadurch doch meine Grundrechte angegriffen. Und ich glaube nicht, dass ich mein Recht auf Privatsphäre für einen vermeintlichen Schutz vor Terroristen einfach so opfern möchte.
    Generell zeigen die Enthüllungen von Edward Snowden im Guardian, wie schnell Bürgerrechte erodieren können, wenn die technischen Möglichkeiten dazu gegeben sind und keine Kontrollmechanismen existieren  – und wie schnell sich dadurch Rechtsstaaten jenen Ländern anpassen, die für fehlende Menschenrechte kritisiert werden.
    Was kann man tun? Ich weiß es nicht. Ich habe das Gefühl, die Bedeutung und die Tragweite von Prism und Tempora noch gar nicht einschätzen zu können. Ein deutsches Facebook oder Google wie von einigen Politikern gefordert, für die das Internet wirklich Neuland darzustellen scheint, ist sicher nicht die Antwort.
    Muss man sich vielleicht einfach mit dieser „Post-Privacy“ Situation anfreunden und ignorieren? Oder in Zukunft private Kommunikation in den Wald verlegen? Hat diese Thematik das Potential die Bundestagswahl entscheidend zu beeinflussen? Und wenn die Situation so nicht hinnehmbar ist, was kann wie und von wem geändert werden?
    Vielleicht können wir hier in den Kommentaren Ideen und Gedanken zu den Spähprogrammen sammeln und diskutieren, wie auf die aktuelle Situation am besten reagiert wird.

    Bild oben verändert von crystalRyu (CC BY 3.0)
  • Ideenklau: Die Parasiten der Wissenschaft

    Ideenklau: Die Parasiten der Wissenschaft

    Marcus Pössel erzählt in seinem Blog „relativ einfach“ eine offenbar reale Geschichte vom Diebstahl einer Idee aus einer Bewerbung für eine Postdocstelle in der Astronomie. Einer der Professoren, an den das Bewerbungsschreiben ging, versuchte laut des Artikels das geplante Projekt selbst durchzuführen, ohne den Urheber zu informieren oder ihn etwa an den Messungen und Analysen zu beteiligen. Durch Zufälle erfährt der Bewerber für die Postdocstelle von dem Ideenklau und glücklicherweise ist der Bewerber letztendlich dennoch der erste, der die zugehörigen Daten publizieren kann.
    Der dort beschriebene Fall stellt eine Ausnahme dar, weil der Urheber durch die schriftliche Dokumentation der Idee identifizierbar war, und weil der Dieb der Idee ebenfalls relativ eindeutig identifiziert werden konnte, da offenbar ein im Wortlaut sehr ähnlicher Antrag bei einer astronomischen Beobachtungsstation von ihm eingereicht wurde.
    Ideenklau in der Wissenschaft kommt in meiner Erfahrung relativ häufig vor, selten sind jedoch die Urheber der Ideen so einfach zu identifizieren wie im oben beschriebenen Fall, denn häufig werden gute Ideen in gutem Glauben formlos und mündlich kommuniziert. Auf Konferenzen, nach Vorträgen, in Meetings und in Gesprächen beim Mittagessen. Die meisten Ideendiebstähle passieren dadurch in einer Grauzone, in der Ideenklau relativ einfach dadurch gerechtfertigt wird, dass man sich eben durch Dritte habe inspirieren lassen.
    Ich glaube auch, dass sich vielfach diejenigen, die Ideen klauen, gar keiner Schuld bewusst sind. Denn wer noch nie eine eigene Idee hatte, und wem folglich auch noch nie eine geklaut wurde, kann gar nicht wissen, wie es sich anfühlt, geistiges Eigentum gestohlen zu bekommen. Derjenige versteht auch nicht den Wunsch, dieses zu schützen – vor eben jenen Parasiten der Wissenschaft die Ihre „Inspiration“ für Projekte einfach direkt von Kollegen übernehmen.
    Es ist allerdings auch klar, dass die Wissenschaft von Ideen alleine nicht lebt. Es kommt auf deren Umsetzung an. Dabei den Beitrag des Urhebers der Idee bewusst oder unbewusst zu ignorieren und zu verschleiern demotiviert die Ideengeber und ist klar wissenschaftliches Fehlverhalten. Es sollte dementsprechend behandelt und geahndet werden.

    Bild oben von user dumbonyc auf flickr (CC BY-SA 2.0)
  • Die Resonanz auf Recently

    Die Resonanz auf Recently

    Wenn man Noah Gray Glauben schenken kann, dann ist Recently ein Treffer ins Schwarze. Der Redakteur von Nature schreibt auf Twitter über unsere App:

    These algorithms, if good, will be valuable as the quantity of published science continues to explode. The filter problem is massive.

    Gray hat das Problem erkannt! Die Zahl der jährlich neu publizierten akademischen Fachartikel steigt ständig. Dieses Jahr werden höchstwahrscheinlich zum ersten Mal über eine Million neue biomedizinische Artikel publiziert werden. Ohne technische Hilfsmittel ist es da eigentlich unmöglich, den Überblick zu behalten.
    Jährlich neu publizierte peer-reviewte biomedizinische Fachartikel der letzten 50 Jahre (nicht kumulativ!). 2013 wird erstmal die Millionengrenze überschritten. (Werte x 1000)
     
    Recently versucht genau hier zu helfen. Die App erleichtert es Forschern aus den Lebenswissenschaften sowie Ärzten mit der persönlich relevanten Fachliteratur auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Wir haben Recently vor drei Wochen als kostenlose beta-Version veröffentlicht  und ich habe die App ja hier auch vorgestellt. Zeit für einen kurzen Zwischenbericht – und für ein Dankeschön an vielen registrierten Nutzer und Tester, von denen uns gut 50 konstruktives Feedback zur App geschickt haben.
    Ich war positiv überrascht von der hohen Zahl der Registrierungen für Recently in den ersten Wochen. Das ist nicht zuletzt anderen Journalisten, Bloggern und Wissenschaftern zu verdanken, die den Link zur App auf Twitter und Facebook, in institutsinternen Mailinglisten und auf der eigenen Website verbreitet haben. Hier eine Auswahl der Resonanz auf den Launch von Recently:
    Matthias Fromm hat mich für das Open Science Radio eine gute halbe Stunde zu Recently Interviewt. Herausgekommen ist ein gut halbstündiges Gespräch mit vielen Hintergrundinformationen.
    Die Laborwelt titelte kurz nach dem Launch: „Fachartikel: App trennt die Spreu“ und schreibt: „Die neue Web-App „Recently“ hilft Forschern, den Durchblick im Publikationsdickicht zu bewahren
    Bent Petersen, ein Assistenzprofessor für Bioinformatik in Kopenhagen schreibt in seinem Blog: „It is very easy to get started with Recentlyapp.com. You need to provide your name and a valid email address. In a second step, they ask you to provide three publications relevant to your research field, so they can start recommending articles to you.“
    Marc Scheloske berichtet in der Wissenswerkstatt ebenfalls über Recently und nennt die App ein „raffiniertes Tool um interessante Fachliteratur zu entdecken
    Soweit eine Zwischenmeldung nach den ersten Wochen, ich hoffe natürlich, dass es ähnlich erfolgreich weiter geht und wir möglichst viele neue Nutzer bekommen – selbstverständlich sind wir auch weiterhin an Feedback interessiert.
    Recently ist übrigens auch Sponsor eines Beachvolleyballteams (siehe Foto oben). Dieses Jahr sind wir bislang ungeschlagen.