Ist Chris Froome gedopt?

Der britische Radprofi Chris Froome hat bislang beide Bergankünfte bei der Tour de France souverän gewonnen. Ist der Träger des gelben Trikots des Führenden der Gesamtwertung gedopt? Diese Frage spaltet die Experten und jene, die sich dafür halten, in zwei Lager: Die Pessimisten und die Optimisten.

Die Pessimisten

Die Leistung von Chris Froome kann nicht unter regulären Bedingungen entstanden sein. Das machen die jetzt schon großen Zeitabstände von über vier Minuten zu den direkten Konkurrenten in der Gesamtwertung deutlich. Ein Blick auf die Bestenlisten der EPO-Ära für die Bergankünfte Ax 3 Domaines (8. Etappe) und Mont Ventoux (15. Etappe) auf der Tour zeigt, wie außergewöhnlich gut Froome gefahren ist. Er war für die Tour de France in diesem Jahrtausend der drittschnellste Fahrer nach Ax 3 Domaines und der zweitbeste auf den Mont Ventoux.
Auch die Leistungsdaten von Froome, seien es die umgerechneten Höhenmeter pro Stunde oder die Leistung pro kg Körpergewicht am Anstieg, platzieren Froome in Mitten der illustren Gesellschaft des Dopings überführter Radfahrer.
Fahrzeiten für die Berge Mont Ventoux und nach Ax 3 Domaines bei Touretappen seit 2000
Froome macht sich weiter des Dopings verdächtig, da er entgegen einer früheren Gewohnheit und entgegen eines Transparenzversprechens seines Teams Sky keine eigenen, aktuellen Leistungsdaten und physiologische Parameter mehr publiziert. Eine Konsequenz des zurückhaltens der Daten war, dass Bike Pure, eine Organisation für ehrlichen Radsport, das Profil von Chris Froome vor der Tour von ihrer Seite gelöscht hat.
Auch wenn Froome Doping aktuell nicht nachgewiesen werden kann, so ist durchaus möglich, dass er Präparate benutzt, die noch nicht von der Weltdopingagentur WADA geprüft oder als Dopingmittel eingestuft werden. Kandidaten dafür wären beispielsweise Telmisartan oder GAS6, das  Gerüchten zur Folge beim Giro d’Italia dieses Jahr eingesetzt wurde, und bei dessen klinischen Tests Geert Leinders, ehemals in Diensten des Teams Sky, beteiligt gewesen sein soll.

Die Optimisten

Sicherlich, die Leistungen von Chris Froome sind außergewöhnlich. Aber das ist die Tour de France und das sind die Weltbesten Radfahrer. Hohe Leistungswerte sind natürlich verdächtig, aber die Berechnungen sind eben auch fehleranfällig und Vergleiche sind daher immer mit Vorsicht zu genießen. An relativ kurzen Bergen, wie zum Beispiel der Aufstieg nach Ax 3 Domaines können die Fahrer näher am Maximum fahren als auf langen Anstiegen. Die geleisteten Wattzahlen sind daher selbstverständlich höher.
Außerdem spielen gerade am Mont Ventoux die Windverhältnisse eine nicht unerhebliche Rolle und können das Ergebnis durchaus beeinflussen. Weiter sind geleistete Tageskilometer, die bislang insgesamt geleisteten Kilometer einer Tour, das schwankende Gewicht der Fahrer, sowie selbstverständlich das Fahren im Windschatten – auch bergauf – Faktoren, die bislang in den Berechnungen der Fahrerleistungen nicht angemessen berücksichtigt werden.

Außerdem gibt es auch andere Methoden als Doping um besser zu werden. Besseres, auf sportwissenschaftlichen Prinzipien und sportmedizinischen Messungen aufbauendes Training und ein veränderter Fahrstil zum Beispiel. Oder bessere Fahrräder und andere Technologiefortschritte sowie die systematische Talententdeckung und Förderung. In anderen Sportarten, wie im Schwimmen oder beim Langstreckenlauf, haben diese oder ähnlich Faktoren innerhalb der letzten Jahre zu dramatischen Leistungsverbesserungen geführt. Es kann demnach nicht gelten, dass wer so schnell wie gedopte Fahrer fährt auch gedopt sein muss.
Das erklärt auch, warum Froome keine aktuellen Leistungsdaten veröffentlicht. Das einzigartige Training im Team Sky erklärt den Unterschied zu anderen Fahrern und eine komplette Freigabe der Daten würde deren Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Profiteams kompromittieren (Formel 1 Teams geben ihre Testergebnisse ja auch nicht öffentlich bekannt). Das Team Sky hat verbindliche Anti-Doping Klauseln in ihren Verträgen mit Fahrern und anderen Angestellten. Außerdem hat das Team Sky erklärt, es würde sämtliche Fahrerdaten der WADA zur Analyse direkt zur Verfügung stellen.
Es ist richtig, der Radsport hat eine lange Tradition des Dopings und ehemalige Ikonen haben gelogen und betrogen. Trotzdem haben aktuelle Fahrer, die noch nie mit verdächtigen Werten getestet wurden (und getestet wird im Radsport mittlerweile sehr regelmäßig), einen Vertrauensvorschuss verdient. Ein automatischer Generalverdacht bei Spitzenleistungen nützt jedoch niemandem und nimmt dem Sport die Chance sich zu rehabilitieren.

Wie geht die Tour weiter?

Die dritte Woche hat es in sich. Heute steht eine Etappe über ondulierendes Terrain an, vielleicht schafft es ja heute eine Ausreisergruppe vor dem Peloton bis ins Ziel? Morgen kommt es zum zweiten Einzelzeitfahren, diesmal in den Bergen. Tony Martin ist sicher ein Mitfavorit. Dann kommen die drei Hammeretappen mit Alpe d’Huez, dem Col de La Madelaine und der Etappe rund um Annecy mit Bergankunft, bevor es am Sonntag auf die letzte Etappe nach Paris geht, auf der traditionell mit einem Sprintfinish zu rechnen ist, also wieder mit Chancen für Marcel Kittel und André Greipel.
Chris Froome ist in der komfortablen Situation, das Gesamtklassement mit über vier Minuten anzuführen. Er könnte sich also “bequem” an die Hinterräder seiner direkten Widersacher klemmen und die Tour ohne weitere Schau seiner Leistungsfähigkeit zu Ende fahren und so möglicherweise weniger nervige Fragen zu Doping von den Journalisten bekommen.
Ich hingegen hoffe, er greift weiter an.

Die Seite The Science in Sport bietet exzellente Analysen und Kommentare zur Tour und anderen Sportveranstaltungen. Veloclinic bietet detaillierte Analysen zum Radsport.
Die Fahrtzeiten für die Tabelle stammen von hier und hier.
Bild oben aus dem Forum vom Tour-Magazin. Bild in der Mitte zeigt einige der Athleten am gestrigen Ruhetag. Ganz rechts ist Marcel Kittel (via @marcelkittel).

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25 Kommentare

  1. @Tobias Maier Ich hoffe auch, dass Froome sich nicht nur im Windschatten ausruht.
    “Das einzigartige Training im Team Sky erklärt den Unterschied zu anderen Fahrern”.
    Was ist das Einzigartige an dem Training?
    “Das Team Sky hat verbindliche Anti-Doping Klauseln in ihren Verträgen mit Fahrern und anderen Angestellten.”
    Ähnliche Klauseln sind aus den Rennställen bekannt, in denen gedopt wurde.
    Das Lance Armstrong in 2099 noch eine 49er Zeit auf den Mont Ventoux schafft wird definitv nicht mit normalen Mitteln möglich sein.

  2. roel,
    ich habe leider auch keine weiteren Informationen zu den Trainingsplänen von Sky, ich lese jedoch, dass Sky sehr genau vorab plant wie die Berge (möglichst ressourcenschonend) hoch zu fahren sind. Die Art wie trainiert wird (beispielsweise keine Rennen vor der Tour zu fahren) hat sich geändert, und ich denke, dass da Verbesserungspotential liegt. Ich schau mal, vielleicht schaffe ich dazu auch noch einen Blogpost.
    Die Tabelle habe ich aktualisiert. 🙂

  3. Wenn ein Fahrer besser ist als die anderen Profis, ist das normal. Wenn er aber so viel besser ist, dass er selbst ohne Mannschaft und Hilfe so viele Minuten gegenüber anderen herausfährt – das ist in meinen Augen sehr verdächtig. Zumal Froome ja erstmal Helfer war.
    Das erinnert schon sehr an Armstrongs Fabeletappen oder Floys Landis Hatz alleine gegen die Spitzengruppe 2006.

  4. @peer “Zumal Froome ja erstmal Helfer war.” Hm, Teamleader fallen nicht vom Himmel sondern müssen sich ihren Platz erarbeiten. Jeder fängt mal als Wasserträger an.

  5. @Tobias Maier ” Ich schau mal, vielleicht schaffe ich dazu auch noch einen Blogpost.”
    Das wäre toll.

  6. Besonders verdächtig bei Froome finde ich seine Leistungsentwicklung im schon fortgeschrittenen Alter. Er ist immerhin schon 28. Seinen ersten großen Erfolg hatte er 2011 mit schon 26 Jahren und das war gleich der 2. Platz bei einer 3-wöchigen Rundfahrt, der Vuelta. Er hat vorher keine kleinere Rundfahrt gewonnen oder zumindest ganz vorne beendet, noch ist er sonst irgendwo mit besonderer Leistung aufgefallen – nicht mal 2011 in den Monaten vor der Vuelta. Vom unbekannten Fahrer auf hinteren Plätzen ist er seit Herbst 2011 der beste Bergfahrer der Welt und nebenbei auch noch einer der besten Zeitfahrer. Mit welchen Training soll das möglich sein?
    Man vergleiche die Entwicklung von Froome mal mit zum Beispiel Toni Martin oder auch Contador, die beide von den Junioren über die U23 bis zu den Profis immer vorne dabei waren und eine nachvollziehbare Leistungssteigerung gezeigt haben. Toni Martin ist seit der Juniorenzeit ein hervorragender und erfolgreicher Zeitfahrer. Er tüftelt seit vielen Jahren an der Verbesserung seiner Zeitfahrqualität – Sitzposition, Material, Training… – und plötzlich ist Froome aus dem nichts heraus nahezu gleich gut. Wie soll das gehen?
    Die Geschichte vom besonders wissenschaftlichen und gewissenhaften Training ist auch schon alt. Vor allem Armstrong hat das immer erzählt. Damit werden alle anderen ein bisschen für dumm verkauft. Mittlerweile arbeiten doch alle Teams mit Trainingswissenschaftlern zusammen, haben Leistungsmesskurbeln am Rad und analysieren alles was man analysieren kann. Ich glaube nicht, dass man in der Trainingswissenschaft die Welt so neu erfinden kann, dass innerhalb von ein paar Monaten eine Leistungsexplosion wie bei Froome 2011 möglich ist.

  7. @roel
    Ja, ist klar, aber hier haben wir es nicht mit einem Edelhelfer oder einem ehemailigen Jungtalent zu tun, sondern mit jemanden, der sonst immer unter “Ferner Liefen” mitfuhr und jetzt aus dem nix eine Leistungsexplosion zeigt (siehe auch Jogos Kommentar). Das ist schon verdächtig und kann nicht mit “besonderem Training” erklärt werden.

  8. “Aus dem Nichts” kam die Leistungssteigerung nun wirklich nicht. Natürlich ging es relativ schnell, aber Froome ist nun auch schon ein paar Jahre dabei und schrittweise besser geworden. Auch sollte man vorsichtig mit der Aussage sein, dass so eine Steigerung mit dem “hohen” Alter von 28 Jahren nicht mehr möglich ist. Gerade bei Ausdauersportarten ist der Zenit deutlich nach hinten verschoben, altersmäßig hat er die beste Zeit noch vor sich.
    Ob Froome dopt oder nicht, das wird sich früher oder später so oder so rausstellen. Momentan sehen die Leistungen aber nicht so dramatisch gut aus, dass sie unrealistisch sind. Zeit konnte er nur beim Zeitfahren und am Mont Ventoux gewinnen, wobei er letzten halb hochgeschleppt wurde. Auf einer vorangegangenen Etappe musste er sogar mal abreißen lassen.

  9. Besonders verdächtig bei Froome finde ich seine Leistungsentwicklung im schon fortgeschrittenen Alter.

    In den letzten 10, 15 Jahren gab es auch Dopingmittel. Wieso sollte er erst heute dopen?
    @peer:

    Wenn er aber so viel besser ist, dass er selbst ohne Mannschaft und Hilfe so viele Minuten gegenüber anderen herausfährt – das ist in meinen Augen sehr verdächtig.

    Weil die anderen nicht dopen? Das Argument verstehe ich noch weniger. Schlägt Doping immer bei dem am besten an, der ohnehin am besten ist?
    @roel: 2x ++, aber was soll das:

    Das Lance Armstrong in 2099 noch eine 49er Zeit auf den Mont Ventoux schafft wird definitv nicht mit normalen Mitteln möglich sein.

    2099 würde Armstrong rund 120 sein – wieso interessiert uns das?

  10. @Stefan W. “aber was soll das” In die Tabelle hatte sich bei Armstrong das Jahr 2099 anstatt 2009 eingeschlichen. Also nur ein Wink mit dem Zaunpfahl.

  11. Sehr guter neutral gehaltener Artikel, der beide Seiten beleuchtet.
    Ich verfolge die Tour seit langem und kann mich am Ventoux zum Einen an keinen so günstigen Wind erinnern und zum Anderen an keinen solchen Rennverlauf, bei dem von unten weg auf Druck gefahren und noch richtig Klassement gemacht wurde. (Pantani fuhr den Ventoux im Übrigen 1994 in 46:00 hoch)
    Man wird in Alpe d’Huez sehen, dass die Fahrer aktuell weit (mehr als 2min) hinter den Bestzeiten der Armstrong und Pantani-Ära zurückliegen und die hysterischen Aufschreie der Jounalisten weitestgehend unbegründet sind, jedenfalls nicht begründeter als vor der EPO-Ära.

  12. @Stefan W:
    Ich weiß nicht ob die anderen Dopen, aber es gibt sicherlich unterschiedliche Grade des Doping. Nicht nur “an” oder “aus”. Armstrong z.B. hat sehr viel systematischer gedopt als seine Mitstreiter.

  13. Besonders verdächtig bei Froome finde ich seine Leistungsentwicklung im schon fortgeschrittenen Alter. (Artikeltext)

    In den letzten 10, 15 Jahren gab es auch Dopingmittel. Wieso sollte er erst heute dopen?

    Weil Doping, also die drogenbasierte Feinabstimmung des Körpers für die Zwecke des Sports, eine Kunst ist, die Kenntnis, Übung & Kontakte verlangt? Weil Fahradrennfahrer ab einem bestimmten Lebensalter die Konsequenzen weniger fürchten, weil die Alternative “mitzufahren” auch nicht so töfte scheint?
    Nett die im Artikel vorgenommene Unterscheidung zwischen Optimisten und Pessimisten!
    MFG
    Dr. W

  14. @Sepp: Froome ist tatsächlich schon ein paar Jahre dabei, aber eine schrittweise Verbesserung kann ich nicht erkennen. Ich habe kein vorderes Ergebnis vor seinem Fastsieg in Spanien 2011 gefunden.
    Es stimmt, dass in Ausdauersportarten der Leistungszenit in höherem Alter liegt. Das liegt unter anderem daran, dass dazu sehr umfangreiche körperliche Anpassungen (Herz- Kreislaufsystem, Lunge, Stoffwechsel….) erforderlich sind und das auf natürlichem Wege viele Jahre dauert. Es reicht nicht, auf die Schnelle ein paar Muskeln anzutrainieren. Deswegen sind auch große Leistungssprünge im Ausdauersport ungewöhnlich.

  15. @Tobias Maier,
    interessanter Artikel in der Zeit. Ich bin gespannt, was von den diesjährigen Helden bleibt.
    Vielen Dank für den Nachtrag.

  16. Heute die Königsetappe mit 2x Alpe d’Huez. Wechselhaftes Wetter ist vorhergesagt, womit Contador besser zurecht kommt. Spannend wird das auf jeden Fall.
    Tips auf den Etappenverlauf/ Etappensieger irgendjemand?

  17. Der Radsport wird sich so lange nicht rehabilitieren, wie sich die wahren Schuldigen nicht zu ihren Fehlern bekennen. Ich erkenne keinem der gedopten Fahrern seine Leistung ab und es ist Unsinn einen solchen Fahrer, der unter dem Druck der wahren Schuldigen gedopt hat, sein Leben lang zu sperren. Vielmehr sollten die Teammanager und auch die Teams gesperrt werde. Aber hoppla … stimmt! Das sind ja die Sponsoren, die Geldgeber. Das sind diejenigen für die ja auch der Erfolg eingefahren werden musste, mit welchen Mitteln auch immer. Nein, die will man sich ja nicht vergraulen. Der Rubel muss ja rollen. Und so hat sich im Prinzip nichts geändert im Radsport. Und ohne Änderung keine Rehabilitierung.

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