Kategorie: Technik

  • Ist Chris Froome gedopt?

    Der britische Radprofi Chris Froome hat bislang beide Bergankünfte bei der Tour de France souverän gewonnen. Ist der Träger des gelben Trikots des Führenden der Gesamtwertung gedopt? Diese Frage spaltet die Experten und jene, die sich dafür halten, in zwei Lager: Die Pessimisten und die Optimisten.

    Die Pessimisten

    Die Leistung von Chris Froome kann nicht unter regulären Bedingungen entstanden sein. Das machen die jetzt schon großen Zeitabstände von über vier Minuten zu den direkten Konkurrenten in der Gesamtwertung deutlich. Ein Blick auf die Bestenlisten der EPO-Ära für die Bergankünfte Ax 3 Domaines (8. Etappe) und Mont Ventoux (15. Etappe) auf der Tour zeigt, wie außergewöhnlich gut Froome gefahren ist. Er war für die Tour de France in diesem Jahrtausend der drittschnellste Fahrer nach Ax 3 Domaines und der zweitbeste auf den Mont Ventoux.
    Auch die Leistungsdaten von Froome, seien es die umgerechneten Höhenmeter pro Stunde oder die Leistung pro kg Körpergewicht am Anstieg, platzieren Froome in Mitten der illustren Gesellschaft des Dopings überführter Radfahrer.
    Fahrzeiten für die Berge Mont Ventoux und nach Ax 3 Domaines bei Touretappen seit 2000
    Froome macht sich weiter des Dopings verdächtig, da er entgegen einer früheren Gewohnheit und entgegen eines Transparenzversprechens seines Teams Sky keine eigenen, aktuellen Leistungsdaten und physiologische Parameter mehr publiziert. Eine Konsequenz des zurückhaltens der Daten war, dass Bike Pure, eine Organisation für ehrlichen Radsport, das Profil von Chris Froome vor der Tour von ihrer Seite gelöscht hat.
    Auch wenn Froome Doping aktuell nicht nachgewiesen werden kann, so ist durchaus möglich, dass er Präparate benutzt, die noch nicht von der Weltdopingagentur WADA geprüft oder als Dopingmittel eingestuft werden. Kandidaten dafür wären beispielsweise Telmisartan oder GAS6, das  Gerüchten zur Folge beim Giro d’Italia dieses Jahr eingesetzt wurde, und bei dessen klinischen Tests Geert Leinders, ehemals in Diensten des Teams Sky, beteiligt gewesen sein soll.

    Die Optimisten

    Sicherlich, die Leistungen von Chris Froome sind außergewöhnlich. Aber das ist die Tour de France und das sind die Weltbesten Radfahrer. Hohe Leistungswerte sind natürlich verdächtig, aber die Berechnungen sind eben auch fehleranfällig und Vergleiche sind daher immer mit Vorsicht zu genießen. An relativ kurzen Bergen, wie zum Beispiel der Aufstieg nach Ax 3 Domaines können die Fahrer näher am Maximum fahren als auf langen Anstiegen. Die geleisteten Wattzahlen sind daher selbstverständlich höher.
    Außerdem spielen gerade am Mont Ventoux die Windverhältnisse eine nicht unerhebliche Rolle und können das Ergebnis durchaus beeinflussen. Weiter sind geleistete Tageskilometer, die bislang insgesamt geleisteten Kilometer einer Tour, das schwankende Gewicht der Fahrer, sowie selbstverständlich das Fahren im Windschatten – auch bergauf – Faktoren, die bislang in den Berechnungen der Fahrerleistungen nicht angemessen berücksichtigt werden.

    Außerdem gibt es auch andere Methoden als Doping um besser zu werden. Besseres, auf sportwissenschaftlichen Prinzipien und sportmedizinischen Messungen aufbauendes Training und ein veränderter Fahrstil zum Beispiel. Oder bessere Fahrräder und andere Technologiefortschritte sowie die systematische Talententdeckung und Förderung. In anderen Sportarten, wie im Schwimmen oder beim Langstreckenlauf, haben diese oder ähnlich Faktoren innerhalb der letzten Jahre zu dramatischen Leistungsverbesserungen geführt. Es kann demnach nicht gelten, dass wer so schnell wie gedopte Fahrer fährt auch gedopt sein muss.
    Das erklärt auch, warum Froome keine aktuellen Leistungsdaten veröffentlicht. Das einzigartige Training im Team Sky erklärt den Unterschied zu anderen Fahrern und eine komplette Freigabe der Daten würde deren Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Profiteams kompromittieren (Formel 1 Teams geben ihre Testergebnisse ja auch nicht öffentlich bekannt). Das Team Sky hat verbindliche Anti-Doping Klauseln in ihren Verträgen mit Fahrern und anderen Angestellten. Außerdem hat das Team Sky erklärt, es würde sämtliche Fahrerdaten der WADA zur Analyse direkt zur Verfügung stellen.
    Es ist richtig, der Radsport hat eine lange Tradition des Dopings und ehemalige Ikonen haben gelogen und betrogen. Trotzdem haben aktuelle Fahrer, die noch nie mit verdächtigen Werten getestet wurden (und getestet wird im Radsport mittlerweile sehr regelmäßig), einen Vertrauensvorschuss verdient. Ein automatischer Generalverdacht bei Spitzenleistungen nützt jedoch niemandem und nimmt dem Sport die Chance sich zu rehabilitieren.

    Wie geht die Tour weiter?

    Die dritte Woche hat es in sich. Heute steht eine Etappe über ondulierendes Terrain an, vielleicht schafft es ja heute eine Ausreisergruppe vor dem Peloton bis ins Ziel? Morgen kommt es zum zweiten Einzelzeitfahren, diesmal in den Bergen. Tony Martin ist sicher ein Mitfavorit. Dann kommen die drei Hammeretappen mit Alpe d’Huez, dem Col de La Madelaine und der Etappe rund um Annecy mit Bergankunft, bevor es am Sonntag auf die letzte Etappe nach Paris geht, auf der traditionell mit einem Sprintfinish zu rechnen ist, also wieder mit Chancen für Marcel Kittel und André Greipel.
    Chris Froome ist in der komfortablen Situation, das Gesamtklassement mit über vier Minuten anzuführen. Er könnte sich also „bequem“ an die Hinterräder seiner direkten Widersacher klemmen und die Tour ohne weitere Schau seiner Leistungsfähigkeit zu Ende fahren und so möglicherweise weniger nervige Fragen zu Doping von den Journalisten bekommen.
    Ich hingegen hoffe, er greift weiter an.

    Die Seite The Science in Sport bietet exzellente Analysen und Kommentare zur Tour und anderen Sportveranstaltungen. Veloclinic bietet detaillierte Analysen zum Radsport.
    Die Fahrtzeiten für die Tabelle stammen von hier und hier.
    Bild oben aus dem Forum vom Tour-Magazin. Bild in der Mitte zeigt einige der Athleten am gestrigen Ruhetag. Ganz rechts ist Marcel Kittel (via @marcelkittel).
  • Tour de France: Kann mit berechneten Leistungsdaten Doping nachgewiesen werden?

    Sind die Fahrer bei der diesjährigen Tour de France gedopt oder nicht? Bisherige Blut- und Urinanalysen der teilnehmenden Athleten waren jedenfalls allesamt negativ. Das kann bedeuten, dass das gesamte Fahrerfeld tatsächlich sauber unterwegs ist, das kann aber auch bedeuten, dass gezielt an Grenzwerte und Detektionsschwellen hingedopt wird, dass die pharmakologischen Verschleierungsmethoden sich verbessert haben oder dass neue Substanzen zur Leistungssteigerung verwendet werden, nach denen bislang nicht in den Anti-Doping-Laboren gesucht wird.
    Der Franzose Antoine Vayer, einst Trainer des vom größten Dopingskandals der Radsportgeschichte gesprengten Festina Teams und mittlerweile Aktivist für sauberen Radsport, hat eine alternative Methode vorgestellt, um zu beurteilen, ob ein Teilnehmer der Tour de France leistungssteigernde Substanzen eingenommen haben könnte.
    Vayer berechnet die von den Profis gebrachte Leistung an langen Anstiegen am Ende einer Etappe und sortiert sie in die Kategorien „mutiert“, „unglaublich“ und „verdächtig“. Das Beispiel des Aufstiegs nach Alpe d’Huez aus seinem vorzubestellenden Heft zeigt wie das Who is Who des internationalen Radsports der letzten zwanzig Jahre dort hochgehetzt ist: Pantani, Armstrong Ullrich, Riis sind in der Kategorie mutiert, Landis, Schleck, Vinokurov fahren unglaublich und Virenque, Wiggins und Evans zumindest suspekt. Alpe d’Huez wird dieses Jahr auf der 18 Etappe übrigens gleich zwei Mal überfahren.
    Seine Berechnungsmethode ist keinesfalls neu. Wenn einige Rahmendaten, wie das Fahrergewicht, das Gewicht des Rads, die Steigung, die Rollreibung und die gebrauchte Zeit für den Anstieg, beziehungsweise die Durchschnittsgeschwindigkeit bekannt sind, kann man relativ einfach die Leistung der Fahrer berechnen, zum Beispiel hier.
    Vayer ordnet die Fahrer ab 450 Watt als mutiert ein, 430 Watt sind wundersam und Werte über 410 Watt werden als verdächtig gewertet. Die Kritik der Athleten an der Methode Vayers beschänkt sich auf die Anmerkung, dass Gegenwind nicht berücksichtigt würde. Bei Bergetappen, auf die sich Vayer bei seinen Analysen beruft, dürfte dies jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielen. Viel kritikwürdiger ist die doch relativ zufällig erscheinende Festlegung seiner Kategorien, sowie der Bezug auf die Gesamtwattzahl und nicht auf die Leistung pro Kilogramm Körpergewicht.
    Die von Vayer berechneten Werte zeigen hoffentlich auf lange Sicht einen klaren Leistungsgipfel in den 90er und 00er Jahren, was tatsächlich auf einen neuen, sauberen Radsport hinweisen würde. Interessanter als seine relativ willkürliche Kategorisierung der Fahrerleistungen in „mutiert“ und „unglaublich“ finde ich die Frage, zu welchen Leistungen individuelle, voll austrainierte Profis die garantiert ohne leistungssteigernde Mittel fahren überhaupt in der Lage sind. Außerdem: In wie weit erlauben die berechneten Leistungswerte am Berg direkte Rückschlüsse auf Kernparameter der Ausdauersportler, wie die maximale Sauerstoffaufnahme und der Hämatokritwert.
    Diese Woche ist von einem kurzen Einzelzeitfahren morgen abgesehen noch von Flachetappen geprägt. Aber am Sonntag findet die nächste Bergankunft auf dem Mont Ventoux statt und kommende Woche sollte genug Gelegenheit für Vayer bieten, Leistungsdaten der Fahrer an Bergen zu erheben.
    Mein Tip für Paris? Nachdem Vorjahressieger Bradley Wiggins aufgrund einer Knieverletzung nicht dabei ist, wird sein letztjähriger Adjutant Chris Froome seiner Favoritenrolle gerecht und beendet die Tour im gelben Trikot des Gesamtführenden.
    Froomes Leistung in Alpe d’Huez letztes Jahr ist von Vayer übrigens als „unglaublich“ eingestuft worden.

  • Welche Grundrechte werden durch den Abhörskandal verletzt

    Welche Grundrechte werden durch den Abhörskandal verletzt

    Ich habe immer noch keinen Überblick über den Abhörskandal. Es kommen ja auch gefühlt jeden zweiten Tag neue Enthüllungen hinzu. Kann man inzwischen davon ausgehen, dass sämtliche digitale Kommunikation, also Metadaten und Inhalte, von mindestens einem, wahrscheinlich mehreren Nachrichtendiensten abgehört, zumindest analysiert und zum Teil kurzzeitig und in „Verdachtsfällen“ womöglich auch auf unbestimmte Zeit gespeichert wird?
    Und ich dachte, wir leben in einem Rechtsstaat, in dem den Bürgern Freiheitsrechte zustehen, und diese auch geachtet und verteidigt werden.
    Die Tragweite der organisierten Abhörtätigkeiten der ausländischen und wohl auch inländischen Nachrichtendienste (oder warum ist die Bundesregierung so leise?) kann anhand der Menge und der Tiefe der aufgezeichneten und ausgewerteten Daten beschrieben werden. Naturgemäß wissen wir da aber nur, was durch Enthüllungen von investigativen Journalisten und Whistle Blowern wie Snowden bekannt wird.
    Eine weitere Methode zur Erfassung der Tragweite des Skandals ist die Prüfung, welche Grundrechte und Freiheitsrechte durch die organisierten Abhöraktionen angegriffen sind. Die wohl am direkten betroffensten sind:
    Das Postgeheimnis: Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn das auch für die Übertragung elektronischer Post gelten würde. Es ist fast schon heuchlerisch, das Postgeheimnis als Freiheitsrecht aufrecht zu erhalten. Denn zuständig für den Schutz des Rechts im Internet ist nicht mehr der Staat. Im Gegenteil, wer die Inhalte von Mails vor Zugriffen schützen möchte, ist selbst verantwortlich für eine angemessen Verschlüsselung.
    Die Pressefreiheit: Ein essentieller Bestandteil von investigativem Journalismus ist der Schutz von Quellen. Durch das systematische Speichern von Kommunikationsmetadaten sowie dem offenbar möglichen Abhören von Telefonaten und dem direkten Zugriff auf Emails ist dieser Schutz nicht mehr gegeben. Die häufig propagierte Rolle einer vierten Gewalt der öffentlichen Medien ist dadurch ausgehöhlt, deren Kontrollfunktion fällt weg.
    Werden abgehörte Mails und Telefonate genutzt um jemandem die Einreise in ein Drittland zu verwehren, ist die Freizügigkeit nicht mehr gewährleistet. Wird durch abgehörte Kommunikation vorab Hausarrest ausgesprochen und die Teilnahme an Veranstaltungen untersagt, gilt die Versammlungsfreiheit nicht mehr.
    Ich jedenfalls bin nicht bereit, meine Rechte auf dem Altar der vermeintlich verbesserten inneren Sicherheit und dem Schutz vor Terrorismus zu opfern (ist das denn der Grund für die staatliche Überwachung?). Das ist wahrscheinlich auch gar nicht legal, denn für Menschenrechte – und die Freiheitsrechte sind ein Bestandteil davon – gilt die Unteilbarkeit.
    Was mich stutzig macht, ist die Passivität mit der die Bundesregierung auf die Enthüllungen reagiert. Sollte eine gewählte Regierung nicht im Dienst der Bürger handeln und diese schützen? Ich vermute ja, dass die Überwachungsmaßnahmen deutscher Nachrichtendienste jenen unserer US-amerikanischen und britischen Freunde in nichts nachstehen. Aufklären würde bedeuten, auch die eigenen Methoden und Maßnahmen öffentlich zu erklären.
    Das erwarte ich auch. Denn wenn wir schon abgehört werden, dann bitte transparent.

    Bild oben von Camilla Iannone (onepicperday.me)
  • Die Resonanz auf Recently

    Die Resonanz auf Recently

    Wenn man Noah Gray Glauben schenken kann, dann ist Recently ein Treffer ins Schwarze. Der Redakteur von Nature schreibt auf Twitter über unsere App:

    These algorithms, if good, will be valuable as the quantity of published science continues to explode. The filter problem is massive.

    Gray hat das Problem erkannt! Die Zahl der jährlich neu publizierten akademischen Fachartikel steigt ständig. Dieses Jahr werden höchstwahrscheinlich zum ersten Mal über eine Million neue biomedizinische Artikel publiziert werden. Ohne technische Hilfsmittel ist es da eigentlich unmöglich, den Überblick zu behalten.
    Jährlich neu publizierte peer-reviewte biomedizinische Fachartikel der letzten 50 Jahre (nicht kumulativ!). 2013 wird erstmal die Millionengrenze überschritten. (Werte x 1000)
     
    Recently versucht genau hier zu helfen. Die App erleichtert es Forschern aus den Lebenswissenschaften sowie Ärzten mit der persönlich relevanten Fachliteratur auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Wir haben Recently vor drei Wochen als kostenlose beta-Version veröffentlicht  und ich habe die App ja hier auch vorgestellt. Zeit für einen kurzen Zwischenbericht – und für ein Dankeschön an vielen registrierten Nutzer und Tester, von denen uns gut 50 konstruktives Feedback zur App geschickt haben.
    Ich war positiv überrascht von der hohen Zahl der Registrierungen für Recently in den ersten Wochen. Das ist nicht zuletzt anderen Journalisten, Bloggern und Wissenschaftern zu verdanken, die den Link zur App auf Twitter und Facebook, in institutsinternen Mailinglisten und auf der eigenen Website verbreitet haben. Hier eine Auswahl der Resonanz auf den Launch von Recently:
    Matthias Fromm hat mich für das Open Science Radio eine gute halbe Stunde zu Recently Interviewt. Herausgekommen ist ein gut halbstündiges Gespräch mit vielen Hintergrundinformationen.
    Die Laborwelt titelte kurz nach dem Launch: „Fachartikel: App trennt die Spreu“ und schreibt: „Die neue Web-App „Recently“ hilft Forschern, den Durchblick im Publikationsdickicht zu bewahren
    Bent Petersen, ein Assistenzprofessor für Bioinformatik in Kopenhagen schreibt in seinem Blog: „It is very easy to get started with Recentlyapp.com. You need to provide your name and a valid email address. In a second step, they ask you to provide three publications relevant to your research field, so they can start recommending articles to you.“
    Marc Scheloske berichtet in der Wissenswerkstatt ebenfalls über Recently und nennt die App ein „raffiniertes Tool um interessante Fachliteratur zu entdecken
    Soweit eine Zwischenmeldung nach den ersten Wochen, ich hoffe natürlich, dass es ähnlich erfolgreich weiter geht und wir möglichst viele neue Nutzer bekommen – selbstverständlich sind wir auch weiterhin an Feedback interessiert.
    Recently ist übrigens auch Sponsor eines Beachvolleyballteams (siehe Foto oben). Dieses Jahr sind wir bislang ungeschlagen.

  • Recently – einfach mal den Überblick behalten

    Recently – einfach mal den Überblick behalten

    Relativ zu Anfang meines Biologistudiums hatte ich eine wahnwitzige Idee. Wie wäre es denn, wenn ich alle Papers, die je publiziert wurden, lesen würde? So nebenher, neben dem Studium. Ein Besuch der Unibibliothek mit meterhohen Regalen voll mit gebundenen Ausgaben von Cell, Nature und Science hat mich schnell eines Besseren belehrt. Und noch während ich die nicht enden wollenden Bücherregale entlang irrte, wandelte sich der Wunsch, alles zu lesen, in ein Gefühl um, das ich im Lauf von Studium, Promotion und Postdoc nie los geworden bin: Wie kann ich hier nur den Überblick behalten?
    Erst im Lauf der Zeit sind mir die Dimensionen der Frage wirklich klar geworden: Es gibt aktuell weit über zehntausend Journals, in denen mehr oder weniger regelmäßig neue Artikel erscheinen. Die Datenbank Pubmed, in der Veröffentlichungen aus den Lebenswissenschaften archiviert werden, hat aktuell mehr als zwanzig Millionen Publikationen gespeichert. Jeden Tag kommen über 2500 neue Papers dazu. Natürlich ist nur ein Bruchteil davon wirklich relevant für die eigene Forschung. Nur: Wie finde ich den? Wie verpasse ich keine wichtigen Veröffentlichungen? Und wie werde ich das schlechte Gewissen los, nie genug Papers zu lesen?
    Geleitet von diesen Fragen haben wir in den letzten Monaten Recently entwickelt  – und jetzt veröffentlicht.

    Recently ist eine App für Wissenschaftler im Life-Science-Sektor und für Ärzte. Das Prinzip ist einfach: Basierend auf persönlich relevanten Papers schlägt Recently neue Publikationen vor. So kann man bequem auf dem Laufenden bleiben mit allem, was in dem eignen Forschungsgebiet publiziert wird. Recently ist eine Art personalisiertes Journal.
    Besonders relevante Papers kann man „liken“. Das beeinflusst direkt die zukünftigen Literaturvorschläge. Was nicht passt, kann man „disliken“ (endlich! Der dislike Button!) und das Paper verschwindet aus dem Feed. Relevante Publikationen kann man auch einfach per Email verschicken oder per Twitter oder Facebook mit Kollegen teilen.
    Wir haben Recently so designt, dass es auf normalen Computern, genauso wie auf mobilen Geräten gut aussieht. So ist es möglich, auch einfach mal zwischendurch, auf dem Weg zur Arbeit oder in einem langweiligen Talk durch die vorgeschlagenen Papers zu scrollen und Interessantes zu entdecken.
    Am besten also einfach hier klicken und sich anmelden, testen, weitersagen, und wiederkommen um nach neuen und relevanten Papers zu schauen. Das Ganze ist kostenlos und ich würde mich sehr über Feedback freuen. Im Hilfeteil der App gibt’s dazu ein Formular, sonst gerne auch einfach hier einen Kommentar schreiben. Es gibt auch eine Seite mit weiteren Hintergrundinformationen und ich werde sicher in den nächsten Wochen noch mehr zu Recently schreiben.

    Das Bild ganz oben ist modifiziert von Hyperbole and a Half
  • Spektakuläre Naturaufnahme – die Geburt eines LKW Fahrers

    Noch nie vorher konnte die Geburt eines Truckfahrers mit der Kamera beobachtet werden. Der oben eingebundene Schnappschuß ist einem besonders geistesgegenwärtigen Naturfotografen gelungen und, wie ich finde, zu Recht auf dem Cover des National Geographic Magazins, zu dessen gleichnamigem Verlag die ScienceBlogs ja seit fast genau zwei Jahren gehören.
    Wir bleiben im Tierreich, und um diesem Blogpost doch noch den nötigen Ernst zu verleihen, hier noch der Hinweis auf einen schon etwas älteren Artikel der BBC News: Komplett zugedröhnte australische Zwergkängurus machen Kornkreise in Opiumfeldern.

    We have a problem with wallabies entering poppy fields, getting as high as a kite and going around in circles. Then they crash.

    Lara Giddings, government official

    Truckfahrer via Schlecky Silberstein
     
     

  • Mendeley gehört jetzt Elsevier. Und außer den beiden ist keiner begeistert.

    Mendeley gehört jetzt Elsevier. Und außer den beiden ist keiner begeistert.

    Wer schon mal ein Paper – also eine wissenschaftliche Publikation geschrieben hat, der weiß, dass da immer auch andere Publikationen zitiert werden, und im Anhang die Liste der Referenzen angefügt wird. Gerüchten zu Folge machen das Professoren kurz vor der Pensionierung noch manuell. Alle anderen benutzen dafür geeignete Software.
    Der Darling der Literaturverwaltungssoftware heißt Mendeley. Das Programm ist kostenlos, es speichert die persönliche Literaturdatenbank „in the cloud“, so dass man von überall darauf Zugriff hat. Man kann pdf-Dateien hochladen und die eigene Bibliothek mit anderen Wissenschaftlern teilen. Das ist sinnvoll, wenn man zusammen an einem Manuskript schreibt.
    Mendeley hat weiter ein benutzerfreundliches cite-while-you-write Plugin für MS-Word und steht damit in direkter Konkurrenz mit dem Platzhirsch Endnote. Ein Argument, das immer für Mendeley sprach, war die Unabhängigkeit der Software. Mendeley war frei, Mendeley war offen (mit eigener API) und Mendeley war unabhängig.
    Seit Dienstag vergangener Woche hat sich das geändert. Was Techcrunch schon vor ein paar Monaten als Gerücht gestreut hat, ist Wirklichkeit geworden: Elsevier, der größte und böseste Verlag für wissenschaftliche Publikationen, hat sich Mendeley einverleibt. Und die finden das auch noch gut!
    Nicht alle sind von dem Deal, der Mendely übrigens angeblich bis zu 100 Millionen Dollar eingebracht haben soll, begeistert, wie Beatrice Lugger auf den Scilogs und  David Dobbs im New Yorker schreibt, und manche rufen unter #mendelete zum Löschen des eigenen Accounts auf, jetzt, da dort wo Mendeley drauf steht, Elsevier drin ist.
    Das einfachste wäre sicher, schlicht die Literaturmanagementsoftware zu wechseln. Möglich ist das, die Nachteile, die durch die Mendeley-Übernahme auftreten aber häufig die gleichen: Endnote gehört Thomson Reuters (die mit dem Impact Factor), Papers wurde Ende letzten Jahres von Springer gekauft, und das, obwohl die Wissenschaftssparte von Springer selbst zum Verkauf stand oder steht. Colwiz gehört der American Chemical Society (ACS publishing) und Readcube gehört zur Nature Publishing Group (NPG). Wer also seine Literaturdaten bei einem Anbieter speichern will, der benutzerfreundlich und unabhängig von einem Verlag ist, hat es nicht einfach.
    Die eigentlich interessantere Frage ist, was Elsevier mit den Daten zu persönlichen Literaturvorlieben und den Informationen zu den wechselseitigen Beziehungen der Nutzer untereinander anstellen wird. Björn Brembs meint, im schlimmsten Fall überzieht Elsevier die pdf-teilenden Nutzer mit Copyrightklagen, im besten Fall entwickeln sie für die Nutzer kostenlose und nützliche Anwendungen, die auf die eignen Nutzerdaten aufbauen. Am wahrscheinlichsten ist, dass sie versuchen mit dem komfortablen Zugang zu pdfs Geld zu verdienen.
    Wo wir gerade bei nützlichen Tools sind. In Kürze wird Recently an den Start gehen. Recently ist das personalisierte wissenschaftliche Journal. Mit Recently ist es einfach, up to date zu bleiben mit allem, was im eigenen Forschungsgebiet publiziert wird. Recently ist eine Browser-basierte App, die auf dem Computer genauso wie auf Tabletts und Smartphones funktioniert. Und: Recently ist von Verlagen unabhängig.
    DISCLAIMER: Ich bin für Recently verantwortlich.

  • Claudia Roth mahnt vor der Atomkatastrophe

    Claudia Roth mahnt vor der Atomkatastrophe

    Die HanoverGEN-Posse der frisch gewählten rot-grünen Regierung in Niedersachsen ist noch nicht richtig vom Tisch, da legt die fast so frisch wieder gewählte Parteivorsitzende der GRÜNEN nach. Claudia Roth verbreitete heute auf ihrem Facebookprofil mahnende Worte zu Fukushima – und macht aus einer Naturkatastrophe eine Atomkatastrophe:

    Heute vor zwei Jahren ereignete sich die verheerende Atom-Katastrophe von Fukushima, die nach Tschernobyl ein weiteres Mal eine ganze Region und mit ihr die ganze Welt in den atomaren Abgrund blicken ließ. Insgesamt starben bei der Katastrophe in Japan 16.000 Menschen, mehr als 2.700 gelten immer noch als vermisst. Hunderttausende Menschen leben heute fernab ihrer verstrahlten Heimat. Unsere Gedanken sind heute bei den Opfern und ihren Familien. Die Katastrophe von Fukushima hat uns einmal mehr gezeigt, wie unkontrollierbar und tödlich die Hochrisikotechnologie Atom ist. Wir müssen deshalb alles daran setzen, den Atomausstieg in Deutschland, aber auch in Europa und weltweit so schnell wie möglich umzusetzen und die Energiewende voranzubringen, anstatt sie wie Schwarz-Gelb immer wieder zu hintertreiben. Fukushima mahnt.

    Diese Meldung verdreht nicht nur grotesk die Tatsachen, sie ist auf so multiple Art einfach falsch, dass es fast nicht zu glauben ist, dass dies einem Social-Media Praktikanten der GRÜNEN einfach so passiert ist. Entweder Claudia Roth hat das tatsächlich selbst gepostet, es wäre zumindest vorstellbar, oder die FDP hat in einer Guerillaaktion ihr Facebookkonto übernommen. Dem ebenfalls frisch gewählten Bundesvorstand mit Christian Lindner und Wolfgang Kubicki wäre es zu zu trauen.

    Hat-tip @gedankenabfall
  • Echte Krake selber bauen

    Ich bin mir bewusst, dass der Bildungsauftrag, den Wissenschaftsblogs ohne Zweifel haben, bei mir auf WeiterGen sträflich vernachlässigt wird. Um das etwas auszugleichen, hier eingebunden eine schöne Bastelanleitung für eine echte Krake! Eignet sich hervorragend für verregnete Nachmittage zu Hause mit den Kindern, oder natürlich für den Biounterricht.

    Ihr benötigt: 3-4 selber gefangene, lebendige Regenwürmer, ein paar Tropfen Sekundenkleber und das gelbe Plastikteil von einem Überraschungsei. Die Abbildung sollte selbsterklärend sein.
    Pro-Tipp: Mehrere Kraken bauen und in der Badewanne ein Wettschwimmen veranstalten.

    Quelle: https://www.facebook.com/Mike7Jahre
  • Anonymität in Zeiten kommerzieller DNA-Analysen

    Anonymität in Zeiten kommerzieller DNA-Analysen

    Ich kann mit hoher Wahrscheinlichkeit erraten, wie dein Ur-Ur-Ur Großvater – väterlicherseits – mit Nachnamen hieß: Genauso wie du. Was trivial klingt hat kulturelle Hintergründe. Traditionell nehmen Ehepaare bei der Hochzeit den Nachnamen des Bräutigams an, und die Kinder heißen dann ebenso. Nicht nur der Nachname wird so über Generationen weitergegeben, auch das Y-Chromosom männlicher Nachkommen stammt immer vom Vater, und der hat es von dessen Vater, und so weiter.
    Genealogie heißt die Erforschung der Abstammungsverhältnisse. Es ist eine Hilfswissenschaft, die wohl vor allem von Großvätern mit viel Zeit ausgeübt wird, und in den USA überaus populär ist. Seit ein paar Jahren wird die Genealogie durch moderne DNA Sequenziermethoden unterstützt. In großen, öffentlichen Datenbanken wie Ysearch und SMGF werden Informationen zu kurzen, sich wiederholenden aber individuell sehr unterschiedlichen DNA Sequenzen des Y-Chromosoms gespeichert, sowie die dazugehörigen Nachnamen. Das hilft den Garagenahnenforschern, etwas über die eigenen Wurzeln heraus zu finden. Man lässt kommerzielle Unternehmen die eigenen sogenannten Short Tandem Repeat (STR) Regionen sequenzieren, und vergleicht die Ergebnisse über eine einfach Eingabemaske dann mit den Einträgen in den Sequenzdatenbanken.

    Den Nachnamen aus Sequenzdaten bestimmen

    DNA Sequenziermethoden werden nicht nur zur privaten Ahnenforschung genutzt. Es gibt große, wissenschaftliche Studien mit dutzenden bis tausenden Teilnehmern, bei denen die DNA der Probanden möglichst komplett sequnenziert wird, beispielsweise um einen Eindruck von der generellen Variabilität menschlicher DNA zu bekommen, oder um bestimmte phänotypische Eigenschaften Unterschieden in der DNA zu zu ordnen. Die Teilnehmer dieser Studien werden in den allermeisten Fällen anonymisiert, so dass durch die Analyse der DNA Sequenzen kein Rückschluss auf die Identität des Teilnehmers möglich ist – oder möglich sein sollte.
    Letzte Woche wurde ein Paper in Science publiziert (Gymrek et al.), in dem berechnet wurde, wie hoch das Risiko ist, den Namen eines Probanden zu identifizieren – nur durch die Nutzung öffentlich zugänglicher Datenbanken und durch Internetsuchen. Die Autoren zeigen an einem Testset, dass ihr Algorithmus optimal eingestellt 12% der Namen korrekt identifiziert (5% falsch positiv, 83% unbekannt). In Kombination mit relativ unspezifischen Informationen wie Geburtsjahr und bewohntem US-Bundesstaat war es den Autoren möglich, die Zahl der möglichen Spender einer DNA Probe auf durchschnittlich ein Dutzend Personen einzuschränken.
    Die Ergebnisse der Gruppe aus israelischen und US-amerikanischen Forschern sind nicht erschreckend, sie zeigen aber, das die Anonymität von Teilnehmern an großen DNA-Sequenzierstudien unter Umständen nicht gewahrt bleibt, vor allem wenn zusätzliche persönliche Informationen verfügbar sind, auch wenn diese relativ allgemein sind, wie Alter und Nationalität.

    Weniger ist mehr: Datenschutz und kommerzielle DNA-Analysen

    Es gibt noch eine dritte Gruppe Menschen, die Teile ihrer DNA sequenzieren lassen. Während das Ziel der Ahnenforscher ist, über STRs die eigene Abstammung zu rekonstruieren, sind ein Großteil der privaten Kunden von Sequenzierunternehmen auf etwas ganz anderes aus: Sie interessieren sich für die Wahrscheinlichkeit in Zukunft an bestimmten Krankheiten zu leiden. Dazu werden sogenannte SNPs analysiert, also ebenfalls kurze DNA Sequenzen, die mit dem Auftreten von Krankheiten assoziiert sind. Menschen, die sich durch die Sequenzierung von SNPs über Krankheitsrisiken informieren haben oft gute Gründe, ihre Anonymität zu wahren.
    Wie hoch ist also das Risiko, dass durch die Analyse dieser SNP-Daten Rückschlüsse auf die Person möglich sind? Dazu habe ich Bastian Greshake befragt, Gründer von openSNP, einer Plattform auf der die Ergebnisse solcher SNP-Analysen publiziert, analysiert und diskutiert werben können.
    WeiterGen: Bastian, ist die Anonymität der Benutzern von openSNP nach der Publikation des Gymrek-Papers noch gewährleistet?
    Bastian Greshake: Ich vermute das es aktuell nicht so einfach wäre die Benutzer von openSNP mit Nachnamen anreden zu können (also wenn sie ihn nicht angegeben haben). Komplett ausschliessen kann man das natürlich nicht. In dem Paper dort nutzen sie die Haplotypen von bis zu 60 Y-chromosomalen Short Tandem Repeats, darin steckt, meiner Ansicht nach, um einiges mehr an Ancestry-Information, als man über die SNPs die 23andMe auf dem Y-Chromosom testet bekommt (openSNP nutzt hauptsächlich SNP-Daten von 23andMe-Analysen, WG).
    WG: Was wäre nötig, um die Anonymität der openSNP Benutzer zu gefährden?
    BG: Falls entsprechende Referenzdaten zur Verfügung stünden, könnte man theoretisch von den SNPs aus die Y-STRs imputen, also aus den SNPs die Y-STRs vorhersagen und dann die in der Publikation benutzten Methoden verwenden um die Identität zu ermitteln. Alternativ könnte man direkt Namensdatenbanken verwenden, die SNP-Daten anstelle von STRs verwenden. Diese sind aber derzeit noch nicht weit verbreitet, oder zumindest nicht öffentlich.
    WG: Das Risiko, dass aktuell aus SNP-Daten Rückschlüsse auf Einzelpersonen gezogen werden können ist also sehr gering Was können openSNP Kunden dennoch selbst tun, um ihre Anonymität zu wahren?
    BG: Ganz generell gilt: Je weniger Metadaten über die Person mit den SNP-Daten verknüpft sind desto geringer die Wahrscheinlichkeit einer Zuordnung. Um die eigene Anonymität zu wahren, sollte man also beispielsweise darauf verzichten sein Alter und seinen Wohnort anzugeben. Angaben dazu sind auf openSNP freiwillig.
    Weitere Artikel im Blog zum Thema:

    Titelbild Rosie Cotton (CC BY-NC-SA 2.0).

    ResearchBlogging.orgGymrek, M., McGuire, A., Golan, D., Halperin, E., & Erlich, Y. (2013). Identifying Personal Genomes by Surname Inference Science, 339 (6117), 321-324 DOI: 10.1126/science.1229566