Kategorie: Geistes- & Sozialwissenschaften

  • Guttenberg auf Stufe sechs der Wissenschaftshölle

    In den USA werden verurteilte Kriminelle die für die Gesellschaft keine direkte Gefahr darstellen gerne mit elektronischen Fußfesseln überwacht. Die Fußfesseln entlasten die chronisch überbelegten Gefängnisse und kosten den Steuerzahler weniger als eine Unterbringung im Knast. Außerdem ermöglichen sie, die so markierten Straftäter jederzeit zu orten. Falls ein Täter sich zu weit von zu Hause entfernt, wird Alarm geschlagen. Eine Variante ermöglicht auch die Durchsetzung von Unterlassungsbefehlen. Alarm wird dann ausgelöst, wenn sich der Täter bestimmten Gebäuden oder Einrichtungen nährt.

    Unser ehemaliger Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ist, nachdem er in Deutschland als Plagiator überführt wurde, in die USA ausgewandert. Er hat sich im malerischen Greenwich (Connecticut) ein Haus gekauft und ist dort, nördlich von New York, eigenen Angaben zur Folge, sehr glücklich. Neben dem Plan, sich um seine Familie zu kümmern, ein Buch zu schreiben und den ein oder anderen Neuenglandhummer zu verdrücken, nimmt der Politiker  der Reserve offenbar auch einige lokale Termine wahr. Letzte Woche stand ein Vortrag in Yale an, einer Universität an der amerikanischen Ostküste mit einem hervorragendem wissenschaftlichen Ruf. Es sollte laut Spiegel online um „Mythen der transatlantischen Beziehungen gehen“.

    Einige Doktoranden empfanden die Einladung des überführten Plagiators an die Eliteuniversität offenbar nicht angemessen. Sie riefen zu einem Protest für „akademische Integrität“ auf und verließen demonstrativ den Seminarraum, als der CSU-Politiker anfing zu sprechen (sic). Während Guttenberg an eine akademische Einrichtung, also den Ort seines Vergehens zurück kehrte, ersetzten die demonstrierenden Doktoranden so die elektronische Fußfessel. Zumindest dieser Kontrollmechanismus scheint zu funktionieren.

    Obwohl langsam die promovierten Politiker auszugehen scheinen, erfreut sich das identifizieren von plagiierten Stellen in Doktorarbeiten von Personen mit öffentlichen Funktionen weiterhin großer  Beliebtheit. Ein Grund mag sein, dass es für dritte relativ einfach ist, Plagiate aufzuspüren. Um das Vergehen Guttenberg und Consorten in einem etwas größeren Rahmen einzuordnen, hier eingebunden eine Darstellung der neun Kreise der Wissenschaftshölle. Die Grafik ist angelehnt an Dantes Inferno und so original mit Erklärungen 2010 im Neuroskeptic Blog erschienen. Der Blogpost wurde jetzt in „Perspectives on Psychological Science“, einem peer-reviewten Magazin, erneut veröffentlich (.pdf).

    Guttenberg selbst wird gar nicht die Chance haben, alle Kreise der Hölle zu durchlaufen. Dazu hätte  er ja eigene Daten haben müssen. Um auf dem Laufenden zu bleiben, was sich sonst gerade im Fegefeuer tut, empfiehlt sich außerdem der Retraction Watch Blog.

  • Petition zur Sicherung des EU-Forschungsbudgets unterschreiben

    Petition zur Sicherung des EU-Forschungsbudgets unterschreiben

    Was viele nicht wissen, die nicht direkt im akademischen Wissenschaftsbetrieb arbeiten: Die Europäische Komission spielt eine wichtige Rolle bei der Forschungsfinanzierung. Seit den 1980er Jahren fördert die EU Wissenschaft und Technologie in Rahmenprogrammen, die jeweils über mehrere Jahre laufen. Aktuell befinden wir uns im FP7 (Framework Programme 7), das von 2007-2013 läuft.

    Insgesamt wird in diesem Zeitrahmen ein Budget von über 50 Milliarden Euro verwaltet und verteilt. Zwei Drittel des Geldes werden in kooperative Wissenschaftsprojekte aller Sparten investiert. Weitere rund 15% werden vom European Research Council direkt an exzellente Forscher vergeben. Ein Teil davon sind die sehr prestigeträchtigen ERC-Grants.

    Aktuell wird in Straßburg über das Budget der Europäischen Komission für das achte Rahmenprogramm (Horizon 2020) verhandelt. Insgesamt ist für die Wissenschafts- und Technologieförderung für den Zeitraum bis 2020 rund 80 Milliarden Euro veranschlagt. Das übersteigt das Budget des Bundesministeriums für Bildung un Forschung. Allerdings ist die Genehmigung dieser Summer ob der klammen Haushaltslage einiger Mitgliedsstaaten keinesfalls sicher.

    Die Erhöhung des Budgets auf 80 Milliarden macht aber gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Krise Sinn. Die nationale Wissenschafts- und Technologieförderung ist traditionell einer der ersten Sektoren bei denen eingespart wird, da erstens keine sofortigen Gewinne aus Investitionen zu erwarten sind, zweitens Forschung einfach teuer ist und drittens Wissenschaftler leider keine große Lobby haben, um politischen Druck auszuüben. Wenn Landwirte drohen, mit Traktoren nach Brüssel zu fahren um ihre Subventionen zu verteidigen, zeigt das Wirkung. Wenn Wissenschaftler die Pipette aus Protest niederlegen interessiert das kein Schwein.

    Heute haben über 40 Nobelpreisträger, darunter die Deutschen Werner Arber, Günter Blobel, Johann Deisenhofer, Richard Ernst (Schweiz), Gerhard Ertl, Robert Huber, Klaus von Klitzing, Erwin Neher, Christinane Nüsslein Volhard, Heinrich Rohrer (Schweiz), Bert Sakman, Rolf Zinkernagel und Harald zur Hausen eine Protestnote unterschrieben, die sich gegen geplante Budgetkürzungen richtet. Der offene Brief wurde heute in Zahlreichen Tageszeitungen in Europa abgedruckt, darunter offenbar auch die FAZ. Ich finde ihn derzeit leider nicht online im Originallaut. Hier ist der Link zum Aufruf in der FAZ.

    Was aber jeder, ob mit oder ohne Nobelpreis tun kann, ist die heute gestartete Petition zur Sicherung des EU-Forschungsbudgets zu unterschreiben: http://www.no-cuts-on-research.eu/.

    Die Petition wurde von der initiative for science in Europe heute iniziiert und wird von führenden Wissenschaftlern unterstützt. Derzeit hat die Petition gut 10 000 Unterschriften.

    Verwandte Artikel im Blog:
    Bild oben von Open Consortium.
  • Harmonie ist eine Strategie – Die Folgen der digitalen Personalisierung

    Harmonie ist eine Strategie – Die Folgen der digitalen Personalisierung

    Eli Pariser hat ein Buch über eine der größten Veränderungen des Internets geschrieben seit der Erfindung der Suchmaschinen. Er nennt es die Filter Bubble. Es geht um die digitale Personalisierung, um die auf einen persönlich zugeschnittenen Suchergebnisse in Google, die passenden Buchvorschläge in Amazon und die gefilterte Facebook-Timeline, die längst nicht mehr alle Updates aller Freunde gleich bewertet. Pariser warnt vor einer Relevanz-Monokultur, vor ewig gleichen, durch Algorithmen bestimmten Loops aus wiederkehrenden Inhalten und Meinungen, vor der gefilterten Blase, in der sich jeder Internetnutzer befindet und aus der es immer schwieriger sei auszubrechen.

    Der Mann mit dem klangvollen Namen ist kein Unbekannter im Web. Internetaktivist trifft es vielleicht am besten. Pariser war Chef von MoveOn.org und ist einer der Gründer von Avaaz, zwei online-Bürgerrechtsbewegungen mit recht klarer politischer Linie. Dieses Jahr hat er Upworthy gegründet. Upworthy möchte die Seite werden, auf der man awesome, meaningful and visual things to share findet. Upworthy füllt also die von Eli Pariser beschworene Filter Bubble mit Inhalten, die Eli Parisers Agenda entsprechen.

    Sascha Lobo, ein weiterer -wenn man so will – Internetaktivist, hat die digitale Personalisierung in seiner aktuellen Kolumne in SPIEGEL Online von einer anderen Seite beleuchtet. Es geht um das Sammeln persönlicher Daten und ob diese von Versicherungen genutzt werden können, um personalisierte Policen anzubieten. Lobo illustriert das in seinem Artikel am Beispiel einer Autoversicherung in Großbritannien, die einen neuen Tarif anbietet: Daten über das Fahrverhalten werden elektronisch gesammelt und Verstöße gegen die Verkehrsordnung mit einem Punktesystem geahndet. Bei wiederholten Verstößen erlischt der Versicherungsschutz.

    Lobo selbst denkt weiter und fragt, was wäre, wenn nicht die Autoversicherung, sondern die Krankenversicherung sehr persönliche Daten sammeln würde und danach den Versicherungstarif  anpasste. Er führt Joggen gehen als eine Tätigkeit an, die zu günstigeren Versicherungskonditionen führen kann. Der Gedanke, dass Krankenversicherungen persönliche Daten Nutzen, um Ihre Policen anzupassen war hier im Blog auch schon mal Thema: Was wäre, wenn Versicherungen spezielle Tarife anbieten würden für Kunden, die den Unternehmen ihre DNA Sequenzen überlassen?

    Es dürfte rechtlich nicht einfach sein, diesen gläsernen Kunden direkt günstigere Tarife einzuräumen. Aber die Versicherer könnten beispielsweise häufiger Kosten für bestimmte Vorsorgeuntersuchungen übernehmen, falls eine genetische Prädisposition, beispielsweise für Dickdarmkrebs oder Brustkrebs bestünde. Andere Untersuchungen wären im Ausgleich nicht durch die Policen gedeckt und schon wäre die Krankenversicherung personalisiert.

    Ah, bevor ich es vergesse: Der eigentliche Anlass dieses Artikels: Mein Blog hat jetzt auch eine eigene Facebookseite. Wer etwas für die Aufwertung der eigenen Filterblase tun will: Folgen, teilen und liken!

    Foto oben von stopsign (CC BY-NC-SA 2.0)
  • Was zum Teufel ist Open Knowledge?

    Was zum Teufel ist Open Knowledge?

    Ich bin gerade in Helsinki auf einer Konferenz zu »Open Knowledge«, dem OKfestival. Was ist Open Knowledge? Meine aktuelle Interpretation: Die Ermöglichung des öffentlichen Zugangs zu allerlei Daten durch offene Schnittstellen und Standards. Weiter: Die Aufbereitung und Visualisierung der Daten, so dass die Öffentlichkeit etwas davon hat. Daten werden so zu Informationen und zu Wissen – das Internet spielt als infrastrukturelles Trägermedium dabei eine grosse Rolle.
    Ein Blick auf die Teilnehmerliste des OKfestivals verrät, dass »Open Knowledge« eine bunte Schar an Hackern, Netzaktivisten, Designern und sonstigen Kreativen anzieht, die alle „passionate about Open Data“ sind (so zumindest ein häufiger Claim in den Twitter Profilen der registrierten Teilnehmer).Es sind jedoch nicht nur Hipster mit Datenflatrate in Helsinki. Firmen wie IBM, Google und Microsoft, sowie viele Organisationen wie die Weltbank, OECD, einige Universitäten und viele andere öffentliche Einrichtungen sind hier vertreten. Sogar die Piratenpartei ist offenbar mit der Open Governance Aktivistin Anke Domscheit-Berg präsent.
    Die Veranstaltung hier hat auch einen Star: Hans Rosling von der Gapminder-Stiftung hält am Donnerstag Abend einen Vortrag. Rosling nutzt das Tool Gapminder um Daten zu visualisieren. Sein Ted-Talk hat mittlerweile viereinhalb Millionen Hits. Wenn die Technik funktioniert, sollte sein Vortrag hier über den OKfestival-Stream auch von zu Hause aus zu sehen sein.

    Ich werde übrigens auch etwas präsentieren. Zusammen mit meinem Kollegen Peter stellen wir am Donnerstag morgen Open Consortium vor. Das ist eine von uns gegründete Wissenschaftskommunikationsinitiative. Wir wollen dafür sorgen, dass die Erfolge von wissenschaftlichen Konsortien, sei es auf EU oder auf nationaler Ebene, besser wahrgenommen werden.
    Es geht um große, vernetzte Forschungsprojekte mit mehreren beteiligten Laboren und Instituten – von denen sonst keiner weiß. Wer sich dafür interessiert, wissen will, wie wir uns das vorstellen und was wir machen, findet auf openconsortium.eu weitere Informationen. Wir haben (natürlich) auch ein Blog und man kann uns auf Twitter folgen. Zum Beispiel für Updates von dem OKfestival.
  • Kann mir Coaching in meiner Krise helfen?

    Hi, this is Suzanne Beveridge, you might remember me, we met at the EMBO meeting. I quit my job at EMBO and I am now a freelance leadership and career coach„. So oder so ähnlich begann ein dreißigminütiger Telefonanruf, der mich vor einigen Wochen im Labor erreichte.
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  • Viel hilft viel – Deutsche Wissenschaft im internationalen Vergleich

    Vor ein paar Wochen habe ich eine Statistik zu Publikationszahlen genutzt und zu zeigen, welche Wissenschaftsdisziplinen in Deutschland über durchschnittlich gut (Astronomie, Physik) und unterdurchschnittlich schlecht publizieren (Sozialwissenschaften). Trotz der Erklärungsversuche in den Kommentaren sind die Gründe dafür immer noch nicht klar identifiziert.
    Die Analyse geht weiter. Hier verwende ich andere Publikatioszahlen von Thomson Reuters für einen internationalen Vergleich der wissenschaftlichen Produktivität der letzten zehn Jahre. Die Analyse ist beschränkt auf die zwanzig Länder mit den meisten Publikationen, zusätzliche Daten wären kostenpflichtig gewesen.
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  • Forscher in Deutschland publizieren überdurchschnittlich gut – bis auf die Sozialwissenschaftler

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    7.67% aller weltweit veröffentlichten wissenschaftlicher Papers haben mindestens eine Autorin, die in Deutschland angesiedelt ist. Im internationalen Vergleich ist Deutschland besonders stark in Astonomie und Physik. Die Sozialwissenschaften bilden qualitativ und quantitativ das Schlusslicht.
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  • Schreibe wie Flasche Leer – Wissenschaftsenglisch in Publikationen

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    Wer wissenschaftlich publiziert, tut das auf Englisch. Obwohl sich der übliche sprachliche Stil in Veröffentlichungen eher nicht an großer Literatur orientiert, hat die Englischschwäche nicht-muttersprachlicher Autoren direkte Auswirkungen auf den Publikationserfolg. Es gibt Möglichkeiten dem vorzubeugen. Nur nimmt die jemand wahr?
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  • Warum gibt es weniger Frauen in wissenschaftlichen Führungspositionen?

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    English translation in the bottom half of this article. Intelligenz ist das Gegenteil von Dummheit und beschreibt individuelle Unterschiede beim Lernen, beim Merken und bei der Auffassungsgabe. So zumindest zwei Definitionen von Richard Haier, der gestern in der Women in Science Session über kognitive Unterschiede zwischen Männern und Frauen sprach. Kann so erklärt werden, warum es weniger Frauen und Führungspositionen in der Wissenschaft gibt?
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  • If you could take a pill to become more intelligent, would you take it?

    Gastartikel Richard Haier is an American psychologist working on human intelligence and he ended up the women in science session at the EMBO meeting with the question – would you take a pill to become more intelligent?
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