Monat: Juni 2020

  • Noch einmal Nussschnecken?

    Noch einmal Nussschnecken?

    Liebe Bäckerei Meier,

    bei meiner Frau wurde im Frühjahr 2017 ein Hirntumor diagnostiziert. Eine Nebenwirkung der dafür notwendigen Biopsie war, dass sie zwischenzeitlich nicht mehr schlucken konnte und wochenlang über eine Magensonde ernährt werden musste.

    Sie lernte mühsam wieder essen und ein Ziel trieb sie dabei an: Sie wollte zu ihrem Geburtstag am 24. Juni mit mir Tee trinken und eine der von ihr geliebten Nussschnecken von Ihnen essen können.

    Tatsächlich war sie zu ihrem 36. Geburtstag wieder soweit hergestellt, dass wir bei Sonnenschein auf unserem Balkon in der Lessingstraße sitzen konnten und Nussschnecken essen. Ich habe Ihnen zwei Fotos von damals hier an die Mail angehängt.

    Dieses Jahr fing ihr Tumor erneut an zu wachsen und ihr Zustand hat sich leider rapide verschlechtert. Aktuell kann sie noch sehr langsam und mit sehr viel Mühe essen, wir wissen nicht, wie lange das noch geht. Am 24. Juni wird meine Frau 39 Jahre alt und sie wünscht sich wieder eine Nussschnecke.

    Wir kaufen jeden Samstag in Ihrer Filiale in der Sophienstraße ein. Inzwischen schiebe ich sie im Rollstuhl. Leider gibt es seit ein paar Monaten keine Nussschnecken mehr bei Ihnen. Wir haben es es mit Rosinenschnecken probiert, mit Nusshörnchen, Walnuss-Hefeschnecken oder Johannisbeer-Hefeschnecken. Nichts kann eine Nussschnecke von Ihnen ersetzen.

    Wäre es möglich, dass Sie auf den 24. Juni noch einmal Nussschnecken backen?

    Vielen Dank und mit herzlichen Grüßen

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    Hallo Herr Maier,

    vielen Dank für ihre E-Mail.

    Hierzu fehlen uns die Worte.

    Gerne erfüllen wir Ihren Wunsch und sie können am 24.Juni in der Sophienstrasse unsere Nussschnecken abholen.

    Wir wünschen Ihnen weiterhin ALLLES Gute.

  • Neue Routinen

    Neue Routinen

    Zum Aufstehen muss ich Titien im Bett so drehen, dass ihre Beine über die Bettkante baumeln. Dann stütze ich ihren Kopf mit einer Hand, während sie sich an meinen anderen Arm klammert. So kann ich sie langsam in Sitzposition hoch ziehen.

    Sie kann dann noch selbstständig aufstehen und mit dem Rollator langsam ins Bad schlurfen. Ich gehe voraus und bereite ihre Kontaktlinsen vor, die ich ihr einsetze, sobald sie im Bad ankommt. Ich drücke Zahnpasta auf ihre elektrische Zahnbürste. Putzen kann sie noch alleine. Wenn sie die Haare nicht waschen möchte, binde ihr die Haare mit einem Haarband zusammen.

    Gestützt auf den Rollator und mit meiner Hilfe schafft sie es, sich auf den Duschlift zu setzen. Ich hebe ihre Beine in die Badewanne und entferne das Pflaster mit der ihre Magensonde am Bauch fixiert ist. Ich stelle die Temperatur des Wassers ein, reiche ihr den Duschkopf und ziehe den Vorhang hinter ihr zu. Noch duscht sie alleine. Beim Haare waschen braucht sie schon Hilfe.

    Ich trockne sie ab, hebe die Beine wieder aus der Wanne und helfe ihr dabei aufzustehen und wieder Halt am Rollator zu finden. Ich entferne ihr Haarband und käme sie. Ich streife ihr die Haare aus dem Gesicht und fixiere die Strähne mit einer Haarklammer am Kopf und verteile drei Spritzer Guerlain Super Aqua-Lotion in ihrem Gesicht.

    Titien schleicht dann wieder ins Schlafzimmer und lässt sich aufs Bett fallen. Ich hebe ihre Beine auf die Matratze. Ich creme erst ihre Beine ein, ihren Po, und dann ihre Arme. Sie hält die Augen geschlossen.

    Ich ziehe etwa 50 ml Wasser mit einer Spritze auf, schließe die Spritze an ihre Magensonde an und spüle die Sonde. Ich desinfiziere meine Hände und sprühe ihr Desinfektionsmittel auf den Bauch, auf die Stelle an der ihre Magensonde austritt. Die Stelle ist entzündet, seit sie wieder hochdosiert Kortison nehmen muss. Sie verzieht ihr Gesicht vor Schmerzen.

    Ich reinige die Austrittsstelle mit einer Kompresse, sprühe erneut etwas Desinfektionsmittel auf die Stelle und verbinde ihre Magensonde mit drei Kompressen und drei Streifen Heftpflaster. Seit drei Jahren jeden Tag.

    Ich suche ihr eine Unterhose aus, klebe eine Slipeinlage ein und ziehe ihr den Slip an. Ich stelle dafür ihre Beine auf, so dass sie ihre Hüfte leichter anheben kann. Ich finde eine weite Jogginghose für sie. Erst muss ich die Beine einfädeln, dann wieder aufstellen um ihr die Hose bei angehobener Hüfte anzuziehen.

    Ich stütze wieder ihren Nacken und ziehe sie in Sitzposition. Sie atmet tief und rasselnd ein, als wäre sie lange unter Wasser gewesen und kann endlich wieder Luft holen. Ich ziehe ihr ein T-Shirt an. Titien stützt sich auf den Rollator, steht auf und geht langsam ins Wohnzimmer.

    Ich muss noch duschen, Zähne putzen, was anziehen, Tee kochen, Müsli vorbereiten, und eine Stunde nach dem aufstehen sitzen wir am Frühstückstisch.