Schlagwort: Schavan

  • Tod, Karriereende oder einfach egal: Die Auswirkungen von wissenschaftlichem Fehlverhalten

    Wie sieht es denn eigentlich aktuell mit dem Plagiatsverfahren zur Doktorarbeit von Norbert Lammert aus? Laut Spiegel online  dauert die Vorprüfung an der Uni Bochum noch an. Um eine mögliche Befangenheit der Prüfer zu vermeiden würde laut WAZ eine externe Prüfung angestrebt, da Lammert Honorarprofessor an der Ruhr-Uni sei. Während die offizielle Seite sich noch in der Vorprüfungsphase befindet und auf politischer Ebene vor Vorverurteilungen gewarnt wird, kommen die Plagiatsjäger zu dem Schluss, dass der Nachweis der Täuschung bereits in wesentlichem Umfang erbracht sei.
    Auf die Wähler scheint die Plagiatsafäre nur geringen Einfluss zu haben. Auch wenn es für ein Direktmandat nicht gereicht hat, konnte Lammert den Stimmenanteil in seinem Wahlkreis verglichen mit der Wahl vor vier Jahren um fast fünf Prozent auf 35,7% steigern. Ähnliches gilt auch für Annette Shavan in ihrem Wahlkreis in Ulm. Sie hat ihren Stimmenanteil von 42.8% bei der Wahl 2009 um fast 10% auf 52,1% in 2013 ausgebaut.
    Plagiate sind nur eine Spielart wissenschaftlichen Fehlverhaltens, und ich bin von der Gesellschaft für Wirtschafts-und Sozialwissenschaften des Landbaus (GEWISOLA) eingeladen worden, um auf deren Konferenz am Freitag über Wissenschaftliches Fehlverhalten zu referieren. Wen es interessiert: Ich habe meine (kurze) Präsentation schon vorab online gestellt und hier eingebunden.

    Es ist relativ schwierig verlässliche Zahlen zur Häufigkeit wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu bekommen. Das liegt in der Natur der Sache, es geschieht ja meistens heimlich. Einer Meta-Analyse zur Folge geben in Umfragen rund 2% aller Wissenschaftler an, schon einmal Daten erfunden, gefälscht oder modifiziert zu haben. Den Kollegen trauen das rund 14% der Befragten zu.
    Wenn man statt dessen die Zahl der zurückgezogenen Publikationen und die aufgedeckten Plagiatsfälle als Maß für Fehlverhalten betrachtet, könnte man meinen, in den letzten Jahren sei ein starker Anstieg wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu verzeichnen. Die Autoren einer erst kürzlich publizierten Studie erklären den Anstieg mit aktuell niedrigeren Hürden, sowohl für die Publikation gefälschter Daten als auch für deren Widerruf. Ich denke, einen großen Anteil spielen dabei die technischen Möglichkeiten, digital zur Verfügung stehende Texte miteinander zu vergleichen und Datensätze auf statistische Auffälligkeiten hin zu untersuchen, und so mit relativ wenig aufwand Plagiate und Fälschungen zu entlarven.
    Eine Form des wissenschaftlichen Fehlverhaltens ist das Zurückhalten von Daten. Besonders relevant, da es direkt die Gesundheit von Menschen betrifft, ist das bei klinischen Studien zur Medikamentenwirksamkeit. Ben Goldacre hat diesen Fall in seinem Buch Bad Pharma das kürzlich auch auf Deutsch erschienen ist, ausführlich dargelegt und so zusammengefasst:

    Trials are frequently conducted, but then left unpublished, and so are unavailable to doctors and patients. Only half of all trials get published, and those with negative results are twice as likely to go missing as those with positive ones. This means that the evidence on which we base decisions in medicine is systematically biased to overstate the benefits of the treatments we give. […] This is research misconduct on a grand, international scale.

    Ich werde in meinem Vortrag in Berlin diese und weitere Formen des wissenschaftlichen Fehlverhaltens thematisch nur anschneiden können, denn ich teile mir die Session mit Gunnar Breustedt, Gebhard Kirchgässner, Ludwig Theuvsen und Peter Winkler. Vielleicht finden wir ja in der anschließenden Podiumsdiskussion noch Antworten auf ein paar der Fragen, die ich in meinem Vortrag aufwerfe:

    • Was sind Gründe für wissenschaftliches Fehlverhalten?
    • Wer lehrt korrektes wissenschaftliches Arbeiten?
    • Welche Kontrollmechanismen existieren?
    • Was tun, wenn man Fehlverhalten entdeckt?
    • Wie soll Aufklärung und Bestrafung aussehen?
    • Was ist der Schaden für die Wissenschaft?

    Eine einheitliche Antwort auf die Frage was die Auswirkungen von wissenschaftlichem Fehlverhalten sind, werden wir sicher nicht finden. Es kann Patienten töten, wie in Bad Pharma dargestellt, und wissenschaftliche Karrieren beenden. Zumindest Wahlergebnisse scheint es aber nicht nachhaltig zu beeinflussen.

  • Extreme Fälle von Betrug in der Wissenschaft

    Extreme Fälle von Betrug in der Wissenschaft

    Schön, dass geistiges Eigentum in Deutschland einen so hohen Stellenwert genießt. Wörtliche Übernahmen einiger Textstücke und fehlende Quellenangaben in einer Dissertation einer 25 jährigen im Jahr 1980 führen dazu, dass eine gestandene Bundesministerin zurücktritt. Um Schaden von Amt, Ministerium, Partei und Regierung abzuwenden. Zu bewundern, die Rücktrittskultur in Deutschland, wie sie Kommentator Gustav schon letzte Woche ausgemacht hat.
    Ich für meinen Teil finde es ja fast ein bisschen langweilig, dass die Geschichte so schnell vom Tisch ist. zu Guttenberg hat zur Freude aller zumindest ein paar Tage länger gekämpft, und in Relation zu anderen, aktuellen Fällen von Wissenschaftsbetrug ist die Causa Schavan, mit Verlaub, ein Fürzchen.
    Zum Beispiel gibt es Diederik Stapel, ein 2011 suspendierter Professor der Sozialpsychologie an der Universität Tilburg und vormals in Groningen in den Niederlanden. Stapel ist der König der Wissenschaftsfälscher. Er hat einerseits existierende Datensätze so manipuliert, dass sie seinen Hypothesen entsprechen, oder die Rohdaten gleich komplett selbst erfunden. Er deckte diesen Vorgang durch scheinbar reguläre Vorbereitungen. Methoden und Studienbedingungen wurden mit Co-Autoren diskutiert und Fragebogen wurden entworfen, jedoch nie ausgeteilt.
    Einer dieser Artikel hatte es sogar in Science geschafft. Inzwischen wurden 49 Artikel von Stapel zurückgezogen und wahrscheinlich wird die Zahl auf 65 Artikel ansteigen. Diederik Stapel ist geständig, die Hintergründe und Ergebnisse des Falles sind gut dokumentiert und können hier nachgelesen werden. Retraction Watch berichtet regelmäßig über frisch zurück gezogene Stapel-Artikel.
    Sehr schön ist auch der Fall Anil Potti. Potti ist ausgebildeter Arzt und war bis 2010 an der Duke Universität in North Carolina beschäftigt. Er erforschte die Zusammenhänge von Genexpressionsänderungen, Krebs und Krebstherapie (Oncogenomics). Aktuell sind zehn seiner Artikel zurück gezogen, darunter Papers in bekannten Magazinen, wie NJEMNature Medicine und PNAS. Potti hat Microarraydaten im großen Stil gefälscht, deren Interpretation seinen Publikationen zu Grunde liegen. Retraction Watch verfolgt den Fall Potti ebenfalls, seit 2010.
    Aktuell nimmt dieser Fall eine kuriose Wendung. Die Seite Retraction Watch wurde letzte Woche  von Ihrem Provider Informiert, dass zehn der Blogartikel zu Anil Potti wegen Copyrightverletzungen nicht mehr online gestellt werden dürfen. Der Provider drohte weiter, dass bei wiederholten Copyrightverletzungen die gesamte Seite geschlossen werden könnte.
    Kläger in diesem Copyrightfall war die Seite newsbulet.in, von der Adam Marcus und Ivan Oransky, die Macher von Retractionwatch, ihre Artikel zu Potti abgeschrieben haben sollten – und tatsächlich waren zehn Retractionswatchartikel identisch mit Artikel auf der indischen Seite (inzwischen dort gelöscht).
    Ein eher technisches Detail legt nahe, dass die eigentlichen Urheber der Potti-Artikel die Autoren von Retractionwatch sind: Die Seite newsbulet.in wurde erst im Oktober 2012 registriert. Neun der zehn kopierten Artikel zu Potti wurden jedoch von Retractionwatch davor publiziert.
    Potti, von dem zehn Artikel komplett zurück gezogen und etliche andere nachträglich geändert werden mussten hat übrigens laut Retractionwatch noch aktive Lizenzen in North Carolina und Missouri, kann dort also als Arzt praktizieren.

    Verwandte Artikel im Blog:
    Ist Schavan als Ministerin noch tragbar?
    Guttenberg auf Stufe sechs der Wissenschaftshölle
    Kämpfen und verlieren – Felisa Wolfe-Simon, das Arsen-Paper und die Öffentlichkeit
    H.M. Krishna Murthy – Gefälschte Proteinstrukturen entdeckt
    Das schockierende Lügengebilde des Scott Reuben und dessen Fundamente
    Titelbild: Ausschnitt aus Hieronymus Bosch – Die Versuchungen des Heiligen Antonius (von sainz CC BY-SA-NC-2.0)
  • Der offene Schavan Thread

    Nun ist sie also zurück getreten. Um die Kommentarflut des Artikels vom Mittwoch nicht noch mehr anschwellen lassen (das ewige Scrollen nervt), hier der Anschlussartikel. Analysen, Glückwünsche, Beileidsbekundigungen, alles ist willkommen.
    Der CDU und der Kanzlerin hat sie mit diesem Schritt auf jeden Fall einen Gefallen getan.
    Und wer ist Johanna Wanka? Was sind die Erfahrungen aus Niedersachsen?

  • Ist Schavan als Ministerin noch tragbar?

    Ist Schavan als Ministerin noch tragbar?

    Annette Schavan bekommt offiziell ihren Doktortitel aberkannt und Boris Becker spricht aus, was außerhalb des akademischen Betriebs viele denken: „Bin ich froh, dass ich keinen Doktortitel habe“. Diejenigen, die einen haben sind froh, nicht prominent zu sein, sonst ginge es Ihnen wohl auch bald an den Kragen. Gibt es überhaupt Doktorarbeiten (in den meisten Fällen die erste nach wissenschaftlichen Maßstäben angefertigte Arbeit) die keine Plagiate, Falschzitate, oder zumindest Paraphrasen enthält, die zu nahe am Original sind? Doktoranden in den Lebenswissenschaften, die ihre Dissertation auf Deutsch schreiben, haben es sogar noch ein bisschen einfacher. Die gesamte Primärliteratur ist in Englisch, und wer kann schon nachweisen, dass ein Teil der Einleitung nicht eine Übersetzung aus einem Review-Artikel ist?
    Groß wird das Gemetzel, wenn den Plagiatswächtern die Prominenten der ersten Reihe ausgehen, und sie sich in breiter Front beispielsweise den Doktorarbeiten von einfachen Universitätsprofessoren zuwenden. Wenn Angestellte des akademischen Betriebs während der Promotion plagiiert haben sollten, die gesamte akademische Kariere sozusagen auf einer frühen Unaufrichtigkeit aufbaut ist, scheinen berufliche Konsequenzen unausweichlich. Das hat auch sein Gutes, so kommen möglicherweise einige hochausgebildete Jungakademiker endlich an einen den eigenen Qualifikationen entsprechenden Job und müssen sich nicht weiter von befristetem Vertrag zu befristetem Vertrag hangeln. Vielleicht einfach mal die Doktorarbeit des der eigenen Karrierere im Weg stehenden Vorgesetzten bei vroniplag anmelden?
    Aber lassen wir das. Zu einer Frage habe ich jedoch noch keine eigene Antwort gefunden. Bei Professoren ist es ja einigermaßen einsehbar, dass die Doktorarbeit Einfluss auf die eigene Karriere haben soll, und auch Fehler früh in der akademischen Laufbahn späte Konsequenzen haben können. Warum jedoch die Politikerin Annette Schavan jetzt nicht mehr als Ministerin tragbar sein soll, das muss mir jemand noch mal erklären.
     

  • Meine Emails mit dem BMBF

    Oder: Worüber darf ein Blogger bloggen
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