Schlagwort: Katalonien

  • Der Brexit, die Katalanen und deutsche Identitätspolitik

    Der Brexit, die Katalanen und deutsche Identitätspolitik

    Der Begriff „Identitätspolitik“ war mir bis vor kurzem gar nicht geläufig. Aber offenbar ist diese Art Politik zu machen gerade in Mode. Identitätspolitik beschreibt laut Wikipedia „politisches Handeln, bei dem Bedürfnisse einer jeweils spezifischen Gruppe von Menschen im Mittelpunkt stehen“.

    Soweit, so klar. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe schafft Identität. Politik, die die Interessen dieser Gruppen bedient, heißt Identitätspolitik.

    Die Brexit-Debatte in Großbritannien ist ein Beispiel dafür. Wer – aus welchen Gründen auch immer – den Brexit wünscht, der fühlt sich der Gruppe der Brexiteers zugehörig. Die Interessen dieser Gruppe wird durch Identitätspolitik bedient. Einfache Sätze, Zuspitzung der Konflikte, wir gegen die.

    Die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien ist ein weiteres Beispiel für diese Art Politik. Es geht gar nicht um Sachthemen oder darum, dass es den Menschen besser gehen soll. Es geht um ein Gefühl, um Identität (die Katalanische). Es gibt nur einen Weg, die anderen haben Unrecht.

    Identitätspolitik oder Umverteilungspolitik

    Dem gegenüber steht eine Politik, die die Interessen aller im Blick hat, und versucht durch Umverteilung es einer möglichst breiten Wählerschicht recht zu machen.

    Entscheidungen werden in der Umverteilungspolitk entlang bestimmter politischer Maxime getroffen. Die Sozialdemokraten wollen Steuern und Sozialleistungen anders regeln als die Christdemokraten. Das führt zu unterschiedlichen Versprechen vor Wahlen, darum geht es in Koalitionsverhandlungen und in politischen Debatten.

    Die Umverteilungspolitik hat es manchmal schwer, ihre Ziele klar zu formulieren und zu kommunizieren. Das aktuelle Regierungsprogramm von CDU und CSU hat die Überschrift: „Für ein Deutschland in dem wir gut und gerne leben„. Auf der Webseite der SPD steht der Slogan: „Für eine offene, freie Gesellschaft. Für Gerechtigkeit und Respekt.

    Es klingt ja beides gut und man kann sich vorstellen, wie lange da um jedes Wort gerungen wurde. Es bleibt dennoch schwammig. Wahlen entscheidet man damit nicht.

    Verluste und Gewinne der Parteien bei der Landtagswahl in Hessen Ende Oktober 2018

    Parteien, die Identitätspolitik betreiben, haben es da sehr viel einfacher. Wer sich der Gruppe zugehörig fühlt, die meint es kämen zu viele Ausländer nach Deutschland und den etablierten Parteien sowieso mal eins auswischen will, der identifiziert sich mit der AfD. Dass die Partei ansonsten nichts auf die Kette kriegt: Geschenkt.

    Wer zu jenen gehört, die das Gefühl haben, dass Bio einfach besser sein muss und an heißen Sommertagen ein schlechtes Gewissen ob der eigenen CO2-Bilanz bekommt, der wählt Grün. Wissenschaftliche Ergebnisse, die der grünen Ideologie entgegenstehen, werden geflissentlich ignoriert und aktiv durch Desinformation diskreditiert.

    Ob die Sozialen Medien mit griffigen aber verkürzten Aussagen den Aufstieg der Parteien und Gruppierungen, die Identitätspolitik betreiben, verursacht, fördert oder gar nicht beeinflussen, ist ein Thema für die Forschung.

    Identitätspolitik hat ihre Daseinsberechtigung um die Anliegen von Minderheiten zu vertreten. Wer Mehrheiten vertreten möchte, muss weiter denken als nur bis zum nächsten Grenzpfosten. Viele Standpunkte der Identitätspolitik-Parteien entlarven sich dann von selbst als realitätsfremde Gruppenzugehörigkeits-Wohlfühlphrasen.

  • Möchten Sie einen unabhängigen Staat Katalonien?

    Die Katalanen machen ernst. Gestern hat der Präsident der Generalitat von Katalonien, Artur Mas, in einer gemeinsamen Erklärung mit Repräsentanten anderer Parteien des katalanischen Parlaments Details zum geplanten Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien angekündigt. Im Referendum, das am 9. November 2014 abgehalten werden soll, sind die Bürger der katalanischen Provinzen aufgerufen, zwei gekoppelte Fragen jeweils mit “Ja” oder “Nein” zu beantworten:

     Möchten Sie, dass Katalonien ein eigener Staat ist?
     Möchten Sie, dass dieser Staat unabhängig ist?

    Die Reaktion der spanischen Zentralregierung lies nicht lange auf sich warten. Ministerpräsident Rajoy selbst trat vor die Presse und machte deutlich, dass das Referendum nicht stattfinden wird, da es gegen die spanische Verfassung verstoße. Hier ist das Video seiner Erklärung.
    Rajoy reagiert zu Recht nervös. Aktuellen Meinungsumfragen zur Folge, sind inzwischen konsistent über 50% der Katalanen für die Unabhängigkeit und nur rund 20% explizit dagegen. Rund Dreiviertel der Gemeinden unterstützen die Unabhängigkeit und zum katalanischen Nationalfeiertag am 11. September gehen regelmäßig über eine Million Menschen auf die Straße, um für die Unabhängigkeit zu demonstrieren. Anfang des Jahres wurde im katalanischen Parlament mit großer Mehrheit eine Erklärung ratifiziert, nach der die Katalanen das Recht haben, über ihre Unabhängigkeit abzustimmen.
    Ein zentraler Punkt der Unabhängigkeitsbewegung ist die Zugehörigkeit zu einem vereinten Europa. Katalonien möchte gerne ein neuer Staat innerhalb der EU sein. Der europäische Ratspräsident Herman Van Rompuy macht den Katalanen jedoch dahingehend wenig Hoffnung. In einer heute veröffentlichten Erklärung stellt er sich klar auf die Seite der spanischen Zentralregierung und sagt, dass ein neuer, unabhängiger Staat nicht automatisch Teil der EU sei und die reguläre Aufnahmeprozedur durchlaufen müsse.
    Dazu gehöre auch eine Ratifizierung durch alle Mitgliedsstaaten. Inklusive Spanien.

    Van Rompuy: „Cataluña quedaría fuera de la UE
    por europapress

    In einer vorherigen Version des Artikels habe ich fälschlicherweise den 11.9. und nicht den 9.11. als geplantes Datum des Referendums angegeben.
  • Kochen und Wissenschaft – mit Bildern aus dem BestenRestaurant der Welt

    Kochen und Wissenschaft – mit Bildern aus dem BestenRestaurant der Welt

    Katalonien hat eine lange kulinarische Tradition, die in der weltweit höchsten Dichte von Restaurants mit drei Michelin-Sternen gipfelt. Ferran Adrià und sein inzwischen
    geschlossenes Restaurant „El Bullí“ dürfte den meisten ein Begriff sein. Der Celler Can Roca in Girona stand lange im Schatten von Adriàs Küche. Heute ist das Restaurant, das von den drei Roca-Brüdern gegründet und geleitet wird, zum besten Restaurant der Welt gekürt worden. Auch wenn sich dadurch nichts ändert, außer dass es noch schwieriger wird, einen Tisch dort zu reservieren, ist das doch eine Meldung wert – und ein Anlass meine Fotos hier zu teilen, die ich an einem Abend im Can Roca geschossen habe. Rund 25 Gänge mit dazugehörigen Weinen.
    Kochen und Wissenschaft ist auf keinen Fall so weit auseinander, wie es anfangs scheinen mag. Wer ein Ei kocht, denaturiert Proteine, und die Herstellung von Bier und Wein ist pure Mikrobiologie. Wer Fleisch grillt, Brot toastet oder Pommes brät, verlässt sich auf die Maillard-Reaktion, bei der Aminosäuren mit reduzierenden Kohlehydraten reagieren, die dabei braun werden und Geschmacksstoffe entwickeln.
    Harvard hat sich dem Thema „Wissenschaft und Kochen“ mit einer eigenen Veranstaltungsreihe genähert, und viele bekannte Restaurantchefs eingeladen, inklusive Ferran Adria vom El Bullí und Carme Ruscalleda vom Restaurant Sant Pau in Sant Pol, eine Stunde nördlich von Barcelona gelegen und ebenfalls mit drei Michelin Sternen dekoriert. Als ich 2011 einen Freund in Harvard besucht habe, hat sie dort zufällig gerade einen Vortrag über die Maillard-Reaktion gehalten. Auf Catalan, aber mit einem Dolmetscher. Ein zweiter Assistent hat während ihres Vortrags im Hintergrund Migas gekocht, eine spanische Spezialität aus altem Brot, bei der die Maillard-Reaktion ebenfalls geschmacksgebend ist.
    Carme Ruscalleda in Harvard beim Vortrag über die Maillard-Reaktion.

    Migas ist ein sehr altes, traditionelles Gericht. Ganz im Gegenteil zur Molekularküche, die von Ferran Adrià wenn nicht erfunden, so doch maßgeblich mitbestimmt wurde. Entwicklungen wie künstlicher Kaviar durch Sphärisierung mit Alginat und Kalziumchlorid, oder der Einsatz von Geruchsstoffen wie zum Beispiel Zigarrenrauch in Schäumen gehen auf ihn zurück. Bislang kamen diese Impulse für die Weiterentwicklung dessen, was in der Küche produziert wird häufig von den Köchinnen und Köchen selbst.
    Ich wundere mich, warum nicht mehr Naturwissenschaftler dabei eine Rolle spielen. Wir sind prädestiniert für die molekulare Küche. Wir experimentieren, wir verstehen die Chemie hinter den Gerichten, wir haben Laborerfahrung und kennen uns mit den benutzten Geräten aus. Versuchsanleitungen sind nichts anderes als Rezepte und wenn ein Experiment wiederholt wird, dann wird das nachgekocht, wir sprechen also schon die gleiche Sprache.
    Ich habe zusammen mit meinem Nachbarn Giancarlo Fiori, einem Sternekoch aus Chile, der auf den Fotos vom Can Roca auch zu sehen ist, jedenfalls das Labor schon einmal zum Kochstudio umfunktioniert. Die Ergebnisse waren vielversprechend und zum Teil sogar genießbar. Ich denke, ich werde im nächsten Blogpost vorstellen, was wir genau gekocht haben. Dieser hier soll den Profis Ruscalleda, Roca und Adrià vorbehalten bleiben. Als kleines Bilderrätsel hier dennoch schon mal ein Teaser: Was ist das?

  • 1,5 Millionen Menschen demonstrieren für die Unabhängigkeit Kataloniens

    1,5 Millionen Menschen demonstrieren für die Unabhängigkeit Kataloniens

    In Katalonien verbinden die Menschen das Datum des elften September nicht außschließlich mit den Terroranschlägen auf die Twin Towers in New York, sondern mit vor allem mit dem Ende der Besetzung Barcelonas 1714 und der Aufgabe der katalanischen Souveränität in Folge der Niederlage gegen die spanisch-französische Allianz. Der elfte September ist der katalanische Nationalfeiertag. Er wurde 1980, nach Ende der Franco-Herrschaft, wieder eingeführt und wird seither genutzt um den Opfern der Besetzung Barcelonas zu gedenken und um dem Wunsch nach Unabhängigkeit von Spanien Ausdruck zu verleihen.
    Die Unabhängigkeitsbewegung hatte starken Zulauf in den vergangenen Jahren, da vielen Menschen die Zugeständnisse der zentralen Regierung in Madrid an die autonome Region Katalonien nicht weit genug gehen. Gestern waren Fernsehangaben zu Folge rund 1,5 Millionen Menschen in Barcelona auf der Straße, das sind 20% der Gesamtbevölkerung Kataloniens. In katalanische Flaggen gehüllt, zumeist mit dem Stern als Zeichen für die Unabhängigkeit, und in T-Shirts mit unterschiedlichsten Motiven zur Abspaltung von Spanien, verliehen die Demonstranten ihrem Wunsch nach “In – Inde – Independencia” Ausdruck. Der Verkehr im gesamten Stadtgebiet war selbstverständlich lahmgelegt und trotz sehr niedriger Polizeipräsenz verliefen die Demonstrationen friedlich.

    54 unterschiedliche T-Shirt Motive der Independistas. Hier als Flickr-Set.

    Die Independistas führen kulturelle, politische, ökonomische und historische Gründe für die Unabhängigkeit an. Die offizielle Teil der Veranstaltungen gestern gipfelte in der Übergabe eines Manifestes an die Präsidentin der katalonischen Parlaments und endete mit der Zusicherung, dass der Präsident der katalonischen Regierung innerhalb der nächsten Tage das Gespräch mit den Independistas suchen wird. Eine der Forderungen der Independistas ist ein offizielles Referendum zur Frage der Unabhängikeit innerhalb Kataloniens.
    Auf der Straße wurde vielfach ein neuer, unabhängiger Staat Katalonien innerhalb der EU gefordert : “Catalunya Nou Estat d’Europa”. Ganz so schnell wird das nicht gehen. Auch wenn die Argumente für einen Verbleib innerhalb Spaniens häufig nicht überzeugend klingen, gibt es viele Katalanen, die keine Abspaltung wünschen, so dass der Ausgang des geforderten Referendums keinesfalls sicher ist.
    Selbst im Falle eines erfolgreichen Referendums und der unilateralen Abspaltung Kataloniens, müsste der neue Staat erst von der internationalen Gemeinschaft anerkannt werden, bevor ein Aufnahmeantrag in die EU gestellt werden könnte. Eine Studie, die eben jenes Szenario analysiert hat, kommt zu dem Ergebnis, dass dadurch das Bruttoinlandsprodukt Kataloniens über 23% einbrechen würde und es mindestens 10 Jahre dauern würde, bis Katalonien wieder zur aktuellen wirtschaftlichen Stärke zurück fände.
    Die Studie stammt selbstverständlich nicht aus Katalonien, sondern von der Universidad Complutense in Madrid.
     

  • Demonstrationen in Spanien – Eindrücke aus Barcelona

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    Was an der Puerta del Sol in Madrid seinen Anfang nahm, ist auch in Barcelona angkommen. Die Menschen demonstrieren. Der Placa Catalunya am Kopfende der Ramblas ist zum Revolutionsdorf und -zentrum umfunktioniert worden.
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  • Im Epizentrum des Welttags des Buches: Sant Jordi

    Heute ist Welttag des Buches. In Katalonien, meiner Wahlheimat, wird Sant Jordi gefeiert. Man schenkt sich gegenseitig Rosen und Bücher. Das eine geht auf eine Legende zurück und, was viele nicht wissen: Der Tag des Buches ist eine Erfindung des geschäftstüchtigen katalanischen Buchandels.
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