Kategorie: Kultur

  • Im Museum mit Titien

    Im Museum mit Titien

    Vor ein paar Tagen war ich mit zwei Freunden spazieren. Neben der Frage nach der Endlichkeit des Seins und der Feststellung einer neuen Gelassenheit, vermutlich im Zusammenhang mit dem inzwischen erreichten Alter (45), haben wir uns gefragt, was wir eigentlich in der Pandemie vermissen.

    Auch wenn sich meine Sozialkontakte weitgehend auf den kurzen und immer freundlichen Austausch mit der Kassiererin beim wöchentlichen Besuch im Supermarkt beschränken, ist es nicht das Zusammensein mit anderen, das mir fehlt.

    Mir fehlt Titien und mir fehlt Kultur und mir fehlt Kultur mit Titien.

    Ein Besuch im Museum mit Titien war immer ein Erlebnis. Wo andere Besucher stumm und andächtig vor den Gemälden stehen, baute Titien immer sofort einen persönlichen Bezug zu den Kunstwerken auf. Besuche in Museen mit ihr war mit das Lustigste, was wir zusammen erlebt haben.

    Das lag auch daran, dass sie – vermutlich auch im Zusammenhang mit ihrem Tumor im Stammhirn – große Probleme hatte, sich das Lachen in den ernsten Museumsräumen zu verkneifen.

    Unten ein Video von ihr, wie sie bei einem Besuch von uns in der Stuttgarter Staatsgalerie vor genau zwei Jahren verzweifelt versucht, ihr Lachen in den Griff zu kriegen.

  • Keine Geschichten mehr? Relotius und Wissenschaftskommunikation

    Keine Geschichten mehr? Relotius und Wissenschaftskommunikation

    Wie Claas Relotius wohl Weihnachten verbringt? Vielleicht bei seinen Eltern. In vertrauter Umgebung im Bildungsbürgertum. Klassische Musik kommt leise aus den zu groß geratenen Standlautsprechern im Wohnzimmer. Es ist Brahms. Ein Holzscheit knackt im offenen Kaminofen. Relotius sitzt im selben Ledersessel, in dem er sonst immer sitzt, wenn er bei seinen Eltern zu Besuch ist. Er versucht sich auf die Musik zu konzentrieren. Denn sobald seine Gedanken abschweifen, wird ihm schwindelig. 
    Er kann einem schon fast wieder Leid tun, wie er jetzt in den Medien von den ehemaligen Kollegen auseinander genommen wird. Von denen, die es immer schon wussten, und denen, die ihre Empörung öffentlich teilen müssen. Und von den Lesern. Jenen, die jetzt den Untergang des SPIEGEL prophezeien, und von jenen, die meinen, dass die Reportage, also die von Relotius bevorzugte journalistische Darstellungsform, als Format ausgedient hat.
    Letztere Stimme kommt auch aus der Ecke der Wissenschaft. Mein Eindruck ist, dass viele Forschende eine Aversion gegen das Geschichten erzählen in der Wissenschaftskommunikation haben. Große Fallzahlen zählen mehr als Anekdoten. Porträtierte Einzelschicksale wirken aber mehr als die statistisch signifikanten Ergebnisse des letzten Papers. Das wird als ungerecht wahrgenommen. 
    Auch Julika Griem, Vizepräsidentin der DFG, fragte in ihrem Vortrag beim diesjährigen Forum Wissenschaftskommunikation, warum “alle gegenwärtig auf erzählerische Vermittlung setzen”. Sie wünscht sich, dass die Wissenschaftskommunikation ihr Publikum nicht nur einseitig mit Narrativen füttert und “irgendwo abholt, sondern sorgfältig, umsichtig, furchtlos und […] zärtlich überfordert”. Hier das Transkript ihrer Rede als pdf. Die Wissenschaftskommunikation bräuchte laut Griem “keinen barrierefreien Abenteuerspielplatz, sondern ein bisschen mehr hartnäckigen und frustrationstoleranten Ernst für die Sache”.
    Bei allem Ernst: Wer als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler Zielgruppen jenseits der eigenen Fachcommunity erreichen will, muss lernen, die sachliche Wohlfühlecke zu verlassen. Eine gute Geschichte bleibt eine gute Geschichte. Sie soll das erzählen, was die Daten aussagen. Und wahr muss sie sein.

    Bild: Großvater erzählt eine Geschichte von Samuel Albrecht Anker. Gemeinfreie Lizenz.
  • Vaxxed: Wie die Sozialen Medien einem Filmfestival das Weltbild etwas gerade rücken

    Vaxxed: Wie die Sozialen Medien einem Filmfestival das Weltbild etwas gerade rücken

    Wir sprachen gerade über Soziale Medien in der Wissenschaftskommunikation. Wie der Zufall es will, liefert uns ein Filmfestival in den USA aktuell schönstes Anschauungsmaterial.
    Das Tribeca Film Festival schmückt sich jedes Jahr mit tollen Filmen, oft abseits des Mainstreams. Dokumentationen zählen zum Kernprogramm. Dieses Jahr sollte der Film “Vaxxed: From cover up to catastrophe” gezeigt werden.
    Der Regisseur des Films ist Andrew Wakefield. Wakefield ist eine Ikone der Impfgegner-Szene. Er ist durch die Publikation einer Studie in einem renommierten Wissenschaftsjournal bekannt geworden, in der ein vermeintlicher Zusammenhang zwischen der Kombi-Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) und Autismus bei Kindern gezeigt wurde.
    Inzwischen konnte klar gezeigt werden, dass kein Zusammenhang zwischen der Impfung und Autismus besteht. Wakefield wurde mehrfaches wissenschaftliches Fehlverhalten nachgewiesen, er hat seine Approbation als Arzt verloren und das besagte Paper ist zurück gezogen worden.
    Die auf der Tribeca-Seite publizierte Biografie von Wakefield. Rote Korrekturen von Joe Hanson https://twitter.com/jtotheizzoe/status/713414630572367872
    Fakten interessieren jedoch die Impfgegner-Szene wenig, und auch die Organisatoren des Tribeca-Filmfestivals waren offenbar ebenfalls schlecht informiert, als sie die Dokumentation ins Programm hoben. Robert, de Niro, einer der Gründer des Filmfestivals, begründete die Nominierung von “Vaxxed” unter anderem damit, dass er selbst ein autistisches Kind habe, und alle Themen im Zusammenhang mit den Ursachen von Autismus offen diskutiert und untersucht werden sollten [sic].
    Vor allem auf Twitter wurde Kritik an der Nominierung des Films laut. Um zu verdeutlichen, wie wenig die Dokumentation Wakefields mit der realen Datenlage zu tun hat, wurde unter dem Hashtag #futuretribecadocumentary absurde Titel für zukünftige Dokumentationen beim Tribeca Festival vorgeschlagen:
     


     
    Die Macher des Festivals reagierten. In einem ersten Schritt wurde die geschönte Biografie von Wakefield von der Webseite des Festivals entfernt.
    Gestern Nacht dann wurde auf der Facebook-Seite von Tribeca ein Statement von de Niro ergänzt, in dem er erklärt, dass er nachdem er unter anderem mit Wissenschaftlern gesprochen hat, sich entschieden hat, die Dokumentation aus dem Festivalprogramm zu entfernen.
    Screenshot von der Facebook-Seite des Tribeca Filmfestivals

  • Was der Papst kann können wir schon lange. Wissenschaftskommunikation in den Sozialen Medien

    Was der Papst kann können wir schon lange. Wissenschaftskommunikation in den Sozialen Medien

    Der Papst hat 8,8 Millionen Follower auf Twitter, vergangenen Samstag hat er angekündigt, dass er jetzt „eine neue Reise antritt“ und in Zukunft auf Instagram wahrscheinlich Selfies postet.
    Die katholische Kirche ist nicht unbedingt als reformfreudige Organisation bekannt. Die Social Media Accounts des Pontifex werden jedoch wie selbstverständlich in die Kommunikationsstrategie des Vatikans integriert. Weil sie erkannt haben: Nirgendwo sonst kann das Oberhaupt der Kirche so persönlich und so direkt mit den Gläubigen in Kontakt treten. Regelmäßige Statusupdates – und seien sie noch so trivial – stärken die Beziehung zur Zielgruppe.


    Am 18. März war ich beim Workshop „Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien: Bedeutung, Chancen und Risiken der sozialen Medien”, organisiert von den Wissenschaftsakademien. Bei der eintägigen Veranstaltung sollte in den vorgestellten Expertisen beleuchtet werden, wie soziale Medien und Wissenschaftskommunikation zusammen passen oder zusammen kommen können.
    Nun sind die Wissenschaftsakademien nicht der Vatikan und Peter Weingart, der Sprecher und Koordinator des Projekts, hat soweit ich weiß auch weder ein Twitter- noch ein Instagram-Account. Daher bin ich mir auch nicht ganz sicher, ob den Organisatoren, den Autoren der Expertisen und den Experten auf dem Podium klar geworden ist, was die Sozialen Medien für die Wissenschaftskommunikation leisten können und schon leisten.
    Meine Zweifel ob die akademische Elite der Wissenschaftskommunikation, die das Podium in Berlin geschmückt hat, das Potential der Sozialen Medien voll erkannt hat, wurden leider bei der Tagung nicht ausgeräumt. Während laut dem Titel der Veranstaltung Bedeutung, Chancen und Risiken untersucht werden sollten, war von den Chancen auf der Tagung fast keine Rede mehr.
    Desinformation, Mainstreaming und Fragmentierung wurden schon in der Ankündigung als Beispiele für spezifische Risiken der Wissenschaftskommunikation über Soziale Medien genannt. In Berlin wurden dann Bedenken um mangelnde Qualitätskontrolle geäußert und die ökonomischen Kosten der Kommunikation online duschdekliniert. Es wurde vor drohendem Reputationsverlust kommunizierender Organisationen und Akteure gewarnt, und natürlich blieb die Gefahr der Auflösung klarer Grenzen zwischen unabhängigem Qualitätsjournalismus und Wissenschafts-PR nicht unerwähnt.
    Selbst im Ausblick wurde ein düsteres Bild gemalt: Bots und Algorithmen können die Wissenschaftskommunikation negativ beeinflussen oder die Forschung gleich ganz übernehmen.
    Kostenfaktoren bei der Kommunikation online. Abbildung aus der Präsentation von Leyla Dogruel.
    Ich habe nach der Präsentation der ökonomischen Perspektiven des Wissenschaftsjournalismus und der Wissenschaftskommunikation (eines der vorgestellten Ergebnisse: Soziale Medien revolutionieren die Wissenschaftskommunikation nicht) die Rednerin gefragt, ob neben den Kosten, die die Kommunikation auf Sozialen Medien verursachen, nicht auch deren Nutzen untersucht wurde.
    Die Datenlage sei zu dünn, war die lapidare Antwort. Und in der Tat haben während der gesamten Veranstaltung in Berlin sinnvolle Best-Practice Beispiele gefehlt.
    Ich dachte mir, ich nehme diesen Artikel daher als Anlass, um ein paar Zahlen und Fakten zu Sozialen Medien in der Wissenschaftskommunikation zu sammeln, auch über den deutschsprachigen Tellerrand hinaus. Ich würde mich freuen, wenn meine natürlich unvollständige Liste in den Kommentaren noch ergänzt würde:

    • Die Facebookseite I Fucking Love Science erreicht mit teils trivialen Meldungen zu Wissenschaftsthemen 24 Millionen Follower.
    • Das Sub-reddit r/science hat über 10 Millionen Abonnenten.
    • Animationen zu wissenschaftlichen Themen werden millionenfach auf Youtube angesehen.
    • Dem Astrophysiker Neil deGrasse Tyson folgen 5 Millionen Twitter Accounts. Dem Physiker Brian Cox folgen 1,7 Millionen und Richard Dawkins hat 1,4 Millionen Follower.
    • Der bekannteste deutschsprachige Blogger und Kollege hier bei den ScienceBlogs, Florian Freistetter kommt auf knapp 10 000 Follower, genauso wie das von Henning Krause geführte Twitter-Account der Helmholtz Gemeinschaft übrigens.
    • Auf ResearchBlogging sind über 3000 Blogs registriert, auf denen Wissenschaftler inzwischen fast 50000 Blogposts über begutachtete wissenschaftliche Papers veröffentlicht haben.
    • Mein eigenes Blog hat im langjährigen Mittel knapp 20 000 Seitenaufrufe pro Monat. In meinem besten Monat hatte ich 200 000 Seitenaufrufe. Bekannte Wissenschaftsblogger, auch im deutschsprachigen Raum, haben regelmäßig hunderttausende Seitenaufrufe pro Monat.
    • Über Analyse-Plugins lassen sich für Blogs, Facebook und Twitter sehr genau untersuchen wie viele Menschen wie oft was für wie lange lesen oder anschauen.
    • Jedes Jahr werden über 1,2 Millionen neue peer-reviewte biomedizinische Papers publiziert. An neuen Daten und unerschlossenen Themen herrscht also mit Sicherheit kein Mangel.
    • Soziale Medien verursachen nicht nur (verhältnismäßig geringe) Kosten. Wissenschaftskommunikation online ist auch ein wachsendes Berufsfeld, sowohl für Wissenschaftler, als auch für Journalisten.
    • Wenn Wissenschaft nicht auf Sozialen Medien kommuniziert wird, überlassen wir das Feld den Impfgegnern, Klimaleugnern, Alternativmedizinern, fundamentalökologischen Lobbygruppen und sonstigen Scharlatanen, die im wissenschaftlich aussehenden Mäntelchen daher kommen.
    Artikel zum WÖM2-Workshop und den vorgestellten Expertisen: Storify von @acatech, Artikel von mir auf der NaWik-Seite , Artikel von Reiner Korbmann auf seinem Blog. Kommentar von Henning Krause, Projektblog bei den Scilogs. Weitere Artikel zum Workshop gerne in den Kommentaren verlinken.

     

  • Papers Publizieren wie bei Game of Thrones

    Papers Publizieren wie bei Game of Thrones

    Von außen gesehen gleichen sich die Publikationsprozesse der unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen. Ein Manuskript wird erstellt, die Autorenliste wird festgelegt, das Paper wird zur Veröffentlichung eingereicht, extern begutachtet, und nach eventuellen Nachbesserungen in einem Fachjournal publiziert.
    Hinter den Kulissen jedoch spielen sich beim wissenschaftlichen Publizieren häufig Dramen ab, die nicht selten Parallelen zur Game of Thrones Saga aufweisen. Diesen Vergleich zog Ana Ros Camacho, eine der Teilnehmerinnen beim Heidelberg Laureate Forum. Fakt ist: Das Publizieren von Ergebnissen ist ein wesentlicher Teil der Arbeit als Wissenschaftlerin – und abgelehnte Manuskripte, deren verzögerte Veröffentlichung oder Unstimmigkeiten beim internen Festlegen der Reihenfolge der Autoren auf dem Paper sind oft der Auslöser schlafloserer Nächte und nicht selten karrierebeeinflussend.
    Die sich abspielenden Dramen unterscheiden sich interessanterweise je nach Wissenschaftsdisziplin und spielen sich auf unterscheidlichen Schlachtfeldern ab, um bei dem Game of Thrones Vergleich zu bleiben. Günter Ziegler, Professor am Institut für Mathematik an der FU Berlin, erklärte mir, dass Manuskripte in der Mathematik häufig vorab auf arXiv veröffentlicht werden und auf Kommentare von Fachkollegen gewartet wird, bevor das Paper dann an ein Journal geschickt, und dann nach der externen Begutachtung publiziert wird. Dieser zweite, offizielle Publikationsweg dauert aber durch den sehr gewissenhaften Reviewprozess in der Mathematik zum Teil Jahre vom Zeitpunkt der Einreichung bis zur Veröffentlichung, so dass Nachwuchswissenschaftler oft wenig offiziell Publiziertes nachweisen können wenn sie sich beispielsweise auf Stellen bewerben. Die Autorenreihenfolge spielt in der Mathematik laut Ziegler übrigens keine Rolle: Es wird strikt alphabetisch sortiert.

    Jedes Jahr werden weltweit über eine Million neue begutachtete molekularbiologische und medizinische Fachartikel veröffentlicht. Die Dramen beim Publikationsprozess unterscheiden sich in diesen Disziplinen ganz erheblich von der Mathematik. Die Vorabpublikation der Manuskripte auf sogenannten pre-print Servern ist weit weniger verbreitet. Die Magazine haben in den letzten Jahren viel unternommen, um den Begutachtungsprozess zu beschleunigen, so dass inzwischen im Idealfall nur wenige Wochen vergehen, bis ein eingereichtes Manuskript publiziert werden kann.
    Die subjektiv wahrgenommene Realität aus böswilligen Gutachtern und inkompetenten Editoren ist jedoch oft eine andere. Manuskripte werden oft direkt auf editorieller Ebene abgelehnt und müssen dann mühsam für das nächste Journal umgeschrieben und umformatiert werden. Gutachter fordern aufwändige zusätzliche Experimente und Analysen, deren Sinn sich für die Autoren nur selten erschließt oder die zwar thematisch passen, aber mit der Kernaussage des Manuskripts wenig zu tun haben. Das alles kostet Zeit und verlängert die Publiktionsphase nicht selten auf rund ein Jahr vom Fertigstellen des ersten Manuskripts bis es dann tatsächlich erschient. Unterschwellig schwingt in diesem Jahr Wartezeit immer die Angst mit, dass eine konkrurrierende Gruppe vergleichbare Ergebnisse publizieren könnte, da die Daten eben vorab nicht auf einen Preprint Server gelegt wurden.

    Im Gegensatz zur alphabetischen Sortierung in Mathematik ist die Erstellung der Autorenliste im biomedizinischen Bereich ein hochpolitisches Instrument. Die Rangliste soll hier reflektieren wer wie viel zum Paper beigetragen hat. Und wer die Verantwortung trägt (und die Finanzierung beigetragen hat) steht ganz hinten. Die Positionen auf den Veröffentlichungen haben ganz konkreten Einfluss auf die weitere Karriere. Nur Erstautoren können sich auf bestimmte Stipendien bewerben und nur jenen an letzter Stelle wird der Verteilung von Antragsgeldern geglaubt, das Projekt initiiert und geleitet zu haben.
    Nur wie misst man den Beitrag der Autoren? Wie viel zählen Idee, Durchführung der Experimente, Analyse der Daten, Anfertigung der Abbildungen und das eigentliche Schreiben des Manuskripts? Spätestens bei großen kooperativen Projekten verteilt sich das auf mehrere Schultern und The Game of Thrones kann beginnen: Wer steht ganz vorne? Wer kommt direkt dahinter und bekommt möglicherweise ein Sternchen hinter den Namen als ebenbürtiger aber eben doch nicht ganz gleichwertiger Erstautor? Gibt es zusätzliche verantwortliche (corresponding) Autoren, wird dafür eine jüngere Autorin in der Rangfolge herabgesetzt? Wo reiht sich der Postdoc ein, der nur schnell noch ein, zwei Experimente für die Revision nachgereicht hat, aber ein besonders kollegiales Verhältnis zum Chef pflegt?

    In der Regel sind es zwischen einer Hand voll und einem Dutzend Autoren, die auf diesen Publikationen stehen, die man zuerst mal versucht bei Cell, Nature oder Science einzureichen (und meistens nach ein paar Tagen abgelehnt zurück bekommt). Wie sieht es aber bei noch komplexeren Projekten mit der Bestimmung der Autorenlisten aus?
    Calliope Sotiropoulou arbeitet am ATLAS Projekt am CERN. Hunderte Wissenschaftler forschen an den Experimenten dort, dementsprechend lang sind die Autorenlisten. Angefertigte Manuskripte durchlaufen dort zuerst eine offizielle interne Kontrolle, bevor sie überhaupt an ein Journal geschickt werden. Sotiropoulou, die ebenfalls Teilnehmerin am Heidelberg Laureate Forum 2015 war, beschreibt, wie ein Game of Thronesques Gemetzel umgangen wird:
    „The ATLAS experiment has many subsystems and each one has a Speaker’s committee. This committee informs the subsystem members about the conferences that are suitable for publications and presentations and controls the whole process. We submit the abstract or proceeding to the Speaker’s committee where it goes through a review process first by the committee before it is even submitted. […] Then all ATLAS submissions are handled by the committee which will also decide who will make the presentation or present the poster (everything goes through a review process again).
    A publication within ATLAS can have a custom author list (which means that only the directly involved scientists sign it […]) or be an ATLAS publication (which means that the whole ATLAS collaboration – author list signs it). Belonging to the ATLAS collaboration does not make you an ATLAS author. In order to become an ATLAS author you are assigned an authorship task and qualify to be an ATLAS author. This task must be completed successfully within a year. After that you sign all ATLAS publications. However, for a paper to be published through ATLAS and with the ATLAS author list it takes significant time (usually a year or more). It has to go through reviewing and commenting through the various institutes that participate and be presented to the collaboration, and this has many iterations until it is finally ready for publication. […].“

    Ich nehme heute an einer Podiumsdiskussion am KIT in Karlsruhe teil: Publish or perish. Sinnvoll publizieren. Ich bin gespannt, welche Dramen sich bei der Publikation von Artikeln in anderen Wissenschaftsdisziplinen abspielen.
    Ich kann mir gut vorstellen, die Diskussion heute Nahmittag mit einigen Beispielen aufzulockern. Wer also eigene traumatische Erlebnisse mit dem Publikationsprozess gemacht hat, bitte unten kommentieren!

  • 13 Gründe für den Postdoc. Mich haben sie von einem Rückfall geheilt.

    Gestern hatte ich einen Rückfall. Den ersten seit zwei Jahren, seit ich nicht mehr als Postdoc arbeite, sondern selbstständig bin. Ich bin eingeladen worden, der Verteidigung einer Doktorarbeit beizuwohnen, mein Funktion ist die des externen Herausforderers. Ich muss mir also die Dissertation des Kandidaten gründlich durchlesen, und mir Fragen überlegen, die ich bei der Disputation stellen kann. Beim Lesen des Ergebnisteils waren sie wieder da, die ganzen Ideen für Projekte, und ich habe den Kick gespürt, den ich bekomme, wenn sich sich eine unerforschte Frage auftut und ich weiß, welche Experimente und Analysen notwendig sind, um den nächsten Schritt zu gehen.
    Ich weiß nicht, warum ich überhaupt zugesagt habe, bei der Disputation dabei zu sein. Aus altruistischen Gründen, oder weil ich einfach noch nie in Tallinn war? Heute morgen war ich jedenfalls wieder geheilt von dem Rückfall. Ich habe mich erinnert, zu welchem Preis man die Kicks der eigenen Ideen einkauft.

    Klick aufs Bild vergrößert die Abbildung. Von the upturned microscope .

  • Warum ich die Krautreporter unterstütze, obwohl mich die Inhalte gar nicht interessieren

    Warum ich die Krautreporter unterstütze, obwohl mich die Inhalte gar nicht interessieren

    Letzten November auf der WissensWerte in Bremen waren die meisten Journalisten hoffnungslos oder hoffnungsvoll naiv. So jedenfalls wirkte die Session über “Wie retten wir den Journalismus” auf der Konferenz der Wissenschaftsjournalisten auf mich. In der eineinhalbstündigen Diskussionsrunde wurden alternative Geschäftsmodelle für selbstständige Journalisten diskutiert. Wie verdient man als Journalist überhaupt noch Geld?
    Ein enthusiastisches Mitglied im Vorstand der Freischreiber, erzählte wie er es doch schafft, als selbstständiger Journalist zu überleben. Crowdfunding und der Zugriff auf Stiftungskapital wurde als Möglichkeit zur Finanzierung einzelner Rechercheprojekte vorgestellt – und kritisiert. Man könne sich ja von den Gönnern abhängig machen. Ein Tablet-Abonnement basiertes Wissenschaftsmagazin namens Substanz wurde vorgestellt. Das Magazin will mit Hintergrundartikeln aus der Wissenschaft begeistern und wollte dieses Frühjahr zum ersten Mal erscheinen.
    Hinter vorgehaltener Hand wurde aber erwähnt, wie es wohl dennoch bei vielen läuft: Tags sind sie unabhängige Journalisten, und nachts werden für Unternehmen PR-Aufträge angenommen. Mögliche Interessenkonflikte, die dabei entstehen, werden anscheinend durch ein Themenembargo auf Zeit gelöst.
    Alle kreativen Lösungen täuschen über das eigentliche Problem hinweg: Durch das Internet und die kostenlose Verfügbarkeit unendlich vieler Artikel mit und ohne Nachrichtenwert sind die gängigen Geschäftsmodelle der tradierten Printmedien weitgehend zusammengebrochen. Die spürbar leidtragenden sind die Produzenten der Inhalte, also die Journalisten, die nun leider nicht mehr genug Geld verdienen. Geld, dass bislang aus Werbung und Zeitschriften- und Zeitungsabonnements kam.
    Wie also kann “im Internet” mit journalistischen Texten Geld verdient werden? Ein Zusammenschluss von – wenn ich richtig gezählt habe – 28 Journalisten, der unter dem Namen Krautreporter firmiert, versucht es aktuell mit einer Crowdfundingkampagne. Für 60 EUR erhält man eine zwölfmonatige Krautreportermitgliedschaft.
    Die Krautreporter wollen mit 15.000 zahlenden Kunden 900.000 Euro einsammeln. Das entspricht abzüglich der Verwaltungskosten und Ausgaben für die Web-Infrastruktur und umgelegt auf die 28-köpfige Redaktion jeweils einem anständig bezahlten Halbtagsjob. Ich habe mich angemeldet, ohne dass ich überhaupt weiß, was eine Krautreportermitgliedschaft bedeutet.
    Ich habe in den vergangenen Tagen vor allem negative Stimmen zu dem Projekt gelesen. Die Kritik reicht vom fehlenden Themenkonzept über missratene Kommunikation mit den möglichen zukünftigen Lesern und der fehlenden Begeisterung der Krautreporter selbst, bis zu Kritik am Bezahlsystem (hier, hier, hier und hier).
    Ich habe das alles gelesen und meine Meinung zu dem Projekt trotzdem nicht geändert. Obwohl mich die Inhalte wahrscheinlich nur bedingt interessieren (mit Hanno Charisius ist gerade einmal ein Wissenschaftsjournalist an Bord), ist alleine der Versuch auf diese Weise mit Journalismus online Geld zu verdienen es Wert unterstützt zu werden.
    Journalisten ohne finanzielle Perspektive führen mittelfristig zu qualitativ schlechtem, abhängigen Journalismus und machen langfristig die vierte Gewalt einer Demokratie zum Papiertiger. Ganz unabhängig von gesellschaftlichen und politischen Dimensionen haben es Menschen, die schreiben können, verdient auch dafür bezahlt zu werden.
    Aktuell fehlen noch knapp eineinhalb Tausend Anmeldungen zur erfolgreichen Finanzierung. Die Kampagne läuft noch bis heute Nacht. Hier kann man Krautreporter unterstützen.

  • Die wichtigsten wissenschaftlichen Ereignisse 2013 in einer Illustration

    Die wichtigsten wissenschaftlichen Ereignisse 2013 in einer Illustration

    Hier ist meine persönliche Definition des Paradoxon von Zeit: Einerseits verfliegt sie und es ist erschreckend, wie schnell ein Jahr vorbei geht. Andererseits scheinen Ereignisse, die erst vor ein paar Wochen oder Monaten stattfanden, deutlich weiter in der Vergangenheit zu liegen. Dies würde nahe legen, dass Zeit doch langsam vergeht. Oder zumindest, dass in der schnell verfliegenden Zeit viel passiert.
    Deutlich wird das Paradoxon zum Beispiel gegen Ende eines Jahres, wenn ein Rückblick zeigt, was in den vergangenen Monaten passiert ist. Der Meteoriteneinschlag von Chelyabinsk? War im Februar. Genauso wie der Rücktritt Schavans. Die Nachricht, dass das Neandertalergenom sequenziert wurde? Im März. Die Enthüllung des Abhörskandals durch Edward Snowden? Gerade mal ein halbes Jahr her.
    Besonders schön hat Mario Zucca die Highlights von 2013 illustriert, mit Schwerpunkten auf neue Technik und Unterhaltung (Hier geht es zu einer vergrößerten Version der Abbildung oben). Der Tod von Nelson Madele und Lou Reed wird ebenso dargestellt, wie die Einführung von Playstation4 und Xbox1. Die von mir geschätzten US-Serien Breaking Bad und House of Cards werden genauso wie die Familie Bluth aus Arrested Development gewürdigt.
    Die Illustration ist thematisch leider relativ einseitig. Politik fehlt fast ganz, und bis auf die Referenz zum Periodensystem im Logo von Breaking Bad und der reichlich unrealistischen Szene von den völlig losgelösten Sandra Bullock und George Clooney aus „Gravity“ ist von Wissenschaft ebenfalls kaum etwas zu sehen. Vom Meteoriten von Chelyabinsk und dem Neanderthalergenom keine Spur.
    Das bringt mich auf die Idee: Könnte man nicht analog eine Illustration nicht für die wissenschaftliche Ereignisse des Jahres anfertigen? Passiert ist ja so einiges.
    Mein zeichnerisches Talent tendiert leider gegen Null. Selbst Strichmännchen, die ich mühsam zu Papier bringe, sind nur schwer als solche zu erkennen. Zum Glück hat Lena Weitz schon Interesse geäussert, illustratorisch tätig zu werden. Vielleicht finden sich ja noch mehr grafisch begabte Leser, die Lust haben, das Werk mit zu gestalten?


    Natürlich bauchen wir auch noch mehr Motivideen für die Illustration. Wie kann zum Beispiel der Rückzug von Saatgutkonzernen aus dem Geschäft mit gentechnisch veränderten Organismen in Europa dargestellt werden? Oder die Diskussion um Open Access und Glamor-Journals?
    Welche wichtigen wissenschaftlichen Ereignisse gab es sonst noch in 2013?

  • Möchten Sie einen unabhängigen Staat Katalonien?

    Die Katalanen machen ernst. Gestern hat der Präsident der Generalitat von Katalonien, Artur Mas, in einer gemeinsamen Erklärung mit Repräsentanten anderer Parteien des katalanischen Parlaments Details zum geplanten Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien angekündigt. Im Referendum, das am 9. November 2014 abgehalten werden soll, sind die Bürger der katalanischen Provinzen aufgerufen, zwei gekoppelte Fragen jeweils mit “Ja” oder “Nein” zu beantworten:

     Möchten Sie, dass Katalonien ein eigener Staat ist?
     Möchten Sie, dass dieser Staat unabhängig ist?

    Die Reaktion der spanischen Zentralregierung lies nicht lange auf sich warten. Ministerpräsident Rajoy selbst trat vor die Presse und machte deutlich, dass das Referendum nicht stattfinden wird, da es gegen die spanische Verfassung verstoße. Hier ist das Video seiner Erklärung.
    Rajoy reagiert zu Recht nervös. Aktuellen Meinungsumfragen zur Folge, sind inzwischen konsistent über 50% der Katalanen für die Unabhängigkeit und nur rund 20% explizit dagegen. Rund Dreiviertel der Gemeinden unterstützen die Unabhängigkeit und zum katalanischen Nationalfeiertag am 11. September gehen regelmäßig über eine Million Menschen auf die Straße, um für die Unabhängigkeit zu demonstrieren. Anfang des Jahres wurde im katalanischen Parlament mit großer Mehrheit eine Erklärung ratifiziert, nach der die Katalanen das Recht haben, über ihre Unabhängigkeit abzustimmen.
    Ein zentraler Punkt der Unabhängigkeitsbewegung ist die Zugehörigkeit zu einem vereinten Europa. Katalonien möchte gerne ein neuer Staat innerhalb der EU sein. Der europäische Ratspräsident Herman Van Rompuy macht den Katalanen jedoch dahingehend wenig Hoffnung. In einer heute veröffentlichten Erklärung stellt er sich klar auf die Seite der spanischen Zentralregierung und sagt, dass ein neuer, unabhängiger Staat nicht automatisch Teil der EU sei und die reguläre Aufnahmeprozedur durchlaufen müsse.
    Dazu gehöre auch eine Ratifizierung durch alle Mitgliedsstaaten. Inklusive Spanien.

    Van Rompuy: „Cataluña quedaría fuera de la UE
    por europapress

    In einer vorherigen Version des Artikels habe ich fälschlicherweise den 11.9. und nicht den 9.11. als geplantes Datum des Referendums angegeben.
  • 6% aller einflussreichen Wissenschaftler sind weiblich

    Über einen Tweet vom Laborjournal bin ich auf eine Publikation aufmerksam geworden, die eine Liste mit über 400 besonders einflussreichen biomedizinischen Forschern der letzten Jahre enthält. Die Liste wurde durch die Auswertung der Anzahl publizierter Artikel und der Zitierungen und der biomedizinischen Fachliteratur generiert, sozusagen die erweiterten Wissenschaftscharts in der Sparte Biomedizin.
    Man mag von der Evaluierung des Einflusses von Wissenschaftlern durch Publikationsdaten im Allgemeinen und von der Methode der Autoren der PublikationA list of highly influential biomedical researchers, 1996–2011” im Besonderen halten, was man will. Ein Ungleichgewicht bleibt wahrscheinlich selbst bei gravierendsten methodischen Mängeln bestehen:
    Manuelles Auswerten der eingebundenen Tabelle ergibt, dass gerade einmal 26 der gelisteten einflussreichen Wissenschaftler weiblich sind – das sind etwas über 6%.
    Die mit Abstand am häufigsten genannte Institution an der die aufgelisteten einflussreichen Wissenschaftler arbeiten (11,5%) ist Harvard. Ich war zufällig vor ein paar Wochen in Boston und habe dort eine Gruppe Harvard-Doktoranden getroffen, die an einem Kurs über “Leadership und Communication Skills” für Wissenschaftler teilnahmen und dort Techniken lernten, die ihnen helfen sollen, erfolgreiche Wissenschaftler zu werden. Was mir vor allem in Erinnerung blieb: Etwa 80% der Kursteilnehmer waren weiblich.
    Lust auf Leadership scheinen die Frauen also zu haben. Ob sich das in einer Liste einflussreicher biomedizinischer Wissenschaftler in 30 Jahren so widerspiegeln wird?
    Edit 17:28 Uhr: Ich arbeite freiberuflich für das oben erwähnte Consultingunternehmen und habe deshalb den Link zu deren Seite soeben wieder entfernt.