Es gibt über 200 verschiedene Zelletypen im menschlichen Körper. Hautzellen, rote Blutkörperchen, Nervenzellen, Darmepithelzellen, Herzmuskelzellen, und so weiter. Vier Tage nach Befruchtung fangen die Zelltypen an, sich zu differenzieren, nach zwei Wochen sind Ectoderm, Mesoderm, Endoderm und die Geschlechtszellen angelegt, zwei Monate nach der Befruchtung sind die unterschiedlichen Zelltypen größtenteils ausdifferenziert. Lange wurde angenommen, dass dieser zelluläre Entwicklungsprozess einer Einbahnstraße gleicht, der mit pluripotenten Zellen beginnt, Zellen also, die das Potential haben, sich in viele verschiedene Zelltypen zu differenzieren, und in unipotenten, ausdifferenzierten Zellen mit einer definierten Funktion endet.
Erst vor ein paar Jahren gelang es Shin’ya Yamanaka diesen Prozess der Ausdifferenzierung umzukehren. Er konnte Bindegewebszellen von Mäusen in Labor durch Gabe bestimmter Transkriptionsfaktoren (sie heißen Oct3/4, Sox2, Klf4 und c-Myc) in einen Zustand überführen, in dem die Zellen sich erstaunlicherweise wieder in andere Zelltypen ausdifferenzieren liesen. Die biologische Uhr der Differenzierung wurde sozusagen zurück gedreht. Die so geschaffenen Zellen wurden induzierte pluripotente Stammzellen, oder iPS-Zellen getauft.
Diese erstaunlichen Ergebnisse wurden inzwischen von vielen Laboren bestätigt und erweitert. Es werden immer weitere Möglichkeiten entdeckt, differenzierte Zelltypen in deren Vorläuferzellen zurück zu verwandeln oder bestimmte Zelltypen ineinander umzuwandeln. Die Methoden werden verfeinert und Stück für Stück werden so die molekularen Grundlagen der Zellentwicklung aufgedeckt.
Hoffnungen für den therapeutischen Nutzen von iPS-Zellen werden ebenfalls an die induzierten pluripotenten Stammzellen geknüpft. Beispielsweise wäre es denkbar, körpereigene Haut für Brandopfer oder neue Herzmuskelzellen für Infarktpatienten aus iPS Zellen herzustellen. Nicht zuletzt wurde die Entdeckung der Reprogrammierung von Gegnern der Forschung an embryonalen Stammzellen als ein Argument ins Feld geführt, dass man auf richtige Stammzellen nun ja in der Forschung verzichten könne. Experten sind anderer Meinung.
Der diesjährige Nobelpreis für Physiologie und Medizin wurde zurecht an Shin’ya Yamanaka verliehen. Seine Forschung steht für einen wissenschaftlichen Paradigmenwechsel mit noch unabsehbaren Konsequenzen, inklusive therapeutischer Anwendungen. Zum zweiten Preisträger dieses Jahr, John Gurdon, mehr heute Nachmittag.
Die Abbildung oben stammt aus einem Vortrag von Konrad Hochedlinger.

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