Geknebelt und gefesselt auf den Schultern von Giganten

Für Blogger ist der freie Zugang zu wissenschaftlicher Literatur eine tolle Sache. Zwei Mausklicks entfernt sind Forschungsartikel, an denen Wissenschaftler manchmal Jahre gearbeitet haben, und alles ist umsonst zu haben. Generell wird insbesondere in den Lebens- und Naturwissenschaften über die letzten Jahre intensiv diskutiert, wie der Zugang zu wissenschaftlicher Literatur und Informationen in digitalen Zeiten reguliert werden soll.
Freier Zugang zu steuerfinanzierten Forschungsergebnisen oder unbedingter urheberrechtlicher Schutz? Sebastian Krujatz vom Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht in München erörtert hier in einem Gastbeitrag das angespannte Verhältnis zwischen Open Access (OA) und Urheberrecht.

Auf den Schultern von Giganten stehend – geknebelt und gefesselt?
Open Access (OA) und Urheberrecht
i-7ce542ec55c391e868bef5db9ba8f2ca-SebastianKrujatz-thumb-100x132.jpg

OA Literatur ist – kurz gesagt – jede für den Leser kostenlos zugängliche Literatur, die zudem weitgehend frei von urheberrechtlichen Restriktionen verbreitet wird. Das OA Paradigma ist also durch zwei Freiheiten gekennzeichnet: Kostenfreiheit und weitgehende Schutzfreiheit. Diese Freiheiten müssen nicht zwangsläufig zusammenkommen, im »reinen« OA Prinzip vereinigen sie sich aber. Open Access ist im Wesentlichen ein Publikationsmodell. Es gibt OA Journale (wie etwa die der PLoS), OA Repositorien (wie etwa arXiv.org) oder einfach nur die Selbstarchivierung des Artikels auf der eigenen Homepage des jeweiligen Autors.
Auch eine Publikation nach diesem Prinzip ist mit Kosten verbunden. Im Gegensatz zum closed shop Modell, wo die Kosten der Verbreitung des wissenschaftlichen Beitrags durch den Nutzer getragen werden, etwa in Gestalt von Abonnentengebühren für Science, Nature & Co., trägt im OA Modell nicht der Nutzer, sondern etwa der Autor (sog. »author pays«-Modell) beziehungsweise die hinter dem Autor stehende Hochschule, Forschungsinstitution oder der Forschungsförderer (sog. »institution pays«-Modell) die Kosten der Verbreitung des Artikels. Alternativ kommen die hinter den OA Verlagen stehende Organisationen für die Kosten auf. Daneben ist eine Vielzahl anderer Finanzierungsmodelle denkbar. Das macht den Zugang entgeltfrei. Frei von urheberrechtlichen Restriktionen ist der Zugang dann, wenn Autoren offene Lizenzen verwenden, die dem Nutzer jede denkbare Nutzungshandlung erlauben, soweit nur die Autorschaft anerkannt wird (sog. »Attribution«).

Copyright me

i-6619d8d92afd2d1e5e60320fe7927f8c-2238090017_4e73fd3250_o-thumb-200x300.jpg

Das Urheberrecht erscheint da auf dem ersten Blick als ein ernster Gegner des offenen Zugangs zu wissenschaftlichen Informationen. Das Urheberrecht entsteht an »persönlichen, geistigen Schöpfungen« wie Fachzeitschriftenartikeln, Konferenzbeiträgen und Ähnlichem. Das Urheberrecht sichert – kurz gesagt – dem Urheber das ausschließliche Recht, das Werk in jeder denkbaren Weise zu nutzen – und noch wichtiger – anderen die Nutzung zu verbieten. Es gibt also dem Urheber oder dem Verleger Kontrolle über den weiteren Verbreitungsweg. Will man diese Werke von den Fesseln des Urheberrechts befreien, ist man auf den Willen des Urhebers angewiesen.
Es bedarf bestimmter Lizenzen, um diese Fesseln abzulegen. Creative Commons und die Leute hinter der Digital Peer Publishing Lizenz haben hierzu einiges entwickelt. Man muss aber den Urheber erst davon überzeugen oder ihn aber zwingen, vom urheberrechtlichen Schutz, den er zunächst von Gesetzes wegen gewährt bekommt, freiwillig Abstand zu nehmen. Zudem muss er die Rechte selbst noch innehaben, sie also nicht vollumfänglich an jemand anderen – etwa einem Fachverlag – eingeräumt haben.
Doch warum nicht gleich ohne Schutz? Wenn Open Access die richtige Lösung ist, warum dann erst in aller Breite schützen nur um dann den Schutz mit einiger Mühe wieder los zu werden? Urheberrechtlicher Schutz hat neben anderen Erklärungsmodellen eine ökonomische Ratio. Urheberrechtsbasierte Geschäftsmodelle refinanzieren sich durch die künstliche Verknappung der Anzahl von Vervielfältigungsstücken und durch Zugangskontrollen ihre getätigten Investitionen. Open Access ist ein Gegenmodell hierzu: OA will ohne künstliche Verknappung auskommen.


OA für alles und alle?

Vor vier Wochen haben sich die Türen der diesjährigen ESOF in Barcelona geschlossen – auch hier wurde der Zugang zu wissenschaftlichen Informationen immer wieder thematisiert. Für manche ist Offenheit eine Philosophie. Für andere eine Ideologie. »Free knowledge«, »creative oder science commons«, »open research«, »open source« »open data« und eben »open access« wurden in jeder denkbaren Kombination miteinander verknüpft, die eine Bewegung und ihr Erfolg wurden als schlagendes Argument für den möglichen Erfolg der jeweils anderen herangezogen. Meist mühelos passierten solche Redebeiträge den Weg zwischen Panelisten und Auditorium und wurden dort zumeist mit einem Kopfnicken gewürdigt. Woher rührt dieser doch recht tiefe Glaube an die Offenheit des Zugangs zu Informationsgütern und an offene Produktionsmodelle? Das lässt sich schwer beurteilen. Vieles wird Sprache sein: Offenheit ist attraktiver als Geschlossenheit. Free klingt besser als Restricted. Das Internet selbst ist dem Grunde und der Entstehung nach ein offenes System.
Doch sollte bei aller Euphorie nicht aus den Augen gelassen werden, dass Kulturgüter- und Informationsgüterproduktion vielgestaltig daherkommt: Was für Software zum Teil funktioniert hat, muss für wissenschaftliche Informationen nicht zwingend funktionieren, für Film- und Musikproduktion mag es in weiten Teilen schier unvorstellbar sein. Für jede Art der Informationsgüterproduktion gibt es passende Geschäftsmodelle, meist stehen mehrere Geschäftsmodelle im Wettbewerb miteinander und führen so zu kultureller und informationeller Vielfalt. Viele dieser Geschäftsmodelle sind urheberrechtsbasiert. Einige nur zum Teil. Andere kommen völlig ohne ein solches Schutzsystem aus. Keine Planwirtschaft, sondern ein gesunder Wettbewerb sollte zwischen diesen Geschäftsmodellen herrschen.

OA und wissenschaftliche Kommunikation

i-bd753c6b77b90bb40caf98ce8cee70c0-175027945_23278ebcb9_o-thumb-250x187.jpg

OA sollte nicht als Philosophie oder Ideologie verstanden werden, in deren Zuge das nur noch »lästige Urheberrecht« einfach abgeschafft wird, sondern als Teil einer Lösung für ein konkretes Problem: Wissenschaftliche Literatur und die darin enthaltene wissenschaftliche Informationen überall dorthin gelangen zu lassen, wo sie nützlich werden können. Dafür müssen drei »Grundleistungen« erbracht werden: Produktion, Transport und Sichtbarmachung.
Die Produktion wird von den Wissenschaftlern übernommen, die zweifelsohne genügend motiviert sind, ihre Beiträge zu schreiben und mit der Öffentlichkeit zu teilen. Transport ist im Internetzeitalter kein großes Problem – die Distanzkosten gehen gegen Null. Was der Wissenschaftler auf seiner Homepage hochlädt kann überall auf der Welt nahezu kostenlos abgerufen werden. Und die Sichtbarkeit? Dabei geht es darum, die guten von den schlechten Beiträgen zu trennen, sie langfristig verfügbar zu halten, die Artikel nicht nur hübsch aussehen zu lassen, sondern nützlich zu gestalten, miteinander zu verlinken, durchsuchbar zu machen – kurz gesagt – so zu veredeln, dass sie aus der Masse an umherfliegenden, verstreuten Information herausstechen und wirklich brauchbar sind.
Die Sichtbarkeit bleibt auch im Internetzeitalter eine Herausforderung. Der bloße, laute Ruf nach offenem Zugang würde verhallen, käme er nicht der Lösung dieses Problems näher. OA Literatur ist auch für diejenigen sichtbar, welcher die Zugangsgebühren nicht aufbringen kann – damit ist viel, aber noch nicht alles getan. Es bedarf nachhaltiger und innovativer Geschäftsmodelle. Google Scholar sollte hier etwa nur ein Anfang sein. Inwieweit der Sichtbarkeit nachhaltig und effizient ohne urheberrechtsbasierte Geschäftsmodelle genüge getan werden kann, wird die Zukunft zeigen. Eine Prognose sei dennoch erlaubt: Auch hier wird golden wohl nur die Mitte sein. Es bleibt spannend.

Sebastian Krujatz
Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München, Germany;
Information Society Project, Yale Law School, New Haven (CT), U.S.A.
Der Autor gibt hier seine eigene Meinung wieder und nicht die Meinung der mit ihm assoziierten Institutionen
Bilder via flickr unter creative commons Lizenzen:
Bild1: Beinecke Rare Book Library (cc)
Bild2: Biblioteca Vasconcelos (cc)

Beteilige dich an der Unterhaltung

Keine Kommentare

  1. Danke für das Lob, geht so direkt an Sebastian weiter.
    Spanische Version war ein versehen. Wenn ich hier in Barcelona in Firefox “google scholar” eintippe, werde ich eben auf die spanische Seite direkt verlinkt. Und ich hab die URL ungesehen übernommen. Gerade auf .de geändert.

  2. Great post.
    But a couple of funny things to note. The idea “Keine Planwirtschaft, sondern ein gesunder Wettbewerb” is funny in the context of arguing for the continuation of the ultimate planned economy of copyright – 50+ years of government enforced monopoly.
    And the idea of “healthy” competetion between business models based on the massive subsidy of government monopoly (copyright) versus business models who reject the subsidy is not my idea of “healthy”.
    Also the idea that copyright somehow has a positive role to play in improving the visibility of works is interesting. Usually copyright leads to paperwork and impediments to the flow of information – just look at the google news debacle – http://arstechnica.com/news.ars/post/20060201-6095.html.
    -Anders

  3. Prima, dass “Open Access” auch hier als Thema aufgegriffen wird. Bislang sind OA-Publikationen in den meisten Fachgebieten eher Ausnahmeerscheinungen, obwohl das Argument der freien Zugänglichkeit wissenschaftlicher Informationen auf den ersten Blick doch so eindrucksvoll und überzeugend ist. Auch ich bin gespannt welche Strategien sich mittel- und langfristig als erfolgreich erweisen werden. Die MPG versucht es z.B. mit der institutionsweiten Übernahme von Publikationskosten, s. http://colab.mpdl.mpg.de/mediawiki/Open_Access_Publishing#List_of_Publishers_with_MPS-OA_agreement. Es bleibt wirklich spannend!
    Überigens ist mir der Zusammenhang zwischen OA und GoogleScholar nicht ganz klar geworden: GS indexiert sowohl freie als auch zugangsbeschränkte Literatur und die Datenbank selber ist nicht OA – und das wird sich Google sicher auch nicht aus der Hand nehmen lassen…

  4. @ioverka:
    Ich denke, GoogleScholar wird hier nur im Zusammenhang mit der “Sichtbarkeit” von Publikationen erwähnt. Ohne zwischen einem Nature Artikel und einem Open Access Paper zu unterscheiden wird bei GS alles indexiert, wie Sie ja auch schon richtig angemerkt haben.
    Schön, dass die MPG das Problem erkannt hat, und Publikationskosten übernimmt. Vielfach kann man ja bei der Stellung von Forschungsanträgen auch Kosten für Publikationskosten geltend machen.

  5. Mir erscheint das wiedermal wie eine Diskussion über Tauben und Falken: Bekommen die Verlage ihr Geld von den Autoren oder von den Lesern? Ich halte das für eine irrelevante Frage. Für mich ist die viel wichtigere Frage: Wofür bekommen die Verlage überhaupt Geld? Die Autoren liefern druckfertige Manuskripte ab (in die Verlage dann noch Fehler reinwursteln, die ich wieder raussuchen darf – hab ich alles schon erlebt), Lektorat gibt es nicht oder muss man selber kaufen, Gutachten erledigen Kollegen, die Redakteure der Zeitschriften sind ebenfalls öffentlich finanzierte Wissenschaftler. Was macht der Verlag? Der lässt alles drucken, macht bunte Werbebroschüren, die die Briefkästen und Mülleimer verstopfen, verschickt Belegexemplare, die umgehend ins Altpapier wandern (oder zu Kollegen und dann ungelesen ins Altpapier) und bewirbt Zeitschriften, die die Bibliotheken brav kaufen, die aber kaum einer auf Papier liest, wenn sie auch als PDF zu haben sind.
    Für mich ist arxiv perfekt. Ich lasse meine Artikel von Kollegen korrekturlesen, lade die Artikel dort hoch, dann sind sie sofort in bunt, ohne Seitenbeschränkung und mit interaktiven Verweisen zu sehen. Meinetwegen kann arxiv einen Euro oder auch fünf pro Artikel verlangen. Davon können sie sich wahrscheinlich locker finanzieren. Nicht zu vergleichen mit 1000 Euro für eine OpenAccess-Veröffentlichung. Was noch fehlt, ist eine Kommentar-/Begutachtungsfunktion mit offener Namensnennung, welche Fehden zwischen verfeindeten Schulen erschweren sollte. Ich weiß, es gibt eigenständige Projekte dafür – sie werden leider noch zu wenig genutzt.
    Traditionelle Zeitschriften brauche ich nur, weil andere Akademiker die traditionelle Begutachtung für ein Gütesiegel halten. Sie sind häufig selbst Gutachter, kennen die Probleme der Begutachtung und wenn ich sie frage, warum sie trotzdem an dem System festhalten, sagen sie, dass ohne Begutachtung zu viel Müll veröffentlich würde. Ich halte dagegen: Müll wird auch mit Begutachtung veröffentlicht, ganz einfach weil der Druck da ist, viel zu veröffentlichen. Begutachtung sorgt lediglich dafür, dass wirklich innovative Artikel hängen bleiben – und sei es nur an dem üblichen “Artikel passt leider nicht in die Zeitschrift”.
    Das Wesen der akademischen Veröffentlichung ist für mich der beste Beleg für einige Grundübel in der Wissenschaft: Zähes Festhalten an Dogmen, hier “Begutachtung sichert Qualität”, die jeder leicht widerlegen kann und absolute Ahnungslosigkeit in Sachen Politik, denn obwohl die Verlage völlig überflüssig sind und daher um Artikel betteln müssten, verlangen sie astronomische Preise – und bekommen sie.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert