Stammzellen: Neuer Meilenstein bei der Reprogrammierung

ResearchBlogging.orgForscher aus Münster und Aachen haben es geschafft, Körperzellen mit weniger Eingriffen als bisher bekannt in eine Art embryonalen Zustand zurückversetzen. Die Daten wurden in der aktuellen Ausgabe von Nature publiziert.


Das Stammzelldilemma

Die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen ist umstritten. Einerseits werben Wissenschaftler für die Forschung mit dem großen Wissensgewinn über zell- und entwicklungsbiologische Grundlagen und mit potentiell weitreichenden Therapiemöglichkeiten, die selbstredend auch erst entdeckt und erforscht werden wollen. Andererseits warnen Vertreter der Kirchen, die ökologisch-ideologische Heile-Welt-Fraktion und naturwissenschaftsferne Juristen und Ethiker vor den unabsehbaren Konsequenzen, die der Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen angeblich innewohnt.
Ein scheinbarer Ausweg aus dem Dilemma, der Befürworter und Gegner der Forschung an embryonalen Stammzellen versöhnt, ist die Reprogrammierung von bereits differenzierten Zellen zu “embryonalen Stammzellen”. Die Forscher versuchen sozusagen, die „Uhr zurückzudrehen”.
Um die molekularbiologischen Grundlagen zu verstehen, die hinter dieser Technik stecken, muss man sich verdeutlichen, was bei der Differenzierung von Stammzellen eigentlich passiert: Die sequenzielle Aktivierung von Transkriptionsfaktoren führt zu einer häufig temporären Aktivierung bestimmter Gene, die dafür verantwortlich sind, dass die Zellen Schritt für Schritt zu dem werden, was sie werden sollen.

Von Stammzellen zu Therapien

Stammzellen haben also durch diese differenzielle Regulation das Potential, sich in verschiedene Zelltypen auszudifferenzieren, zum Beispiel in Hautzellen, Herzmuskelzellen, Insulin produzierende Zellen, Knorpelzellen, verschiedene Nervenzelltypen. Die Liste ist beliebig verlängerbar, es gibt rund 200 verschiedene Zelltypen im menschlichen Körper. Hinter jedem Zelltyp kann man sich eine medizinisch relevante Anwendung vorstellen: Hautzellen für Transplantationen bei Verbrennungen, Herzmuskelzellen zur Behandlung nach Infarkten, Insulin produzierende Zellen bei Diabetes, Knorpelzellen bei Arthrose, Nervenzellen bei Hirnschädigungen und Demenzerkrankungen. Je nach Anwendung ist die Forschung hier unterschiedlich weit fortgeschritten, und sie entwickelt sich schnell weiter.
Das klingt gut, und die potentiellen Therapien werden natürlich gerne genutzt, um in Forschungsanträgen auf die Wichtigkeit des jeweiligen Forschungsprojekts aufmerksam zu machen – um auf diese Weise genügend Gelder für die Forschung einzutreiben. Dies führt leider auch häufig dazu, dass die möglichen Therapien auf dem Papier in greifbare Nähe rücken, obwohl die Forschung vermutlich noch etliche Jahre von den beschriebenen Erfolgen entfernt ist. So sind Enttäuschungen eigentlich schon fast vorprogrammiert.

Rasante Entwicklung der Stammzellforschung

Kommen wir aber zurück zu den molekularbiologischen Grundlagen, den Transkriptionsfaktoren und zur Reprogrammierung von differenzierten Zellen zu Stammzellen. In den letzten zwei Jahren wurde gezeigt, dass vier dieser Transkriptionsfaktoren (sie heißen Oct3/4, Sox2, Klf4 und c-Myc) ausreichen, um die biologische Uhr von differenzierten Zellen zum Stammzellstatus zurück zu drehen. Man kann an der Entwicklung dieser Technik exemplarisch verfolgen, wie Forschung funktioniert: Schritt für Schritt.
In inzwischen klassischen Experimenten wurden entkernten Eizellen der Zellkern einer Körperzelle (somatische Zelle) eingesetzt. Diese Zellchimären fingen an, sich zu teilen, und nach etlichen Misserfolgen ist aus solch einem Experiment das Schaf “Dolly” entstanden. In der Eizelle waren also Faktoren vorhanden, die ausreichten, um mit der DNA der somatischen Zelle ein neues Lebewesen entstehen zu lassen. Der “proof of concept” war somit erbracht.
Später wurden die oben genannten Transkriptionsfaktoren identifiziert, und gezeigt, dass es ausreicht, diese vier Faktoren mit Hilfe von Retroviren in die Zelle zu bringen, um eine Umprogrammierung von Hautzellen der Maus einzuleiten. Letztes Jahr wurde dann gezeigt, dass diese Art der Umprogrammierung auch für menschliche Zellen funktioniert. Die Nachricht ging schon fast als Heilsbotschaft zur Rettung der Ethik in der Stammzellforschung durch die Presse.
Neue Meilenstein bei der Reprogrammierung
Heute ist ein neuer Meilenstein erreicht, und die verantwortlichen Forscher sitzen weder in den USA noch in Japan, sondern in Münster und Aachen. Dem Team um Hans Schöler (MPI für molekulare Biomedizin in Münster) und Martin Zenke von der Universität Aachen ist es gelungen, Zellen erwachsener Mäuse nicht nur schonender, sondern auch sicherer als bisher in ihren embryonalen Urzustand zurückzuversetzen: Statt den vier Transkriptionsfaktoren Oct3/4, Sox2, Klf4 und c-Myc benötigen die Forscher jetzt lediglich zwei: entweder Oct4 zusammen mit Klf4, oder aber Oct4 in Kombination mit c-Myc. Die Forscher arbeiteten dabei mit neuralen Stammzellen, die per se schon eine hohe Konzentration von c-Myc und Sox2 bilden.
Das alleine ist schon ein beachtliches Ergebnis. Äußerst vielversprechend klingt auch ein weiteres technisches Detail der Veröffentlichung: Wie Schöler und seine Kollegen in der jüngsten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature berichten, konnten sie bei dieser Reprogrammierung den Einsatz von Retroviren als Genfähren deutlich reduzieren. Vieles spricht nach Ansicht der Forscher sogar dafür, dass es möglich ist, künftig ganz ohne Viren auszukommen. Damit wäre eines der größten Risiken künftiger Stammzelltherapien – eine Entgleisung injizierter Zellen zu Tumoren – gebannt.
Literatur:

Aktuelle Veröffentlichung in Nature:
Jeong Beom Kim, Holm Zaehres, Guangming Wu, Luca Gentile, Kinarm Ko, Vittorio Sebastiano, Marcos J. Araúzo-Bravo, David Ruau, Dong Wook Han, Martin Zenke, Hans R. Schöler (2008). Pluripotent stem cells induced from adult neural stem cells by reprogramming with two factors Nature, (), – DOI: 10.1038/nature07061
Review zur Reprogrammierung von Stammzellen:
M LEWITZKY, S YAMANAKA (2007). Reprogramming somatic cells towards pluripotency by defined factors Current Opinion in Biotechnology, 18 (5), 467-473 DOI: 10.1016/j.copbio.2007.09.007

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10 Kommentare

  1. Sehr interessante Informationen! Danke an Tobias dafür.
    Ich habe nur leider die Befürchtung, dass diese Ergebnisse schon bald von diversen Politikern, die sich bereits vorher schon durch Ahnungslosigkeit ausgezeichnet haben, missbraucht werden, um gegen die Forschung an Stammzellen (insbesondere nicht iPS) zu wettern.
    Da kommen dann vermutlich auch wieder Umfragen a la “Bundesverband Lebensrecht” heruas…
    http://skepticashell.wordpress.com/2008/02/15/umfragen-manipulation-und-der-rote-knopf/

  2. Super artikel und die 19:01 als Veroeffentlichungszeitpunkt find ich gut! Hoffe auch, dass das nicht gegen die embryonale Stammzellforschung verwendet wird!
    Bin gespannt was bei den Alternativen zum retroviralen Gentransfer rueberkommt, denn das ist doch eindeutig das Problem mit jeder Form des Gentransfers.
    Gruesse Felix

  3. @Felix: Noch ist es nicht soweit. Das Icon hier ist als Zwischen-Notlösung eingbunden. Siehe auch Informationen bei german.researchblogging.org
    Wenns soweit ist, kommt bei WeiterGen auch ein Post dazu. Ging das mittlweile bei dir mit den englischen Posts?

  4. Ja, ich denke, das wird so laufen, wie Stefan es befürchtet: Gewisse Interessenvertreter werden diesen Forschungsfortschritt als Alibi benutzen nach dem Motto “Man muss den Gen-Forschern nur richtig Druck machen, dann geht das alles ganz ohne embryonale Stammzellen, damit ist doch bewiesen, dass wir schon immer recht hatten…”

  5. Die Alternativen zum retroviralen Gentransfer sind auf jeden Fall interessant. Siehe auch das oben verlinkte Interview mit Hans Schöler in der FAZ und dieses Paper: A combined chemical and genetic approach for the generation of induced pluripotent stem cells.
    eine Reprogrammierung bleibt aber auch eine Reprogrammiernug, und es sind dadurch keine embryonalen Stammzellen, sondern induzierte pluripotente Stammzellen (iPS). Schöler schreibt in dem Interview selbst: “Und gerade für die Erforschung der Reprogrammierung braucht man parallel die embryonale Stammzellforschung. Das wird auf lange Sicht auch so bleiben, weil wir jedes Zwischenprodukt sicher definieren müssen.”

  6. Was ich dabei arg vermisse ist das Thema epigenetisches Altern. Vor nicht allzu langer Zeit gab es ein Paper, in dem die epigenetischen DNA-Veränderungen im Laufe der Zeit beschrieben wurden. Insofern wird die Uhr da wohl nicht vollständig zurückgedreht.
    Wäre schon ganz spannend, welchen Unterschied da zum Beispiel Veränderungen an den Histonen spielen.

  7. @Fischer: Auf jeden Fall interessant. Ich habe letzte Woche einen Vortrag von Kevin Struhl gehört, in dem er gemeint hat, die Regulation durch Transkriptionsfaktoren ist bei Weitem wichtiger als epigenetische Veränderungen, die durchaus reversibel sind.

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